Archive for Februar 2023

Dom Flemons und Bob Dylan

24. Februar 2023

Dom Flemons unterstreicht mit seinem neuen Dylan-Cover sein souveränes Verständnis für die amerikanische Roots Music

Copyright: Smithonian

Er ist einer der interessantesten zeitgenössischen amerikanischen Folkmusiker: Dom Flemons. Der 1982 in Phoenix, Arizona, als Kind einer afroamerikanisch-mexikanischen Familie geborene Flemons entdeckte schon in der Plattensammlung seiner Eltern Bob Dylan, und dessen Musik führte ihn zu den Pionieren des amerikanischen Folk wie Woody Guthrie und Pete Seeger. Er machte selber Musik und wurde von Sule Greg Wilson, einem lokalen Banjospieler und Folkloristen gefördert.

Gründungsmitglied der Carolina Chocolate Drops

Einer größeren Öffentlichkeit wurde Flemons dann ab 2005 als Gründungsmitglied (mit Rhiannon Giddens und Justin Robinson) der Carolina Chocolate Drops bekannt. Zusammen mit Giddens und Robinson, dem später mit Hubby Jenkins nachfolgte, belebte er die schwarzen Wurzeln der Country Music neu. Sie gewannen für ihre Wiederentdeckung der schwarzen Old Time Music eine ganze Reihe von Auszeichnungen, spielten in der Grand Ole Opry, tourten in Europa, bildeten das Vorprogramm von Taj Mahal und Bob Dylan und hatten einen Auftritt in dem Denzel Washington-Film „The Debaters“ sowie mit Marty Stuart in dessen Fernseh-Show.

The American Songster

Als die Gruppe 2013 so langsam in Auflösung begriffen war, schlug Flemons als „The American Songster“ Solopfade ein. Sein Credo lautet: „Afroamerikanische Musik ist mehr als Blues, Jazz und Gospel“. Und so bewahrt der Multiinstrumentalist – Banjo, Gitarre, Mundharmonika, Jug („Blaskrug“), Schlagzeug, Federkiele, Pfeife und Bones („Rhythmusknochen“) –  und Singer-Songwriter in seinen unterhaltsamen musikalischen „Geschichtsstunden“ die afroamerikanischen Wurzeln von Country, Bluegrass, Folk und Ragtime gegen das kulturelle Vergessen und gegen die Ignoranz, denen sie immer noch ausgesetzt sind.

Black Cowboys

2018 hat er mit dem Album „Black Cowboy“ ein vielbeachtetes Grundlagenwerk zur Beschäftigung mit den afroamerikanischen Beiträgen zur Erschließung des amerikanischen Westens veröffentlicht. Gut ein Viertel der Cowboys in der Blütezeit der großen Rindertrails waren Afroamerikaner. Der Rest verteilte sich in etwa gleichen Teilen auf Native Americans, Mexikaner und weiße Amerikaner. Und da die Cowboys zum Zeitvertreib und um das Vieh still zu halten sangen, waren auch viele Cowboy-Sänger Schwarze. Ihre Songs wurden fester Bestandteil des Kanons von Cowboysongs im neunzehnten Jahrhundert und beeinflussten sowohl den frühen Blues im ersten Drittel des als auch die Songs der weißen Cowboys.

Bob Dylans wichtiger Einfluss

Copyright: Columbia

Nun veröffentlicht Flemons in ein paar Wochen sein neues Album „Traveling Wildfire“. Als zweite Singleauskopplung hat der American Songster das wenig bekannte Bob Dylan-Stück „Guess I’m Doing Fine“ ausgewählt. Wieder ein Zeichen für die Wertschätzung, die Flemons für Dylan hat. „Als ich anfing, die Musik der 60er zu hören, hat Bob Dylan sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Seine Songformen und lyrische Kunstfertigkeit haben mich dazu bewogen, tiefer in die reiche und weite Landschaft des amerikanischen Liedguts einzutauchen“, bestätigte Flemons, mir kürzlich noch einmal persönlich die große Bedeutung die Dylan für seine eigene musikalische Entwicklung hatte. Dom und ich hatten uns 2019 am Rande seines Auftritts beim Chicago Bluesfestival kennengelernt.

