Archive for Februar 2022

Bob Dylans Reise durch die Südstaaten

27. Februar 2022

Auf seiner Frühjahrstour, die am 3. März beginnt, besucht er den „Birthplace Of American Music“ ebenso wie einen Landstrich, in dem noch immer Rassismus und Sklaverei allgegenwärtig sind

Photo Credits: Sony Music, William Claxton
Photo Credits: Sony Music, William Claxton

Von 2010 bis 2019 haben wir mehrmals die US-Südstaaten bereist. Stets auf den Spuren der Musik dieses Landstrichs: Blues, Country, Bluegrass, Gospel und Soul. Wir haben allerlei Musik-Museen besucht: Bluesmuseen entlang des Mississippi Deltas, das Country Hall Of Fame & Museum in Nashville, Sun Records and Stax in Memphis. Johnny Cashs Kindheitsort Dyess, Arkansas und das Earl Scruggs Museum in Shelby, North Carolina. Und wir haben die großen Musiktempel gesehen, die, jeder für sich, große Musikgeschichte geschrieben haben.

Aber gleichzeitig waren diese Touren auch Reisen zu dem Grauen, das auch untrennbar mit den US-Südstaaten verbunden ist: Sklaverei, Rassismus und Gewalt. In den Bluesmuseen wurde stets auch die Geschichte der schwarzen Baumwollpflücker:innen erzählt, die vor Rassismus, Armut und Gewalt über den Highway 61 gen Norden geflohen sind. Wir sahen die ärmlichen, windschiefen Cabins im Mississippi-Delta, sahen in Atlanta Martin Luther Kings Boyhood Home, in Memphis das Motel in dem er ermordet wurde und besuchten das Rosa Parks-Civil Rights Museum in Montgomery, Alabama.

An all das musste ich denken, als ich Bob Dylans aktuelle Tourpläne für März/April diesen Jahres sah. Denn Dylan hat sich für diese Tour, dem zweiten Abschnitt seiner Rough And Rowdy Ways- World Tour 2021-2024 wohl ganz bewusst die geschichtsträchtigen Orte im Süden ausgesucht. Er bereist die Orte der Bürgerrechtsbewegung und er bereist Städte, die wichtig für die Musikgeschichte waren. Ein klares Statement des „Historikers“ Dylan, der sich schon in jungen Jahren ausführlich mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg beschäftigte, eng mit der afroamerikanischen Community und ihrer Kultur verbunden ist, und über die Jahre immer mehr in seinem Werk das zerrissene Amerika vereint.

Grund genug, sich verschiedene Stationen von Dylans-Südstaatenreise einmal anzusehen. Eine Auswahl, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Lubbock

Nach den Auftaktkonzerten in Phoenix und Tucson, Arizona, und Albuquerque, New Mexico, startet die eigentliche klassische Südstaaten-Tour am 8. März in der Buddy Holly Hall in Lubbock, Texas. Buddy Holly war für Dylan ein wichtiger Einfluss. Ihn hatte er noch kurz vor dessen Unfalltod im Konzert in Duluth gesehen. Sein Geist soll schließlich, so Dylan, bei den Aufnahmen von „Time Out Of Mind“ anwesend gewesen sein.

San Antonio

Passend zu „Rough And Rowdy Ways“ – zieht die Karawane weiter nach San Antonio, Texas. Im dortigen legendären „Majestic Theater“ spielte 1929 Jimmie Rodgers, der Vater der Country Music („My Rough And Rowdy Ways“!) und kam erst nach 18 Vorhängen wieder von der Bühne. Wie sagte Dylan so schön über ihn: „His is the voice in the wilderness of your head“. Aber damit nicht genug, Jimmie Rodgers begegnen wir später noch eindringlicher. San Antonio bzw. mit seinem englischen Namen St. Antone findet Erwähnung in Dylans Rough And Rowdy Ways-Song „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“. Den alten Charley Pride-Hit „Is Anybody Goin‘ To San Antone“-Hit nahm Dylan übrigens 1972 zusammen mit Doug Sahm auf.

Shreveport

Von Texas geht es nach Louisiana. Das Municipial Auditorium war die Spielstätte der legendären Louisiana Hayride Show, die es für ein paar Jahre schaffte, in Sachen Bedeutung und Publikumszuspruch der Grand Ole Opry in Nashville auf den Fersen zu sein. Hier spielte Elvis vor seinem Durchbruch und Hank Williams nachdem ihn die Opry wegen seiner Trunksucht gefeuert hatte. Als wir vor gut 10 Jahren da waren, war das Auditorium nichts als ein trister Baukörper in einer verlassenen Ecke der Stadt. Nur eine Elvis-Statue erinnerte an die musikhistorisch enorme Bedeutung des Gebäudes. Shreveport war damals eine der wenigen Städte im Süden, die ihre Musikgeschichte nicht zelebrierten.

New Orleans

Weiter geht es an den Golf von Mexiko. Das Saenger Theatre in New Orleans ist das ehemalige Flaggschiff der Saenger Theater-Imperiums.  Julian und Abe Saenger waren deutschstämmige amerikanische Juden, deren Theater sowohl Vaudeville-Theaterstätten als auch Kinopaläste waren. Im pulsierenden New Orleans der 1920er Jahre war ihr Theater der Ankerpunkt. Sie waren die Prinzipale der feierwütigen Stadtgesellschaft. Doch Prohibition, Mafia und Weltwirtschaftskrise machten dem Imperium bereits Ende der 1920er wieder den Garaus.

Montgomery

In Montgomery, Alabama, wird sowohl Rosa Parks, als auch Hank Williams, gedacht. Der einen für ihren Mut, der den Montgomery Bus Boycott auslöste und Initialzündung für die Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King Jr. wurde, dem anderen wegen seiner unvergleichlichen Bedeutung für die Country Music.

Nun verdient die Williams-Familie mit dem Nachlass von Hank Sen. sehr gutes Geld. Umso ärgerlicher, dass das Hank Williams Museum nicht anderes ist als eine lächerliche, ungeordnete Devotionaliensammlung. Es gibt so viele wunderbare Musikmuseen in den USA, dieses gehört ganz sicher nicht dazu.

Das Rosa Park Museum dagegen ist eine anschauliche Reise durch die afroamerikanische Geschichte. Didaktisch gut aufbereitet und ausstellungstechnisch auf der Höhe.

Nashville, Tennessee, Broadway

Nashville

Natürlich das Ryman Auditorium, ehemaliger Sitz der Grand Ole Opry und Mother Church of Country Music. Nashville ist „Music City USA“. Und das nicht nur für Country Music. Heute wird alles Mögliche an Musik hier produziert, wenn auch öffentlich natürlich das Country Image mit Ryman, Opry, dem Country Hall Of Fame & Museum und den Honky Tonks am Broadway die Stadt prägt. Dass sie aber auch über lange Jahre eine Metropole der schwarzen Musik war, und dass den Begriff „Music City“ für Nashville erstmals Queen Victoria zu Ehren der schwarzen „Fisk Jubilee Singers“ verwendete, ist leider vergessen gegangen. Untergegangen zusammen dem schwarzen Viertel der Stadt, das voller Kultur und Musik war, aber einem gigantischen Straßenbauprojekt zum Opfer fiel. Die Eröffnung des National Museum Of African American Music mitten auf dem Broadway gegen Ryman Auditorium und Bridgestone Arena ist eine späte Genugtuung für schwarze Community der Stadt.

Atlanta
Auch hier in der Stadt Martin Luther Kings hat sich Dylan einen geschichtsträchtigen Auftrittsort ausgesucht. Das Fox Theatre ist ein weiterer der wenigen noch existierenden großen Filmpaläste der 1920er Jahre. Es steht unter Denkmalschutz und wird für verschiedene kulturelle Zwecke genutzt. Prince, neben Dylan der bedeutendste musikalische Sohn Minnesotas spielte hier 2016 sein letztes Konzert vor seinem Tod.

Savannah

Von Atlanta reist Dylan nach Savannah, Georgia und tritt dort im Johnny Mercer Theatre auf. Johnny Mercer war der Komponist von „Moon River“, seine Songs hatten sowohl Billie Holiday als auch Bing Crosby im Repertoire. Savannah spielte im Bürgerkrieg eine wichtige Rolle. Die Stadt war der Endpunkt von Nordstaaten-General Shermans „Marsch ans Meer“. Sein Feldzug durch Georgia war davon gekennzeichnet mit großer Härte eine Taktik der „verbrannten Erde“ anzuwenden, um die weiße Bevölkerung zu zermürben und ihren Widerstand zu brechen. Dylan erinnert an Sherman in seinem Rough And Rowdy Ways-Song „Mother Of Muses“:

„Sing of Sherman, Montgomery and Scott
And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought
Who cleared the path for Presley to sing
Who carved the path for Martin Luther King“

Asheville

Am 2. April wird der Dylan-Tross dann Asheville, North Carolina erreichen. Gespielt wird im Thomas Wolfe Auditorium, benannt nach dem Autor des amerikanischen Buchklassikers „Schau Heimwärts Engel“.

Birmingham

Auch Birmingham, Alabama, steht stellvertretend die janusköpfigkeit des Südens. Es ist eine alte Stahlstadt, die auch schon als „Pittsburgh des Südens“ bezeichnet wurde. Sie ist aber auch in den 1950er und 1960er Jahren eine Metropole der Rassentrennung und des Ku Klux Klan. Zahlreiche Bombenattentate des rassistischen Geheimbunds brachten der Stadt den Spitznamen „Bombingham“ ein. Aber aus ihr stammen auch bedeutende Musiker:innen wie Sam Lay, Odetta oder Emmylou Harris. Letztere hat mit dem Song „Boulder To Birmingham“ der Stadt und dem Country-Rock-Pionier Gram Parsons ein Denkmal gesetzt. Dylan selber hat die Stadt in Songs mindestens zweimal erwähnt. In der Budokan-Version von Going Going Gone singt er

„Now from Boston to Birmingham
Is a two day ride
But I got to be going now
‘Cause I’m so dissatisfied“

Und auch Birmingham findet Erwähnung in „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“.

