Archive for April 2020

Kinderlieder für Gabby Goo Goo

28. April 2020

Vor 30 Jahren: Bob Dylans 1990er Album „Under The Red Sky“

Das wär‘ auch mal eine Disziplin. Weißt Du noch, wo Du das Bob Dylan-Album „XY“ gekauft hast? Ich gebe zu, sicher nicht bei allen wüsste ich es noch. Ganz sicher weiß ich, dass ich die Greatest Hits Musicassette bei Radio Wilms in Darmstadt-Eberstadt erworben habe. Wow, das war subversiv! Aber bitte, ich war auch erst 13 Jahre alt. Die „Desire“ habe ich als LP beim Kaufhof in der Darmstädter Innenstadt erworben. Sehr günstig, eine israelische Pressung. Aber bei anderen fällt es mir einfach nicht ein.

Support your local dealer: Ralphs Records vs. Uli’s Musicland
Bei „Under The Red Sky“ dagegen weiß ich es noch. Bei Ralphs Records in der Helia-Passage. Die etwas gediegenere Variante von Plattenladen im Vergleich zum jedoch als „kultiger“ gehandelten Uli’s Musicland“ nur ein paar Schritte weite in der Passage, die kurze Treppe runter. Da kaufte ich mir Konzertkarten, aber so lustige Sprüche vom mittlerweile leider verstorbenen Inhaber Axel wie „Wer ist der berühmteste Bob? Der Zweier-Bob“ waren als junger Dylan-Fan nicht so mein Humor.

Wie auch immer, „Under The Red Sky“ kaufte ich mir bei Ralph und wenn ich mich heute erinnere und jetzt wieder höre – mir gefiel die Platte gar nicht so schlecht. „Under The Red Sky“, „Unbelievable“ – im Musikfernsehen lief der Video dazu, in dem Dylan einen Chauffeur spielte – und natürlich „Born In Time“, das für mich immer noch in einer Reihe mit „I’ll Remember You“ und „Make Me Feel My Love“ steht, waren meine Favoriten. „Handy Dandy“ fand ich noch ganz nett, auch „God Knows“, obwohl er jetzt doch wieder auf den Herrn zurückkam. Diese Phase bei ihm hatte ich doch eigentlich schon überstanden. „TV-Talking Song“ war auch gar nicht so schlecht, wenn ich es auch inhaltlich ziellos fand und die Pointe in „Black Diamond Bay“ schon mal besser gehört hatte. Mit „10.000 Men“ und „Cat’s In The Well“ konnte ich überhaupt nicht viel anfangen, während ich „2×2“ ganz hübsch, aber für Dylan-Verhältnisse fast schon zu gefällig fand. Eine Absage an den Hippie-Traum seiner Generation, konnte ich irgendwo lesen. Wirklich? Hmm? Was wollte er uns sagen? Ein kindlicher Abzählreim? Doch das schlimmste war natürlich „Wiggle, Wiggle“. Da stürzten sich natürlich alle drauf, für die Dylan ein großer „has been“ war. Der Songpoet ergeht sich auf diesem Album in Kinderreimen und Wackel-Wackel-Bilder.

Abzählreime und kindliche Bilder
Und in der Tat. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger „Oh Mercy“ fehlte dem Album sowohl die Tiefe und die konzeptionelle Dichte, als auch das geheimnisvoll-flirrende. „Oh Mercy“ atmete den geheimnisvollen Geist von New Orleans. „Under The Red Sky“ wirkte wie eine unfertige Songsammlung, die musikalisch von nicht so richtig glücklichen Produzenten (Don Was, David Was und Jack Forst alias Dylan himself) mit Hilfe vieler Gaststars – David Crosby, George Harrison, Elton John u.v.m. – aufgemotzt wurde.

Dylan selbst sah die Defizite des Albums und schob sie in Interviews auf seine Tourverpflichtungen und die zeitgleiche intensive Zusammenarbeit mit den Traveling Wilburys. Und dennoch war „Under The Red Sky“ für mich nicht ganz so schlecht wie alle meinten. Ich hatte die guten Songs genannt. Aber vor allem es war für mich das richtige Album zur richtigen Zeit und „Born In Time“ war Soundtrack so mancher romantischer Stunde. Soll keiner sagen, Dylan hätte einem nicht auch immer irgendwas Passendes zur eigenen Lebenslage mitgegeben.

Doch die Kritik war unerbittlich. Warum singt ein Bob Dylan über „Wiggle, Wiggle“, in dem eine „Big Fat Snake“ vorkommt. Abgesehen vom „Swine“, dass sich auf „Vine“ reimt und vom „Land Of Milk And Honey“ in „Unbelievable“. Oder das Kindermärchen von „Under The Red Sky“: „There was a little boy and there was a little girl…One day the little boy and the little girl were both baked in a pie“. Oder der Abzählreim von „2×2“. Zeitgleich sang er doch hier so starke Stücke wie „Born In Time“ oder schrieb für die Traveling Wilburys „Tweeter And The Monkeyman“ oder „Dirty World“.

Vielleicht eines seiner menschlichsten Alben
Abgesehen davon, dass uns die durchaus nicht geglückte Produktion des Albums nicht die Sicht auf grundsätzlich gute Songs verstellen sollte: Es war schon eine Art Sammelsurium von Songs, die entweder noch aus „Oh Mercy“-Beständen kamen – „God Knows“ und „Born in Time“- oder die erst später erschienen wie „Alice Don’t Live Here Anymore“ (aber nicht von ihm, sondern von Don Was gesungen) oder „Heartland“, dass dann drei Jahre später als Duett mit Willie Nelson veröffentlicht wurde. Es gab kein kohärentes Konzept für ein ganzes Album. Da – aber nicht in der Güte der Einzelsongs- setzte das Album den unguten Weg von „Knocked Out Loaded“ und „Down In The Groove“ aus der zweiten Hälfte der 1980er fort, der nur von „Oh Mercy“ so überraschend genial unterbrochen wurde.

Aber wenn das Album gleichsam in Teile und Stücke auseinanderfällt, was hat es dann mit den kindlichen Songs und Bildern auf sich? Damals konnte sich das keiner erklären. Sicher, er hatte mit „Man Gave Names To All Animals“ schon mal ein Kinderlied aufgenommen. Und er hatte im Folgejahr 1991für das Disney-Album „For Our Children“ das alte Kinderlied „This Old Man“ beigesteuert. Wurde der Mann jetzt einfach kindisch?