Ein Song gegen den Stillstand

„Mit der zweiten Single „Guess I’m Doing Fine“ präsentiere ich meine Version eines unveröffentlichten Bob Dylan-Songs, den er 1964 aufgenommen hat. Auf meiner eigenen persönlichen Reise habe ich festgestellt, dass dieser Text bei mir Anklang fand, weil der Song über Situationen spricht, die ich selbst erlebt habe, und es ist eine Erinnerung an die Kraft, die entsteht, wenn man einen neuen Weg geht“, sagt Flemons nun in einem Statement in den sozialen Medien.

Die kraftvollen Texte der Songs über die Widerstandsfähigkeit angesichts unüberwindlicher Widerstände hätten bei ihm Anklang gefunden, seit er sie vor 20 Jahren zum ersten Mal auf einer Bootleg-CD gehört hätte. Und in der Tat wurde der Song auch erst 2010 auf der „Bootleg Series Vol. 9. The Witmark Demos: 1962 – 1964“ erstmals offiziell veröffentlicht.

„Well, my road might be rocky
The stones might cut my face
My road it might be rocky
The stones might cut my face
But as some folks ain’t got no road at all
They gotta stand in the same old place
Hey, hey, so I guess I’m doin’ fine“
(„Guess I’m Doing Fine“, http://www.bobdylan.com)

Ein Song, in dem der Sänger predigt, lieber gefährliche, steinige Wege zu gehen als dem Stillstand zu fröhnen. Ein Motto, dem Dylan bis heute, bis in jedes einzelne Konzert folgt. So ist es mehr als ein Nebenwerk und um so schöner, dass sich Flemons dem Rohdiamant nun angenommen hat.

Dom Flemons und Thomas Waldherr 2019 in Chicago, Copyright: Thomas Waldherr

Feine Coverversion

Flemons weiter: „Nachdem ich „Guess I’m Doing Fine“ geschnitten hatte, wurde mir klar, dass es cool wäre, einen Fiddle-Part hinzuzufügen, um die Bluegrass-Klänge hervorzuheben, die ich in der Songstruktur gefunden habe. Ich bin so glücklich und dankbar, dass mein Freund Sam Bush zur Verfügung stand, um diesem lebhaften Track seine Geige hinzuzufügen und ihm etwas von diesem altmodischen Flair zu verleihen.“

Natürlich dankt Dom dem Team von Bob Dylan, dass diese Veröffentlichung möglich wurde. Und so hat Produzent Ted Hutt Flemons fünf Instrumente plus Sam Bushs Geigenspiel aufgenommen und entstanden ist ein entschieden fröhlich-lebensbejahendes nach vorne gehendes Bluegrass-Stück. Eine sehr feine Coversion, das noch einmal Flemons Ausnahmestellung in der US-Folkmusik verdeutlicht.

Vor 30 Jahren: Bob, der Bühnenarbeiter

19. Februar 2023

Dylan arbeitete sich Anfang der 1990er zurück zu künstlerischem Selbstverständnis und musikalischer Bedeutung. Sein Wiesbadener Konzert am 20. Februar 1993 war ein Schritt auf diesem Weg.

Copyright: Marek Lieberberg & Ozzy Hoppe

Dylan-Fan war ich seit 1976. Ich blieb ihm treu auch während der für einen links sozialisierten Jugendlichen schweren Jesus-Jahren. Doch das wirklich schlechte 1987er Konzert und die eigene persönliche Situation mit Studienabschluss und ersten beruflichen Schritten in den Jahren 1989-91 ließen Dylan bei mir in den Hintergrund rücken.

