Darmstadt schickt Geburtstagsgrüße an Bob Dylan

26. Mai 2023

Feier für die 82-jährige Singer-Songwriter-Legende wird zum Gänsehaut-Erlebnis

V.l.n.r.: Thomas Waldherr, Dan Dietrich, Martin Grieben, Günter Geisinger, Bernd Hoffmann, Bernd Windisch

Als gegen 22.45 Uhr der lange Bob Dylan-Abend endete, gab es im vollen Saal der Bessunger Knabenschule kein Halten mehr: Standing Ovations mit donnerndem Applaus und Jubel-Rufen – das Publikum war sichtlich begeistert und mitgerissen vom Programm.

Bernd „Dylan“ Hoffmann, Foto: Americana

Wieder einmal waren hochkarätige Künstler aus der Region Südhessen/Nordbaden – der Frankfurter Martin Grieben, der Darmstädter Dan Dietrich und die Weinheimer „Zimmerman’s Friends“ – dem Ruf von Americana-Kurator Thomas Waldherr gefolgt und lieferten ein Dylan-Programm der Sonderklasse ab.

Songs und Texte von und über Bob Dylan gruppierten sich den Abend über nach Themen wie „Love“, „War and Peace“ oder „Friends & Rivals“ ein. Waldherrs Kurzvorträge schlugen dabei einen Bogen von der Diskussion über Dylan als autonomen Künstler bis hin den sportlichen Vorlieben des Meisters wie Boxen und Baseball. Zu letzterem kam sogar Dylan aus dem Off höchst selbst zu Wort und überraschte die Zuhörer:innen mit einem A-Capella-Baseball-Song.

Bei der Songsauswahl kamen neben den bekannten Songs wie „Chimes Of Freedom“ (Dan Dietrich) oder „All Along The Watchtower“ (Martin Grieben) auch weniger bekannte Stücke wie „Catfish“ (Zimmerman’s Friends) zu ihrem Recht. Martin Grieben brillierte mit dem funkig-souligen „Watered-Down Love“ von 1981 und dem nachdenklichen „License To Kill“ von 1983. Dan Dietrich gelang eine mitreißende Version von „A-Hard Rain’s Gonna-Fall“ (1963) sowie ein berührendes „Not Dark Yet (1997).

Martin „Dylan“ Grieben“, Foto: Americana

Bernd Hoffmann von den Zimmerman‘ Friends wies auf die Qualitäten von Dylan als Schreiber von Lovesongs hin und brachte mit seinen Mitstreitern als Beweis eine verzückende Version „Make You Feel My Love“ auf die Bühne. Während Grieben und Dietrich mit Musik und Gesang mehrheitlich expressiv und treibend unterwegs waren, spielten die Weinheimer Freunde vom Zimmermann ganz entspannte Laid Back-Songs. So schon ganz am Anfang als sie den „Honky Tonk Blues“ von Dylans Idol Hank Williams intonierten oder später, als sie eher fatalistisch die Zustände auf Maggies Farm beklagten. Und am Ende gelang ihnen eindrucksvoll eine der shönsten und zugleich traurigsten Versionen von „Knockin‘ On Heavens‘ Door.

Dazu gab es eine Reihe von Stücken, die das gesamte Ensemble zusammen aufführte. Hier waren vor allem auch Martin Grieben und Dan Dietrich für die Leadvocals zuständig. Anfang und Schlusspunkt setzte „My Back Pages“ in dem Dylan ja feststellt, dass er „younger than that now“ sei, was auch für diese Tage wieder ganz genau passt.

Dan „Dylan“ Dietrich, Foto: Americana

Denn im Juni ist er ganz ausgedehnt in Südeuropa unterwegs und mit „Shadow Kingdom“ steht die nächste Albumveröffentlichung auch schon wieder kurz bevor. Vor der Pause wurde „Hurricane“, das Lied über den zu Unrecht wegen Mordes verurteilten schwarzen Boxers Rubin Carter gespielt und als Zugaben erklangen „I Shall Be Released“ und „Blowin‘ In The Wind“.

Und so hat die Darmstädter Dylan-Gemeinde wieder einmal ihren Meister hochleben lassen. Nach Aussage von Thomas Waldherr soll dies im Rahmen der Americana-Reihe nun jährlich geschehen. Darmstadt kann sich freuen!

Alle singen sie für Bob

12. Mai 2023

Welchen Einfluss der Song-Großmeister Bob Dylan auf Musiker aus der Rhein-Main-Neckar-Region hat/ 25. Mai: Große Dylan-Geburtstagsfeier in Darmstadt

Bob Dylan, Copyright: Wikimedia Commons

Wenn am Donnerstag, 25. Mai, in Thomas Waldherrs Darmstädter Americana-Reihe von der Bühne der Bessunger Knabenschule (Beginn 20 Uhr) die „Geburtstagsgrüße für Bob Dylan“ versendet werden, dann ist das auch eine Feier von Künstlern aus der Rhein-Main-Neckar-Region. Denn an diesem Abend werden die Songs des Literaturnobelpreisträgers und Songwriter-Papsts von Musikern aus Frankfurt, Darmstadt und Weinheim interpretiert. Es treten auf: Der langjährige Darmstädter Lokalmatador und nun in Frankfurt lebende Martin Grieben („Jay“), der „Darmstädter Dylan“ Dan Dietrich und die Weinheimer Zimmerman‘ Friends. Da fragt sich natürlich, was die Musiker aus dieser Region zu Dylan gebracht hat und was er ihnen bedeutet.

Dylan-Freunde aus Frankfurt, Darmstadt, Weinheim

Der „Darmstädter Dylan“ Dan Dietrich, der in Halle an der Saale geboren wurde, bevor er in der Woogsstadt aufwuchs, kam bereits mit 8 Jahren mit Dylan in Berührung. „Damals bekam ich eine Kassette von meinem Vater in die Hand. „Precious Memories“ war der erste Titel, der mich packte“, erinnert er sich.

Martin Grieben dagegen hat Ende der 1970er den Mitschnitt des „Concert for Bangladesh“ gehört. „Dylan ist da Special Guest. Ich konnte nicht fassen, was in den Songs an Text auf den Hörer losgelassen wird. So richtig geknallt hat es aber erst in den 80ern mit ‚Oh Mercy‘, noch heute eines meiner Lieblingsalben überhaupt und dann mit dem ersten Official Bootleg-Set.“

Dan Dietrich, Foto: Marcus Botsch

Für das Weinheimer Musik-Urgestein Bernd Hoffmann von Zimmerman’s Friends war Dylan als junger Mensch eine wichtige Inspiration: „Wie auch John Lennon und einige andere. Fasziniert haben mich vor allem bis heute die Songtexte.“ Sein Bandkollege Günter Geisinger, der bereits in den 1970er Jahren mit der Musik begann und Teil der Heidelberger Folk-Szene wurde, begeisterte sich für Dylan, als er elektrisch wurde: „Zum echten Dylan-Fan wurde ich durch „Desire“ und hab mich dann zurückgearbeitet und Herrn Zimmerman erst richtig lieben gelernt.“

Bob Dylan-Songs: „Nicht imitieren, sondern interpretieren“

Alle drei spielen regelmäßig Dylan-Songs in ihren Programmen. Martin Grieben, der neben seinen Gastspielen in der Darmstädter Americana-Reihe unter anderem auch mit Volker Rebell auftritt und die „(M)ein Mann-Band“ in der Frankfurter Kult-Talk-Show „Melli redet mit…“ bildet, hat ein eigenes Dylan-Programm. Dan Dietrich, dessen aktuelle Guppe „Dan meets Portland“ heißt, war unter dem Titel „Dan plays Dylan“ auf Tour und im Studio. Und die Zimmerman’s Friends spielen, wie der Name schon sagt, Songs von Dylan und „artverwandtes“ wie John Prine oder Neil Young.

Martin Grieben, Copyright: Niko Neuwirth

Was aber ist das Wichtigste dabei, was muss man bedenken, wenn man Bob Dylan covert? Altmeister Bernd Hoffmann hat dazu eine klare Haltung: „Das Wichtigste beim “Covern”, also bei der Interpretation von Songs anderer Künstler, ist, dass man dem Song eine eigene, persönliche Note gibt. Ansonsten würde man sich ja selbst als Künstler quasi aufgeben, sich überflüssig machen. Reine “Look und Soundalike”-Coverbands, von denen viele sehr erfolgreich sind, finde ich oft eher zum ‚fremdschämen‘.“ Dan Dietrich antwortet augenzwinkernd: „Nicht imitieren, sondern interpretieren. Und natürlich sollte man sich auch mit dem Titel identifizieren können. Ansonsten… sing irgendeinen Song und setz ihm einen Dylan-Hut auf… er wird ihn sicherlich auch schon gesungen haben.“

Jeder Dylan-Fan hat natürlich auch seine Lieblingssongs des Meisters. Während Dan Dietrich einen Titel besonders hervorhebt, „Mama, You’ve Been On My Mind“, ist Bernd Hoffmann vom ganzen „Blood On The Tracks“-Album angetan. Und Martin Grieben hat so viele Lieblingssongs, dass er nur auf die verweist, der momentan besonders gerne spielt:“ License to Kill, Buckets of Rain, My Own Version of You und Po‘ Boy“.

Zimmerman’s Friends, Copyright: Promo

Dylan-Geburtstagsfeier: „Spaß am Interpretieren, Philosophieren und Gratulieren“

Das Darmstädter Publikum darf sich also auf drei Acts voller Dylan-Wissen und -Leidenschaft freuen. Und die wiederum freuen sich auch auf einen ganz besonderen Abend: „Auf ein Zusammentreffen von richtig netten Menschen mit durchsichtiger Dylan-Brille auf der Nase und einer Menge Spaß am Interpretieren, Philosophieren und Gratulieren“, befeuert Dan Dietrich die Vorfreude auf den 25. Mai unter allen, denen Bob Dylan etwas bedeutet.

Tickets im Vorverkauf: www.knabenschule.de . Telefonische Reservierungen unter 06151/61650.

Zimmerman’s Friends: Don’t Think Twice, It’s Allright

Harry Belafonte (1927 – 2023)

25. April 2023

Wir trauern um eine amerikanische Ikone

Copyright: Wikimedia Commons

Er war Sänger, Schauspieler und Entertainer und in diesem Metier schon eine amerikanische Legende. Darüber hinaus war er auch Zeit seines Lebens gesellschaftlich und sozial engagiert. War in der Bürgerrechtsbewegung neben Martin Luther King aktiv und äußerte sich immer wieder kritisch zu Gesellschaft und Politik in den USA. Er war eine der ganz großen Stimmen des „anderen Amerika“. Nun ist diese Stimme für immer verstummt.

Als Sohn des Matrosen Harold George Bellanfanti, Sr. aus Martinique und der jamaikanischen Hilfsarbeiterin Malvene Love in Harlem in einfachen Verhältnissen geboren, wuchs er im Schwarzen-Ghetto auf. Dennoch schaffte er es, die High School zu besuchen. Inspiriert durch den großen afroamerikanischen Sänger und Schauspieler Paul Robeson, beschloss er ebenfalls Schauspieler zu werden. In den frühen 1950er Jahren schloss er sich der Folksong-Bewegung an und sang Lieder, die von der Musik der Westindischen Inseln geprägt waren. 1956 gelang ihm der Durchbruch mit dem Calypso und dem Banana Boat Song, der Popgeschichte schrieb. Harry wurde zum „King Of Calypso“ und war Anfang der 1960er Jahre einer der bekanntesten schwarzen Künstler.

Und hier ist dann auch die Verbindung zu Bob Dylan. Am 2. Februar 1962 nahm Bob mit Harry Belafonte den Song „Midnight Special“ auf. Er spielte Mundharmonika auf diesem Stück und Harrys Kommentar dazu war: “Das Spiel war perfekt, die Aufnahme ist perfekt!” Ob Harry da schon ahnen konnte, dass Bob später ebenfalls zu einer amerikanischen Musik-Ikone werden sollte?

Copyright: RCA Victor

Wie auch immer, blieb Harry Belafonte über die Jahrzehnte eine feste Größe in der internationalen Musikszene und war auch gern gesehener Gast auf deutschen Konzert- und Studiobühnen. Nie hatte Harry Berührungsängste mit der sogenannten „leichten Muse“. Denn er wusste, wie handwerklich anspruchsvoll diese ist. Die Popularität die er damit erreichte, nutzte er für politische und soziale Zwecke. Bis zu seinem Lebensende blieb er Folklorist, sammelte Songs eine Anthologie afroamerikanischer Musik. Und zu dieser Folkmusik zählte er auch den Rapmusik und verdammte die Korrumpierung dieser emanzipatorischen Musik durch die Plattenindustrie, die sie zu einer Musik der Gewalt, des Machismo und der Habgier entstellte.

Heute ist diese große amerikanische Ikone gestorben. Er wird für immer unvergessen bleiben. Rest In Peace, Harry!

Vom Bon Bon Club über Berlin nach Tokyo

14. April 2023

Dylans aktuelle Kunst ist groß, dunkel und meisterhaft und „Shadow Kingdom“ das Scharnier zwischen RARW-Album und Tour

Copyright: Sony/ Legacy

Endlich ist es soweit: Bob Dylan veröffentlicht am 2. Juni die Musik des legendären Streaming-Filmes „Shadow Kingdom“ vom Juli 2021 auf CD, auf Vinyl und digital. Zudem wird am 6. Juni der Film kaufbar als Stream und Download.

Eine gute Sache, auch wenn so mancher Zeitgenosse wieder was zu mosern hatte. Es ist aber halt jetzt eine offizielle Veröffentlichung Dylans mehr, die ein Dylan-Fan einfach haben muss. Zudem eine mit recht aktueller Musik. Denn vieles, was sich bei „Shadow Kingdom“ andeutete, entfaltete sich während Dylans Nach-Pandemie-Touren zur vollen Pracht.

Die Zeit steht still

„Shadow Kingdom“ ist so typisch Dylans Alterswerk, mehr geht nicht. Die Zeit steht still, ein Juke Joint (oder Honky Tonk) ist dunkel, schattig und altmodisch verraucht und zugleich modern divers besucht. Dylan, der Arrangeur, arbeitet an seinen Songs mittlerweile so respektvoll und sorgfältig, als wären die live gespielten Hau-Weg-Fassungen aus den frühen 1990er Jahren aus einem anderen Leben. Dazu ist er mit seiner verjüngten Stimme wieder in der Lage, variabler und prononcierter zu singen als viele Jahre lang.

Alte Songs neu interpretiert

„Watching The River Flow“, „Most Likely Go Your Way (And I’ll Go Mine)“, „I’ll Be Your Baby Tonight“, „When I Paint My Masterpiece“ und „To Be Alone With You“ sind die Songs von „Shadow Kingdom“ aus dem imaginären „Bon Bon Club“, die sich auch in seinem aktuellen Bühnenprogramm, sei es in Berlin oder in Tokyo, wiederfinden. Sie stehen für seine derzeitigen künstlerischen Hauptmotive: Die Autonomie und Unabhängigkeit des Individuums und der schmale Grat zwischen romantischer Liebe und toxischer Beziehung.

Für diese beiden Oberthemen ist Dylans „Rough And Rowdy Ways“-Tourprogramm zusammengestellt. Die Songs vom RARW-Album bilden das Gerüst, dazu fügen sich die alten Songs ein, indem sie von Dylan mittels Textrevision passend gemacht werden. So wird aus dem ausgelassenen Begehren der Originalfassung von „To Be Alone With You“ in der Neuausrichtung ein militanter, bedrohlicher Besitzanspruch.

Kammermusik für den Club

Musikalisch ist „Shadow Kingdom“ Kammermusik für den Club. Für die 2.500er Hallen, die er aktuell bespielt, wird es breiter und voluminöser orchestriert. Es bleibt aber durcharrangiert bis ins kleinste Detail. Jeder Musiker geht im Bühnenkollektiv auf. Das Klangbild steht im Mittelpunkt. Und das kann -durcharrangiert hin oder her – jeden Abend anders sein. Kein Konzert gleicht dem anderen bei nur minimalen Abweichungen der Setlist – „Truckin‘“ ersetzte jüngst Old Black Magic – eine beachtenswerte künstlerische Leistung. Auf dieser musikalischen Basis lebt dann Dylan seine Songs mit seiner Stimme wieder aus.

„Shadow Kingdom“ war für Dylan also der wichtige Zwischenschritt von „Rough And Rowdy – das Album“ zu „Rough And Rowdy Ways – die Tour“. Einer Tour, die immer mehr Fahrt aufnimmt, die längst die Pandemie-Nachwirkungen überwunden hat und nun nach der Japan-Station im Juni und Juli nach Südwest- und Südeuropa kommt.

Logische Veröffentlichung

In diesem Sinne ist es logisch, dass „Shadow Kingdom“ nun erscheint. Denn Dylan lässt uns ja mittlerweile durch die Bootleg-Series an seinen früheren Entwicklungsschritten hinter den offiziellen Alben teilhaben. Also freuen wir uns ohne jede Beckmesserei auf die offizielle „Shadow Kingdom“-Veröffentlichung.

Bob Dylan und die Geschichte von Emmett Till

7. April 2023

Der Tod von Emmett Till im Jahr 1955 beschäftigt Amerika bis heute

Symbolbild Emmett Till, Copyright: Wikimedia Commons

„And then to stop the United States of yelling for a trial

Two brothers they confessed that they had killed poor Emmett Till

But on the jury there were men who helped the brothers commit this

awful crime

And so this trial was a mockery, but nobody seemed to mind“

Bob Dylan, The Death Of Emmett Till

Die Ermordung des damals 14-jährigen schwarzen Jungen Emmett Till und der drauf folgende Freispruch für seine Mörder im Jahr 1955 ist bis heute eine schmerzvolle Wunde, nicht nur in der afroamerikanischen Geschichte. Denn Mord und Urteil schufen Aufmerksamkeit für die rassistische Gewalt der Südstaaten quasi in aller Welt. Und sie waren Auslöser und Verstärker für das sich gerade formierende Civil Rights Movement, das im selben Jahr mit Rosa Parks zivilem Ungehorsam gegenüber der Rassentrennung und dem später folgenden Montgomery Busboykott ihre ersten öffentlichkeitswirksamen Aktionen hatte.

Die Geschichte wird neu erzählt

In letzter Zeit, beeinflusst von dem Tod George Floyds und der Black Live Matters Proteste im Jahr 2020, ist diese Geschichte erneut erzählt worden. So steht im Film „Till – Kampf um die Wahrheit“ mit Danielle Deadwyler und Jalyn Hall, Emmetts Mutter und ihre Suche nach der Wahrheit im Mittelpunkt. In Percyval Everetts neuem Buch „Die Bäume“ ist die Ermordung Emmett Tills quasi das Symbol für alle rassistischen Lynchmorde in den USA. Als nun weiße Rassisten ermordet werden, finden sich neben ihren Leichen immer auch die Leiche von Emmett Till.

Bob Dylan „journalistischer“ Protestsong

Bob Dylan hat über die Ermordung und das Skandalurteil einen Song geschrieben. Doch im Gegensatz zu „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“ über William Zantzinger, der im Suff die schwarze Haushaltshilfe und Mutter von elf Kindern so sehr schlug, dass sie einen Schlaganfall erlitt und starb, wurde „The Death Of Emmett Till“ kein Dylan-Klassiker. Er kam noch nicht Mal auf ein offizielles Album.

Dylan hatte ihn 1962 geschrieben und in einigen Rundfunksendungen gespielt, u.a. auch bei „The Folksinger’s Choice Radio Show“ mit Cynthia Gooding. Hier sagte er, er hätte die Melodie von dem Len Chandler-Song „The Bus Driver.“ Wobei die Melodie dem Klassiker „House Of The Rising Sun“ doch sehr ähnlich ist. Nur einmal spielte er den Song live, und zwar im Finjan Club in Montreal, Kanada am 2. July 1962. Doch da war er als Songwriter schon weiter. Am 9. Juli sollte er das geniale „Blowin‘ In The Wind“ aufnehmen. Seine Protestsongs zeichneten sich nun durch feine poetische Bilder aus, die die Anklagen verstärkten.

Copyright: Leftfield Media

Dagegen wirkt „The Death Of Emmett Till“ tatsächlich wie ein gesungener Zeitungsbericht. Dylan machte also hier das, was er später Phil Ochs vorwerfen sollte. Der war seiner Meinung nach eher Journalist als Songwriter. Gut möglich also, dass der Song bei Dylan „in Ungnade“ gefallen ist, nachdem er sich 1962 und 1963 so rasend schnell vom Woody Guthrie-Double und Sänger von Folk-Klassikern zum genialen Protestsong-Poeten entwickelt hatte.

Emmylou Harris‘ Emmett Till-Song

Übrigens griff 2011 Emmylou Harris den Stoff ebenfalls auf, als sie „My Name Is Emmett Till“ veröffentlichte. Wobei sie mir damals sagte, den Dylan-Song gar nicht zu kennen. Sie erzählt den Tod Emmets aus dessen Perspektive. Ein sentimentaler, trauriger Song, dem aber auch die Tiefe und Schärfe fehlt. Die wiederum hat Dylans Song, der aber zu nüchtern beschreibt, als dass er wirklich berühren kann.

Der Blick auf den Tod Emmett Tills zeigt den gewalttätigen Rassismus des Südens als das , was er ist. Eine amerikanische Schande. Die aber leider immer noch aktuell ist, solange schwarze Kids um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen, wenn sie am falschen Ort zur falschen Zeit einer Polizeistreife begegnen.

Moraveks wunderbare Song-(Klang)-Welten

24. März 2023

Bob Dylan & The Band meet Jazz & Soul: Michael Moravek & The Electric Traveling Show bezaubern und begeistern bei ihrem Darmstädter Americana-Gastspiel in der Bessunger Knabenschule

Michael Moravek, Copyright: Americana

Sie sind allesamt Vollblutmusiker: Michael Moravek & The Electric Traveling Show entführen das Publikum an diesem Donnerstagabend in der Darmstädter Americana-Reihe in ihre ganz eigene Song- und Klangwelt. Michael Moravek, einer der interessantesten und poetischsten Americana-Singer-Songwriter dieses Landes, lässt mit Hilfe seiner Band die Songs ein Eigenleben entfalten, das das Publikum mitreißt und bezaubert zugleich.

Perfekte, intuitives Zusammenspiel

The Electric Traveling Show sind Andrej Polanský (Viola, Mandoline), William Widmann (Schlagzeug), Stefan Ziezling (Bass) und Ayu Requena Fuentes (Keyboards, Trompete). Der Name ist Programm, denn sie reisen für ihr Zusammenspiel aus ganz unterschiedlichen Ecken an. Michael Moravek und William Widmann kommen aus Ravensburg, Ayu Reguena Fuentes wohnt in Köln, Stefan Ziezling stammt aus Darmstadt und Andrej Polanský lebt in Prag. Da sie schon ein paar Jahre zusammenspielen, bedarf es wenig Proben, ganz intuitiv ist die Band perfekt aufeinander abgestimmt.

Songs des neuen Albums „Dream“

Moravek spielt die Songs seines neuen Albums „Dream“, das im Mai erscheint. „Whenever I Should Fall #3“, „Black I My Favorite Color“ oder Meet Me At The Gateway Of Eternal Dreams“ sind Reflexionen über Träume, die den Sänger durchs Leben begleiten. Traumbilder und Vorstellungswelten, Träume, die wahrer sind als das Leben. Tagträume, Liebesträume, Albträume. Und so passt zu diesen Traumtexten auch die traumhafte Musik. Dylan & The Band meets Jazz & Soul im Midtempo.

Moravek ist der charismatische, eher introvertierte Songwriter und Leadsänger, Widmann ist sein Gegenpol als extrovertierter, gleichsam virtuoser Schlagzeuger, dem an man die Jazzprägung anhört. Andrej Polanský trägt mit seinen Riffs und Soli an Viola und Mandoline viel zur Melodiösität der Band bei. Ebenso wie Requena Fuentes, der mit Tastenspiel und Trompete sowohl Soul als auch The Band-Anmutungen andeutet. Ziezling schließlich spielt einen ebenso stoischen wie gewitzten Bass.

Oftmals haben die Songs einen besonderen perkussiven Einstieg, den Widmann auch mimisch unterstreicht, Moraveks Singstimme schmeichelt die Songs über die Bühne zum Publikum, während Polanský mit sichtlicher Spielfreude seine treibenden Soli einstreut. Fuentes und Ziezling scheinen bei der Performance äußerlich das Understatement zu bevorzugen, geben den Songs aber unverzichtbaren, kraftvollen Halt in Melodie und Rhythmus.

Spannende Klangbilder

Michael Moravek und Thomas Waldherr, Copyright: Americana

So entwickelt sich ein spannendes Konzert, in dem die Band immer wieder eingefahrene rockistische Klangbilder überwindet, um zu überraschen und zu erfreuen. Selten gehörte Schlagzeugfiguren und überraschende Wendungen in der Melodieführung schreiben die Songs scheinbar musikalisch fort, erweitern das Folk-Rock Fundament, ohne es gänzlich aufzugeben. Einmal ist Bandleader Moravek selber sichtlich überrascht ob der Spielfreude seiner Band, die noch eine Instrumentalrunde spielt, als er schon die Gitarre abstreifen will.

Die Chemie zwischen den Musikern stimmt, die Stimmung ist durchgehend relaxt und so spielen sie dann am Ende ihres gut zweistündigen Auftritts, nachdem auch Songs aus den Vorgängerplatten „November“ und „Lost“ erklangen, „All That Was Lost Is Found Again“, die Single-Auskopplung des neuen Albums „Deam“. Das Echo aus dem Publikum ist Begeisterung und die Künstler kommen nicht ohne drei Zugaben zu geben von der Bühne.

Ein Konzert, das bleibt

Mit einer der Zugaben beweist Moravek seine musikalische Herkunft und die Band ihre hohe Qualität. Denn Dylans „Simple Twist Of Fate“ hatte der Sänger erst unmittelbar vor dem Konzert als Reminiszenz an die Dylan-Leidenschaft des Americana-Kurators Waldherr ins Programm genommen. Doch die Band meistert das professionell, folgt ihrem Frontmann in die Dylan’sche Geschichte um zufällige und lebenslange Liebe, und findet zur textlichen die richtige musikalische Erzählung.

Michael Moravek & The Electric Traveling Show haben der Americana-Reihe ein ganz besonderes Konzert beschert, das die, die da waren, in Ohren, Seelen und Herzen behalten werden.

Live-Mitschnitt von Michael Moravek & Electric Traveling Show im Februar in Ravensburg:

Bob und Baskenland

18. März 2023

2006 spielte der Meister ein historisches Konzert in Donostia-San Sebastian. Nun kehrt er zu zwei Konzerten im Kursaal zurück an den Golf von Biskaya

2006 machte Bob Dylan plötzlich wieder im Zusammenhang mit einem „Friedenskonzert“ Schlagzeilen. Von der „Musikwoche“ bis zur „Jungen Welt“ las es sich ungefähr so:  „Musiklegende Bob Dylan engagierte sich im baskischen Friedensprozess. Er trat bei einem kostenlosen Konzert gemeinsam mit dem im Baskenland berühmten Sänger und Songschreiber Mikel Laboa am Sandstrand von »La Concha« (die Muschel), der Bucht von Donostia (San Sebastian) auf.“ Und: „Das Konzert war nach der Ankündigung einer ‚dauerhaften Waffenruhe‘ der baskischen Untergrundbewegung ETA am 22. März ins Programm genommen worden.“ Und weiter, typisch Dylan: „Einzige Bedingung von Seiten Dylans war, dass während des Konzerts am Zurriola-Strand der baskischen Hafenstadt keine politischen Botschaften verlesen werden durften.“

Die Veranstalter rechneten mit mehreren zehntausend Zuschauer:innen, am Ende sollen mehr als 80.000 Menschen (!) den Barden gelauscht haben und damit setzten diese Menschen wirklich ein großes Zeichen der Hoffnung auf Frieden. Und tatsächlich ist in den letzten Jahren aus einer immer wieder vom Terror durchzogenen Gegend eine recht friedliche europäische Region geworden. Ein gewisser Autonomiestatus ließ die baskische Kultur noch einmal aufleben. Ob in Literatur oder in der Kulinarik und darüber hinaus: das Baskenland hat mehr zu bieten als die bekannte Mütze.

Bobs Besuche des Baskenlands

Bob Dylan 2006, Copyright: Wikimedia Commons

Doch 2006 war nicht das erste Mal, dass Bob Dylan in der malerischen baskischen Stadt Station machte. 1989, zu Beginn seiner Never Ending Tour kam er erstmals nach San Sebastian, spielte in Spanien ansonsten nur noch in Madrid und Barcelona. Die zentralspanische Hauptstadt und die selbstbewussten, von Autonomiebestrebungen gekennzeichneten Regionen Katalonien und Baskenland. Bewusste Absicht?

1995 dann ein Abstecher nach Bilbao, doch schon 1999 bei einer Spanien-Tour mit 13 (!) Stationen stand San Sebastian wieder auf dem Plan. 2004 dann sieben spanische Stationen ohne Baskenland. 2006 stand Donostia dann wieder in Dylans Tourbuch, als eine von fünf Stationen. Aber – siehe oben – es war sicher die wichtigste und spektakulärste Station seiner damaligen Spanienreise. 2008 bei zwölf  Stationen war es wieder einmal nicht dabei. Und das Baskenland wurde bei der 2012er-Tour dann wieder einmal von Bilbao vertreten. 2015 gibt es mal wieder ein halbes Dutzend Spanien-Gigs und Donostia-San Sebastian ist dabei. 2019 dann wieder Bilbao und nun 2023 gleich zwei Termine in Donostia-San Sebastian.

Waren dort bei seinen Konzerten bislang Hallen wie der Plaza del Torres (16.000 Plätze), der Donostia Arena (11.000 Plätze) oder dem Velodrom (5.500 Plätze) für ihn gebucht, zieht es ihn nun wieder an den Strand. Zwar nicht direkt auf den Playa de Zurriola, wo sein umjubeltes 2006er-Konzert stattfand, sondern in den nahe gelegenen Kursaal. Hier bleibt er seiner zuletzt verfolgten Linie der intimen Konzerthäuser treu. Der Kursaal fasst rund 2000 Personen. Er tritt dort am 19. und 20. Juni auf. Das Gebäude wurde 1999 eröffnet, sein Architekt Rafael Moneo heimste dafür einige Preise ein.

Das Baskenland – eine spannende europäische Region

Donostia-San Sebastian: Blick auf den Playa De Zurriola mit dem Kursaal, Copyright: Wikimedia Commons

Das Baskenland, obwohl politisch seit ewiger Zeit aufgeteilt unter Frankreich und Spanien, ist ein besonderes Land mit eigener Sprache und besonderer Kultur. Zu massenkompatiblem Mainstream auf der ganzen Welt wurden nicht nur die Baskenmütze, sondern auch die Espadrilles. Heute ist das Baskenland vor allem für seine Küche bekannt. Alleine in Donostia-San Sebastian ist die Sterne-, Kochmützen- und Löffeldichte erheblich, 2019 wurden alleine 18 Michelin-Sterne dort gezählt. Die moderne baskische Küche interpretierte die traditionelle baskische Küche nach Ende der Franco-Diktatur neu, die Pintxos – kleine Häppchen am Spieß (Zahnstocher), oftmals auf Weißbrotscheiben – sind legendär.

Donostia-San Sebastian besitzt zwei Stadtstrände – den größeren La Concha („die Muschel“) und den kleineren Zurriola. Der La Concha ist durch die Bucht geschützt, Wind und Wellengang sind mäßiger. Der Zurriola ist dagegen ein Surferparadies.

San Sebastian war mit seiner Lage am Golf von Biskaya auch als stetiges Urlaubsziel für die spanischen Königsfamilien interessant, seitdem ist dort etwas teurer als in anderen Gegenden Spaniens. Wir werden Dylans Konzerte in San Sebastian besuchen und drum herum machen wir unseren Sommerurlaub.

Baskische Liedermacher

Mikel Laboa, Copyright: Wikimedia Commons

In meinem Bericht über Bob und Spanien in meinem letzten Blogpost habe ich die Darstellung Günter Amendts geteilt, dass es in Spanien aufgrund der Franco-Diktatur keine so großen Resonanzboden für die Musik Dylans gegeben habe, wie in Italien mit der Tradition der Cantautori.

Das mag für Zentralspanien stimmen, aber gerade im Baskenland hat sich unter Franco eine Szene von Liedermachern entwickelt, die kritische Lieder schrieben: Ihre Galeonsfigur war eben jener Mikel Laboa.  Er wurde zur Legende unter den baskischen Liedermachern, weil in den 1960er Jahren gegen den Franquismus und die Zensur ansang. Einige seiner Lieder wie „Txoria Txorisind sogar zu einer Art Volkslieder geworden. Kein Wunder, dass Dylan und Laboa, dessen „Txoria Txori“ auch zum Repertoire von Joan Baez gehörte, für das 2006er „Friedenskonzert“ zu einem Package zusammengestellt. Und vielleicht kennt Dylan die Geschichte der baskischen Musik so gut, dass er ganz bewusst 1989 erstmals in San Sebastian auftrat?

Dass das Baskenland auch eine kulturelle Tradition der Liedermacher hat, die wiederum mit der Dylan’schen Werk und Wirken im Austausch war und ist, bewies Mitte der 1990er Jahre Zigor Gazkez, der eine Platte in baskischer Sprache aufnahm, die Dylans Musik sehr nahe kommt. Leider verlor sich die Spur des „baskischen Bob Dylan“ schnell wieder. Mysteriöse Geschichte, der Künstler ist verschwunden, aber seine Musik bleibt bestehen.

Copyright: Elkar

Dylan auf baskisch

Ein guter Dylan-Freund erinnerte mich jetzt noch daran, dass es sogar ein Buch mit hundert Dylan-Songtexten auf baskisch gibt. „Bob Dylan – 100 kantu“ heißt das Werk. Die Übersetzungen stammen von Xabier Paya. Das Buch ist auch hierzulande zu erwerben. Übrigens ist baskisch ein absoluter Solitär und mit keiner anderen Sprache verwandt.

Vorfreude

Dylan spielt also am 19. und 20. Juni in einer interessanten Stadt in einer der bemerkenswertesten Regionen Europas. Wir werden dabei sein und sind gespannt.

(Artikel aktualisiert am 19. März 2023, 15.25 Uhr)

Bob Dylan und Spanien

10. März 2023

Dylan bereist im Juni die iberische Halbinsel/ Spanien-Bezüge: Von den „Boots Of Spanish Leather“ bis zum „Prinz von Asturien-Preis“

Über die Jahre hat Bob Dylan immer wieder in Spanien gespielt. Nun sind auf seiner Rough And Rowdy Ways-Tour auch wieder einige Spanien-Termine fest eingetragen. U.a. wird er in Madrid, Sevilla, Alicante, Granada und Barcelona spielen.

Im malerischsten Umfeld finden dabei sicher die Konzerte in Logronos und Huesca (Stierkampfarenen) und sowie in Granada (Alhambra) statt. Eher nüchterner dagegen das Kongresszentrum in Sevilla. Übrigens haben wir 2008 unser bislang einziges spanisches Dylan-Konzert ebenfalls in einem recht nüchternen Bau gesehen, dem Centro de Tecnificacion in Alicante. Wobei das Publikum hier ein bisschen nervig, weil doch stets am Handy klebend, war. Doch das ist ja in den jetzigen Smart-Phone-freien Dylan-Konzerten nicht mehr möglich. Zudem sind Locations wie die Alhambra recht kleine Konzerte und daher doch eher etwas für wirkliche Dylan- Connoisseure.

Boots Of Spanish Leather

Und was sind die Verbindungen von Dylan zu Spanien? Klar, „Boots Of Spanish Leather“, der Song, den er dichtete, als Suze Rotolo in Südfrankreich und Spanien unterwegs war. „Spanish Is The Loving Tongue“, das mittlerweile zum Traditional gewordene Stück, das auf dem Gedicht „A Border Affair“ von Charles Badger Clark aus dem Jahr 1907 basiert und 1925 von Billy Simons vertont wurde.

Das erste Mal tourte Dylan 1984 durch Spanien, dass da gerade mal wenige Jahre erst den Franco-Faschismus überwunden hatte. Der kluge und viel zu früh und tragisch verstorbene Günter Amendt hat in „Union Sundown“, seiner „Robertage“ über die Europatournee 1984, sehr schön herausgearbeitet wie unterschiedlich die Rezeptionen Dylans in Italien und Spanien waren. In Italien gab es seit den 1960er Jahren eine demokratische Liedermacher-Tradition, die sich auf Dylan berief. So etwas konnte sich in Francos Spanien nicht bilden. So war der Resonanzkörper für die ersten Dylan-Konzerte in den beiden Ländern sehr unterschiedlich.

Don Quijote und der Prinz von Asturien

Copyright: Columbia Records

Doch zwischenzeitlich hatte sich das nivelliert und neuerdings wird Italien wird Italien von einer Neofaschistin regiert und in Spanien amtiert schon seit fast fünf Jahren ein sozialistischer Ministerpräsident. Spanien hat sich zu einer scheinbar demokratisch gefestigten Gesellschaft entwickelt. Und hier in Spanien erhielt Dylan auch 2007 den mit 50.000 Euro dotierten Prinz-von-Asturien-Preis in der Sparte Kunst – wegen der dichterischen Qualität der Lieder und des gesellschaftlichen Engagements Dylans.

Apropos Kunst. In welcher Beziehung steht Dylan zur künstlerischen Tradition Spaniens? In seiner Nobelpreisvorlesung gibt er Miguel de Cervantes‘ „Don Quijote“ als einen wichtigen frühen literarischen Einfluss an. Und tatsächlich hat Larry Fyffe in seinem kurzen, klugen Beitrag für die Website „Untold Dylan“ mit dem Titel „La Mancha Is Blowing In The Wind: Bob Dylan And Don Quixote“ Parallelen zwischen Don Quijotes Charakter und der Haltung so mancher Dylan’schen Lyrik herausgearbeitet (https://bob-dylan.org.uk/archives/4112).

Dylan und Goya

Natürlich ließ sich auch der Maler und Zeichner Bob Dylan von den alten spanischen Meistern inspirieren. Schon in jungen Jahren studierte er mit Freundin Suze zusammen die klassischen Werke Goyas.

Der stets kunstinteressierte Dylan wird sicher seine Privatführungen durch den Prado in Madrid oder die maurischen Paläste in Sevilla und Granada bekommen. Und eine Reise zu den Dylan-Konzerten mit einem Spanien-Urlaub zu verbinden ist auch nicht die schlechteste Idee für diesen Sommer.

Dom Flemons und Bob Dylan II

3. März 2023

In der aktuellen Ausgabe seines American Songster Radios auf WSM Nashville spielt der Folkmusiker Dylan-Coverversionen von afroamerikanischen Musiker:innen.

Dom Flemons, Copyright: Wikimedia Commons

Bob Dylan entdeckte er 1995 in einer TV-Dokumentation über die Rockmusik, erstmals sah er ihn 1999 im Konzert mit Paul Simon und 2011 traf er ihn dann sogar persönlich, als er mit den Carolina Chocolate Drops im Vorprogramm Dylans spielte. So wie er es erzählt, merkt man Dom Flemons in seiner Dylan-Spezialausgabe seines „American Songster Radio“ die Begeisterung an. Dylan war es, der ihn zum Gitarre spielen, zum Musik machen brachte.

Zusammen mit seiner Frau Vania – ich durfte die beiden 2019 am Rande des Chicago Bluesfestivals kennenlernen – führt er durch die Sendung  bei WSM Nahville (dem Grand Ole Opry-Kanal!), in der er Dylan-Coverversionen von afroamerikanischen Künstler:innen spielt. 11 Stück sind es, am Ende auch sein eigenes neues Dylan-Cover „Guess I’m Doing Fine“, von dem hierzulande am 24. März digital und am 21. April auf CD erscheinenden Album „Traveling Wildfire“.

Dylans große Akzeptanz bei afroamerikanischen Musiker:innen

In meinem Buch „Bob Dylan & Black America“ (2021) habe ich geschrieben: „Kaum ein weißer Songwriter-Kollege von Bob Dylan hat in der schwarzen Music Community solch einen Stand wie der Songpoet aus Minnesota“. Flemons Radio-Show zeigt es nochmal deutlich. Dylans Lyrik, Dylans Themen, sein Blick auf Menschen, Beziehungen und Ereignisse spricht die afroamerikanischen Künstler:innen an. Seine Musik und seine Bildsprache sind geschult an afroamerikanischen Vorbildern. Gleichzeitig weiß die African American Community, dass Dylan nicht einfach ein rücksichtloser Aneigner ist, sondern wirkliche Empathie und Sympathie für Black America hat. Vor der Musik Little Richards und Odettas über seine Bürgerrechtssongs, seine Freundschaften zu schwarzen Musiker:innen wie Mavis Staples, Big Joe Williams oder Clydie King, sein Engagement für Rubin „Hurricane“ Carter bis hin zu seiner Verbundenheit zur schwarzen Gospelmusik oder seine Elogen an Blind Willie McTell oder Jimmie Reed – Dylan war und ist der schwarzen Community in den USA vielfältig verbunden.

Copyright: Rounder Records

Von Billy Preston bis zu den McCrary Sisters

Und so haben über die Jahre eine Vielzahl von schwarzen Musiker:innen Dylan-Songs aufgenommen. Und Flemons kann hier auch nur einen ausgewählten ganz kleinen Bruchteil spielen. Und so hören wir in dieser Sendung weniger bekannte Pretiosen wie Billy Prestons 1969er Version von „She Belongs To Me“ oder die mit Dylan ebenfalls freundschaftlich verbundene McCrary Sisters mit „Ring Them Bells“ ebenso wie Klassiker wie Sam Cookes Version von „Blowin‘ In The Wind“, die ihn zu seinem eigenen „A Change Is Gonna Come“ inspirierte oder Odettas Version von „Lomg Time Gone“, von ihrem 1965er Dylan Coveralbum. Und nicht fehlen dürfen natürlich auch Richie Havens „Just Like A Woman“ vom 1992er Tribute-Konzert, die ich heute sehr viel mehr schätze als damals, und Bettye LaVettes „Don’t Fall Apart On Me Tonigh“ von ihrem Dylan Cover-Album von 2018. Ihre Version des weniger bekannten „Infidels“-Song ist quälend und anklagend und geht unter die Haut. Hier singt jemand, der die Situation des Verlassenwerdens leider nur zu gut kennt.

Und wie oben erwähnt beendet Flemons die Sendung mit seiner schönen neuen Version von „Guess I’m Doing Fine“ mit Sam Bush an der Geige. Eine hörenswerte Sendung und wieder eine wichtige afroamerikanische Musikgeschichtsstunde vom „American Songster“, Mr. Dom Flemons.

Und hier die Dylan-Radio-Show des American Songster:

Dom Flemons und Bob Dylan

24. Februar 2023

Dom Flemons unterstreicht mit seinem neuen Dylan-Cover sein souveränes Verständnis für die amerikanische Roots Music

Copyright: Smithonian

Er ist einer der interessantesten zeitgenössischen amerikanischen Folkmusiker: Dom Flemons. Der 1982 in Phoenix, Arizona, als Kind einer afroamerikanisch-mexikanischen Familie geborene Flemons entdeckte schon in der Plattensammlung seiner Eltern Bob Dylan, und dessen Musik führte ihn zu den Pionieren des amerikanischen Folk wie Woody Guthrie und Pete Seeger. Er machte selber Musik und wurde von Sule Greg Wilson, einem lokalen Banjospieler und Folkloristen gefördert.

Gründungsmitglied der Carolina Chocolate Drops

Einer größeren Öffentlichkeit wurde Flemons dann ab 2005 als Gründungsmitglied (mit Rhiannon Giddens und Justin Robinson) der Carolina Chocolate Drops bekannt. Zusammen mit Giddens und Robinson, dem später mit Hubby Jenkins nachfolgte, belebte er die schwarzen Wurzeln der Country Music neu. Sie gewannen für ihre Wiederentdeckung der schwarzen Old Time Music eine ganze Reihe von Auszeichnungen, spielten in der Grand Ole Opry, tourten in Europa, bildeten das Vorprogramm von Taj Mahal und Bob Dylan und hatten einen Auftritt in dem Denzel Washington-Film „The Debaters“ sowie mit Marty Stuart in dessen Fernseh-Show.

The American Songster

Als die Gruppe 2013 so langsam in Auflösung begriffen war, schlug Flemons als „The American Songster“ Solopfade ein. Sein Credo lautet: „Afroamerikanische Musik ist mehr als Blues, Jazz und Gospel“. Und so bewahrt der Multiinstrumentalist – Banjo, Gitarre, Mundharmonika, Jug („Blaskrug“), Schlagzeug, Federkiele, Pfeife und Bones („Rhythmusknochen“) –  und Singer-Songwriter in seinen unterhaltsamen musikalischen „Geschichtsstunden“ die afroamerikanischen Wurzeln von Country, Bluegrass, Folk und Ragtime gegen das kulturelle Vergessen und gegen die Ignoranz, denen sie immer noch ausgesetzt sind.

Black Cowboys

2018 hat er mit dem Album „Black Cowboy“ ein vielbeachtetes Grundlagenwerk zur Beschäftigung mit den afroamerikanischen Beiträgen zur Erschließung des amerikanischen Westens veröffentlicht. Gut ein Viertel der Cowboys in der Blütezeit der großen Rindertrails waren Afroamerikaner. Der Rest verteilte sich in etwa gleichen Teilen auf Native Americans, Mexikaner und weiße Amerikaner. Und da die Cowboys zum Zeitvertreib und um das Vieh still zu halten sangen, waren auch viele Cowboy-Sänger Schwarze. Ihre Songs wurden fester Bestandteil des Kanons von Cowboysongs im neunzehnten Jahrhundert und beeinflussten sowohl den frühen Blues im ersten Drittel des als auch die Songs der weißen Cowboys.

Bob Dylans wichtiger Einfluss

Copyright: Columbia

Nun veröffentlicht Flemons in ein paar Wochen sein neues Album „Traveling Wildfire“. Als zweite Singleauskopplung hat der American Songster das wenig bekannte Bob Dylan-Stück „Guess I’m Doing Fine“ ausgewählt. Wieder ein Zeichen für die Wertschätzung, die Flemons für Dylan hat. „Als ich anfing, die Musik der 60er zu hören, hat Bob Dylan sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Seine Songformen und lyrische Kunstfertigkeit haben mich dazu bewogen, tiefer in die reiche und weite Landschaft des amerikanischen Liedguts einzutauchen“, bestätigte Flemons, mir kürzlich noch einmal persönlich die große Bedeutung die Dylan für seine eigene musikalische Entwicklung hatte. Dom und ich hatten uns 2019 am Rande seines Auftritts beim Chicago Bluesfestival kennengelernt.

Ein Song gegen den Stillstand

„Mit der zweiten Single „Guess I’m Doing Fine“ präsentiere ich meine Version eines unveröffentlichten Bob Dylan-Songs, den er 1964 aufgenommen hat. Auf meiner eigenen persönlichen Reise habe ich festgestellt, dass dieser Text bei mir Anklang fand, weil der Song über Situationen spricht, die ich selbst erlebt habe, und es ist eine Erinnerung an die Kraft, die entsteht, wenn man einen neuen Weg geht“, sagt Flemons nun in einem Statement in den sozialen Medien.

Die kraftvollen Texte der Songs über die Widerstandsfähigkeit angesichts unüberwindlicher Widerstände hätten bei ihm Anklang gefunden, seit er sie vor 20 Jahren zum ersten Mal auf einer Bootleg-CD gehört hätte. Und in der Tat wurde der Song auch erst 2010 auf der „Bootleg Series Vol. 9. The Witmark Demos: 1962 – 1964“ erstmals offiziell veröffentlicht.

„Well, my road might be rocky
The stones might cut my face
My road it might be rocky
The stones might cut my face
But as some folks ain’t got no road at all
They gotta stand in the same old place
Hey, hey, so I guess I’m doin’ fine“
(„Guess I’m Doing Fine“, http://www.bobdylan.com)

Ein Song, in dem der Sänger predigt, lieber gefährliche, steinige Wege zu gehen als dem Stillstand zu fröhnen. Ein Motto, dem Dylan bis heute, bis in jedes einzelne Konzert folgt. So ist es mehr als ein Nebenwerk und um so schöner, dass sich Flemons dem Rohdiamant nun angenommen hat.

Dom Flemons und Thomas Waldherr 2019 in Chicago, Copyright: Thomas Waldherr

Feine Coverversion

Flemons weiter: „Nachdem ich „Guess I’m Doing Fine“ geschnitten hatte, wurde mir klar, dass es cool wäre, einen Fiddle-Part hinzuzufügen, um die Bluegrass-Klänge hervorzuheben, die ich in der Songstruktur gefunden habe. Ich bin so glücklich und dankbar, dass mein Freund Sam Bush zur Verfügung stand, um diesem lebhaften Track seine Geige hinzuzufügen und ihm etwas von diesem altmodischen Flair zu verleihen.“

Natürlich dankt Dom dem Team von Bob Dylan, dass diese Veröffentlichung möglich wurde. Und so hat Produzent Ted Hutt Flemons fünf Instrumente plus Sam Bushs Geigenspiel aufgenommen und entstanden ist ein entschieden fröhlich-lebensbejahendes nach vorne gehendes Bluegrass-Stück. Eine sehr feine Coversion, das noch einmal Flemons Ausnahmestellung in der US-Folkmusik verdeutlicht.