Archive for November 2020

Notizen zu „New Morning“

27. November 2020

Das vor etwas mehr als 50 Jahren erschienene Album gehört zu den unterschätztesten Dylan-Werken

New Morning, Bildrechte: Columbia Records

Ein Album bleibt einem auch oftmals im Gedächtnis, weil seine Lieder über die Jahre ein Eigenleben entwickelt haben. Und über das Album, das scheinbar gar keinen so großen Stellenwert hat, hinauswachsen. So wie das von der Kritik als solide Rückkehr zu alter Form gewertete , aber nicht wirklich begeistert aufgenommene „New Morning“. Die Songs wachsen, weil man sie immer wieder und unter ganz anderen Umständen trifft. So wie einige Songs dieses Albums, das am 19. Oktober 1970, also vor etwas mehr als 50 Jahren veröffentlicht wurde.

Dylan, der progressive Traditionalist
Bob Dylan war da noch keine 30 Jahre alt und schien doch Lichtjahre entfernt von dem spirreligen Avantgarde-Folk-Rocker der Mittsechziger Jahre. Bob Dylan lebte gerade seine Inkarnation als treusorgender verheirateter Familienvater. Eine Phase, die bereits Mitte der 1970er wieder vorbei sein sollte, als er sich wieder ins Getümmel des Greenwich-Village warf.

Die politische Linke, die ihn zur Leitfigur erkoren hatte, hatte am frühsiebziger Dylan ganz schön daran kauen. Während es überall im Land zu politischen Auseinandersetzungen kam, oftmals militant, saß der Barde in Woodstock und nahm erst ein fragwürdiges „Self Portrait“ auf und dann dieses Album „New Morning“, das von Liebe, Natur, Schicksal, Verantwortung, Selbstverständnis und Gott handelte.

Dylan erkundete hier die Sphäre des Landlebens voll aus. Mit den Basement Tapes-Aufnahmen hatte er mit The Band das Americana erfunden, in dem er die verschiedenen amerikanischen populären Musikgenres Folk, Country, Gospel, Soul und Rock’n’Roll miteinander verband. Mit „Nashville Skyline“ eignete sich das musikalische Idiom des konservativen Südens an. Dylan hatte keine Lust mehr auf Avantgarde. Er entpuppte sich hier als, das, was er bis heute geblieben ist: Ein progressiver Traditionalist.

Denn seine Geschichten, seine Lyrik, die Schlüsse, die er zieht, sind keineswegs im konservativen Amerika verhaftet. Da ist er geprägt durch die Beatniks, durch Guthrie, durch Steinbeck. Seine musikalischen Ausdrucksformen sind jedoch in den traditionellen musikalischen und kulturellen populären Formen der einfachen, arbeitenden Leute verhaftet. Er ist in einer Bergarbeiterstadt in den Zeiten des New Deal groß geworden, er hat die Hillbilly Music – egal ob sie von Hank Williams, Woody Guthrie oder Chuck Berry stammt – für sich adaptiert. Und daher konnte er recht wenig mit Psychedelischer Musik, Avantgarde-Rock á la Frank Zappa oder der Hippie-Bewegung anfangen. Nun hat er hat ganz klassisch amerikanisch einen Job zu erledigen, und der heißt Familienvater. Und ebenso typisch amerikanisch zieht er weiter, wenn er meint, ihn erledigt zu haben. Dann nimmt er wieder einen anderen Job an: Den des „Entfant Terrible“ im Village-Boheme.

Die zentralen Songs und was aus ihnen wurde
Doch zurück zu „New Morning“. Das Album ist also die musikalische Bearbeitung dessen, was ihn zu der Zeit als Familienvater beschäftigt. Verantwortung für andere übernehmen: Sorgen, pflegen, erziehen, lehren und Stütze sein. Und wie er das ausspielt. Wie bei The Man In Me: „The man in me will do nearly any task/ And as for compensation, there’s little he would ask/ Take a woman like you/ To get through to the man in me.“ Dylan wäre nicht Dylan, würde da auch nicht ein Funken Ironie oder Distanz mitschwingen.

Das haben auch die Coen-Brüder auf dem Plan gehabt, indem sie Dylans-Hymne“ des männlichen Beschützers und Ernährers ausgerechnet als Filmmelodie für „The Big Lebowski“ nutzten. Die Parodie eines faulen, hedonistischen, verantwortungslosen Alt-Hippie. Der aber plötzlich inmitten eines absurden, irrwitzigen Kriminalfalls gar nicht daran vorbeikommt, Verantwortung zu zeigen, und sich um andere zu kümmern.

Dylan spielte den Songs erstmals live auf der 1978er Welt-Tour, dann wieder in seiner Never-Ending-Tour mit bescheidener Regelmäßigkeit. Hier hörte ich dann auch erstmals live 1993 in Wiesbaden, als die Songs sich durch lange Instrumentalpassagen auszeichneten.

If Not For You ist eng mit George Harrison verbunden, mit ihm spielte Dylan die erste, nicht auf „New Morning“ veröffentlichte Version ein. Harrison nahm seine Version des Songs auf seine erfolgreiche Scheibe „All Things Must Pass“. Zusammen spielten sie den Song im Soundcheck zum „Concert For Bangladesh“ und Harrison trug den Song dann auch bei Dylans 30-jährigem Plattenjubiläum 1992 im Madison Square Garden vor. Dylan selbst spielte den Song erstmals 1992 (!) live und immer wieder bis 2004. Seitdem nicht mehr. Eine schöne Version veröffentlichte auch Olivia Newton-John auf ihrem gleichnamigem Solo-Debütalbum 1971.

If Not For You ist eine bedingungslose Liebeserklärung in den schönsten Worten. Ohne den anderen geht es gar nicht. Ob das aber wirklich für seine Frau Sara oder aber für ein höheres Wesen, das er verehrt, geschrieben ist, kann durchaus als ambivalent bezeichnet werden. Es wäre damit einigen Songs aus seiner Born Again-Periode und seinem Alterswerk „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ vergleichbar.

Bildrechte: Polydor

Vielschichtig ist auch Went To See The Gipsy. Die einen meinen, es handele von einem Treffen mit Elvis, während dies selbst vor ein paar Jahren verneint hat. Er hätte Elvis nie getroffen. Und ich glaube auch, dass auch hier das Abklopfen eines Dylans-Songs auf einen einzigen, konkreten, wahren Kern nicht funktioniert. Dylan ist der Meister der vielen Geschichten in einer. Des Perspektivwechsels und der Ambivalenz. Der Gypsy steht hier eher für Stardom und Gurus, die Anfang der 1970er schwer angesagt waren. Die Beatles gingen zum Maharashi, andere zu lokalen Gurus in die Landkommune. Ich sehe den Song daher in seiner Skepsis gegenüber den Gurus ganz nah an „Quinn, The Eskimo“ (Basement Tapes) und den erst durch Another Self Portrait bekannt gewordenen Song „Working On A Guru“. Dylan setzte sich in seinem abgeschiedenen Refugium scheinbar ganz mit diesen durchaus fragwürdigen Begleiterscheinungen der Pop-Kultur auseinander. Wohl wissend, dass er selber unfreiwillig für viele solch ein Guru darstellte. In seinen „Chronicles“ hat er sehr drastisch geschildert, wie seine selbsternannten Jünger seinen Vorgarten zertrampelten. Dylan hat den Song noch nie live gespielt.