1991 dann die Neuentdeckung mittels der Bootleg Series, des faszinierenden Offenbacher Konzertes – erstes Drittel grausam, zweites Drittel gut, drittes Drittel großartig – seiner ersten akustische Platte „Good As I Been To You“ und dem bis heute unerreichten Jubiläumskonzert von 1992. Das Thema Dylan war wieder voll da bei mir.

Dylan begibt sich an die Arbeit

Also machten wir uns auf den Weg nach Wiesbaden, wo Bob Dylan am 20. Februar 1993 in der Rhein-Main-Halle spielte. Im Vorprogramm trat die „Hands On The Wheel“ auf, eine Band aus der Region, die für meine Ohren damals ein bisschen wie nach Neil Young & Crazy Horse klang. Noch heute sehe ich den Bandleader Tom Ripphahn vor mir mit Gitarre auf den Knien über die Bühne rutschen. Machte auf jeden Fall viel Stimmung und das Dylan-Publikum ging mit den Jungs doch insgesamt pfleglicher um als mit manch anderer Vorband in diesen Jahren.

Und dann kam Dylan. Wurde er 1991 in Offenbach von zwei Roadies geradezu aus dem Dunkeln auf die spärlich beleuchtete Bühne geschubst, um die ersten Augenblicke deutlich schwankend unterwegs zu sein, war es diesmal ganz anders. Eine gut ausgeleuchtete Bühne und ein Dylan, der deutlich sichtbar in gemessenem Schritt sich zur Arbeit begibt.

Dies waren die Jahre als Dylans Band aus Bucky Baxter (pedal steel guitar & electric slide guitar), John Jackson (guitar), Tony Garnier (bass) und Winston Watson (drums & percussion) bestand. Sie spielten gut zwei Stunden und die Stücke wurden von langen Instrumental-Intros und -Soli geprägt. Dylan experimentierte, probierte sich aus, spielte Soli an der Akustikgitarre. Dazu war die Setlist im Gegensatz zu heute immer wieder anders, bis zu einem Drittel der Songs wurden von Konzert zu Konzert ausgetauscht.

Dylan ist experimentierfreudig

Die alte Rhein-Main-Halle in Wiesbaden, die 2006 um ein Foyer erweitert und dann 2014 abgerissen und durch einen ein Neubau, dem RheinMain CongressCenter ersetzt wurde. Copyright: Wikimedia Commons.

In Wiesbaden begann er mit einem Song, den viele im Augenblick gar nicht erkannten: „Folsom Prison Blues“. Den Johnny Cash-Klassiker hatte Dylan 1967 bei den Basement Tapes Sessions mit The Band gespielt und 1969 bei den Nashville-Sessions mit Cash himself. Und nun vom 17. bis 21. Februar 1993 als Auftaktsong seiner Konzerte in Eindhoven, Hannover, Wiesbaden und Petange (Luxemburg). Über das warum kann man nur mutmaßen, vielleicht hing das mit dem am 26. Februar bevorstehenden Geburtstag von Cash zusammen, wer weiß?

Es waren auch die Jahre als Dylan elektrisch verstärkt anfing, dann ein akustisches Set (vier Songs!) einstreute und dann wieder elektrisch weitermachte. Und so enthielt das Programm in Wiesbaden als Hau drauf-Rocknummern angelegte Stücke wie „Memphis Blues Again“ oder „Highway 61 Revisited“ ebenso wie zärtlich-rauhe Versionen von „Tomorrow Night“ oder „Jim Jones“. Das Programm wa rgut gemischt, da standen Klassiker wie „Mr. Tambourine Man“ oder „Don’t Think Twice“ neben weniger bekannten Stücken wie „I’ll Remember You“ oder „Cat’s In The Well“. Dylan Stimme war nicht schön, nicht wirklich sauber, aber nach einer gewissen Anlaufzeit kräftig und ausdrucksvoll. Und nix mit Autopilot: So manches Stück wurde von Dylan geradezu expressiv ausgelebt.