Songs for Desiree Gabrielle
Erst mehr als 10 Jahre später, im Jahre 2001 deckte Biograph Howard Sounes auf, dass Bob von 1986 bis 1992 mit seiner früheren Background-Sängerin Carolyn Dennis verheiratet war. Mit ihr hat er ein Kind. Desiree Gabrielle Dennis-Dylan. Und jetzt war vielen die Widmung auf dem Album klar:“For Gabby Goo Goo“. Seiner damals vierjährigen Tochter hatte er dieses Album gewidmet und sie mag er bei vielen Songs um Sinn gehabt haben. Die kindliche Vorstellungs- und Erfahrungswelt, die so wunderbar kompatibel ist mit sich austoben – „Wiggle Wiggle“ – den Märchen – „Under The Red Sky“ und den vielen Tieren, die in den Songs vorkommen.

Ein höchst menschlicher Zug eines Vaters, der seinen Ruf als Songpoet ankratzt, um diese Songs zu singen und aufzunehmen. In diesem Sinne ist „Under The Red Sky“ vielleicht nicht das Beste aber sicher eines der menschlichsten Alben Bob Dylans. Und bis heute immer noch eine Art Ersatz. Denn Bob hatte immer mal wieder von einem Album mit Kinderliedern gesprochen. Schließlich gibt es das von anderen Ikonen der amerikanischen Musik wie Woody Guthrie, Pete Seeger und Johnny Cash durchaus. Doch immerhin hat uns Dylan vor einigen Jahren ein Weihnachtsalbum beschert. Auch hier wieder mit dem Ergebnis, durchaus auch Spott zu ernten. Doch Bob bleibt Bob und macht immer sein Ding.

Wie vor 30 Jahren mit den Songs für Gabrielle auf „Under The Red Sky“.

Bob Dylan: „Unbelievable“

„Don’t believe in Vodoo, pray to God“

24. April 2020

Bob Dylan und die afrikanische Tradition von Black America

Vor einigen Jahren sah ich Oliver Hardts bemerkenswerten Film “The United States Of Hoodoo”. Er spürt den Wurzeln der afro-amerikanischen Kultur in der afrikanischen und karibischen Voodoo-Religion nach. Dies kam mir nun wieder in den Sinn, als ich mich mit dem Thema „Bob Dylan und Black America“ auseinandersetzte.

Damals schrieb hier ich anlässlich des Films: „Es sind andere Songs, die kleinste Hoodoo-Spuren in sich tragen. Jokerman beispielsweise, dessen mystische Sprache Bezüge aufweist, dessen Protagonist – der unbeschwerte, leichtfüßige Jokerman, Gauner, Trickster – Züge von Papa Legba [Anm. Geist oder Heiligerin der afrikanischen und karibischen Religion des Voodoo] trägt. Ein Song, der entstanden ist, als Dylan sich einige Zeit immer wieder mal in der Karibik aufhielt, weil er auf den Bahamas eine Yacht hatte. Und Dylan wäre nicht Dylan, wenn er nicht Stimmung und Vorstellungswelt der Menschen dieser Gegend aufgesogen hätte wie ein Schwamm.“

Und tatsächlich führte ich noch Songs wie Blind Willie McTell, das Album „Oh Mercy“ und den Song „New Pony“ von Street Legal (1978) auf. In Letzterem wird sogar ausdrücklich „Vodoo“ erwähnt. Ich zitiere nochmals aus meinem damaligen Beitrag:
„Oder in „New Pony“ vom Album „Street Legal“, der von Charlie Pattons und Son House’ „Pony Blues” beeinflusst ist. Zwei der Bluessänger, die explizit damit in Verbindung gebracht worden sind, dass der Blues die Musik des Teufels ist. Warum soll er das sein? Weil der Blues sexuelle Themen präferiert und an das von vielen christianisierten Schwarzen verdrängte und verleugnete afrikanische Erbe fortführt.

Und was singt Dylan denn auch in diesem Song seines letzten „vorchristlichen“ Albums:
They say you’re usin’ voodoo, your feet walk by themselves
They say you’re usin’ voodoo, I seen your feet walk by themselves
Oh, baby, that god you been prayin’ to
Is gonna give ya back what you’re wishin’ on someone else“

Und in der Tat, im Blues lebt das alte afrikanische Erbe fort. Tony Atwood, der auf seinem wichtigen Dylan-Blog „Untold Dylan“ auch diesen Song besprochen hat, hat etwas verkürzt, so meine ich, für den Titel alleine „Sex und Blues, Blues und Sex. Total verschlungen“ als Fazit gezogen.

Aber warum Voodoo? Warum heißt das Pony Lucifer?

Natürlich geht es hier um Sex und Blues. Aber es geht auch um den Glauben an Vodoo und an den Glauben an den christlichen Gott. Und wenn Dylan hier singt, dass sein Baby Voodoo-Zauber benutzt, und er sagt ihr „es ist aber Gott zu dem Du gebetet hast und der gibt Dir zurück, was Du anderen gewünscht hast“, dann ist das auch eine Auseinandersetzung zwischen schwarzem christlichen und afrikanisch-karibischem Glauben.

Und so könnte man diesen Song auch als einen Vorgriff auf die drei christlichen Alben Dylans sehen. Wenn wir Street Legal als Übergangsalbum in einer schwierigen persönlichen Situation sehen, so zeichnet sich hier schon die neue Richtung ab.

Die Songs der von April bis Mai 1978 aufgenommenen Platte waren musikalisch von Gospel, Spiritual-Anklängen, von Soul und Blues geprägt. Kein Wunder arbeitete er doch schon seit Mitte Januar 1978 mit der schwarzen Background-Sängerin Helena Springs zusammen, hatte wohl auch eine Beziehung mit ihr, und schrieb mit ihr fast zwanzig Songs. Street Legal beendete die 1970er-Phase, die vom weißen Folk-Rock geprägt war. Bob Dylan setzte sich nun, so sagte es Mitmusiker Billy Cross dem Dylan-Biograph Clinton Heylin, ganz tief mit der schwarzen Kultur auseinander. Und er hatte unter seinen in den Jahren 1978 bis 1985 wechselnden Background-Sängerinnen auch immer wieder wechselnde Freundinnen mit denen er auch Lieder schrieb oder sang wie eben Helena Springs oder auch Clydie King. Das Video von Abraham, Martin and John, spricht Bände über seine Beziehung mit Clydie. Die Afro-Amerikanerin Mary Alice Artes, eine Freundin von Helena Springs, wurde auch eine gute Freundin von ihm, und wurde als „Queen Bee“ in den Liner Notes von Street Legal verewigt. Sie half ihm beim Übertritt zum christlichen Glauben.

Einem christlichen Glauben, der sich religiös in einer evangelikalen Kirche, kulturell aber in der Mischung aus Rock und schwarzem Gospel manifestierte. Es kann sehr gut sein, dass Dylan sich im Song „New Pony“ auch von den Empfindungen seiner damaligen schwarzen Freundinnen und deren Selbstfindung zwischen verdrängtem afrikanisch-karibischen Erbe, strenger kirchlicher Erziehung und dem ewigen Spannungsfeld zwischen Gospel, Soul und Blues, beeinflussen ließ.

Ein Spannungsfeld, durch das man nicht ohne Widersprüche kommt. Dylan predigte während seiner Born Again-Phase christlich-fundamentalistisch. Er spielte schwarzen Gospel-Rock. Sein damaliger privater Lebensentwurf schien aber sinnlichen und lebenszugewandten afrikanischen Traditionen näher zu stehen.
In dieser Phase lernte er dann Carolyn Dennis kennen, die seine Background-Sängerin bis Mitte der 1980er blieb und die er 1986 heiratete und mit der er die gemeinsame Tochter Desiree Gabrielle Dennis-Dylan hat.

Und Dylan blieb in den 1980ern der Black Community weiterhin zugewandt, 1985 nahm er mit Kurtis Blow zusammen einen Rap-Song auf. Doch das ist wieder eine andere Geschichte von „Bob Dylan und Black America“.

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (30)

22. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

alles hat einmal ein Ende!

Und da mir mein letzter Beitrag so gut gefallen hat, dass es kaum noch besser werden kann und zudem die Home Office-Zeit scheinbar bald zu der sich in aller Munde befindlichen „neuen Normalität“ gehören wird, werde ich mit dem heutigen letzten Beitrag mein Bickenbach, Texas Home Office Diary abschließen und zuklappen. Mit der Nummer 30 nach fast genau vier Wochen ist das, so denke ich, ein guter Zeitpunkt. Auf diesem Blog werde ich neue Beiträge künftig in der Regel mindestens jeden Freitag veröffentlichen, um eine für die Lesenden verlässliche Erscheinungsweise zu haben.

Also hinein in den letzten Beitrag. Also dreht sich heute alles einen Song, in denen um das Ende geht. Ein Song aus dem großen Ouvre des Meisters, der zu Recht etwas in Vergessenheit geraten ist. Auf dem ebenfalls zu Recht vergessenen Album „Down In The Groove“ von 1988 ist auch das Stück „Death Is Not Dead“ enthalten. Da „Down In The Groove“ ohnehin wie ein Flickenteppich der Resteverwertung daher kommt, wundert es einem auch nicht, dass dieser Song von den Infidels-Sessions 5 Jahre vorher liegen geblieben war.

Inhaltlich ist das natürlich wieder eine religiöse Aussage und ich bin mir da mit dem Dylanologen Tony Atwood völlig einig, dass es nicht zu den stärkeren poetischen Werken Dylans gehört. Es enthält zu viele abgedroschene Phrasen, Bilder und Formulierungen, die wir woanders in seinem Werk schon besser gehört haben. Was ich im Übrigen auch lange Zeit „Make You Feel My Love“ vorgeworfen habe, das ja mit dem Wort- und Bildreichtum des übrigen Werkes von „Time Out Of Mind“ in keiner Weise mithalten kann. Allerdings bin ich da auch schon wieder vom Live-Bob eines besseren belehrt worden. Denn seine atemberaubende Version von Stuttgart im letzten Jahr hat doch einiges an Atmosphäre zwischen vielleicht zu routiniert gesetzten Zeilen herausgeholt.

Aber vielleicht sind diese so sattsam bekannten Bilder und Formulierungen, die solche Songs für andere Künstler interessant machen. Schließlich haben Billy Joel, Garth Brooks und Adele „Make You Feel My Love“ gecovert. Und auch von „Death Is Not The End“ gibt es Coverversionen vom ohnehin stets morbiden Nick Cave, von Kylie Minogue und den Waterboys.

Und es gibt – ein Nachtrag zum Eintrag 28 – auch eine deutsche Version von den Kölschen „Black Föös“. „Ein Leben nach dem Tod“. Ein ziemlich dämlicher Stimmungsschlager. Aber ich bleibe dabei: „Gelobtes Land“ von Maffay ist viel schlimmer!

In diesem Sinne: Es gibt auch ein Leben nach dem Bickenbach, Texas Home Office Diary. Es war für mich eine interessante Erfahrung, jeden Tag an dieser Stelle irgendetwas Neues rund um Bob Dylan und Americana zu schreiben. Und tatsächlich fiel mir immer etwas Neues ein und was ich gehört habe, war das wohl durchaus auch ganz interessant für die Leute.

Also in diesem Sinne: Schaut immer freitagabends auf die Seite, da kommt was Neues. Zudem werden alle neuen Beiträge in der Regel auch über expectingrain.com, Facebook und meinen Newsletter beworben.

Also dann bis demnächst!

Best
Thomas


The Bickenbach, Texas Home Office Diary (29)

21. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

The old, weird America

Howdee Everone,

reden wir über das alte und das neue, gefährliche Amerika!

Mit dem Terminus „the old, weird America versuchte Popkritik-Papst Greil Marcus die Verbindung zu ziehen zwischen den Songs von Bob Dylan & The Band, die später die Basement Tapes genannt wurden, und der Anthologie Of American Folk Music von Harry Smith von 1952.

Die Anthology, das sind uralte Folksongs von obskuren alten Sängern über eine obskure alte Welt. Ein Amerika der düsteren Folk-Songs, der Shanties, der Hillbillies, der Minstrel-Shows, der Gunfighter, der Bürgerkriegssoldaten, der fliehenden Sklaven, das Amerika von Rassismus und Gewalt, Liebe, Mord und Totschlag. Die Aufnahmen stammen von 1926 bis 1933. Die Songs selber sind viel älter und in mehrfacher Hinsicht zeitlos.

Ja, die Anthology wurde zum Kult bei der jungen Folk-Bewegung Anfang der 1960er. Doch während diese Folk-Bewegung oftmals nur an der Oberfläche kratzte, weil ihre Protagonisten entweder einen zu cleanen weißen Mittelstandshintergrund hatten bzw. man das Folk-Idiom hauptsächlich – zu einer natürlich gerechtfertigten – politischen Protestmusik nutzte, gingen Dylan & The Band im 1967 im Keller von Big Pink viel weiter.

Während draußen die weiße Mittelstandsjugend den „Summer of Love“ verlebte, der nur kurze Zeit wirklich einen Gegenentwurf zum durchkapitalisierten Amerika darstellte, ehe sich in die emanzipatorische Bewegung mit Scott McKenzie und Woodstock eine kräftige Prise Kommerz mischte, gingen Dylan und die Jungs dahin, wo’s weh tut.

Die dunkle Seele Amerikas
Eben nicht zu den wohlfeilen Wahrheiten, sondern in die dunklen und grauen Bereiche der amerikanischen Seele. Dylan war vom Motorrad gefallen und nutzte das, um dem von seinem Manager Albert Grossman veranstalteten Rattenrennen zu entfliehen. Er war nun erneut ein anderer als vorher. Er war nun ein Familienvater. Aber die Bilder von der Familienidylle mit der hübschen Sara und den süßen Kindern waren nur die eine Seite des Dylan’schen Wirken dieser Zeit.

Die andere Seite gehörte der Suche nach dem „alten, gefährlichen Amerika“ mit The Band im Keller von Big Pink. Seine enormen Kenntnisse des Folk fanden zusammen mit der „Street Credibility“ der Band, die zu diesem Zeitpunkt schon 10 Jahre auf den Bühnen, in den Kaschemmen, den Clubs und Spelunken gespielt hatten. Sie kannten die dunkle Seite des amerikanischen Traums aus eigener Erfahrung wo es Dylan nur mit Instinkt, Verständnis und Empathie versuchen konnte. Aber dass er dies konnte, zeigt auch hier nochmal seine Ausnahmestellung.

Sie spielten alte Country, Folk, Blues- und Gospelstandards und ganz viel wirklich obskures und fragewürdiges Zug. Und Dylan schrie Songs und am Ende wusste keiner mehr, sind dies alte oder neue Songs. Dylans Songs dieser Zeit stammten nicht nur aus dem Keller. Nein, er holte sie noch viel tiefer hervor. Die Grundlage für Americana war gelegt, die losen Enden Jahre wurden Jahre zu Wurzeln aus denen auch das dunkle Alternative Country spross.

Dylan hat diese dunklen, grauen Stimmungen dieser amerikanischen Musik seitdem immer wieder in seiner Musik zum Ausdruck gebracht. Wir denken an den „Man In The Long Black Coat“ auf „Oh Mercy“ von 1989 oder die Alben und Songs seines Spätwerks. Ob Long And Wasted Years oder Scarlett Town – sie sind könnten, nein sie sind uralte Songs, weil durch den Sänger Bob Dylan die uralten Folk-, Blues- und Minstrelsänger singen.

Dallas: Aus diesem Haus heraus wurden die tödlichen Schüsse auf John F. Kennedy abgegeben.

Dylan sagt uns, was Amerika im 21. Jahrhundert verloren hat
Mit seinen beiden neu veröffentlichten Songs „Murder Most Foul“ und „I Contain Multitudes“ setzt Dylan nun im Jahr 2020 die Schnittstelle an, die zwischen dem alten, gefährlichen Amerika und dem neuen gefährlichen Amerika liegt. Er vertraut seiner Collage- und Zitate-Technik und schildert Kultur und Politik des amerikanischen 20. Jahrhunderts, die auch ein Gesamtkunstwerk wie Dylan selbst schufen. Gerade weil dieses Amerika der Welt so zugewandt war – was auch negative Folgen für die Welt mit sich brachte, weil sich die Außenpolitik überwiegend weniger demokratischen Werten, denn geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen verpflichtet fühlte – schienen die dunklen Dämonen der Nation im Inneren – Rassismus, Profitgier, Gewalt – gezähmt werden zu können. Von Roosevelts New Deal über die Bürgerrechtsbewegung und die Great Society schien sich in Amerika etwas zum positiven verändern zu können.“

Doch erst der Mord an John F. Kennedy – „Murder Most Foul“! – und die Morde an Bobby Kennedy und Martin Luther King nahmen der positiven progressiven Entwicklung die Spitze. Es folgte Stagnation bis der militärisch-industrielle Komplex und die Wirtschaftsschule der „Chicago Boys“ den Roll Back und schließlich den Siegeszug des Neoliberalismus einleiteten.

Fortan war dieser angebliche uramerikanische Egoismus – es gibt ja auch die andere Seite des nachbarschaftlichen Kümmerns und der Solidarität – wieder voll da. Die Evangelikalen Schaumschläger und Menschenfeinde individualisierten wieder die sozialen Unterschiede. „Wer wirtschaftlichen Erfolg hat, der liebt Gott besonders und der auch ihn. Wer arm ist, der ist selber schuld. Und wer arm und schwarz ist, der liegt uns guten, weißen und erfolgreichen Christen nur auf der Tasche. Und wir wollen keine Almosen für schwarze Faulenzer bezahlen. Wir brauchen keine staatliche Sozialsysteme und keine Gesundheitsversicherung für alle, weil wir freie, fleißige amerikanische Christenmenschen sind, die von ihrer Arbeit leben wollen und können!“ Das war das rassistisch-kapitalistische Evangelium des Ronald Reagan.

Und so wuchsen die Armut und die Gewalt. Und weil private Firmen in den USA an Gefängnissen verdienen können und struktureller Rassismus die Gesellschaft und die Justiz beherrscht, ist der Anteil der Schwarzen an den Gefängnisinsassen so überproportional groß.

Das neue, gefährliche Amerika
Trotz Clinton und Obama-Care: An der Herrschaft des Neoliberalismus rüttelten die Demokraten nicht. Und als die Bankenkrise im Sinne der Wall Street und nicht der Menschen gelöst wurde, da vermischten sich die soziale Verzweiflung der ärmeren und abstiegsbedrohten Weißen mit der Anti-Haltung gegen das Establishment der Küstenstreifen, gegen die Bundesregierung und gegen den schwarzen Präsidenten. Mit der „Tea Party“ war die Keimzelle für den späteren Erfolg von Trump und seinem weltabgewandten „America First“ auf die politische Bühne getreten.

2020 ist Amerika bedroht. Von der Corona-Krise, ab er vor allem auch von seinem Präsidenten, der sich auf gewaltbereite Anhänger stützt, deren Grenzen zu den White Supremacy-Leuten fließend sind.

Das ist das neue, gefährliche Amerika. Bob Dylan singt darüber, was Amerika verloren hat im 21. Jahrhundert. Das was kommen wird müssen wir zwischen den Zeilen lesen.

Die dunklen Folksongs genauso wie die politischen Protestsongs über einen wahnwitzigen Präsidenten aber und die bevorstehende Gewaltausbrüche müssen andere singen. Singt sie laut!

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (28)

20. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

heute beschäftigen wir uns mal mit Mr. Zimmermann auf Deutsch!

Vor zwei Jahren durfte ich mit Norbert Saßmannshausen und Ilja Kamphues eine schöne Sendung bei Radio X in Frankfurt zum Thema „Dylan auf Deutsch“ machen. Da habe ich gerade dieser Tage dran denken müssen. Ein schönes Thema, um es hier nochmal ein bisschen zu beleuchten.

1960er
Wir gehen einfach mal die Jahrzehnte durch. Den Anfang von Dylan auf Deutsch machten Marlene Dietrich mit „Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind“ sowie Christopher & Michael. Während die erstere weiterhin Legendenstatus hat, sind die beiden anderen leider mittlerweile vergessen. Die beiden Frankfurter Liedermacher Christopher und Michael haben auch Dylan-Songs auf Deutsch gesungen. Aber das war alles noch voller Pathetik, noch waren Blues, Beatpoesie und die entsprechend lässige Haltung in Deutschland nicht richtig angekommen.

1970er
Zwei Songs gehören hier unbedingt genannt, weil sie nämlich zeigen, wie gut Dylan funktioniert, wenn man ihn frisch und ohne falschen Respekt auf sein eigenes Umfeld, Milieu und Idiom überträgt. Sowohl der Wiener Wolfgang Ambros (Allan Wia Stan), als auch die hessische Bernies Autobahn Band (Wenn es Nacht ist in der Stadt) haben hier bahnbrechendes geleistet. Und lässiger Folk-Blues und treibender Rock sind endlich im deutschsprachigen Raum angekommen.

1980er
Eine echte „Zeitgeist-Perle“ ist Paolas Version von „Mr. Tambourine Man“. Elf Jahre nach Woodstock erinnert die Sängerin in einer Schlagerversion des Songs die jetzt im bundesrepublikanischen Hier und Jetzt angekommene Protest- und Hippie-Generation an ihre wilde Zeit. Doch die tragen jetzt Sakko zum Turnschuh und sind Lehrer oder werden bald Minister sein. Ende des Jahrzehnts ist es schließlich Georg Ringsgwandl, der wieder das oben gesagte bestätigt, und auf bayerisch mit „Nix Mitnehma“ eine Version von „Gotta Serve Somebody“ einspielt, die dem so fatalistisch-autoritätsgläubigen Original in seiner Subversivität deutlich überlegen ist.

1990er
Es war die Lichterkettenzeit, als nach den Morden von Mölln und Solingen, sich diese Bewegung sich etwas zu gutmeinend und staatstragend verhielt, während die Asylgesetze verschärft wurden. Der leider viel zu früh verstorbene ebenso geniale wie gnadenlose Satiriker (und Bob Dylan-Freund!) Wiglaf Droste schrieb zu seiner Version „Musse Feife Inne Wind“ im „Neuen Deutschland“: „…abgesehen von diesen und diversen schon zuvor geäußerten Einwänden gegen auf links gestrickten Kitsch, Gratishumanismus und Gesinnungshuberei in Form von Lichterketten oder welchem sonstigen Gewürge auch immer, ist es mir unbegreiflich, warum, wenn man schon dergleichen veranstaltet, dann nicht auch die lagerfeuertaugliche und kerzenkompatible Hymne aller Tugutheinis dieser Welt ertönt, die Internationale der Fortschrittlichkeitsflachpfeiferei, Blowin‘ in the Wind von Bob Dylan, allerdings passend in der von Herrn Gerhard Henschel, Frau Kathrin Passig und mir besorgten Übersetzung ins Pidgindeutsche…“

2000er
Wieder kam gutes in Sachen „Dylan auf Deusch“ aus Hessen. Denn mitten aus dem „echten“ Frankfurt, im Gallus kamen die DoubleDylans. Mit ihrem Album „RettichRetter“ im Jahr 2007 leisteten sie etwas bislang nie dagewesenes: Sie überführten die Dylan’schen Songmotive in einen Gemüsekosmos und damit auf eine Stufe des höheren, doppelbödigen Blödsinns, die bis heute nicht wieder erreicht wurde.

2010- heute
Ich mag diesen Beitrag heute mal schräg enden lassen. Denn was rauskommt, wenn ein deutscher Rocksänger – (ich meine ja ein Rock-Schlagersänger) sich an dem wieder erstarkten Interesse an Dylan dranhängen will, aber einfach nicht von seinem eingefahrenen deutschen Stadion-Rock mit verschwurbelten Texten runterkommt, ist Peter Maffays „Gelobtes Land“, das überall mit beschwörender Stimme als Coverversion von Dylans „Girl From The North Country“ bezeichnet wurde. Von wegen: Es ist eine penetrante Pseudo-Springsteen-Mucke mit Maffays bekannten ziel- und sinnlosen Bildern zwischen Rock-Bombast und Religions-Brimborium. Für mich ein musikalisches Verbrechen und das mieseste deutsche „Dylan-Cover“ aller Zeiten. Noch schlechter als Mike Krügers „Nackig an der Himmelstür“ und „Komm’ doch rei, komm’ doch rinn“ von Malepartus. Denn dieser Mist von Maffay nimmt sich auch noch ernst.

Aber was soll’s: Eh isch misch uffreesch, is mers egal. Und nein, das ist nicht Bob Dylan auf hessisch…

Unten könnt Ihr die Radiosendung nachhören und für die ganz Harten habe ich auch den Maffay im Angebot!

Bis Morgen!
Best
Thomas

22. Mai 2018: Denknomaden im Radio X

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (27)

19. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

heute halte ich die Sonntagsruhe ein!

Und beschäftige mich dem Sonntag im Countrysong. Marty Stuart hat vor ein paar Jahren mal ein schönes Doppel-Album mit dem Titel „Saturday Night & Sunday Morning“ veröffentlicht und zum Ausdruck gebracht, um was sich Countrymusik im Großen und Ganzen dreht. Am Samstagabend wird einer harten Arbeitswoche so richtig abgefeiert, am Sonntag ist man dann ganz fromm in der Kirche.
Mit den hier ausgewählten Songs lässt sich anhand dieser Themenstellung eine Rückwärtsbewegung in der Countrymusik feststellen.

Der Titel „I’m S-A-V-E-D“ von den Georgia Yellow Hammers aus dem Jahre 1927 ist eines der witzigsten Old Time Stücke, die ich kenne. Denn hier wird der Sonntagsgottesdienst zum Anlass genommen, sich über Bigotterie und Doppelmoral lustig zu machen. Hier ein Auszug:

„I know a man; I think his name is B-R-O-W-N
He’ll talk for pro’bition but vote for R-U-M
He’ll help to mix the poison in his neighbor’s C-U-P
But yet he’s got the nerve to say, I’m S-A-V-E-D

I’m S-A-V-E-D, I am, I’m S-A-V-E-D (I am)
I know I am, I’m sure I am, I’m S-A-V-E-D“

In den kommenden Jahrzehnten verlor die Countrymusik ihre Derbheit und ihren bösen Witz. In den frühen 1960er Jahren war die Country-Welt heil und fromm. Bill Monroe singt mit „I’ll Meet You In Church in Sunday Morning“ ein braves Bluesgrass-Gospelstück der Stanley Brothers.

Erst Ende der 1960er war es Kris Kristofferson, der in „Sunday Morning Coming Down“ die Wahrheit aussprach „Wer am Samstagabend gesoffen hat, dem ist es Sonntagmorgen schlecht. Da ist an Kirchgang natürlich nicht zu denken.

Wieder ein paar Jahrzehnte später sind die bösen Outlaw-Gedanken ins Americana-Genre verzogen und Miranda Lambert zaubert einen idyllisch schönen Sonntag im Süden zwischen Limonade und Kirchgang hervor.

Ach so, auch unser Freund Bob Dylan hat einen Song mit Sunday im Titel. Passenderweise ist es ein Songfragment aus den Blonde On Blonde Sessions von dem man nicht einmal erahnen kann, warum es „Medicine Sunday“ heißt. In Zeiten von Corona mit Abstandsregeln beim Parkbesuch sowie Desinfektion und Händewaschen regelmäßig aber absolut passend. Da ist jeder Sonntag „Medicine Sunday“.

In diesem Sinne bis Morgen
Best
Thomas

The Georgia Yellow Hammers – I’m S-A-V-E-D

Bill Monroe – I’ll Meet You In Church Sunday Morning

Kris Kristofferson – Sunday Morning Coming Down

Miranda Lambert – Just Another Sunday In The South

Bob Dylan – Medicine Sunday

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (26)

18. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

armes Amerika!

Jetzt hat er sein Vehikel gefunden, um ganz unverblümt dem Bürgerkrieg das Wort zu reden. „Befreit Minnesota!“,“Befreit Michigan!“, „Befreit Virginia!“ Selbst der ungebildete Trump weiß, welche Geister er hier herauf beschwört und an welches amerikanische Trauma er hier anknüpft. Die Trump-Jünger und Alt-Right-Aktivisten warten inmitten ihrer Waffenarsenale schon lange auf den günstigen Augenblick zum Losschlagen und führen eine neue Sezession im Schilde.

Bob Dylan kennt seinen Bürgerkrieg ganz genau. Seiner „Biographie“, den „Chronicles“ zufolge hat er Monate lang in der Bibliothek auf Mikrofilmen die Zeitungen der Jahrgänge 1855 bis 1865 studiert. Er hat die Sklaverei einmal als immerwährende Wunde der amerikanischen Nation bezeichnet, hat aber auch in seinen Studien festgestellt, dass es in dieser Auseinandersetzung auch um verschiedene Wirtschaftssysteme, Wertvorstellungen und kulturelle Normen geht, die immer mehr auseinanderstreben. Dylan ist Zeit seines Lebens in seiner Musik auf diesen Krieg und seine Umstände zurückgekommen. Von „John Brown“ über den jungen Soldaten, der als Krüppel nach Hause kommt, über „Blind Willie McTell“ als Gemälde des tiefen Südens bis zu „Cross‘ The Green Mountain“, den Song, der aus den Briefen der Soldaten erzählt.

Dylan webt den traumatischen Konflikt hinein in seinen Patchwork-Quilt seines Amerikas. Er weiß, dass er ungelöst ist. Die Sklaverei und Rassismus findet ihre Fortsetzung in den Köpfen, Strukturen und Machtverhältnissen bis heute. Das Land ist heute zudem gespalten nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen den Küstenstreifen in West und Ost und dem vielen Land dazwischen. Und gerade diese Menschen haben die Demokraten seit Bill Clinton vergessen. Die arbeitenden Menschen, die dem Strukturwandel des Rust Belt, der Perspektivlosigkeit in den Appalachen oder den ökologischen Katastrophen am Golf von Mexiko zum Opfer gefallen sind, wurden mit ihren Problemen alleine gelassen.

Dylan, der gerne dem linksliberalen Lager zugeordnet wird, obwohl er sich doch stets nie zu einer Gruppe gehören wollte, hat von „Masters Of War“ bis „Murder Most Foul“ stets den militärisch-industriellen Komplex und seine Macht als Ursache vieler Fehlentwicklungen gesehen. Er hat mit „Only A Pawn In Their Game“ auf die herrschaftssichernde Funktion des Rassismus der armen Weißen aufmerksam gemacht, bei Live Aid den Überlebenskampf der US-Farmer gegen die Banken erwähnt und mit Workingman’s Blues #2 den Niedergang der amerikanischen Arbeiterklasse in den Zeiten der Globalisierung beschrieben. Er hat für Bill Clinton bei dessen Inauguration gespielt. Bei der von Obamas war er nicht mehr zugegen. Die beiden Demokraten hätten seinen Liedern nur richtig zuhören müssen, da hätten sie ahnen können, was da kommt.

„Murder Most Foul“ ist nicht nur die Schilderung eines historischen Vorganges und „I Contain Multitudes“ ist mehr als ein weiteres Selbstporträt des Künstlers. Sie sind auch Zeugnisse für das heutige Amerika. Allein durch die Präsentation eines Präsidenten wie Kennedy und der Vielfalt der amerikanischen Populärkultur bei „Murder“ sowie der expliziten Darstellung, dass der amerikanische Künstler ein Ergebnis der Vielfalt und der Widersprüche des Landes sind, ist eine klatschende Ohrfeige für alle Anhänger des Othering, für alle angelsächsischen White Supremacy-Fans und Alt-Right-Schergen.
Den Namen des Präsidenten, der gerade dem Bürgerkrieg das Wort redet, muss Dylan gar nicht nennen, dass er diese Songs jetzt zu diesem Zeitpunkt, in dem einer bedrohlichen Krankheit vom US-Präsidenten mit Hohlheit, Eitelkeit, Spaltung und Aufwiegelei begegnet wird und damit die Katastrophe immer größer macht, sagt genug.

Bob Dylan – Only A Pawn In Thei Game

Bob Dylan – John Brown

Bob Dylan – Workingman’s Blues #2

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (25)

17. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

today: Anne Frank meets Indiana Jones!

Dylans neuer Song ist ein Selbstporträt des Dichters als Summe vieler Stimmen und Persönlichkeiten – vielfältig und wiedersprüchlich.

Wow! Wieder fährt man morgens den Computer hoch, scannt mit einem Auge als erstes im Netz die Dylan-Seite expectingrain.com und was passiert? Schon wieder hat der alte Kerl über Nacht einen neuen Song veröffentlicht! „I Contain Multitudes“ heißt das neue Werk.

Das Ding ist mit diesmal knapp viereinhalb Minuten deutlich kürzer als „Murder Most Foul“, aber kein bisschen weniger textlich anspruchsvoll. Dylans Song ist eine Art Selbstporträt. Der Dichter als lebender Widerspruch. Das ist er ganz persönlich, aber auch als Projektionsfläche der Hoffnung mehr als einer US-Generation. Denn wie viele Stimmen, wie viele Persönlichkeiten, wie viele künstlerische Ansätze hat er verfolgt, nur um sie gleich wieder einzureißen und neue zu beginnen. Und das nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig.

Dabei hat sich Dylan des Titels diesmal beim großen amerikanischen Dichterfürsten Walt Whitman bedient. Bei dessen Poem „Songs of Myself, 51“:

Do I contradict myself?
Very well then I contradict myself,
(I am large, I contain multitudes.)

Vielfalt
Dieser Whitman empfand sich von sich, er bestünde aus vielen Teilen, er sei vielfältig. Und damit meinte Whitman auch wie später auch Woody Guthrie oder die Beatniks – die allesamt Dylan prägten – sagen, dass sein Amerika ein vielfältiges Amerika sei. This Land Is Your Land This Land Is My Land“, sang Woody. Vielfältig landschaftlich wie ethnisch, religiös wie politisch. Vielfältig, aber auch so widersprüchlich. Der Süden hat Sklaverei und Rassismus ebenso hervorgebracht wie Blues, Country und Jazz. Zu den USA gehören demokratischer Pluralismus und Gewaltenteilung ebenso wie menschenfeindlicher Radikal-Kapitalismus. Zusammenhalt in den Communities ebenso wie Einzelkämpfertum und Egoismus.

Gegensatzpaare
Nicht diese, aber andere Gegensatzpaare, spielen eine große Rolle in dem Song. Anne Frank und Indiana Jones in einen Vers zu bringen, ist genial. Im Netz suchen sie nach verbindendem zwischen den beiden. Aber ist denn der Gegensatz nicht der, der zählt? Dass man konträre Eigenschaften hat und trotzdem Teil eines Ganzen ist? Anne Frank, das jüdische Mädchen, das sich vor den Nazis in Amsterdam verstecken musste, und ihnen zum Opfer fiel und Indiana Jones, der Abenteurer, der sich immer wieder Kämpfe mit den Nazis lieferte, aber stets die Oberhand behielt. Dylan bietet uns noch weitere Gegensatzpaare an, nennt uns aber auch weitere Vorbilder, die quasi prägend sind: William Blake oder Edgar Allan Poe.

Kollektivwesen
In seiner Radio Show webte Dylan über mehrere Jahre an einem idealtypischen musikalischen Gewand für Amerika. Die USA sind so vielfältig, das Gewand konnte nur ein Patchwork-Quilt werden. Dylan greift hier bei „I Contain Multidudes“ das Motiv der vielen Persönlichkeiten, der vielen Stimme nochmals auf und reklamiert dieses Prinzip für seine Person. Er als amerikanischer Poet kann gar nicht anders als vielstimmig sein. Aus seinem Kopf, aus seinem Mund spricht quasi das amerikanische Kollektivwesen. Heinrich Detering hat einmal diesen Vergleich zu Goethe gezogen, der sein Werk als Werk eines Kollektivwesens verstand, das nur zufällig Goethe hieß.

Amerikanisches Gesamtkunstwerk
Bob Dylan ist längst ein amerikanisches idealtypisches Gesamtkunstwerk. Er vereinigt in sich Folk, Blues, Country, Gospel, Soul. Woody Guthrie und Sinatra. Johnny Cash und Sam Cooke.

Schlaumeier könnten jetzt sagen, das klingt jetzt aber doch ganz schön nach Finale und Vermächtnis. Der erste Song über das amerikanische Trauma im amerikanischen Jahrhundert, der zweite ein Selbstporträt orientiert an einem amerikanischen Dichterfürsten. Doch Dylan – der uns schon seit vielen Jahren auf der Bühne vorspielt, er sei ein alter gebrechlicher Mann und sich auch bewusst eine verbrauchte Stimme gab und der im Kurpark gut zu Fuß unterwegs war und heutzutage so gut singt, wie seit 35 Jahren nicht mehr und der mit dem Rücken zum Publikum mit der Band scherzt, aber den Zuschauern gegenüber keine Miene verzieht – der kann uns jetzt auch ganz einfach nochmal seine Stilmittel und sein Selbstverständnis erklären, um dann wieder ganz anders weiter zu machen.

Bob Dylan nutzt die Zeit, die durch Corona still steht, um unseren Blick auf Amerika – sein Amerika ist ein anderes, als das von Trump – und auf sich selbst zu schärfen. Was weiter passiert, hängt auch davon ab, wie es auf der Welt weitergeht.

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (24)

16. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

heute beschäftigen wir uns einmal mit Dylans Film „Masked & Anonymous“.

Wir haben ja Zeit. Also haben wir uns „Masked and Anonymous“ nochmal angeschaut. Natürlich war der Film ein Flop an den Kinokassen und bei den Kritikern. Denn als Film ist er böse missglückt. Und auch bei der erneuten Ansicht wird er nicht besser. Die Kulissen wirken unecht, so entsteht keinesfalls die Magie, aus der für eine Spielfilmlänge aus Fiktion Wirklichkeit wird. Im Filmformat wirken die Dialoge seltsam überladen, da raschelt das Papier. Und der hochkarätige Cast stolpert ohne wirkliche Bindung zum Stoff, zu den Figuren, zum Konzept, durch die Kulissen.

Auch Dylans Rolling Thunder-Epos „Renaldo & Clara“ war schon nicht so einfach zugänglich. Aber er lohnt sich, weil die Erzählidee trägt, die Figuren einem interessieren, der Film Witz hat, und die Musik gut ist. Bei „Masked & Anonymous“ so wissen wir von Heinrich Detering – gibt es ein Skript, das anders ist als der Film, das stimmig ist und ein Mysterienspiel, ein Theaterstück vorgibt. Doch das Problem, so Detering, ist, dass man einen Film daraus gemacht habe.

Für den Film habe man zudem etliche Szenen gestrichen, die die Handlung einleuchtender gemacht hätten. Wenn also die literarische Vorlage gar nicht zur umgesetzten Gattung passt, wenn der Film in seiner Plausibilität durch Drehbuchkürzungen leidet, wenn genauso naturalistisch wie psychologisierend geschauspielert wird, und nicht episch und maskenhaft typisierend wie es dem Stück angemessen wäre – man sieht dies doch schon an den sprechenden Namen: Jack Fate, Tom Friend! – wenn die Schauspieler sich wie beim Method Acting-Kurs benehmen und nicht geführt werden und sowohl Kamera als auch Kulisse auf dürftigem Niveau sind, dann kann das nur krachend schief gehen.

Wer jetzt daran Schuld ist, ein überforderter Regisseur oder ein nicht genug um seine Vorstellung kämpfenden Ideengeber Dylan ist letztlich nicht zu klären. Aber klar ist eins: Da ist dem Shakespeare-Liebhaber Dylan, der Filmliebhaber Dylan in die Quere gekommen. Das Stück hätte besser ins Globe Theatre oder eine Freilichtbühne gepasst, doch als Film in den Lagerhallen-Kulissen ergeht es dem Projekt als filmischer Nachfolger eines Albums noch schlimmer als Renaldo & Clara, das Desire folgte.

Doch Dylans stolpernde Präsenz und die Minimalmimik seiner Schauspielerfigur, die wie eine Mischung aus Buster Keaton und Charlie Chaplin daherkommt, einigen wenigen gelungenen Szenen sowie die auch hier gute Musik – unten zu hören – lassen den Film für Dylan-Fans zu einem „den musst Du gesehen haben“ werden.

Aber einmal, zweimal gesehen haben reicht eigentlich auch für den Film. Wenn man verstehen will, was Dylan vorhatte, und in welcher Beziehung sein Stück zu „Love And Theft“ steht – nämlich als Weiterführung und Weiterentwicklung seiner beim 2001er Album gefundenen neuen Form der Songpoesie – dann sollte man das Skript gelesen haben. Oder zumindest Heinrich Deterings Abhandlung in Kapitel 5 seines großartigen Buches „Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele“.

Film-Trailer:

Cold Irons Bound:

Drifters Escape:

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (23)

15. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Sláinte everyone,

heute geht’s nach Irland!

Ja, die amerikanische Folkmusik ist geprägt auch von der Musik der irischen Einwanderer. Auch Bob Dylan wurde natürlich von irischen Quellen und Wurzeln gespeist und beeinflusst.

Also bei Dylan und irischer Folkmusik fallen einem natürlich sofort die Clancy Brothers ein, frühe Freunde und Weggefährten Dylans Anfang der 1960 in Greenwich Village im New York. Dylan war begeistert von ihrer Musik und Liam Clancy und Dylan waren gut befreundet. Dylan soll ihn als „the best ballad singer I’d ever heard in my life“ genannt haben.

Die Clancy Brothers erfanden die irische Folkmusik quasi neu, indem sie die oftmals langsamen und schwermütigen Balladen ein hohes Tempo, starke Rhythmik und kraftvollen Gesang und Pub-Atmosphäre gaben. Sie weckten in den USA wieder das Interesse an irischer Folkmusik und befeuerten auch in Irland selbst eine Folk-Renaissance. Ohne Clancy Brothers keine Dubliners und keine Chieftains.

Dylan hat wahrscheinlich von ihnen in den frühen Jahren in Greenwich Village den Song Eileen Aroon erlernt. In seinen frühen Jahren hatte er immer wieder mal irische Songs aufgenommen, doch nie welche in öffentlichen Konzerten gespielt. Eileen Aroon aber spielte er dann fast 30 Jahre später elfmal 1988 und 1989 in Konzerten. Darunter auch in Dublin. Bei dem Konzert war auch Liam Clancy anwesend. Laut Sean Wilentz beklagte sich Dylan später bei Clancy, das noch nicht einmal in Irland jemand diese Songs noch kenne.

Bei dem engen Verhältnis ist es kein Wunder, dass die Clancy Brothers 1992 bei Dylans 30-jährigem Plattenjubiläum im Madison Square Garden auftraten und eine rauschende Irish Folkversion von „When The Ship Comes In“ anstimmten.

Ein weiterer (nord-)irischer Freund von Dylan ist der mindestens ebenso mysteriöse Van Morrison. Von beiden zusammen gibt es ein schönes Video, in dem die beiden Brüder im Geiste Vans „Irish Rover“ zum Besten geben. Ja die irischen Sagen und Mythen sowie die Geschichte der irischen Einwanderer nach Amerika haben beide beeinflusst und ein spätes Echo mag auch die irische Melodielinie sein, die Dylan dem sagenhaften Tempest von 2012 unterlegt hat. Auch hier waren viele irische Auswanderer in der dritten Klasse an Bord, die aber nicht das gelobte Land, sondern den Tod fanden.

Und noch eine Anekdote am Rande. Mitte der 1980er Jahre sahen wir zweimal den schottisch-irischen Folkmusiker Tony Ireland, der einen lustigen Spottsong von Eric Bogle sang, in dem der sich beklagt, dass immer wieder Bob Dylan-Songs von ihm gewünscht würden.

Soweit für heute, morgen geht’s um Bob Dylans „Masked & Anonymous“ und was uns dieser Film heute zu sagen hat.

Best
Thomas

Bob Dylan – Eileen Aroon

The Clancy Brothers feat. Tommy Makem: When The Ship Comes In

Van & Bob: One Irish Rover

Eric Bogle: Do You Sing Any Dylan