Archive for the ‘Soul’ Category

Rap, Hip-Hop und die Sprache der Rebellion

5. Juni 2020

Notizen zu Bob Dylan & Black America: Bob Dylan versteht, dass Rap und Hip-Hop die musikalische Ausdrucksformen der Black Community sind, die sich mit ihrem Leben im weißen Amerika beschäftigen.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Bob Dylans Musik auch stark auf dem Blues begründet ist. Mit Odetta, Mavis Staples, Muddy Waters, Sam Cooke oder Blind Willie McTell, haben ihn afroamerikanische Musikerinnen und Musiker, haben ihn Gospel, Blues und Soul stetig begeistert und geprägt. Und der Blues wird ja bei vielen Musikfreunden seiner Generation als „ehrliche Musik der armen Schwarzen“ geradezu verehrt. Während Rap und Hip-Hop, eine der aktuellen musikalischen Ausdrucksformen (und auch schon fast vierzig Jahre alt!), der Black Community bei vielen, auch progressiven Musikfreunden, eher auf Ignoranz oder gar Ablehnung gestoßen sind. Der protzige, selbstverliebte Gewalt- und Sexismus verherrlichende „Gangsta Rap“ hatte – von der Musikindustrie konsequent als auch für weißes Publikum konsumierbare Popmusik aufgebaut – die ursprünglichen gesellschaftspolitischen Wurzeln als Ausdrucksform der schwarzen Verlierer von Strukturwandel und Gentrifizierung in den kapitalistischen Metropolen der 1970er und 1980er Jahre in den Hintergrund treten lassen. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis auch die linke, politische Musikszene verstand, dass auch Rap und Hip-Hop Protestmusik sind. Heute ist es Konsens, dass die Songs von Kendrick Lamar oder Childish Gambino zu den stärksten Protestsongs gegen die herrschenden Zustände in den USA gehören.

„Subterranean Homesick Blues“ kündigt die Rebellion an
Bob Dylan, der ja – noch so eine Binsenweisheit – mit „Subterranean Homesick Blues“ sowohl das erste Rap-Stück als auch das erste Musikvideo zur Musikgeschichte beigesteuert hat, war da schon in den 1980er Jahren viel weiter. Die 1980er waren für ihn künstlerisch eine Durstrecke. Nach seinem Album „Infidels“, das mit Jokerman einen Song enthält, der sehr wohl als Kritik an Ronald Reagan und seiner rücksichtslosen, sozialdarwinistischen und rassistischen Politik interpretiert werden kann – Reagan machte den „schwarzen Sozialschmarotzer“ zum Pappkamerad und Prügelbock des konservativen Amerikas – irrlichterte er durch die Jahre mit schlechten Alben und schlaffen Konzerten – sieht man einmal von der Europa-Tour 1984 und den 1985-86er-Auftritten mit Tom Petty ab. Dylan hatte nicht mehr die richtungsweisende Rolle im sich rasant mit MTV und Michael Jackson verändernden Popbusiness inne. Aber er hatte immer noch ein Gespür für relevante Musik und eine große Empathie für die Black Community und deren musikalische Ausdrucksformen. In seinen „Chronicles“ schreibt er, dass Ice-T, Public Enemy, NWA, Run DMC nicht nur herum stehen würden und große Reden schwingen würden. „Sie hauten auf die Drums und auf den Putz und schmissen Pferde von den Klippen. Sie waren allesamt Dichter und wussten, was Sache war.“ Und dass er mit Rapper Kurtis Blow zusammen aufgenommen hätte, der hätte ihn an diese Musik und Texte herangeführt. Der ewige Rebell und Nonkonformist schätzte die schwarzen Rebellen, die meist aus einer Lebenswelt aus Armut und Rassismus stammten und davon Lieder singen konnten, sehr und war ihrer Kunst zugewandt.

Bob Dylan und die Rapper
In einem Spiegel-Interview sagte Blow zur Zusammenarbeit mit Dylan: „Ich machte gerade Aufnahmen in einem riesigen New Yorker Studio, das 250 Dollar in der Stunde kostete. Plötzlich steckte Bob Dylan seinen Kopf durch die Tür und sagte: ‚Hey Kleiner, deine Sängerinnen hören sich gut an – kann ich sie mir kurz ausleihen?‘ Ich war 22 Jahre alt und völlig von den Socken. Bob Dylan! Ich sagte also ‚Okay. Aber wenn ich sie für dich singen lasse, schuldest du mir einen Gefallen‘. Er willigte ein. Zwei Jahre später rief ich ihn an, er lud mich in sein Haus in Malibu ein und wir nahmen „Street Rock“ zusammen auf. An Bob Dylan ist ein Rapper verloren gegangen – ich gab ihm den Text und er knallte das im ersten Take sofort raus. Unglaublich.“