Dylan stimmte hoffnungsfroh

Das Wiesbadener Konzert war wie alle Dylan-Konzerte in diesen Jahren eine „Tour De Force“, bei dem Dylan ehrliche Arbeit ablieferte und durchaus auch bemüht war, neben der Installierung eines Experimentalkorridors auch den Leuten das zu geben, was sie wollten. Bezeichnend mit welch großer Begeisterung das Publikum in der Rhein-Main-Halle den „Mr. Tambourine Man“ goutierte. Aber es waren auch die Jahre der 3000er und 4000er-Hallen, in denen die Eingeweihten die Mehrheit stellte. Dylan war nicht chic wie der Nobelpreisträger nach 2016, als es wieder hieß, Dylan muss man wenigstens einmal gesehen haben.

Für mich war es ebenso wie für die 4000 in Wiesbaden ein begeisterndes Konzert, das nicht die dramatischen Höhen und Tiefen des Offenbacher Konzertes von 1991 hatte, aber dafür viel mehr wohltuende Hoffnung darauf machte, das da noch einiges von Dylan zu erwarten ist. Im Sommer 1993 dann wurde ich Abonnent von John Bauldies „Telegraph“, es folgten „World Gone Wrong“ und „MTV Unplugged“ und die 1990er wurden zu einer spannenden Dylan-Zeit und die Grundlage für meine bis heute anhaltende Freude an der Auseinandersetzung mit Dylans Werk und Wirken.

Setlist Wiesbaden, 20. Februar 1993, Rhein-Main-Halle

1. Folsom Prison Blues (Johnny Cash)

2. The Man In Me

3. All Along The Watchtower

4. Tangled Up In Blue

5. Shooting Star

6. Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again

7. She Belongs To Me

8. Tomorrow Night (Sam Coslow/Will Grosz)

9. Jim Jones (trad. arr. by Bob Dylan)

10. Mr Tambourine Man

11. Don’t Think Twice, It’s All Right

12. Cat’s In The Well

13. I And I

14. The Times They Are A-Changin’

15. Highway 61 Revisited

16. I’ll Remember You

17. Everything Is Broken

18. It Ain’t Me, Babe

Einige Bob Dylan-Tour-Highlights von 1993:

The Water Is Wide

3. Februar 2023

Wie ein alter schottischer Folksong von Pete Seeger ins Folk Revival eingebracht wird, ehe ihn Bob Dylan mit Joan Baez singt, er sich dann in dessen Repertoire festsetzt und sich über die Jahre verändert.

Copyright: Sony Music

The Water Is Wide

„The water is wide and I can’t cross over

Neither have I wings that I could fly

Build me a boat that can carry two

And both shall row my love and I.“

Vollständiger Text hier: https://www.bobdylan.com/songs/water-wide/

Eine Wiederentdeckung

Auf dem soeben veröffentlichten 17. Teil von Bob Dylans Bootleg Series ist unter den vorher offiziell noch nicht erschienen Songs auch einer, der mich vor allem in der Fassung von der Rolling Thunder Review 1975 immer fasziniert hat: „The Water is Wide“. Nun taucht er hier plötzlich wieder auf. Grund genug, zu schauen, welche Bedeutung er im Dylan’schen Oeuvre eigentlich hat.

Bob Dylan und Joan Baez haben ihn damals achtmal auf der ersten RTR gespielt. Eine Aufnahme davon wurde auf der Bootleg Series „Live 1975“ (2002) veröffentlicht. 1976 sang Dylan ihn bei den Sessions zu Eric Claptons Album „No Reason To Cry“. Dylan hat dem Song dann wieder dreimal in seinen Konzerten in den Jahren 1989 und 1990 gespielt. Und nun eben die Veröffentlichung einer Studioeinspielung rund um die Times Out Of Mind Sessions 1997.

Ein alter schottischer Folksong

Cecil Sharp, Copyright: Wikimedia Commons

Der Song beschreibt die Herausforderungen und Veränderungen der Liebe. Von ungestümer und zärtlicher Liebe bis zu einer Liebe, die mit fortschreitender Zeit alt und kühler werden kann. Sogar die „wahre Liebe“, heißt es im Song, kann vergehen. Cecil Sharp, der unzählige Texte alter Folksongs aus England, Schottland und den Appalachen veröffentlichte, publizierte „The Water Is Wide“ 1906.

