Archive for August 2010

Sterne schauen

20. August 2010

Warum manche aufgehen und andere nie strahlen

Nachdem wir im letzten Herbst die „Felice Brothers“ gesehen hatten, schrieb ich begeistert über „neue Sterne am Musikhimmel“. Da ich mittlerweile dem einen oder anderen dieses Prädikat nicht verliehen habe und anderen, von denen gleich die Rede sein wird, schon, wollte ich hier erstmal kurz über Begründungskategorien sprechen.

Folk/Rock/Blues/Country ist idealerweise Musik, die spontan und nicht kalkuliert von Menschen für Menschen produziert wird. Sie hat ihre Wurzeln in ruralen Ausdrucksformen des ländlichen weißen und schwarzen Amerika und entstand in ihren Urformen in den 20er bis 50er Jahren. Ihre Elemente lassen sich zurückverfolgen bis zu den Volksliedern der weißen Einwanderer und schwarzen Sklaven aus Afrika. Roots/Americana wie ich es mag, lässt den Hörer diese Wurzeln spüren, indem es stets an eine bessere Welt glaubt, aber auch bis zum äußersten die Tragik und Brutalität des wirklichen Lebens nicht ausspart.

Es geht hier aber nicht um Authenzität. Kein Bluesrocker ist schon dadurch ein besser Musiker als beispielsweise Bob Dylan, nur weil er seit Jahrzehnten immer nur für wenig Geld durch die Clubs tingelt und nicht per Jet um die Welt fliegt und in den großen Konzerthallen auf „Never-Ending-Tour“ ist. Es geht um die Seele und das Verständnis. Das hat wenig mit der Anzahl der Gitarrengriffe und der Fingerfertigkeit oder der Klarheit der Stimme, sondern mit dem Verständnis für die Seele der Musik zu tun. Und daher ist Bob Dylan einer der größten Musiker aller Zeiten geworden und beispielsweise Suzanne Vega immer nur eine artifizielle Kaffeehaus-Folk-Tante geblieben. Auch wenn sie schöne Lieder singt.

Wichtig ist eben auch die Bandbreite der Gefühle. Immer nur Dur oder immer nur Moll, immer nur nachdenklich oder immer nur Spaßkapelle geht am Leben vorbei. Und daher sind die von mir beobachteten „The Low Anthem“ nicht in die Sterneliste aufgenommen worden. Immer nur slow, immer nur moll, dazu völlig verkopft, ähnlich wie die zu früh zu hochgejubelten Crash Test Dummies vor ein paar Jahren.

Namentlich nah, doch musikalisch Lichtjahre entfernt sind „The Gaslight Anthem“. Ein Beweis, dass strenge Folk-Geometrie weiter von der Seele des Americana entfernt ist, als Indie-Rock. Die „Gaslights“ begannen als Indie-Punkrocker und kombinieren dies nun gekonnt mit Mainstream-Einsprengseln. Ihre Platte „American Slang“ besticht durch die lässig hingeworfenen Pretiosen. Dabei hat diese Gruppe noch Luft nach oben. Eine der neuen Hoffnungen des American Rock. Nicht mehr und nicht weniger. Am 11. November spielen sie in Frankfurt am Main. Wir sind dabei.

Nur wenige Tage später (14. November) wird Frankfurt durch einen Neo-Folkie gerockt, der es in sich hat. Wer das 3.456ste gefühlige Gitarrenmädchen für den Starbucks-Soundtrack nicht mehr ertragen kann – deren Urahnin ist ja niemand anderes als die Altersunweise Joni Mitchell, so manche musikalische Größen entpuppen sich in späten Jahren eben als Scheinriesen – dem sei „The Tallest Man On Earth“ empfohlen. Wie hieß es in der Konzertankündigung: Er stellt ein „Rockstar-Role-Model“ dar. Und deswegen ist der so oft überstrapazierte Dylan-Vergleich hier so passend. Seine Musik, sein Gesang sind expressiv, nicht depressiv. Sein harter Gitarrenanschlag schreit nach Elektrifizierung, seine Songs sind Kunstwerke, gerade weil sie nicht Kunst sein wollen, geschweige denn gekünstelt sind.

Wir sehen uns im Herbst auch diesen neuen Stern an. Was davor kommt – das Eintauchen in die Musiktraditionen an ihren Geburtsstätten – das wird in den nächsten Wochen hier Thema sein.

My Heart is in the Heartland

18. August 2010

John Mellencamp und Joey Goebel – Brüder im Geiste

Große amerikanische Autoren der Gegenwart heißen Ford, Auster oder DeLillo. Sie schreiben Psychogramme über Anwälte, Banker, Hochschullehrer oder PR-Agenten in New York, den Metropolen des Nordens oder den Universitätsstädten der Neu-Englandstaaten. Mich langweilen diese Autoren. Die Ostküstenelite betreibt Nabelschau und versteht die Welt und ihr Amerika nicht mehr. Und so sehr ich New York liebe – es ist leider nicht typisch für die USA.

Auch die beiden anderen popkulturell bedeutenden Landstriche, der Süden und die Westküste sind nicht typisch für die USA. Reden wir lieber vom „Heartland“. Diese Staaten – Nebraska, Indiana, Iowa oder Kansas gehören dazu – sind geprägt von Weizenfeldern, die bis zum Horizont reichen. Hier im ländlichen Raum ist man besonders konservativ, patriotisch, anti-intellektuell und religiös. Wer von hier stammt und einen kritischen Kopf besitzt, will eigentlich schnell weg. Der Musiker John Mellencamp und der Musiker und Schriftsteller Jerry Goebel sind aufgebrochen und doch geblieben. Sie sind kritische Köpfe und lieben die Menschen ihres Landes. Bei aller Verzweiflung über deren Hinterwäldlertum.

Mellencamp begann Ende der 70er als John Cougar und später John Cougar Mellencamp. Einer, den ich eigentlich immer hinter Springsteen oder Petty in die hintere Reihe der Mainstream-Rocker eingeordnet habe. Hatte ein paar veritable Hits, war sogar bei Dylans 30. Plattenjubiläum dabei. Dann erwischte ihn ein Herzinfarkt, der nicht nur physisch dazu führte, dass er das Arbeiter-Stadion-Rockertum sein ließ. Die Zeit, in der auf Eis lag, diente ihm dazu, über sich und die Welt nachzudenken. Eine soziale Ader und ein aufgeklärtes Amerikaner-sein war bie ihm immer schon angelegt. So gründete er 1985 – inspiriert durch Bob Dylans Aussagen bei „Live Aid“ – zusammen mit Willie Nelson „Farm Aid“ für die verarmten Farmer des Mittelwestens. Mellencamp ging musikalisch und inhaltlich zurück zu den amerikanischen Ursprüngen. Kritisierte offen Fehlentwicklungen wie George W. Bush und bekam dafür von konservativen Radiostationen Sendeverbot. Doch sein Land liebt er ungebrochen. Ebenso engagierte wie fast schon naive Hymnen wie „Small Town“ oder „Our Country“ zeugen davon. Seine neue Platte „No Better Than This“ ist eine faszinierende Zeitreise in eine bessere Welt und zu seiner Jugend.  Hin zu den musikalischen Wurzeln der amerikanischen Populärmusik in Blues, Folk und Country.

Joey Goebel ist ein junger Schriftsteller aus Henderson, Kentucky und früher Sänger einer Punkrockband. Mit seinem Roman „Heartland“ zeichnet er ein beängstigend realistisches Bild des amerikanischen Hinterlands. Fernab der weltoffenen Küstenstriche, der liberalen Großstädte wie New York, Chicago, Los Angeles oder San Francisco hat sich ein bigotter christlich-kapitalistischer Fundamentalismus entwickelt, vor dem einen Grausen lässt. Goebels entlarvende Schilderung der manipulativen Umtriebe der Unternehmerfamilie Mapother ist beste Aufklärungsliteratur. Und das völlig ohne den missionarischen Holzhammer-Zeigefinger des antikapitalistischen Trash-Popstars Michael Moore.

Goebel liebt seine Figuren, liefert sie nicht aus, findet Erklärungen für die Entwicklung des fehlgeleiteten Sohnes, der Politikerhoffnung John, ohne dessen fragwürdiges Vorgehen zu entschuldigen. Goebels Roman, indem für eine kurze Zeit die Menschen ihre Interpretation des amerikanischen Glücksstrebens in der basisdemokratischen Kommune sehen, erinnert phasenweise an Frank Capras sozialromantische Filme der 30er und 40er Jahre. Und Blue Gene Mapother könnte ein George Bailey des 21. Jahrhunderts sein. Nur ist das Thema von Goebel viel böser auf den trashigen Zustand der heutigen amerikanischen Unterschicht übertragen worden. Anders als bei Capra gewinnt am Ende nicht das Gute. Dazu haben sich die kollektiven Niederlagen der amerikanischen Utopien von McCarthy, Vietnam-Krieg und der Ermordung der Kennedys und von Martin Luther-King bis hin zu den Schrecken der Bushs, den Irak-Kriegen und dem Clinton-Clan zu sehr eingebrannt. Das Ende bleibt unbestimmt.

Doch die Hoffnung bleibt. Denn beide – Mellencamp und Goebel – bezeugen mit ihrer Kunst immer wieder: Auch wenn die Realität schrecklich ist: das Land und seine Menschen haben einen guten Kern.

Platte: John Mellencamp – “No Better Than This” (Universal).
Buch: Joey Gobel – “Heartland” (Diogenes).