Der Schatten an der Wand

Bildrechte: Columbia, Sony Music

So mögen wir ihn: Viele Fragen rund um Bob Dylans neuen Song „False Prophet“ und sein neues Album „Rough And Rowdy Ways“.

Er hat es wieder getan. Und noch viel mehr. Erst hat er ganz im Zeitplan erneut nach drei Wochen Pause einen Song im Internet veröffentlicht. Und wenige Zeit später wird verkündet: Neues Album am 19. Juni!

Der Song „False Prophet“
Typischer Dylan. Langsamer Blues-Rock, der ein bisschen an „Early Roman Kings“ oder My Wife’s Home Town“ erinnert. Auch von der Stimme her klingt das eher wie „Tempest“ oder „Together Through Life“ als nach dem sonoren Crooner-Gesang der letzten Jahre. Auch vom Text her ist es beste Dylan-Poesie. Mehrere Perspektiven und Deutungen sind möglich. Wer ist der Erzähler? Der Tod? Der Teufel? Dylan selbst? Der Weltgeist? Sicher ein bisschen von allem. Und wieder liegt ein Hauch von Apokalypse über dem Song. Aber: Keiner findet schönere Worte, um sie zu beschreiben oder sie zumindest anzudeuten.

Für mich persönlich sind auf den ersten Blick zwei Verse besonders interessant:

Well I’m the enemy of treason
Enemy of strife
Enemy of the unlived meaningless life
I ain’t no false prophet
I just know what i know
I go where only the lonely can go

Das ist zum einen sehr friedvolle Aussage gegenüber anderen auch in diesem Song vorhandenen Statements von Dylan. Zum anderen ist das auch der erneuerte Schwur „It Ain’t Me Babe“: „Ich bin kein Anführer, ich locke Euch nicht mit falschen Versprechungen, ich weiß nur, was ich weiß und ich gehe einen einsamen Weg.“ Die Ablehnung von Verrat und Streit führt direkt zu der anderen Strophe, die ich meine:

Hello stranger
A long goodbye
You ruled the land
But so do I
You lost your mule
You got a poison brain
I’ll marry you to a ball and chain

Wer steht derzeit weltweit für Streit und Spaltung sowie dem Verrat an amerikanischen Idealen? Richtig, Donald Trump! Ein Song, oder Teilaussagen des Songs gegen Donald Trump? Dylan hat sich öfters über die US-Präsidenten – wie 1974 mit „Sometimes even the president of the United States must have stand naked“ zu Nixon – geäußert. Kennedy hat er ja gerade in „Murder Most Foul“ schon in einer gewissen Form gehuldigt. Über Obama hat er sich zumindest vor dessen ersten Wahl in einem Interview lobend geäußert. Und hier kann man schon auf Trump kommen, denn – und jetzt sind wir beim Artwork – der Schatten hinter dem Tod sieht doch ziemlich nach dem amtierenden US-Präsidenten aus.

Wieder einmal hat Dylan – wie beim Album „Knocked Out Loaded“ von 1986 -das Cover eines „Schund-Roman-Heftes“ – benutzt. Das Skelett – also der Tod – ist der Original-Titelseite von „The Shadow“ vom 15. Juli 1942 entnommen. Hinzugefügt wurde der erhängte Schatten-Mann (Trump?) und die Spritze in der Hand des Skeletts. Und schon sind in der Diskussion über zwei zentrale Themen: Trump und die Corona-Krise. Spricht sich hier Bob Dylan gleichzeitig gegen Trump und gegen Impfungen aus? Der Trump-Aspekt kann sich im Song und auf dem Cover aufdrängen, von Spritzen und Impfungen ist dagegen nichts herauszulesen.

Verschiedene Dylan-Afficionados haben zudem darauf hingewiesen, dass der Song auch aus einer mephistophelischen Perspektive heraus einen Abgesang auf Gott oder Jesus Christus darstellen könnte.
Natürlich liegt in Bob Dylans Alterswerk eine religiöse Deutung immer im Bereich des Möglichen. Aber der Meister ist hier wieder einmal mehr die große Sphinx der Popkultur und eine eindeutige oder besser eindimensionale Erklärung ist bei ihm auch mit 79 Jahren nicht zu finden.

Veröffentlicht wurde dieser Song übrigens Dylans Social Media mit den Worten „What are you lookin’ at — there’s nothing to see.” Einer Zeile des Songs aus der vierten Strophe.

Bildrechte: Columbia, Sony Music

Das Album „Rough And Rowdy Ways“
Entgegen anderer Auffassungen, so die Meinung des Autors dieses Blogs, kommt das Album zum jetzigen Zeitpinkt überraschend, es hätte einen nicht gewundert, hätte Dylan sich nicht zu einem weiteren Longplayer aufraffen können. Dylans Handlungen sind (fast) immer überraschend, zu wankelmütig und tricky ist unser Lieblingsmusiker, wie wir in den inzwischen mehr als vierzig Jahren Anhängerschaft gelernt haben.

Das Album ist ein Doppel-Album, auch als CD, obwohl die 70:36 auch auf eine Scheibe gepasst hätten. Der Album-Titel lehnt sich an den Jimmie Rodgers-Titel „My Rough And Rowdy Ways“ an. Rodgers ist auch im Inneren des Doppel-Albums auf einem Bild mit der Carter Family zu sehen. Auf die Antwort zur Frage, ob der „Vater der Countrymusik“ oder die „First Family Of Country Music“ eine Inspiration für die Songs des Albums waren, wird man noch warten müssen. Während diese Zeilen geschrieben werden, sind von der Tracklist nur die bereits veröffentlichten Songs bekannt.

Das Album-Cover zeigt eine Tanzszene, die den Blogger spontan an einen Blues-Juke Joint erinnert haben. Das wäre also das schwarze Popkultur-Gegenstück zur eher weißen Countrymusik mit ihren Protagonisten Jimmie Rodgers und der Carter Family. Diese Trennung ist aber ohnehin eine künstliche und Bob Dylan hat in seiner ganzen Karriere daran gearbeitet, die Trennung in seiner Person aufzuheben.

Soweit also das, was wir im Moment an Infos haben. Genug, um zu spekulieren, zu wenig, um es ganz genau zu wissen. Aber das ist dich eigentlich das beste Feeling für den Dylan-Fan. Dylan legt uns was hin und wir haben einen unerschöpflichen Quell an Rätseln, Fragen und Mysterien und wir erfreuen uns am Forschen, Suchen, Deuten und Erklären.

Danke, Bob, wir haben spannende Wochen vor uns.