Wie bei allen Folksongs gibt es eine ganze Reihe von weiteren Songs, die mit ihm verwandt sind. „O Waly Waly“ und „Jamie Douglas“ sind direkte Varianten. Das irische „Carrickfergus“ und der amerikanische Song „Sweet Peggy Gordan“ haben Zeilen oder Versteile übernommen.

Das heutige „The Water Is Wide“ hat Pete Seeger in das Folk Revival eingebracht, dokumentiert durch einen Mitschnitt „The Complete Bowdoin College Concert“ von 1960. Die junge Generation erkannte die Lebensklugheit und ihr gefiel der lebenszugewandte, melancholisch-stoische Charakter des Songs und eignete sich ihn an.

So sangen ihn in den 1960ern sowohl Peter, Paul & Mary (als „There Is A Ship“), als auch Joan Baez. Bob Dylan aber sang ihn erstmals bei seiner 1975er Reunion mit Joanie. Über die Jahre haben sich bis heute viele Musiker an diesem Stoff versucht. Von James Taylor über Eva Cassidy bis zu Jewel.

Die 1975er Version

Dylan und Baez singen das Lied über über die sich verändernden Zustände der Liebe mit Mitte Dreißig. Es ist auch ein Lied über sie selbst. Es ist eine sehr kräftige, lebensbejahende Fassung. Man ist in den besten Jahren, hat auch eine gemeinsame Liebesgeschichte und einige andere davor, daneben und danach. Welches Stadium sie damals erreicht hatten? Who knows?

An dieser Version ist auch seine Session-Jam-Fassung in den Shangri-La Studios mit Clapton und The Band ausgerichtet. Kraftvoll und straight in der Männerrunde.

Die 1989er Version

Diese Fassung ist eine einfache, eher langsamere, ein bisschen ruppige Garagenrock-Version. Das Video von Dublin 1989 zeigt den damals auf der Bühne recht exzentrisch auftretenden Dylan. Er singt und nölt drauflos, ohne allzu viel Gedanken um den Klang, hat die Kapuze seines Hoodie auf, und darunter noch eine Baseball Cap. Alles zusammen lässt auf einen durchaus unsicheren Dylan schließen, bei dem in der Kunst und im Leben scheinbar nicht alles so richtig gut zu laufen scheint.

Die 1990er Version

Hier wagt sich Dylan mit dem Song akustisch vor das Publikum. Die Fassung von Edmonton beinhaltet ein schönes Mundharmonika-Spiel und einen viel zärtlicheren Gesang als ein Jahr vorher. Zärtlichkeit ist hier überhaupt der passende Begriff.

Die 1997er Version

Copyright: Sony Music

Die passt dann bestens ins TOOM-Umfeld. Diese Version klingt eher gebrochen und ein bisschen resignativ. Hier scheint die Liebe eher etwas von Gestern, als von Heute zu sein.

Auch mit diesem Song beweist die Bootleg Series ihre Genialität durch die Dokumentierung, wie stark Dylan an den Songs arbeitet. An Traditionals, aber auch an seinen eigenen, von denen ja viele ebenfalls bereits Traditionals sind.

Von der „Mitten-im Leben-Version“ von 1975 bis zur abgeklärt-resignativen Version von 1997 sind es gerade mal 22 Jahre. Wie würde der Song heute bei Dylan klingen? Doch da Dylan momentan eher die dunklen, abgründigen Seiten der Liebe in seinen Songs auslotet, werden wir wohl so bald keine neue Version von diesem Lied mehr hören, es spricht vieles dafür, dass Dylan dem nichts mehr hinzuzufügen hat.