If Dogs Run Free ist 1970 einer der bis dato ungewöhnlichsten Dylan-Songs überhaupt. Denn Dylan adaptiert hier Jazz-Elemente. Wie der Titel schon andeutet geht es hier das große Unbeschwerte. Man genießt Natur, Luft und Bewegung. Es hat etwas ganz lazy-haftes entspanntes und spielerisches. In der Originalversion singt Dylan auch ganz lässig und wird begleitet von Maeretha Stewart, die um Dylan-herum Scat-Gesang improvisiert. Eines der interessantesten Stücke auf der Platte. Dylan hat den Song live erstmals am 1. Oktober 2000 in Münster gespielt, das letzte Mal am 4. November 2000 in Metz, in Frankreich.

New Morning, der Titelsong, kommt an siebter Stelle. Eigentlich ein ziemlich leichtgewichtiges Liedchen, wieder wird hier der Landidylle gefrönt. Kann aber auch immer als Metapher für eine neue Schaffensphase interpretiert werden, wobei Dylan bereits seit 1966/67 in dieser ländlichen Schaffensphase ist, die erst so richtig mit 1974er Comeback-Tour endet. Es ging eher um den Ausdruck einer neuen Schaffenskraft nach dem lauen „Self-Portrait“.

Mit der Auslegung des Songtitels spielt dann Dylan selber, als er auf den Konzerten rund um seinen 50. Geburtstag 1991 sein Programm stets mit „New Morning“ beginnt. Und zwar mit einem ewig andauernden instrumentalen Einstieg, als die Band scheinbar endlos gezwungen ist, das Grundmotiv immer und immer wieder zu wiederholen, bevor der Meister endlich ans Mikro findet. Stets wirkt Dylan, wie ich es im Juni 1991 in Offenbach erlebe konnte, anfangs derangiert, bevor er richtig ins Konzert und in starke Form fand. Er spielte es bis 1992, hatte es dann wieder 2005 und 2006 im Programm. Danach nie mehr. Ich hatte das Glück, das selten gespielte Stück zudem 2005 in Wetzlar und 2006 in Gelsenkirchen zu hören. Und da weitaus strukturierter und klarer als in Offenbach.

Three Angels ist dann wieder so eine Art religiöse Parabel. Eine typische geschäftige Großstadt-Szene – der Gegensatz zum ansonsten auf diesem Album propagierten Landleben – mit unterschiedlichen Menschen, Zeichen des Konsums, Bilder einer Stadt, die niemals schläft und daher wohl auch nicht die Engel sieht und hört, die mitten in ihr unterwegs sind. Möglicherweise hat Dylan-Freund Wim Wenders sich hier auch zu seinem Film „Der Himmel über Berlin“ inspirieren lassen. Wieder ein ganz ungewöhnlicher Song. Dylan hat den Song, dessen Text vor einer immer wiederkehrenden Melodiefolge rezitiert anstatt gesungen wird, niemals live aufgeführt.

Den Abschluss bildet dann wieder ein Song mit religiösen Bezügen. Father of Night ist im Grunde ein gesungenes Gebet und seine Interpretation des zentralen jüdischen Gebets „Amidah“. Also eine ganz klare öffentliche Verortung im Judentum. Auch diesen Song hat Dylan nie live aufgeführt. Manfred Mann, der schon aus „Quinn The Eskimo“ den Hit „Mighty Quinn“ gemacht hat, hat ihn dann als „Father of Day, Father of Night“ in sein Repertoire aufgenommen.

Bildrechte: Bronze Records

Conclusio
Mögen einen die Themen des Albums vielleicht nicht so recht begeistern – die sind überwiegend eher harmlos und harmonisch – so muss man die Umsetzung einfach loben. Es ist nicht sein stärkstes Album, aber es zeigt alle seine Stärken auf: Eingängige Melodien, tolle Lyrics, gute Arrangements und eine überzeugende Performance schaffen ein Album, dessen Güte man 1970 nur so halb erkennen wollte und man in den 1980ern aber wahrscheinlich bejubelt hätte.

Dylan experimentiert mit Jazz und Gospel-Rezitation und musikalischem Gebet, dazwischen ein paar Ohrwürmer und genug Rätsel, um alle Dylanologen zu beschäftigen. Für mich ein Album, das ich erst spät aber dafür umso mehr schätzen gelernt habe.

Gaslight Rag – Die Folkclubs von Greenwich Village in den 60er Jahren

20. November 2020

von Richard Limbert

              Bildrechte: Wikimedia Commons

Die Künstler von Greenwich Village, „the Coney Island of the Soul“
Als ein junger Bob Dylan 1960 die Folk-Szene von Greenwich Village in New York betrat, war er mit weitaus mehr bewaffnet als nur Gitarre und Mundharmonika-Halter: Dylan hatte einen Heißhunger auf die Bühne, andere Musiker und neue Inspiration. Glücklicherweise lief Dylan geradewegs in eine seit kurzem erblühende Landschaft aus Musikern, Netzwerken und Auftrittsmöglichkeiten hinein. Ein guter Start für den jungen Bob Zimmermann, der sich erst seit kurzem „Dylan“ nannte. Dieser fruchtbare Boden lieferte perfekte Startbedingungen für nach Aufmerksamkeit und Bewegung lechzende Folkmusiker, wie Simon & Garfunkel, Phil Ochs und eben Bob Dylan. Hier gab es als junger Musiker alles was man brauchte: Zusammenkunft, Austausch, Musik und vor allem: ein Publikum. Besonders Greenwich Village war schon seit einigen Jahren als die Künstlerhochburg New Yorks bekannt. Der Schriftsteller Maxwell Bodenheim, der als König der Bohème von Greenwich Village galt, betitelte das Viertel schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als „Coney Island of the Soul“. Die Jazz- und Beat-Szene war hier schon seit den 50er Jahren sehr aktiv. Doch sprossen im Village ab den 50ern auch die Stätten für Folk Music wie Pilze aus dem Boden.

Die Anfänge der Folk-Auftrittsorte wie Bars und Cafés haben sich erst nach und nach gezeigt. Nachdem durch Musiker wie Pete Seeger und dem Kingston Trio in den 50er schon die ersten kommerziellen Folk Hits in die US-Charts stiegen, stieg auch die Zahl der Folkmusiker im Künstlerviertel an. Anfangs herrschte eine recht zwiegespaltene Atmosphäre aus gegenseitiger Hilfe, dem Verschaffen von Gigs und knallharter Konkurrenz. Klar ist, dass die Zahl der Folkmusiker im Greenwich Village ab den 50er Jahren rasant anstieg. Von nur einem Coffeehouse im Village in den 50er Jahren, stieg die Zahl der Folk Coffeehouses bis in die 60er Jahre auf 20 bis 25 an.

Erste Schritte des kommerziellen Folk: Das Café Bizarre
Das erste Coffeehouse, das als Ort für Folkmusik geplant war, war das Café Bizarre, das 1957 öffnete. Das Café Bizarre war jedoch eher ein touristisch geprägtes Café, in dem die junge Beat-Kultur und Hipster-Bewegung im alternativen Greenwich Village förmlich zur Schau gestellt wurde. An den Decken hingen Plastikspinnweben und die Mitarbeiter waren als Monster verkleidet. Ein seriöser Ort für Folkmusiker war das also definitiv nicht. Dave van Ronk, eine leitende Figur der Szene, beschreibt das Interieur und die Atmosphäre im Café Bizarre in seiner Semi-Biographie so:

Café Bizarre, Bildrechte: Musitron

„Was Konzept und Aufmachung betraf, war der Laden die reinste Touristenfalle, der den Besucher ein Greenwich Village verkaufte, das es so nie gegeben hat, höchstens in dem Film ‚Meine Braut ist

übersinnlich‘. Das Ambiente erinnerte an die Addams Family: düster, mit Kerzenlicht, und überall hingen künstliche Spinnweben. Die Kellnerinnen verkleideten sich als Morticia, mit Netzstrümpfen, langen, glatten Haaren und so viel Mascara, dass sie wie Waschbären aussahen. Ich schwöre, einmal habe ich dort sogar einen armen Clown im Frankenstein-Kostüm herumspazieren

sehen.“

Doch für Touristen war das Café Bizarre ein Ort, an dem sich die Beatnik Kultur bestaunen lassen ließ. In den Augen der meisten Touristen waren Beatniks und Folkmusiker der neuen, jungen Generation außergewöhnlich. Sie konsumierten Drogen, hatten ihre eigenen, für Touristen

unverständliche, Kunstformen und ihre eigene Subkultur. Kurzum: Sie waren Freaks für den normalen US-Touristen vom Lande der sich in seinem Urlaub New York ansehen wollte. Der Brückenschlag zur mystischen Horror-Symbolik lag damit für die Gründer des Café Bizarre

auf der Hand. Elijah Wald, Musikhistoriker, Musiker und Schüler von Dave van Ronk, beschrieb die touristische Nutzung des Café Bizarre im Interview mit mir wie folgt:

„There were literally tour buses going to New York with tourists. You’d go see a Broadway show and you’d go see the Statue of Liberty and you’d go to Greenwich Village and see the freaks. And that was a huge part of the audience.“

Hier traten auch die experimentellen Acts der Szene auf. Andy Wahrol traf hier zum ersten Mal auf the Velvet Underground, die er später protegieren sollte. Doch schnell zog der Erfolg der Folk Konzerte im Café Bizarre neue Gründungen von Folk-Auftrittsorten nach sich.

Die schummrige Kultstätte: Das Gaslight Café
Gleich auf der MacDougal Street neben dem Campus der New Yorker Universität – quasi im Herzen von Greenwich Village – wurde 1958 das Gaslight Café gegründet und erlangte schnell Kultstatus. Im Gaslight traten durchaus bereits bekannte Folkmusiker auf und Tom Paxton beschreibt es als einen der zwei wichtigsten Orte für Folkmusiker im New York der 60er. Als Bob Dylan in New York ankam, fand sein erster Auftritt zwar im Café Wha? gleich auf der anderen Straßenseite statt, aber seine Augen hatte er schnell auf das Gaslight Café als bereits etablierten Folk-Schuppen geworfen. So sagte er 1961 über das Gaslight „It was the Club I wanted to play. I needed to.“ Eigentlich nur als verlotterter Lagerraum voller Heizungsrohre im Keller eines normalen Reihenhauses gekauft, wurde kurzerhand der lehmige Boden eigenhändig ausgeschaufelt und ein Coffeehouse aus dem Ort gemacht. Suze Rotolo, Bob Dylans damalige Freundin und Mitglied der Folk-Szene in Greenwich Village beschreibt es so: „The Gaslight was down a short flight of stairs from street level, in a basement with exposed pipes and a low ceiling.“ Das gemütliche aber auch verlotterte Interieur des Gaslight Cafes wurde von Dave van Ronk sogar in seinem Song Gaslight Rag kommentiert: „I had a dream that the Gaslight was clean/ And the rats were all scrubbed down./ The coffee was great and the waitresses straight,/ And Partick Sky left town.“

Washington Square Arch, Bildrechte: Wikimedia Commons

Anfangs war das Gaslight Cafe jedoch nicht für Folkmusiker, sondern für Beatniks konzipiert, die dort ihre Gedichtlesungen hielten. Nur 110 Plätze hatte das Gaslight Café, trotzdem wurde es schnell zum Hot Spot. Bob Dylan spielte hier oft und die Aufnahmen von einem seiner Gaslight-Auftritte im Jahr 1962 kamen später sogar als „The Gaslight Tapes“ heraus. Geklatscht wurde hier nicht. Die Lüftungsschächte der oben liegenden Wohnungen liefen direkt ins Gaslight, so dass nach Songs geschnippt wurde, um die Anwohner nicht zu stören. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass das Gaslight Café nur ein Café und eben keine Bar war. Im New York der 60er Jahre mussten Orte mit Alkoholausschank kurz nach Mitternacht schließen, so dass aus allen umliegenden Kneipen ab Mitternacht alle Folkmusiker ins Gaslight strömten um Folk Music zu machen und zu hören. Für den kleinen Durst zwischendurch war direkt neben dem Gaslight eine waschechte Bar. Das Kettle of Fish. Hier konnte man sich schnell auf ein Bierchen treffen bevor es zum Folk Gig in den Keller ins Gaslight ging. Dave van Ronk lief als inoffizieller Türsteher des Gaslight im Laufe des Abends also stetig zwischen Gaslight und Kettle of Fish hin und her. Seinen typischen Abend im New York der frühen 60er beschreibt er als:

„[Normalerweise] verbrachte ich diese Abende meist nebenan im Kettle of Fish. Die Atmosphäre war dort um einiges entspannter [als im Gaslight Café], und ich hing dort zusammen mit meinen Freunden ab, stolperte hin und wieder die Treppe hinunter und warf einen Blick ins Gaslight, um nachzuschauen, ob nicht irgendjemand vor die Tür gesetzt werden musste.“

1971 schloss das Gaslight Café. Die Nähe zwischen Bar und Coffeehouse machten es von Anfang an aber schnell um wahren Anlaufpunkt für alle Folkmusiker im Village. Die Szene konnte hier wirklich Szene sein und sich gegenseitig beschnuppern. Doch schnell bekamen auch die größeren Institutionen Wind vom Folk Boom und bauten sich ihre eigenen Paläste.

Folk goes mainstream: The Bitter End
Am 6. Juni 1961 öffnete ein neuer Club in town. Nur zwei Blöcke weiter vom Gaslight Café öffnete das Bitter End seine Pforten. Der Fernsehproduzent Fred Weintraub kaufte die Bar The Cock and  Bull an und machte daraus einen Laden, der den Folk aufpolieren sollte. Das Bitter End war zwar auch eine Bar in der man Billard spielen und die Welt vergessen konnte, doch war alles darauf ausgelegt ein neuer, hipper Auftrittsort zu werden. Im Gegensatz zum dunklen, verstaubten Gaslight Café, in dem man dicht gedrängt bei Kerzenschein zwischen den Rauschwaden einem Folkmusiker lauschte, war das Bitter End eine recht geräumige Bar mit trendy Backsteinmauer als Kulisse der groß angelegten Bühne. Den Eingang säumten Balustraden wie am Ritz-Carlton Hotel und für die Zuschauer wurden Kirchenbänke bereitgestellt. Im Gegensatz zur legeren Kluft, die man in der Folk-Szene im Village normalerweise bei Auftritten anlegte, spielten die Musiker hier grundsätzlich im Anzug. Alles war von Weintraub so konzipiert, dass ein größeres Publikum nun in den Genuss von Live Folk Music kommen sollte. Das Bitter End wurde zum Haupt-Auftrittsort für das Folk-Trio Peter, Paul & Mary, die das Album-Cover ihres Debütalbums vor der roten Backsteinwand des Bitter Ends schossen. Im Laufe der 60er und 70er wurde das Bitter End zu einem der bekanntesten Orte für Musiker in Greenwich Village. Damals wie auch heute traten hier nicht nur Folkmusiker, sondern Musiker aus diversen Genres auf. Von Stevie Wonder über Randy Newman zu Lady Gaga. Van Ronk beschreibt Peter, Paul & Mary Anfang der 60er, wie sie in einem noch neuen Club spielten „namens Bitter End, der so etwas wie New Yorks Mainstream-Folk Bühne werden sollte.“ Nachdem Bob Dylan nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit in den 70ern wieder seine Nächte in den Clubs von New York verbrachte, sah man ihn hier oft. Auch zur Vorbereitung seiner Rolling Thunder Revue gabelte er seine Tourmusiker meist hier auf und spielte auch gern nach einer Billard Partie spontan einen seiner neuen Songs für Desire vor der Backsteinmauer.

The Bitter End, Bildrechte: Wikimedia Commons

Bar, Park und Café: Folk-Räume und Freiräume
Folk Music war im New York der 60er Jahre praktisch überall. Bob Dylan fügte sich hier perfekt in die Szene ein und wurde quasi vom ersten Tag von den Musikergruppen adoptiert. Die Räume für diese Szene waren aber mehr als vielfältig. Diese drei Orte: Das Café Bizarre, das Gaslight Café und das Bitter End, sind nur eine kleine Auswahl an Orten, an denen man sich hier als Folk Musiker in den frühen 60ern präsentieren konnte. Hier zeigte sich die Entwicklung der Folk Musik in New York im Laufe der späten 50er in die 60er hinein: von Freak-Musik der hippen Beatniks über die Musik einer neuen Welle junger Studenten, die die Tiefgründigkeit in den alten Liedern und neuen Songwritern zu schätzen wissen zur Musik mit der man schnell die Charts stürmen konnte. Viele wichtige Orte, wie Gerde’s Folk City, das van Ronk als „erster wirklich echter Folkclub im Village“ bezeichnete oder das Café Wha?, in dem Dylan und Jimi Hendrix ihre ersten Auftritte in New York hatten, wurden hier dabei noch gar nicht genannt. Es gab für Folk Musiker im New York der frühen 60er Jahre eine immens große Auswahl zwischen Bars, Coffeehouses und anderen Clubs für seine Abendgestaltung. Die Musiker kannten sich untereinander, liefen sich mit Gitarrenkoffern in der Hand auf den Wegen zu Gigs gegenseitig entgegen und wenn man selbst gerade keinen Auftritt hatte, ging man an diesem Abend eben ins Gaslight und hörte Joni Mitchell oder Dave van Ronk zu, während man zwischendurch sein Bier im Kettle of Fish trank. Die Szene war absolut natürlich gewachsen und Orte für Musik bilden hier die schon vorhandenen engen Beziehungen zwischen den Musikern ab.

Ein großer Teil der Folk Music im Village fand auch schon vor den 60ern unter freiem Himmel statt. Wer in dieser Zeit über die MacDougall oder Bleecker Street ging, hörte oft an jeder Straßenecke einen Musiker spielen und am Washington Square Park unter dem großen Triumphbogen jammten mit Banjo, Gitarre und Kontrabass beinahe täglich Folkmusiker. Die Szene war im Village bereits vorhanden, die Folkclubs präsentierten sie nur. Und genau das war es, das der junge Bob Dylan nicht in Minnesota und nur in New York finden konnte.

Bob Dylan – Live At The Gaslight Cafè:

Dave van Ronk – Gaslight Rag:

Bob Dylans „Chimes Of Freedom“ – aktueller denn je!

13. November 2020

Der Songklassiker könnte auch programmatisch für das neue Amerika sein

Es werden schon Wünsche und Wetten geäußert, ob Bob Dylan bei der Inauguration von Joe Biden und Kamala Harris auftritt. Ich glaube nicht daran. Einmal – 1993 für Clinton – hat er bei einer Inauguration gespielt, sich aber ansonsten bemüht, der politischen Sphäre nicht zu nahe zu kommen.

1993 hat er in einer nicht so ganz überzeugenden Version „Chimes Of Freedom“ gespielt. Ein Song, der aber eigentlich prädestiniert ist als programmatischer Song für die Präsidentschaft Biden/Harris. Die „Chimes Of Freedom“ stehen natürlich in Bezug zur „Bell Of Liberty“, der „Freiheitsglocke“, die in Philadelphia den Unabhängigkeitskrieg einläutete. An dessen Ende stand das Land in dessen Verfassung zu lesen ist: „Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.“

Dylan läutet hier das Glockenspiel der Freiheit. In songpoetisch anspruchsvoller Art führt er die auf, für die das Glockenspiel läutet: Für die Flüchtlinge. Für die Rebellen, für die Glücklosen, die Misshandelten, die Außenseiter. Dylan führt hier alle die auf, für die Amerika nicht nur der Sehnsuchtsort sein sollte, sondern eine wirkliche, friedliche Heimstatt der Freiheit.

Man spürt schon bei der Aufzählung, dass diese bunte Truppe garantiert nicht die weißen, meist angelsächsischen Protestanten sind – manche sollen auch Vorfahren aus der Pfalz haben – die so gerne die USA für sich vereinnahmen. Für Dylan war Amerika schon immer das vielfältige, multiethnische Land, für das heute wieder gekämpft werden muss. Und für die die Demokraten mit Joe Biden (irischer Abstammung), Kamala Harris (indisch-jamaikanisch) oder Alexandria Occasio-Cortez (puerto-ricanisch) stehen.

Der Song stammt vom Album „Another Side Of Bob Dylan“. Dem Album mit dem er seinen Abschied von der politischen Folkbewegung dokumentierte. In der Textkonstruktion nähert er sich schon der surrealen Songpoesie der Mittsechziger Jahre an, inhaltlich ist die Aussage jedoch so eindeutig, dass er als politischer Protestsong verstanden werden kann. Der Song enthält eine klare, humane Botschaft.

Nicht umsonst wurde der Song 1998 für den Soundtrack einer Miniserie zu den 1960er Jahren ausgewählt – Dylan sang ihn mit Joan Osborne neu ein – und gab 2012 einem Album zu „50 Jahre Amnesty International“ den Titel, das 76 Coverversionen von Dylan-Songs enthält, eingespielt von prominenten Musikern wie  Adele, Patti Smith, Pete Townshend, The Gaslight Anthem, Sting, Jackson Browne, Elvis Costello und viele andere.

Bob Dylan spielte den Song 1964 zur Zeit seines Entstehens und dann erst wieder 1987, danach wieder jahrelang nicht. Die Darbietung in Washington 1993 blieb eine Ausnahme bis zum Jahr 2000. In den 200ern und 2010ern hat er es dann in bescheidener Regelmäßigkeit gespielt. Das letzte Mal stand „Chimes Of Freedom am 21. November 2012 auf einer Setlist von Bob Dylan.

Für mich ist und bleibt es eines seiner wichtigsten, zentralen Werke und einer meiner ewigen Dylan-Lieblingssongs.

Mit Joan Osborne 1998
Bei Clintons Inauguration 1993
Version von 2007
Version von 2012

Etappensieg

8. November 2020

Einfach zurück in die Zeit vor Trump wird nicht reichen, um die Spaltung der USA zu bekämpfen – Darmstädter Americana-Reihe bleibt dem anderen Amerika verbunden

Joe Biden, Copyright: Wikimedia Commons

Seit Frühjahr 2016, seit dem Auftritt von SONiA Disappear Fear während des US-Vorwahlkampfs hat sich die Darmstädter Americana-Reihe gegen Donald Trump positioniert. Erst recht mit dem großen Konzert „Love Songs For The Other America“ am Vorabend der Inauguration von Trump oder der Neuauflage kurz vor der jetzigen Wahl. Aber auch mit den weiteren Auftritten von SONiA oder den großen Tribute-Abenden für Woody Guthrie, Pete Seeger und Bob Dylan oder dem Konzert von Tim Grimm – die Americana-Reihe war und ist auf Seiten des „anderen Amerika“. D.h. wir haben uns nicht nur gegen Donald Trump positioniert, sondern auch gegen die strukturellen Ursachen, die zu seiner Präsidentschaft geführt haben.

Die Wahl Joe Bidens, so hat es Alexandria Occasio-Cortez sinngemäß gesagt, habe für das „Überleben“ der Demokratie in den USA gesorgt. Doch die enormen Widersprüche und die diversen Spaltungen im Land, die sich in den letzten Jahrzehnten in fast schon bizarrer Weise entwickelt haben, haben auch die Demokraten mit zu verantworten. Die Reagonomics, die vollständig mit der Tradition von „New Deal“ und „Great Society“ gebrochen hatten, wurden von den demokratischen Präsidentschaften nie grundsätzlich in Frage gestellt. Im Gegenteil. Clinton  – wie Blair und Schröder auch – erkannten den Neoliberalismus als bestimmende Kraft an. Und noch in der Finanzkrise machte Obama die Böcke aus der Wall Street zu seinen Gärtnern. All das hat auch zu einer Entfremdung der blauen Wählerschaft von ihrer Partei beigetragen. Die Demokraten waren hip an der West- und Ostküste, doch die Leute im Rust Belt, im Heartland, im Süden – die überließ man ihrem Schicksal.

In diese offene Flanke drang Trump 2016 ein und auch 2020 hat er hier weiterhin Stimmen bekommen. Sicher, einem Großteil der Trump-Anhänger geht es gut, die fühlten ihre Interessen und Privilegien sind bei Trump als „Geschäftsmann“ bestens aufgehoben. Es gibt aber auch welche, die sind schon im sozialen Abstieg begriffen oder haben Angst vor ihm, die haben Trump als denjenigen identifiziert, der ihnen helfen will. Natürlich will er das nicht. Diese Menschen, seine Anhänger, sind für ihn nur Verfügungsmasse, um Macht ausstrahlen zu können. Er gibt ihnen Hass, keine Hoffnung. Und pflanzt ihnen ein, wer alles schuld an ihrer Misere sei: Die Latinos, die Demokraten, die Medien, die Schwulen, die Antifa, die zickigen Frauen.

Der US-Kapitalismus und das politische System der letzten 40 Jahre haben Gewinne privatisiert, den Reichen Steuern geschenkt, Silicon Valley und Wall Street immer gieriger werden lassen und die Betroffenen des industriellen Strukturwandels im Regen stehen lassen. Mangelnde soziale Perspektiven, Bildungsarmut, Drogenseuchen, fundamentalistischer Glauben und Verschwörungserzählungen haben beträchtliche Teile des armen weißen Amerika zu willfährigen, instrumentalisierbaren Handlangern der rechtskonservativen, demokratiefeindlichen Kreise werden lassen.

Die Versöhnung, die jetzt vonnöten ist, muss konkrete Infrastrukturangebote – in grünen Technologien? – für die abgehängten Regionen beinhalten. Sie muss die Besserverdienenden und Konzerne an ihre Verantwortung erinnern, muss Konzernmacht einhegen und den öffentlichen Sektor wieder ausbauen. Es braucht einen Green New Deal. Und der muss gut kommuniziert werden. Die Aufgabe ist umso schwerer, da man in diesem Moment des Sieges nicht so recht weiß, wohin die Republikaner und Trump wirklich wollen.

Ein hartes Stück Arbeit liegt vor Joe Biden, Kamala Harris und den Demokraten. Und das können sie nur – und das sei der Parteiführung ins Stammbuch geschrieben – wenn sie geschlossen agieren und die Gründe für den Niedergang exakt analysieren. Amerika muss sich verändern, wenn es bleiben will. Schluss mit zentralen Lebenslügen und Anknüpfen an die positiven Traditionen des Landes – Franklin D. Roosevelts New Deal! – sind die Gebote der Stunde.

Ein Etappensieg ist erreicht. Trump ist abgewählt. Die Americana-Reihe wird weiterhin die Love Songs für das andere Amerika spielen. Amerika bleibt der Sehnsuchtsort, bleibt unser musikalisches Zuhause. Americana unsere Lieblingsmusik. In diesem Sinne wird es zu gegebener Zeit auch Neues zur Americana-Reihe geben.

Baby Let Me Follow You Down

6. November 2020

Bob Dylan, Dave van Ronk und die Folk-Szene in New Yorks Greenwich Village der frühen 60er Jahre.

Von Richard Limbert

Vorbemerkung: Ich freue mich, erstmals auf dem Cowboyband Blog einen Gastautor begrüßen zu können. Richard Limbert aus Leipzig ist Musikwissenschaftler, Popularmusikforscher, Journalist und Singer-Songwriter. Er hat sich ausführlich mit dem Folk-Netzwerk im New York der 1950er und 1960er Jahre beschäftigt und schreibt heute hier zum Thema Dylan und Dave van Ronk. Richard wird hier künftig immer wieder einmal publizieren. Viel Spaß bei seinem lesenswerten Artikel!
Herzliche Grüße, Thomas Waldherr

„The Folk-Process“.

Dave van Ronk, Copyright: Wikimedia Commons

Als geflügeltes Wort taucht diese Bezeichnung in den Quellen um Folk-Musiker des Folk-Revivals der 60er regelmäßig auf. Auch im Kontext von Bob Dylan. Durch den Musikwissenschaftler Charles Seeger (Pete Seegers Vater) geprägt, bezeichnet dieser Ausdruck das Aneignen, Verändern und Anreichern von überlieferten Musikstücken. Jedem Song wird so wirklich ein eigener Stempel aufgedrückt. In einer Gesellschaft vor Fernsehen und Radio ist es natürlich selbstverständlich, dass in meist nicht schriftgebundenen Musikkulturen, wie der Volksmusik Lieder mündlich weitergegeben wurden. Dabei wurde in der Wiedergabe nicht nur vieles vergessen oder falsch wiedergegeben, auch wurden Liedtexte auf moderne Sprechweisen und zeitgeschichtliche Umwälzungen zugeschnitten. Doch das Konzept setzte sich auch im 20. Jahrhundert in Folk-Musiker-Szenen umgewandelt durch: Im Gegensatz zu den beinahe industriell am Fließband hergestellten Tunes der Tin-Pan Alley gehörte es zum vollkommen normalen Selbstverständnis eines US-Folkmusikers Mitte des 20. Jahrhunderts, alte Folksongs oder auch die Songs seiner Kollegen die eigene Würze hinzuzufügen, Strophen hinzu zu schreiben und musikalisch abzuändern. Eine kulturelle Praxis, die nicht nur musikalische Querverbindungen schafft, sondern auch zwischenmenschliche. Besonders das durch Beat-Poeten, Hipster und Jazzmusiker geprägte Greenwich Village im Westen Manhattans wurde schon ab Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem wahren Herd für die neu-aufkommende, junge Folk-Musik und ließ den musikalischen Melting Pot brodeln. In dieses Netz aus Folkmusik und Folkmusikern tritt ab dem Winter 1960/1961 ein 19-jähriger Musiker aus Minnesota: Bob Dylan. Mit Gitarre, Cord-Mütze und Arbeiterhemd will er es im Big Apple auf die ganz große Bühne schaffen.

Greenwich Village und die Folk-Szene

Ich forsche seit 2016 an den Strukturen der Folk-Musik Szene New Yorks der 50er und 60er Jahre. Bob Dylan ist hier ein wiederkehrendes Motiv im New Yorker Geflecht aus Musikern, Autoren, Malern und Veranstaltern. Die Figur Dylan ist mittlerweile aus der Geschichte westlicher Populärmusik nicht mehr wegzudenken, jedoch zeigt uns die individuelle Biographie des Songwriters aus Minnesota auch, wie Szenen funktioniert haben und teilweise noch immer funktionieren. Aus welchen Backgrounds traten Dylan und Konsorten im New York der 60er Jahre hervor? Wo trafen sich die Künstler dieser Szene um sich auszutauschen? Welche Aktivitäten und gemeinsame Interessen verbanden diese Musiker? Diese Fragen werden in meinen Forschungen bearbeitet und in diesem Text angeschnitten. Die Szene in New York war groß: Phils Ochs, Len Chandler, Patrick Sky, Ramblin‘ Jack Elliott und Peter Stampfel sind nur einige Figuren, die die stark vernetzte Gruppe der Folk-Musiker im Village der 50er und 60er Jahre ausmachten. Wenn man die verrauchten Bars und Coffee Houses im Village der frühen 60er betrat, traf man sicher an jedem Abend mindestens eine dieser Figuren. Bei meiner Kartografierung der Folk-Szene von Greenwich Village in Verbindung zu Bob Dylan ist hier vorerst beispielhaft nur ein Musiker im Fokus: Dave van Ronk.

„The Mayor of MacDougal Street“

Dave van Ronk war in den 50ern und 60ern der inoffizielle Herrscher des Folk-Musiker Netzwerks von Greenwich Village. Mit krausem Löwenbart, hünenhafter Figur und schallendem Lachen thronte er über Straßen des Viertels. Gebürtig aus Brooklyn war er als Teenager bereits in der Jazz-Szene aktiv und fand schnell seinen Weg in die Folk-Clubs von Manhattan. Aus unsteten familiären Verhältnissen kommend quartierte er sich schnell aus der anderen Seite des East River ein und machte sich auf verschiedenen Ebenen einen Namen. Seine Körpergröße von knapp einem Meter neunzig, sein Gewicht von weit über einhundert Kilogramm, gekoppelt mit seiner väterlichen Art, seinem unnachahmlichen Humor und seinem enzyklopädischen Wissen brachte ihm im Village schnell eine große Anhängerschaft. Aus dem Jazz und seiner Kenntnis von US-amerikanischer Kulturgeschichte heraus entwickelte er ein Folk-Repertoire und kannte sich im Blues bestens aus. Seine lustigen und informativen Monologe zwischen seinen Songs und seine Konzerte in den Kellerbars New Yorks waren legendär. Er war außerdem als Rausschmeißer und Go-to-Figure in diversen Bars des Viertels bekannt. Sein Spitzname: „the Mayor von MacDougal Street“ (benannt nach der Hauptstraße im Village). In einem Interview im März 2016 mit seinem Schüler, dem Musikwissenschaftler und Co-Autor der Semi-Autobiografie van Ronks „The Mayor of MacDougal Street: A Memoir“, Elijah Wald, sagte dieser zu mir in Bezug auf van Ronks Präsenz in Greenwich Village:

„Dave was a giant. I mean, Dave was the biggest of that group of that generation. Dave was the biggest star in the Village and the biggest character. And just physically big, I mean he was six feet three inches tall and he weight two hundred-something pounds and he had this huge voice and he had this huge personality and he was the king of that world.“

Für Bob Dylan als Neuankömmling in Greenwich Village im Winter 1961 führte kein Weg an van Ronk vorbei. Und Dylan war sofort völlig vereinnahmt vom König von Greenwich Village. Er imitierte ihn stilistisch, lernte seine Songs, nahm sogar teilweise seinen Kleidungsstil an. In einem frühen Interview hört man Dylan sagen, dass es sein Traum wäre, einmal so bekannt zu werden wie Dave van Ronk. Und in seinem Chronicles Vol. I beschreibt Dylan selbst van Ronk folgendermaßen:

Bob Dylan Anfang der 1960er Jahre, Copyright: Wikimedia Commons

„In Greenwich Village, Van Ronk was king of the street, he reigned supreme. He came from the Land of giants.“

Und van Ronk nahm Dylan von vornherein gerne unter seine Fittiche. Er sah im jugendlichen, schmächtigen Neuankömmling eine Menge Potential, seitdem er ihn zum ersten Mal –  auf Hinweis eines Freundes hin – in einem Folkclub live spielen hörte. Dylan war anfangs im Village jedoch nur einer von vielen.

Hierzu weiß Terri Thal viel zu berichten. Terri Thal war im Village Managerin für diverse Folkmusiker und Kunst-Promoterin. Jedoch war sie auch bis 1968 die Ehefrau Dave van Ronks und vor Albert Grossman die Managerin Dylans. Im Gespräch mit ihr in New York erzählt sie mir, dass Dylan als junger und etwas schüchterner, aber extrem zielstrebiger Musiker aus dem ländlichen Minnesota in den Big Apple kam. Wie Ramblin‘ Jack Elliott und Phil Ochs kam auch Dylan als Asphalt-Cowboy aus einer US-amerikanischen jüdischen Middle-Class Familie, hatte die Cowboy- und Farmer-Musik der USA regelrecht gefressen und kannte sich auch mit den Schriften Brechts, Kerouacs und Rimbauds aus. Eine explosive Mischung, die im New York der Beat-Poeten und später weltweit zu einer musikalischen Revolution führen sollte. Aber noch war laut Terri Thal Dylan nur einer von vielen ländlichen, Middle-Class Jungs, die es in New York zum Durchbruch versuchten:

„He was desperate. He was just a little boy. He was this kid who came to new York. […] He was not – quote – Bob Dylan. He was another kid who was hanging ‚round the village like everybody else trying to get heard.“

Dylan: Mehr als „just a kid“

Doch gerade diese Sicht von außen brachte Dylan Vorteile. Während gebürtige New Yorker im gewohnten Umfeld täglich musikalisch Eulen nach Athen trugen und recht schnell mittelgroßen Anklang fanden, waren die kleinen, unbekannten Außenseiter vom Lande bereits durch Zielstrebigkeit und Starrsinn bis in die Metropole New York gekommen. Flexibilität haben sie damit also schon bewiesen und waren schnell bereit neue Modeströmungen aufzunehmen, ungewohnte künstlerische Mixturen zu schaffen und alte Denkmuster abzuwerfen.

Die Folk-Szene im New York der frühen 60er Jahre war jedoch weitaus mehr als nur eine Ansammlung einzelner Musiker und Auftrittsorte. Es gab viele Verbindungen zu Autoren (der Krimiautor Lawrence Block war gut mit van Ronk befreundet), gemeinsame außermusikalische Interessen, wie Science-Fiction Literatur und diverse andere Vereinigungen. Van Ronk war hier durchaus besser vernetzt als Dylan. Er war nicht nur schon viel länger im Viertel unterwegs, sondern schloss sich auch (im Gegensatz zu Dylan) schnell diversen politischen Vereinen an. Dave van Ronk war Mitglied mehrerer anarchistischer und kommunistischer Gruppen und politisch ein Fixpunkt. Terri Thal beschreibt ihn politisch als „some kind of leading figure“ in der Szene im Village. Van Ronk formte 1957 eine Gewerkschaft für Folkmusiker und war fest eingespannt in der Redaktion des New Yorker Folk-Magazins Caravan. Wie bereits gesagt: Dave van Ronk war zwar als „Mayor of MacDougal Street“ ein beispielloser Akteur im Village der 50er und 60er, trotzdem lebte die Szene vor allem vom persönlichen Miteinander und dem Vermischen gegenseitiger Repertoires und Angewohnheiten. Dylan spielt in seinem Debütalbumalbum „Baby Let Me Follow You Down“ ein und erzählt im Intro sogar, dass er den Song von Eric Von Schmidt gelernt hat. Bob Kaufman summt van Ronk in einer Kneipe die Melodie zu „Green Rocky Road“ vor und Lawrence Block schreibt einen Thriller, in dem er van Ronks Texte zum Schlüsselabschnitt in der Lösung eines Mordfalles vorkommen lässt. Dylan nimmt einige Titel seines Vorbilds van Ronk in sein Repertoire: He was a Friend of Mine, Poor Lazarus, House of the Rising Sun. Dave van Ronk nimmt „Baby Let Me Follow You Down“ unter dem Titel „Baby Let Me Lay It On You“ ebenfalls in sein Repertoire auf. Wenn noch Jahre später van Ronk „He was a Friend of Mine“ live spielte, leitete er den Song gerne mit dem Spruch ein: „A song I learned from Bob Dylan, who learned it from Eric Von Schmidt who learned it from me.“ Das musikalische und persönliche Miteinander war essentiell.

Van Ronk als Vorbild, Vaterfigur und Lehrer Bob Dylans

Copyright: Prestige/Fantasy Records

Doch auch in solchen prinzipiell gleichberechtigten Gesellschaften kann es einen König geben. Dave van Ronk ist hier als zwar gleichwertiges Mitglied und trotzdem stabilisierender Punkt der Szene zu sehen. Van Ronk war seit den späten 50ern mit Terri Thal verheiratet und die beiden hatten eine eigene Wohnung (im Hipster New York unter Musikern damals eine Seltenheit). Diese Wohnung wurde zum bevorzugten Ort für Hootenannies, dem Vorspielen neuer Songs und anderer Jamsessions, wenn die Folk-Clubs nachts schlossen. Van Ronk (*1936) war ein paar Jahre älter als die meisten jüngeren Folkmusiker im Village und durch seinen Status als bereits Verheirateter mit eigener Wohnung wurde er schnell als gesetztes Urgestein und Vaterfigur betrachtet, der im Village den Ton angab und die Szene überblickte. Die Rolle von Auftrittsorten für Folk Musiker im New York der 50er und 60er ist zwar nicht Fokus dieses Textes, aber allein der physische Raum für die Entwicklung von Folk wurde durch van Ronk gestellt, was einen psychischen Eindruck auf die Musiker der Szene hinterließ. Ein Besuch bei van Ronk blieb damals sicher im Gedächtnis. Die Wohnung war voller afrikanischer Statuen, historischer Möbel und zahlloser Bücherregale, aus denen die großen Werke der Weltliteratur nur so hervorquollen. Bob Dylan als großer Literaturfan ließ sich von van Ronk oft zu Literatur beraten und van Ronk zeigte Dylan einige neue Songs. Dieses Schüler-Lehrer Verhältnis, das allerdings nur wenige Jahre anhielt, ist hier maßgebend für die Entwicklung der beiden Musiker.

Dave van Ronk war bereits als Vaterfigur der Szene niedergelassen als Dylan auf ihn traf. Van Ronk war ein redseliger Zeitgenosse, der sein Wissen mehr als gerne preisgab, sehr neugierig war, gerne kochte, gerne trank, gerne rauchte und seinen Alltag im Normalfall lesend mit Kaffee und Joint im Ohrensessel verbrachte. Er kam in seinem Leben nicht wirklich oft aus New York heraus und genoss eher seine Rolle als Insider der Folkszene. Bob Dylan hingegen war sich schon früh bewusst, wie man sich interessant, mysteriös und rar macht. Dylan war bereits als Teenager hochgradig belesen und kannte die meisten Bücher sogar bereits, die van Ronk an ihn weitergab. Bob Dylan war von vornherein dem Showmanship zugänglich und hat hier den fruchtbaren Boden von Dave van Ronk hervorragend als Futter für seine spätere Weltkarriere nutzen können. Elijah Wald legt es im Interview recht eindrücklich dar:

„He [Dylan] was the guy who doesn’t care. […] And that’s not about the music, that’s about wanting to be ‚that guy‘. […] And that was very different from Dave. I mean Dave was a quiet guy who liked to sit in his apartment and read books and discuss books. And he drank a lot and he smoked a lot of dope. You know, he was married. And he was not ‚that guy.’“

Like A Rolling Stone: Dylan moves on

Copyright: Columbia Records

In dieser kleinen Exkursion zu Bob Dylan und Dave van Ronk fällt schnell auf, dass Szenen recht komplexe Strukturen sind. Es scheint, dass sie mehr sind als nur eine Ansammlung von Menschen mit identischen Interessen. Vor allem in einer Metropole wie New York ist eine Szene nie hermetisch. Die Folk-Szene im Greenwich Village der 50er und 60er war mehr als nur Folk. Verbindungen zu Science-Fiction und Krimiautoren, Ethnologen, Aktivisten und Dichtern waren stetig und wichtig. Jeder sah an den wichtigen Treffpunkten Mitglieder verschiedener Professionen und verfolgte die Biografien und Stile seiner Nachbarn. Die Jazz-Szene in Greenwich Village beispielsweise ist musikhistorisch vielleicht sogar wichtiger als die Folk-Szene. Van Ronk und Dylan wussten, dass während sie gerade ihren Gig im Gaslight Café spielen, nebenan im Blue Note Charles Mingus und Dizzy Gillespie den Ton angaben. Das darf man in der Betrachtung solcher Szenen nicht außer Acht lassen. Folk ist kein einfach zu umreißender musikalischer begriff und das zeigt sich hier ganz wunderbar. Van Ronk selber hat sich eher ungern als „Folk Singer“ betitelt und Jazz und Folk lassen allemal Überschneidungspunkte zu.

Schlussendlich sieht man, dass immer wenn man Musiker analysiert auch immer Netzwerke sieht. Wenn man aber auf Netzwerke blickt, sieht man immer auch einzelne Biografien. Ein Akteur ist eben nicht nur eine Schachfigur, ein Pawn in their Game, sondern immer auch mehrdimensional. Dylan folgte van Ronk in stilistisch quasi jedem Aspekt vom Anfang 1961 bis spätestens Ende 1962. Danach war van Ronk in Dylans Leben kaum noch Präsent. Andere Einflüsse bestimmten nun das Leben von Bob Dylan. Und diese stetige neue Mixtur und neue Kontextualisierung macht die Forschung zu einer Figur zu einer endlos ergiebigen Aufgabe. Bob Dylan ist so durch unendlich viele Blickwinkel zu erkennen und die Verbindung zu anderen Akteuren decken immer wieder neue Teilaspekte um das Phänomen „Bob Dylan“ auf.

Amerika bleibt gespalten

6. November 2020

Wer auch immer den Wahlmarathon gewinnt, das Land zerfällt derzeit weiter/ Dylan und Springsteen als Echo des New Deal.

Copyright: Wikimedia Commons

Wieder haben es die Demokraten nicht geschafft, Trump-Wähler landesweit in größerem Maße zu sich rüberzuziehen. Und auch Trump hat es nicht verstanden, über seine Kernwählerschaft hinaus nennenswerte Zugewinne zu verbuchen. Selbst die wenigen Prozentpunkte bei Afroamerikanern oder Latinos sind mehr den strategischen Fehlern bei den Demokraten, als den überzeugenden Angeboten der Republikaner geschuldet.

Amerika ist weiter tief gespalten. Die Demokraten haben, wenn überhaupt, nur einen Teil der Wahrheit verstanden, die zum Desaster 2016 geführt hat. Sie haben ihr Programm etwas auf links geschoben, sonnen sich im Glanz von jungen frischen Kräften wie Alexandria Occasio-Cortez und sorgen aber dafür dass mit Joe Biden oder Nancy Pelosi Figuren an der Spitze bleiben, die allesamt eben nicht frisch wirken. Bei allem Respekt für die Lebensleistung der beiden, Perspektive sieht anders aus.

Die Pro-Trump-Ergebnisse im Rust Belt, im Heartland, im Süden sind das Ergebnis von gut dreißigjährigem Desinteresse der liberalen Elite an den Lebensbedingungen im „Fly Over-Country“. Und auch jetzt wieder. Zwar hat man in Michigan diesmal stärker gekämpft, aber dafür prompt Nevada sich selbst überlassen. Es reicht nicht, von Versöhnung zu sprechen und eine etwas linkere Programmatik zu propagieren. Die Demokraten müssen ganze Gebiete der Vereinigten Staaten neu für sich vermessen, neu für sich entdecken. Das darf dann aber nicht zu der oftmals anderen Seite der Medaille führen: Demokratische Kandidaten, die sich politisch nicht von den Republikanern unterscheiden. Das bringt nichts.

Aus der Geschichte lernen

Bis in die 1960er Jahre waren die Demokraten die Partei der alten New Deal Koalition. Demokratische Parteiorganisationen, Linke, Gewerkschaften, Arbeiter, Minderheiten (inkl. Juden, Süd- und Osteuropäer, Afroamerikaner), Farmer, weiße Südstaatler, Bezieher von Sozialleistungen und Intellektuelle. Mit dem Erstarken der Bürgerrechtsbewegung und dem strukturellen Wandel in der Industrie und dem Niedergang der Gewerkschaften, vollzog sich ein Bruch der Koalition, insbesondere Ronald Reagan verstand es, die weißen Arbeiter und die weiße Mittelschicht gegen die Afroamerikaner auszuspielen. Teile des Heartlands und die Südstaaten wurden republikanisch. Davon haben sich die Demokraten bis heute nicht erholt.

Während an den Küstenstreifen in den liberalen Blasen es weiterhin hip war, demokratisch zu wählen, verlor man die Menschen in der Mitte Amerikas. Die traditionelle New Deal-Linke hatte hier gerade mit Kulturarbeit in den 1930er und 1940er Jahren Brücken schlagen können. Woody Guthrie und Pete Seeger standen für Folkmusik und linke Politik. Beide kannten die Alltagskultur der arbeitenden Menschen und interessierten sich für sie. Insbesondere Guthries sprach als Okie die Sprache der Menschen im Heartland.

Dylan, der „New Deal Kid“

Daran erinnerte auch Bob Dylan, als er 1985 mitten im großen Live Aid-Spektakel die großen Nöte nicht nur im fernen Afrika, sondern auch vor der Haustür, bei den völlig überschuldeten und existentiell bedrohten Farmern des Heartlands, benannte. Während Sir Bob Geldof ihm Nationalismus vorwarf, hatte Dylan jedoch erkannt, dass es dieselben ungezügelten kapitalistischen Rahmenbedingungen sind, die zu Hunger und Elend auf der ganzen Welt führen.

Die neue individualistische, hedonistische, oftmals zu sehr an Überbauphänomenen sich abarbeitende neue Linke, hatte die einfachen Menschen vergessen. Dylans robuste Distanz zu Hippie-Seligkeit, Woodstock und „Aquarian Age“ ist auch seiner eigenen Sozialisation als New Deal-Kid geschuldet. Dylan ist in einer Bergarbeitergegend groß geworden, seiner Familie gehörten kleine Geschäfte, sie waren daran interessiert, dass es den Bergleuten gut ging. Dylan selbst hat einen klaren Arbeitsethos und keine Dünkel.

Ähnlich verhält es sich mit Bruce Springsteen, der den alten Arbeiter-Ethos musikalisch weiter pflegt. Und in der amerikanischen Literatur gibt es seit vielen Jahren ganze Genres, die sich mit den dunklen Abgründen des abgehängten Amerikas beschäftigen.

„In welchem Amerika möchten wir leben?“

Die Demokraten sollten von den Küstenstreifen ausschwärmen, wie auch immer die Auszählungsschlacht ausgehen mag, und baldmöglichst nichts anderes tun, als in einen geordneten Dialog mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen einzutreten: „In welchem Amerika möchten wir leben?“. Dies hieße auch, von manch lieb gewonnener Lebenslüge Abschied zu nehmen. Amerika muss sich tief greifend verändern, um wieder der Sehnsuchtsort zu werden, der es einmal war.