Meridian

Über Mobile, Alabama („To Be Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“ ) geht es dann weiter nach Meridian, Mississippi. Heimatort von Jimmie Rodgers. Hier in Meridian, dem früheren Eisenbahnknotenpunkt und wichtigen Drehscheibe für den Warenumschlag der Farmer, lernte der „Singin‘ Brakeman als Eisenbahner von den schwarzen Bahnarbeitern den Blues. Hier gibt es ein Jimmie Rodgers Museum und ein jährliches Jimmie Rodgers-Festival. Auf seinem eigenen Plattenlabel „Egypt Records“ hat Dylan 1997 ein Tribute-Album für Jimmie Rodgers veröffentlicht. Mit „Rough And Rowdy Ways“ hat er sich direkt auf ihn bezogen. Auf dem Innenteil des Covers des Albums ist ein Foto zu sehen, das Rodgers zusammen mit der Carter Family am Rande der Louisville Sessions 1931 zeigt. Bei diesen Sessions entstand der legendäre Track „Jimmie Rodgers visits The Carter Family“, welcher das Vorbild für Dylans 2003er Aufnahme von „Gonna Change My Way Of Thinking“ mit Mavis Staples ist.

Memphis

Die andere, große Musikmetropole in Tennessee, schon nahe am Mississippi-Delta. Sie steht für Blues und Beale Street, für Sun Records und Stax. Für Rock’n’Roll, für Soul. Aber auch für den Tod von Martin Luther King, der dort 1968 im Lorraine Motel auf dem Balkon erschossen wurde. Ausgerechnet dort, wo weiße und schwarze Musiker des Stax-Labels immer noch nach den Plattenaufnahmen zusammen kamen, was sonst im segregierten Süden schwer möglich war. Heute ist hier das National Civil Rights Museum. Bob Dylan tritt hier im Orpheum Theatre in der Main Street auf. Ebenfalls ein traditionsreiches Vaudeville und Lichtspiel-Theater.

Woody Guthrie Center in Tulsa, Oklahoma. Copyright: Cowboy Band Blog

Tulsa

Dass Dylan wenige Wochen vor Eröffnung des Bob Dylan Centers Tulsa, Oklahoma, besucht, lag wohl wirklich auf der Hand. Die philanthropische George Kaiser Family Foundation fördert seit Jahren für das Kultur- und Geistesleben des ansonsten verschlafenen Ortes. Im Tulsa Arts District finden sich in unmittelbarer Nähe zueinander künftig der Woody Guthrie Center, der Bob Dylan Center und Cain’s Ballroom, die Geburtsstätte des Western Swing. „Take Me Back To Tulsa“ heißt einer der großen Hits von Western Swing-Legende Bob Wills.

Nach dem Western Swing war es dann der Tulsa Sound von J.J.Cale, der die Stadt auf die musikalische Landkarte brachte. Der legendäre Schlagzeuger Jim Keltner, der immer wieder mit Dylan zusammengespielt hat, stammt aus Tulsa. Auch der Gitarrist Steve Ripley, der 1981 in Dylans-Tourband war, gehörte zur Musikszene von Tulsa.

Doch auch Tulsa ist eine Stadt des Südens, deren Geschichte vor rassistischer Gewalt überschattet ist. 1921 fand hier ein großes Massaker an der afroamerikanischen Bevölkerung statt. Ein ganzes Stadtviertel – der Greenwood District – wurde völlig vernichtet und 300 Menschen ermordet. Eine Katstrophe, die fast hundert Jahre verdrängt und aus dem öffentlichen Gedächtnis gestrichen wurde.

Statement für ein vielfältiges Amerika

Über Little Rock geht die Tour dann weiter nach Oklahoma City, wo sie endet. Es ist eine ebenso denkwürdige wie logische Tour. Dylan nimmt nun scheinbar auf diese „World Tour“ alles nochmal in Angriff was liegen geblieben und ihm wichtig ist. Auch diese Reise kann durchaus als ein Statement für ein geeintes, vielfältiges Amerika verstanden werden.

Die Tourdaten

03/03/22   March 3 – Phoenix, Arizona @ Arizona Federal Theatre
March 4 – Tucson, Arizona @ Tucson Music Hall
March 6 – Albuquerque, New Mexico @ Kiva Auditorium
March 8 – Lubbock, Texas @ Buddy Holly Hall of Performing Arts & Sciences
March 10 – Irving, Texas @ Toyota Music Factory
March 11 – Sugar Land, Texas @ Smart Financial Centre
March 13 – San Antonio, Texas @ Majestic Theatre
March 14 – San Antonio, Texas @ Majestic Theatre
March 16 – Austin, Texas @ Bass Hall
March 18 – Shreveport, Louisiana @ Municipal Auditorium
March 19 – New Orleans, Louisiana @ Saenger Theatre
March 21 – Montgomery, Alabama @ Montgomery PAC
March 23 – Nashville, Tennessee @ Ryman Auditorium
March 24 – Atlanta, Georgia @ Fox Theatre
March 26 – Savannah, Georgia @ Johnny Mercer Theatre
March 27 – North Charleston, South Carolina @ North Charleston PAC
March 29 – Columbia, South Carolina @ Township Auditorium
March 30 – Charlotte, North Carolina @ Ovens Auditorium
April 1 – Greensboro, North Carolina @ Steven Tanger Center
April 2 – Asheville, North Carolina @ Thomas Wolfe Auditorium
April 4 – Chattanooga, Tennessee @ Tivoli Theatre
April 5 – Birmingham, Alabama @ BJCC Concert Hall
April 7 – Mobile, Alabama @ Saenger Theatre
April 8 – Meridian, Mississippi @ MSU Riley Center
April 9 – Memphis, Tennessee @ Orpheum Theatre
April 11 – Little Rock, Arkansas @ Robinson Center
April 13 – Tulsa, Oklahoma @ Brady Theatre
April 14 – Oklahoma City, Oklahoma @ Thelma Gaylord Performing Arts Theatre

Leadbelly & Bob Dylan

17. Februar 2022

Black History Month: Neben den schwarzen Bluesmen waren für Bob Dylan auch die afroamerikanischen Songster ein wichtiger Einfluss. Einer der wichtigsten von Dylans Afro American Folk Heroes war Leadbelly.

Leadbelly und Bob Dylan, Copyright: Wikimedia Commons

Immer noch ist es weit verbreitet, dass Blues und Jazz alleine für die  afroamerikanische Musiktradition stehen würden. Dabei wird übersehen, dass es eine lange Tradition der afro-amerikanischen Songster gibt. Die Songster-Tradition ist älter als die der Blues-Musik. Sie beginnt kurz nach dem Ende der Sklaverei und dem Bürgerkrieg, als afroamerikanische Musiker in der Lage sind, zu reisen und Musik zu machen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die vorwiegend schwarzen, aber auch weißen Songster  teilen das gleiche Repertoire und spielen eine Vielzahl von Volksliedern, Balladen, Tanzmelodien, Reels und Songs aus Minstrel Shows.

Die Songster

Es gab Songster, die alleine spielten und sich an der Gitarre begleiteten, aber auch solche, die mit Banjo und Geige begleiten ließen. Die Übergange zu den String Bands der Old Time Music sind fließend. Oftmals spielten Songster zur Unterhaltung bei fahrenden Medicine Shows

Auch nachdem sich der Blues ab Anfang des 20. Jahrhunderts herausbildete und populär wurde, verschwand die Songster-Tradition nicht. Die Vorstellung des einsamen, archaischen Bluesmen ist eine romantisierende, mythisierende Legende. Viele Bluesmusiker waren Songster und Unterhaltungsmusiker und spielten sich durch viele Genres der Unterhaltungsmusik. Umherziehende, in den Westen abwandernde Sänger und singende Cowboys waren an der Entstehung der Cowboysongs beteiligt. Sie beeinflussten sowohl den frühen Blues als auch später die Songs der bekannten weißen Cowboysänger ab den 1930er Jahren.

Erst die durch die Plattenindustrie vorgenommene Segregation in weiße Country & Western Music und schwarze Race Records ließ die Songster-Tradition gegenüber Jazz und Blues in den Hintergrund treten. Der bekannteste und wichtigste Songster der klassischen Folk-Ära war ohne Zweifel der Musiker Hughie Ledbetter alias Leadbelly.

Leadbellys enormer musikalischer Einfluss in der Folkszene

Entdeckt von Folklorist John Lomax, brachte er viele wichtige Songs in die US-Folkszene ein, wie beispielweise „Good Night, Irene“, der durch die Weavers um Pete Seeger ein Hit wurde. Oder „Rock Island Line“, „Black Betty“ und Alberta. Allesamt wurden auch sie Hits in den Versionen weißer Musiker. Und er konservierte durch seine Aufnahmen eine ganze Reihe von schwarzen Cowboysongs, war der Missing Link von den realen schwarzen Cowboys zu den weißen singenden Cowboy wie Gene Autry, Will Rogers, Tex Ritter oder die „Sons Of The Pioneers“.

Er verbrachte seine frühen Jahre auf den schummrigen, gewaltbeladenen  Gassen der Rotlichtviertel von Shreveport und Dallas und war zweimal wegen Gewaltverbrechen im Gefängnis. John Lomax holte ihn aus der Gewaltspirale hinaus. Leadbelly ging mit ihm nach New York und lernte dort Woody Guthrie und Pete Seeger kennen. Er spielte mit ihnen, seine Songs fanden Eingang in den Folk-Song-Kanon, jedoch schlug sich das für Leadbelly finanziell nicht nieder. Ihm ging es wie vielen schwarzen Musikern seiner Zeit. Er versuchte Ende der 1940er Jahre sein Glück in Paris, erkrankte jedoch an einer unheilbaren Störung des motorischen Nervensystems und starb 1949 in New York.

Er erlebte das Folk-Revival der frühen 1960er, das auch schwarze Songster wie Mississippi John Hurt, Brownie McGhee oder Peg Leg Sam wieder einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein rückte, nicht mehr, hatte aber dennoch ungeheuren Einfluss auf deren wichtigen Vertreter wie eben Bob Dylan.

Leadbelly als wichtiger Einfluss auch für Bob Dylan

„Und jemand – jemand, den ich noch nie zuvor gesehen hatte – gab mir eine Leadbelly-Platte mit dem Song „Cottonfields“ darauf. Und diese Platte hat mein Leben auf der Stelle verändert. Versetzte mich in eine Welt, die ich nie gekannt hatte. Es war, als wäre eine Explosion losgegangen. Als wäre ich in der Dunkelheit gegangen und plötzlich wäre die Dunkelheit erleuchtet. Es war, als würde mich jemand anfassen. Ich muss diese Platte hundert Mal gespielt haben“, sagt Bob Dylan in seiner Nobelpreis-Vorlesung.

Was Dylan an diesem Song fasziniert haben mag? Das fragen sich viele Dylan-Fans. Sicher der Ausdruck, die Stimme und die Performance von Leadbelly. Das war etwas anderes als der Rock’n’Roll von Elvis oder Little Richard. Da klang archaisch, fröhlich und sentimental zugleich. Der Song hat auch nicht die Sklaverei zum Thema, sondern die Situation der „Sharecroppers“, die rechtlich gesehen als Kleinpflanzer und Baumwollpflücker nicht mehr versklavt waren, aber de facto in Abhängigkeit eines Großgrundbesitzers waren. Diese Situation, die zur Armut führte, prägte das Leben von Leadbellys Eltern und seine Jugend.

Trotzdem blickt Leadbelly sentimental darauf zurück. Er schrieb es 1940, als er in New York lebte und sich nach einigen Krisen im Verhältnis zu John Lomax – da waren schon Spannungen zwischen dem weißen Bildungsbürger und dem Afroamerikaner aus ärmlichen Verhältnissen – endgültig einen Namen in der dortigen Folkszene gemacht hatte. So wie ihm erging es nicht wenigen Afroamerikaner:innen in der Zeit der „Great Migration“. Man zog nach Norden, um vor Armut und Rassismus zu entfliehen und hing doch noch voller Sentimentalität am Süden.

Leadbelly mit Akkordeon, Copyright Wikimedia Commons

Leadbellys Spuren in Dylans Werk und Wirken

Dylan zollte Leadbelly in seinem „Song To Woody“ auf seinem Debütalbum 1962 Tribut, als er ihn als einen der Gefährten von Woody Guthrie erwähnte. Man kann davon ausgehen, dass Dylan zu der Zeit schon alles was es von Leadbelly auf Platte zu hören gab auch gehört hatte. Der Mann und vor allem auch sein Outlaw-Mythos als ehemaliger Strafhäftling fasziniert ihn. Er leiht sich – so wie es seine Art ist und in der Folkmusik selbstverständliche Tradition – Musik und Motive von Leadbellys „We Shall Be Free“ für sein „I Shall Be Free“ aus, sowie der es von einem Spiritual aus dem 19. Jahrhundert gemacht. Dylans lernt für seine Folkmusik viel vom Songster Leadbelly.

Und sieht sich selber in ihm. Als Dylan 1980 seine Fans mit Gospelmusik verschreckte, erzählte er wie zur eigenen Rechtfertigung über den in der linken Folkszene anerkannten Leadbelly, der sich vom Gefängnisinsassen zum Folkhero wandelte,  folgende Geschichte (zitiert aus der New York Times, 20. Februar 2015):

„Im Jahr 1980, als Bob Dylan einen Großteil seines Publikums mit dem Schreiben und Singen von Gospelsongs verblüffte, stand er auf der Bühne des Warfield Theatre in San Francisco und sprach über den als Lead Belly bekannten Folksänger. Er erklärte, Lead Belly sei ein Gefangener in Texas gewesen, der von einem Musikwissenschaftler entdeckt und nach New York gebracht worden sei.

‚Zuerst hat er nur Gefängnislieder und solche Sachen gemacht“, sagte Mr. Dylan. „Er war einige Zeit aus dem Gefängnis entlassen worden, als er beschloss, Kinderlieder zu machen, und die Leute sagten: ‚Oh, warum hat sich Lead Belly verändert?‘ Einige Leute mochten die alten. Einige Leute mochten die neuen. Einige Leute mochten beide Songs.‘

„Aber er hat sich nicht verändert“, schloss Mr. Dylan mit Nachdruck. „Er war derselbe Mann.“

Abseits aller obskuren Benutzung von Leadbelly für seine eigene Rechtfertigung, hat Dylan hier aber einfach Recht. Leadbelly war derselbe Mann. Nur hatte er jetzt die Möglichkeit, abseits des ewigen Kreislaufs von Armut, Rassismus und Verbrechen ein neues Leben aufzubauen.

Copyright: Folkways Recording

Direkte Coverversionen von Leadbelly-Songs lassen sich in Dylans Werk auch finden. Wie auch übrigens bei seinem Bruder im Geiste Johnny Cash mit „Rock Island Line“, „I’ve Got Stripes“ (Original „On A Monday“) und „Cotton Fields“. Angetan hat es Dylan wohl „In The Pines“ (aka „Where Did You Sleep Last Night“), das u.a. er bei seinem ersten großen Soloauftritt 1961 in der Carnegie Chapter Hall, 1969 an der Southern Illinois University in Edwardsville, IL sowie 1990 im Toad’s Place Concert spielt. 1967 sind bei den Basement Tapes-Aufnahmen auch Leadbelly-Songs mit dabei. 1988 nimmt er am Folkways-Album-Projekt „A Vision Shared. A Tribute To Woody Guthrie and Leadbelly“ teil, singt aber mit „Pretty Boyd Floyd“ einen Guthrie-Song. Aber schließlich schwebt auch Leadbellys Vermächtnis über den „Selbstverständigungs-Alben“ „Good As I Been To You“ und  „World Gone Wrong“.