Oder kommt es doch wieder ganz anders? Schafft es Dylan, auch bei diesem Song eine dunkle Seite herauszuarbeiten? Nur durch ein paar Worte und die Haltung beim Singen? Wir dürfen auch hier wieder gespannt sein.

„60 Different Years“

2. Februar 2023

Mit Gaede feiert ein „Hidden Star“ der Rhein-Main-Americana-Szene seinen runden Geburtstag mit einer gelungenen EP: Stilsichere und souveräne Musik, die ins Ohr geht.

Wer jüngst das große Bruce Springsteen-Tribute in der Darmstädter Americana-Reihe mit Markus Rill, Robert Oberbeck und Maik Garthe oder das Release-Konzert von Wolf Schubert-K. & Friends in Frankfurt miterleben durfte, der konnte sich wieder einmal davon überzeugen: In Rhein-Main lebt das Americana!

Nun hat einer, der – wenn man so will – „Hidden Stars“ der Americana-Szene in Rhein-Main eine neue EP herausgebracht. Gaede hat sich etwas von der Musikszene zurückgezogen, ist schon seit einiger Zeit nicht mehr live aktiv, hat er aber zuletzt immer mal wieder Alben veröffentlicht. Wie vor gut einem Jahr das Doppel-Album „Bubbly & Calmly“. Nun hat er anlässlich seines 60. Geburtstages eine EP mit drei Songs veröffentlicht, die durchaus auch als Resümee dieser sechs Jahrzehnte gelten dürfen: 60 Different Years heißt die Scheibe.

Großes Hörvergnügen

Gaede erfindet das Americana nicht neu, aber er betätigt sich so stilsicher und souverän darin, dass einem die Musik sofort anfliegt. Sie knüpft an bestehende Hörgewohnheiten an und bedient die Erwartungen, die man gemeinhin an das Genre pflegt so perfekt, so dass seine Musik einfach ein großes Hörvergnügen ist. Und so auch bei dieser EP. Wieder wird Gaede musikalisch u.a. von Gitarrist Claus Fischer („Beatles Revival Band“) und von Slide- und Pedal-Steel-Virtuose Mathias „Muli“ Müller unterstützt, die mit ihm zusammen für ein großartiges Klangbild sorgen.

Es geht gleich schwungvoll und ohrwurmverdächtig mit „Different Lives & Different Ways“ los. Der Song erzählt wohin der Weg in 60 Jahren führen kann, und was aus alten Freunden wird. Das ist das Pärchen, das scheinbar glücklich seit Schultagen zusammen ist oder ein anderes Paar, das in prekären Verhältnissen lebt und scheinbar immer weiter den Bach runter geht. So ist das im Leben, die einen sind auf der Sonnenseite, die anderen „on the wrong side of the tracks“.

Schwungvoll und Ohrwurmverdächtig

„Sometimes I See You“ erzählt über den Verlust eines geliebten Menschen, an den man immer wieder denken muss, der einem begleitet, obwohl er tot ist. Den man lachen hört, den man im Schlaf küsst, bis man merkt, dieser geliebte Mensch ist wirklich tot.

Sind die beiden ersten Songs neu geschrieben worden, so ist der dritte Song im Bunde – „Ruin Your Faith“ ein älterer Song. Der Sänger ist wütend auf die Frauen, von denen er sich mies behandelt fühlt. Der Song ist unverkennbar von früher, denn seit einigen Jahren ist Gaede glücklich verheiratet und Vater eines Kindes.

Seinem Kind und seiner Ehe widmet er sich intensiv, aber trotzdem stehen Pläne für Live-Musik an, wie er verrät. Zwei Open Air-Konzerte sollen gespielt werden, zudem wird ein Video zu „Different Lives & Different Ways“ entstehen.

Gaedes Musik macht einfach Spaß. Es wird höchste Zeit, dass sie auf die Konzertbühnen findet. Please, Mr. Gaede!

Zu beziehen als CD durch E-Mail an mathiasgaede@yahoo oder als digitaler Download auf bandcamp: https://gaede.bandcamp.com/album/60-different-years

Gaede live: