„Gone“, das aktuelle Album von Tim Grimm, US-Folksänger aus Indiana, ist ein ruhiges, schönes Werk über Träume und Verluste
Eigentlich wollte Tim Grimm – einer der wichtigsten zeitgenössischen Folksänger Amerikas, der auch schon Gast der Darmstädter Americana-Reihe war – in diesem Jahr gar kein Album veröffentlichen. Doch das Jahr 2020 mit Corona-Pandemie und einer immer größer werdenden sozialen Spaltung in der US-Gesellschaft, mit rassistischer Polizeigewalt und der Präsidentschaft Trumps ließen Songideen sprießen und ein Album wollte aufgenommen werden.
„Dieses Album ist … ernst, melancholisch und manchmal düster…. Aber ich betrachte diese Beschreibungen durch eine Linse, die auch das „Licht“ zulässt. Einer folgt dem anderen. Ich bin mit traurigen Liedern aufgewachsen – das waren die Lieder, die mir im Gedächtnis geblieben sind, die mich dazu bringen konnten, etwas zu „fühlen“. Das ist jetzt auch Teil meines Ziels als Songwriter“, beschreibt Tim die Grundstimmung seines Albums.
Was der USA verloren gegangen ist
Der Titelsong „Gone“ erzählt in bitterschönen, stimmigen Bildern davon, was in den USA verloren gegangen ist. Der Zusammenhalt, das Gefühl, ungeachtet der Herkunft, es zu etwas bringen zu können. Der amerikanische Optimismus, der Zusammenhalt – alles weg. Wegen Corona, wegen der immensen sozialen Ungleichheit, wegen des Rassismus, wegen Trump. Gegangen ist auch mit Tim Grimms Vorbild und Freund John Prine, einer der größten Songwriter Amerikas.
Tim veröffentlichte den Titeltrack im vergangenen Herbst als Single und er stieg schnell zum Nummer-Eins-Song des Jahres 2020 in den Folk-DJ-Charts auf. „Gone“ wurde auch als Song des Jahres bei den International Folk Alliance Awards 2021 nominiert. Der Titeltrack gibt die Richtung dieses melancholischen Albums vor, in dessen Zentrum neben „Gone“ zwei Abschiedssongs für verstorbene Menschen stehen. Für die junge Laura Pearl aus der Perpektive der Eltern gesungen und für den alten native American Joseph Cross, geschrieben vom ebenfalls 2020 verstorbenen Songwriter Eric Taylor.
Träume und Wehmut
Neben den Verlusten stehen die Träume in Mittelpunkt des Albums. „A Dream“ heißt denn auch der erste Song. Der Traum von einem Kind, das es nicht gibt. Vielleicht das Kind, das man wollte und das dann nie kam oder aber eine Vorahnung von dem was noch kommen kann. Tims Song schwebt hier über den klaren Antworten. Danach folgt „Carry Us Away“. Eigentlich ein klassisches amerikanisches Bild des Aufbruchs um es an einem Ort besser zu haben. Ein Weg, der im heutigen Amerika verbaut scheint, in dem es entweder keinen Aufbruch mehr geben kann, zu hoffnungslos erscheint die Situation überall im Land, oder kein Ankommen mehr, wie der Film Nomadland über die Wanderarbeiter eindrucksvoll aufzeigt. So wird der Film eine Art wehmütiger Rückgriff.
Zwei Songs fallen aus dem melancholischen Grundton des Albums heraus. Da ist zum einen „25 Trees“. Ein leichtfüßiger Song über das Auflisten von Buch- und Baumbeständen als stoische Antwort auf die Einsamkeit der Pandemie. Völlig ausgelassen aber ist der Talking Blues „Cadillac Hearse“. Eine Geschichte aus der Jugendzeit in den 1960ern, an dessen Ende der15-jährige einer Frau bei der Geburt geholfen hat. Sicher steht auch dieser Song für das Vergangene, aus dem aber Neues entstehen kann, und wie einen das überfordern kann.
Wohin geht die Reise?
Das Album ist mit seinen Erzählungen über Verluste und Träume ein Album, dass gut in diese Zeit passt. Es eine Zeit der Veränderungen, in der man von vielem Abschied nehmen muss, ohne konkret zu wissen wohin die Reise geht. Dies führt dazu, dass Träume und Albträume sich abwechseln und das Album stets in der Schwebe bleibt. Tim Grimm ist einfach ein großartiger Beobachter und feinsinniger Storyteller, der stimmige Metaphern ausbreitet. Begleitet wird er auf diesem feinen Folk-Album wieder von seiner Familie sowie zusätzlich von Susan Lindfors, der Witwe von Eric Taylor und seinen Freunden James Gilmer (Percussion) und Marco Feccio (E-Gitarre), die beide mit Eric spielten und Aufnahmen machten.
Ein Album mit dem Tim Grimm wieder einmal mehr seinen Status als einer der bedeutendsten Folksänger der USA unterstreicht. Ein melancholisches, manchmal leises, aber stets weises und sehr menschliches Album.
Tim Grimm: Gone
Erscheinungsdatum: 10. September 2021
Label: Cavalier Recordings (Broken Silence)
Trackliste:
A Dream
Carry Us Away
Cadillac Hearse
25 Trees
Laurel Pearl
Joseph Cross
Gone
Dreaming of King Lear
A Dream (Reprise)