Leadbelly- eine amerikanische Kulturgröße

In diesem Sinne erinnern wir an Leadbelly im Black History Month. An einen, der in einem Atemzug mit afroamerikanischen Kulturgrößen wie Louis Armstrong, Maya Angelou oder Aretha Franklin genannt werden muss und für eine weitere amerikanische Kulturgröße prägend war.

„Sometimes Satan Comes As A Man Of Peace In The Long Black Coat“

11. Februar 2022

Die ur-amerikanische Figur des bösen Predigers und (Massen-)Verführers im Werk Bob Dylans

Copyright: Süddeutsche Zeitung

Einer der faszinierendsten Filme Robert Mitchums ist die „Nacht des Jägers“. Ein Film Noir-Western voll von düsterem magischem Realismus. Mitchums „Reverend Harry Powell“ variiert auf besonders gekonnte Weise die ur-amerikanische Figur des bösen Predigers, Scharlatans und (Massen-)Verführers. Genauso gekonnt, aber viel realistischer macht dies auch „Elmer Gantry“, das Film-Meisterwerk nach dem Roman von Sinclair Lewis. Bob Dylan, der wie kein anderer lebender Künstler so stetig an seinem Patchwork-Quilt des idealtypischen Amerikas und seiner populärer Mythen näht, kennt diese Figuren natürlich auch bestens und nimmt sie in seinem Werk immer Mal wieder in den Blick.

False Prophets

Zuletzt hat er dies auf seinem Album „Rough And Rowday Ways“ mit „False Prophet“ gemacht. Damals schrieb ich: „Auch „False Prophet“ ist nicht nur irgendwo zwischen Selbstporträt, Weltgeist und Teufel angesiedelt. Der „False Prophet“ steht auch für die in den USA wohlbekannte Figur des gefährlichen Predigers, des zur Gewalt anstiftenden Anführers. Robert Mitchum in „Die Nacht des Jägers“, Andy Griffith in „A Face In The Crowd“ oder William Shatner in „Weißer Terror“ haben ihm Gesichter gegeben. Dylan hat ihn in Songs wie „Man Of Peace“ oder „Man In The Long Black Coat“ verewigt. Diesmal scheint der amtierende Präsident als falscher Prophet benannt zu werden:

„Hello stranger, hello and goodbye
You rule the land but so do I
You lusty old mule, you got a poisoned brain
I’ll marry you to a ball and chain.“

Dass der Schatten des gehängten Mannes auf dem Cover von „False Prophet“ dem Orangefarbenen ähnelt, scheint ein weiterer Beleg dafür zu sein.“

Elmer Gantry und Donald Trump

Copyright: Metro Goldwyn Mayer

In der Zwischenzeit ist Trump abgewählt worden, hat den Mob dazu angestiftet, das Kapitol zu stürmen und nimmt trotzdem wieder Anlauf auf das Präsidentenamt. Er begeistert weiterhin die Massen. Wenn ein Film das Selbstverständnis und die Mechanismen dieser Verführer einfängt, dann ist das ohne Zweifel „Elmer Gantry“. Unwillkürlich muss man an Trump oder Boris Johnson denken, wenn Burt Lancaster mit wilden Haaren und großem Sendungsbewusstsein die evangelikale Religion als bestes Fundament für seinen Plan entdeckt, reich, mächtig und berühmt zu werden. „He knows every song of love that ever has been sung“, wie Bob Dylan in „Man Of Peace“ singt. Eben hier jeden Song der Liebe zu Gott.

Und obwohl letztendlich nur in sich selbst verliebt, üben Gantry wie Trump den Schulterschluss mit den Evangelikalen. Da darf man gespannt sein, wie es dann wird, sollte Mike Pence sich dazu entschließen, seinen Hut als Präsidentschaftskandidat in den Ring zu werfen. Pence ist quasi der William L. Morgan der Republikaner. So wie die Figur im Gantry-Film verachtete er den bösen Prediger, doch freute sich über die Macht und das Geld, das er seiner Kirche zuführte. Nun könnte er die „gemäßigteren“ Evangelikalen zu sich herüberziehen. Doch mittlerweile sind die Reihen der christlichen Nationalisten immer dichter und immer radikaler. Und stehen weiterhin zu Trump.

Ob Radiomoderator (Andy Griffith), falscher Prediger (Robert Mitchum, Burt Lancaster) oder Volkstribun des Hasses (William Shatner): Die Mechanismen sind immer dieselben. Und immer kommt das Böse im Gewand des Friedens: „Could Be The Fuhrer, could be the local priest, sometimes Satan comes as a man of peace.“

Copyright: Sony Music, Foto: William Claxton

Eine weitere Verführer-Figur bringt Dylan 1989 mit „Man In The Long Black Coat“ in sein Werk ein. Der unbekannte Mann im langen schwarzen Mantel nimmt die Frau einfach mit. Sie folgt ihm einfach.

„Not a word of goodbye, not even a note
She gone with the man
In the long black coat“

Und weiter:

„Somebody seen him hanging around
At the old dance hall on the outskirts of town
He looked into her eyes when she stopped him to ask
If he wanted to dance, he had a face like a mask
Somebody said from the Bible he’d quote
There was dust on the man
In the long black coat“

Ein Bild von Hörigkeit. Mit entsprechenden sexuellem als auch religiösem Kontext zwischen den Zeilen. So wie auch die Frau dem falschen Prediger Robert Mitchum verfällt, Elmer Gantry seine Affären hat und der Erweckungspredigerin die Unschuld raubt. So wie William Shatner in „Weißer Terror“ Frauen nachstellt: Macht, Sex und Religion sind in ihrer toxischen Mischung gerade im prüden evangelikalen Amerika ein böses Kontinuum.

Dylan weiß ein Lied davon zu singen:

„He’s a great humanitarian, he’s a great philanthropist
He knows just where to touch you, honey, and how you like to be kissed
He’ll put both his arms around you
You can feel the tender touch of the beast
You know that sometimes Satan comes as a man of peace“

Rough And Rowdy Ways

Auch die Wege der bösen Massenverführer sind „Rough And Rowdy Ways“. Dylan weiß um die Brutalität der amerikanischen Gesellschaft. Und wie nah Liebe und Hass, Verführung und Hörigkeit, Vergeltung und Mord einander sind. Die dunklen, bösen Songs auf seinem Album von 2020 sind daher möglicherweise die treffendsten Beschreibungen des neuen, gefährlichen Amerikas. Weil sie die Kontinuitäten und die Strukturen aufzeigen. Und Dylan nicht davor zurückschreckt, diese auch bei sich selbst zu finden.

Hard Times (Come Again No More)

4. Februar 2022

Wie ein Parlor Song zum Folksong wurde und Bob Dylan ihn aufgriff

„Let us pause in life’s pleasures and count its many tears
While we all sup sorrow with the poor
There’s a song that will linger forever in our ears
Oh, hard times, come again no more“

Stephen Foster, Hard Times (Come Again No More), 1854

Stephen Foster, Copyright: Wikimedia Commons

Kürzlich flatterte mir das Album „Smoke + Oakum“ der englischen Shanty-Folk-Band „The Longest Johns auf den Tisch. Feine Musik und mitten drin, da war ich überrascht – „Hard Times (Come Again No More)“.

Begegnung durch Dylan

„Hard Times (Come Again No More)“ ist mir – wie so vieles – zum ersten Mal über Bob Dylan begegnet. Durch sein 1992er Album „Good As I Been To You“, aber mehr noch durch seine Live-Darbietung beim TV-Special zum 60. Geburtstag von Willie Nelson 1993. Begleitet von seiner Tourband plus Marty Stuart an der Mandoline entstand dort ein wunderbares Stück Musik.

Hört man beide Dylan-Aufnahmen, so meint man dies sei ein uralter Folksong. Wenn man aber Folksongs als traditionelle Lieder des Volkes versteht, dessen Urheber nicht bekannt sind und durch die Zeiten mittels mündlicher Überlieferung gewandert sind und dadurch immer wieder Veränderung erfahren haben, dann ist „Hard Times“ eigentlich kein Folksong. Denn sein Urheber ist ganz genau bekannt. Es ist Stephen Foster, der auch gerne „Father Of American Music“ genannt wird. Er war so etwas wie der erste amerikanische Songwriter. Leider konnte er damals nicht davon leben. Die Zahlungen für Songrechte und Aufführungen waren lächerlich gering und Foster starb verarmt und krank 1864 im Alter von nur 38 Jahren.

Sein Schöpfer Stephen Foster

Foster stammte aus den Nordstaaten, hegte eine romantische Begeisterung für die Südstaaten und schrieb Lieder für die sogenannten Minstrel Shows, in denen oftmals Weiße sich das Gesicht schwärzten und sich mittels dumpf-rassistischer Späße über die Afroamerikaner lustig machten und erhoben. Fosters‘ Songs allerdings kamen ohne diese Ressentiments aus. Er war auch unter dem Einfluss von Harriet Beecher Stowe und ihrem Buch „Uncle Toms Cabin“ zu einem Gegner der Sklaverei geworden. Bekannte Minstrel Songs von ihm sind „My Old Kentucky Home“, aber auch „Camptown Races“ oder „Oh, Susanna!“. Songs, die zu wirklichen Volksliedern wurden.

Copyright: Victrola Records/ Archive.Org

Anders verhält es sich mit „Hard Times“, veröffentlicht erstmals 1854. Das Werk gehört zu den sogenannten „Parlor Songs“. Melodiös eigentlich ein Minstrel Song – Foster hatte die Melodie erstmals als Kind in einer afroamerikanischen Kirche gehört –  wurde es aber vor allem vorgetragen in musikalischen Salons und Soirees. Während die Minstrel Songs inmitten der Bespaßung breiter Bevölkerungsteile rasch Volksliedercharakter bekamen, nahm „Hard Times“ eine andere Wendung. Es wurde in den Salon der besser gestellten Kreise durchaus zu einem bekannten Lied. Es hat eine sehr schöne Melodie und beschwört inmitten einer wirtschaftlichen Rezession 1854 mit gesetzter Poesie die Empathie mit den Armen und die Hoffnung auf die Überwindung der Armut. Das war wie geschaffen für das sozial und karitativ engagierte Bürgertum und ebenso für tief religiöse Gemeinschaften.

