Wer auch immer den Wahlmarathon gewinnt, das Land zerfällt derzeit weiter/ Dylan und Springsteen als Echo des New Deal.
Wieder haben es die Demokraten nicht geschafft, Trump-Wähler landesweit in größerem Maße zu sich rüberzuziehen. Und auch Trump hat es nicht verstanden, über seine Kernwählerschaft hinaus nennenswerte Zugewinne zu verbuchen. Selbst die wenigen Prozentpunkte bei Afroamerikanern oder Latinos sind mehr den strategischen Fehlern bei den Demokraten, als den überzeugenden Angeboten der Republikaner geschuldet.
Amerika ist weiter tief gespalten. Die Demokraten haben, wenn überhaupt, nur einen Teil der Wahrheit verstanden, die zum Desaster 2016 geführt hat. Sie haben ihr Programm etwas auf links geschoben, sonnen sich im Glanz von jungen frischen Kräften wie Alexandria Occasio-Cortez und sorgen aber dafür dass mit Joe Biden oder Nancy Pelosi Figuren an der Spitze bleiben, die allesamt eben nicht frisch wirken. Bei allem Respekt für die Lebensleistung der beiden, Perspektive sieht anders aus.
Die Pro-Trump-Ergebnisse im Rust Belt, im Heartland, im Süden sind das Ergebnis von gut dreißigjährigem Desinteresse der liberalen Elite an den Lebensbedingungen im „Fly Over-Country“. Und auch jetzt wieder. Zwar hat man in Michigan diesmal stärker gekämpft, aber dafür prompt Nevada sich selbst überlassen. Es reicht nicht, von Versöhnung zu sprechen und eine etwas linkere Programmatik zu propagieren. Die Demokraten müssen ganze Gebiete der Vereinigten Staaten neu für sich vermessen, neu für sich entdecken. Das darf dann aber nicht zu der oftmals anderen Seite der Medaille führen: Demokratische Kandidaten, die sich politisch nicht von den Republikanern unterscheiden. Das bringt nichts.
Aus der Geschichte lernen
Bis in die 1960er Jahre waren die Demokraten die Partei der alten New Deal Koalition. Demokratische Parteiorganisationen, Linke, Gewerkschaften, Arbeiter, Minderheiten (inkl. Juden, Süd- und Osteuropäer, Afroamerikaner), Farmer, weiße Südstaatler, Bezieher von Sozialleistungen und Intellektuelle. Mit dem Erstarken der Bürgerrechtsbewegung und dem strukturellen Wandel in der Industrie und dem Niedergang der Gewerkschaften, vollzog sich ein Bruch der Koalition, insbesondere Ronald Reagan verstand es, die weißen Arbeiter und die weiße Mittelschicht gegen die Afroamerikaner auszuspielen. Teile des Heartlands und die Südstaaten wurden republikanisch. Davon haben sich die Demokraten bis heute nicht erholt.
Während an den Küstenstreifen in den liberalen Blasen es weiterhin hip war, demokratisch zu wählen, verlor man die Menschen in der Mitte Amerikas. Die traditionelle New Deal-Linke hatte hier gerade mit Kulturarbeit in den 1930er und 1940er Jahren Brücken schlagen können. Woody Guthrie und Pete Seeger standen für Folkmusik und linke Politik. Beide kannten die Alltagskultur der arbeitenden Menschen und interessierten sich für sie. Insbesondere Guthries sprach als Okie die Sprache der Menschen im Heartland.
Dylan, der „New Deal Kid“
Daran erinnerte auch Bob Dylan, als er 1985 mitten im großen Live Aid-Spektakel die großen Nöte nicht nur im fernen Afrika, sondern auch vor der Haustür, bei den völlig überschuldeten und existentiell bedrohten Farmern des Heartlands, benannte. Während Sir Bob Geldof ihm Nationalismus vorwarf, hatte Dylan jedoch erkannt, dass es dieselben ungezügelten kapitalistischen Rahmenbedingungen sind, die zu Hunger und Elend auf der ganzen Welt führen.
Die neue individualistische, hedonistische, oftmals zu sehr an Überbauphänomenen sich abarbeitende neue Linke, hatte die einfachen Menschen vergessen. Dylans robuste Distanz zu Hippie-Seligkeit, Woodstock und „Aquarian Age“ ist auch seiner eigenen Sozialisation als New Deal-Kid geschuldet. Dylan ist in einer Bergarbeitergegend groß geworden, seiner Familie gehörten kleine Geschäfte, sie waren daran interessiert, dass es den Bergleuten gut ging. Dylan selbst hat einen klaren Arbeitsethos und keine Dünkel.
Ähnlich verhält es sich mit Bruce Springsteen, der den alten Arbeiter-Ethos musikalisch weiter pflegt. Und in der amerikanischen Literatur gibt es seit vielen Jahren ganze Genres, die sich mit den dunklen Abgründen des abgehängten Amerikas beschäftigen.
„In welchem Amerika möchten wir leben?“
Die Demokraten sollten von den Küstenstreifen ausschwärmen, wie auch immer die Auszählungsschlacht ausgehen mag, und baldmöglichst nichts anderes tun, als in einen geordneten Dialog mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen einzutreten: „In welchem Amerika möchten wir leben?“. Dies hieße auch, von manch lieb gewonnener Lebenslüge Abschied zu nehmen. Amerika muss sich tief greifend verändern, um wieder der Sehnsuchtsort zu werden, der es einmal war.