Frühe Aufnahmen im Salon-Stil

Die erste Audioaufnahme des Stücks fand 1905 mittels eines Wachszylinders der Edison Company statt, es singt und spielt „The Edison Quartet“. Auch hier ganz im Stil des bürgerlichen Salons. Von 1916 (Victor Mixed Chorus), 1919 (Louise Homer), 1928 (Nat Shilkret and The Victor Salon Group) und 1932 (Graham Brothers) sind weitere Aufnahmen dokumentiert.  Auch hier Salonmusik. Wichtig: Der Song entstand ursprünglich inmitten einer wirtschaftlichen Rezession Mitte der 1850er Jahre, nun wird er 1932 inmitten der „Great Depression“ wieder aufgelegt. Und auch 1938 während des „New Deal“ wird der Song von Frank Luther and The Lyn Murray Quartet aufgenommen.

Aber obwohl er Empathie und Sympathie für die Armen ausdrückt schafft es der Song nicht in den Kanon der fortschrittlichen Folkmusik in den 1930er und 1940er Jahre. Der Chronist hat keine Aufnahme des Songs von Woody Guthrie oder Pete Seeger gefunden. Erst viele Jahrzehnte später im vergangenen Jahr hat Arlo Guthrie den Song veröffentlicht. Seine Aussage, Woody hätte diesen Song sicherlich goutiert, lässt darauf schließen, dass der Song im Hause Guthrie keine Rolle spielte. Im Gegensatz zu einem anderen alten Song über die dunklen Seiten Amerikas. „A Picture From Life’s Other Side“, den Woody von seiner Mutter lernte und später aufnahm. Ebenso übrigens wie Hank Williams, Vernon Dalhart und andere. Der Song war ein früher Country-Klassiker, erfährt dann aber die umgekehrte Geschichte wie „Hard Times“. Während letzteres dieser Tage immer wieder gecovert wird, ist „Pictures Of Life’s Other Side“ etwas in Vergessenheit geraten. Die letzte aktuelle Version sang Hank Williams III vor ein paar Jahren in der Marty Stuart Show. Doch das ist eine andere Geschichte.

Vom Hit bei den Mormonen zum Folksong

Copyright: Festival Records

Kommen wir zurück zu „Hard Times“. Das Lied wurde interessanterweise unter den Mormonen in Utah ein riesengroßer Hit. Mitte der 1850er begeisterte sich deren weltlicher und religiöser Führer Brigham Young für das Lied. Es hielt Einzug in den festen Kanon der Lieder dieser Glaubensgemeinschaft, auch in abgewandelter Form in zwei Versionen: „Ditches Break Again No More“ und „Brighter Days in Store“ auch bekannt als „Brigham’s Hard Times Come Again No More“.

Doch wie fand der Song dann doch Einzug in das moderne Folk-Repertoire? Die Recherche findet den „Missing Link“. Es ist die Folksängerin und Songsammlerin Rosalie Sorrels. Die lange Zeit in Salt Lake City, Utah, lebende Sorrels nahm den Song 1961 auf ihr Album „Rosalie Sorrels Sings Songs Of The Mormon Pioneers“. Sie findet Anschluss an die US-Folkszene und tritt u.a. 1966 in Newport auf.

Irgendwie logisch, dass auch der bekannte „Mormon Tabernacle Choir“ den Song 1968 aufnimmt. Sein Siegeszug aber in der Roots-, Folk- und Countrymusik  beginnt 1979 mit der Version von Jennifer Warnes. Sie veröffentlicht auf ihrem Album „Shot Trough The Heart“, auf dem sie übrigens auch Dylans „Sign On The Window“ covert,  eine wunderschöne A-Capella-Version des Songs. Und ab den 1980ern ist der plötzlich voll da, wird fast jährlich aufgenommen. 1991 sind es „Kate & Anna McGarrigle and Families“ die den Song für ein Album mit Songs aus dem amerikanischen Bürgerkrieg einspielen. Hier mit Akkordeon als melodieleitendes Instrument. 1992 veröffentlicht ihn schließlich Emmylou Harris in einer Live-Aufnahme aus dem Ryman Auditorium vom Vorjahr. Nun ist er mitten in der Americana-Welt angekommen und Bob Dylan covert ihn dann im November 1992.

Copyright: Columbia Records

Der Song entwickelt sich seitdem zum Roots Hit. Die Liste seiner Interpreten ist illuster. Wir finden darunter u.a. Johnny Cash, Mavis Staples, Bruce Springsteen und Joan Baez. Zudem wird er auch von den Chieftains für den Irish Folk adaptiert. Hierzulande gehört er in einer hörenswerten Version zum Live-Repertoire des Folk und Blues-Singer-Songwriters Biber Herrmann und seiner Partnerin, der Liedermacherin Anja Sachs.

Und nun hat er eben auch Aufnahme auf dem neuen Album der englischen Folk-Band „The Longest Johns“ gefunden, die das Tempo anziehen und den Song in die Nähe des tanzbaren Irish Folk bringen. Doch er wird nie zum „Wild Rover“ der Pubs dieser Welt werden, dazu ist er einfach zu zart und fragil und die Hoffnung in zu ernsten Worten vorgetragen.

Was er aber bleibt: Er ist einer der schönsten Folk Songs überhaupt. Einer der aus den Salons über die Mormonen in der Folkszene landete und zum Americana-Klassiker wurde. Und auch hier wieder war Bob Dylan mit im Spiel.