Sprache von Nonkonformismus und Rebellion
In der Tat wissen ja nicht nur alle Dylan-Freunde, dass der gute Bob der Musiker ist, der am meisten Text in seinen Songs unterbringt, sondern dass seine Sprache, sein Sprachrhythmus und seine Bilder geprägt sind von den Blues- und Beatpoeten, von Folk, Talking Blues und Woody Guthrie. Man merkt dies allen seinen Texten an, selbst wenn sie Collagen sind. Ob Songlyrics, Liner Notes oder seiner Autobiographie. Es ist eine vorwärtsdrängende, bildreiche, abgeklärte Sprache, oftmals auch mit lakonischem Humor gespickt. Es ist die Sprache des Nonkonformismus, die situativ auch Sprache der Rebellion sein kann. Cool und rebellisch. Und Dylan schafft es heute noch in seinen Konzerten, den Text oftmals mehr rhythmisch zu sprechen als zu singen. Er hat diese Fähigkeit, die Blow bei ihm bewunderte.

In der Tat war ja „Subterranean Homesick Blues“ ein politisches Lied, weil es mittels Bilder und Atmosphäre die Rebellion ankündigte. Dylans Mittsechziger-Musik war der Soundtrack zu Subversion und Rebellion. Nicht umsonst entliehen sich die militanten „Weathermen“ ihren Namen aus Dylans Song. Und nicht umsonst waren die Black Panther-Gründer Bobby Seale und Huey P. Newton begeisterte Fans von Dylans Musik der 1965/66er Jahre. Das Folk-Revival und die Bürgerrechtsbewegung waren Schritte auf dem Weg zur Rebellion der 1960er Jahre. Der „Summer Of Love“, die Black Panther, der späte Martin Luther King waren die Rebellion. Doch das Establishment schaffte es gerade wieder einmal so. Martin Luther King und Bobby Kennedy wurden ermordet, es kam zu erheblichen Unruhen und am Ende wurde Richard Nixon US-Präsident.

Dylan, der ja stets einen engen und ganz selbstverständlichen Umgang mit afroamerikanischen Menschen hatte und in den 1980er Jahren auch mit Afroamerikanerinnen liiert und verheiratet war, weiß um die Lebensbedingungen der Schwarzen in Amerika. Daher weiß er auch die Sprache des Rap einzuschätzen. Und deswegen ist seine Aufnahme von „Street Rock“ auch ein Zeichen des Respekts, der Bewunderung des Rap und ein Zeichen der Sympathie für die Black Community.

Das zerrissene Amerika und Bob Dylans Werk
Bob Dylan hat George Jackson, Rubin Hurricane Carter, Hattie Caroll, Emmeth Till und Medgar Evers musikalische Denkmale gesetzt und mit „Blind Willie McTell“ ein großes Gemälde des Südens mit Sklaverei, Rassismus, Gottesglauben und Blues geschaffen. Seine Lieder sind wie der Mord an George Floyd zeigt, unverändert aktuell und gehören zum Soundtrack eines zerrissenen Landes. So wie Rap und Hip Hop eben die zeitgenössische musikalische Ausdrucksform des um seine Freiheit und im wahrsten Sinne um sein Leben kämpfenden schwarzen Teils des amerikanischen Volkes ist. Das in Rassen und Klassen zerrissene Amerika wird von Bob Dylan in seinem künstlerischen Werk vereint.

Als Bob Dylan zweimal im Apollo spielte

30. Mai 2020

Notizen zu Bob Dylan & Black America: Im Frühjahr 2004 kehrt Dylan zu seinen schwarzen Wurzeln zurück

Das Apollo Theatre im New Yorker Stadtteil Harlem ist quasi der Musiktempel für ausschließlich schwarze Musik – Blues, Jazz, Soul, Pop und Hip Hop – in den USA. Im Frühjahr 2004 aber trat Bob Dylan innerhalb nur weniger Wochen zweimal dort auf. Es spricht einiges dafür, dass der Künstler Bob Dylan sich wieder einmal über seine schwarzen Wurzeln vergewissern wollte. Denn immer wieder kehrt Dylan zu dem Referenzrahmen zurück, der ihn als Künstler, sein Werk und seine Wirkung erst möglich gemacht hat. Er hat das zur Jahrtausendwende mit Country- und Bluegrass-Songs in seinen Konzerten und in der Zusammenarbeit mit Ralph Stanley und Marty Stuart gemacht, und in den 2010er Jahren mit dem Great American Songbook mit drei Alben. 2004 tauchte er wieder einmal in die schwarze Musik ein.

Das Apollo: Ein Epizentrum afroamerikanischer Musik
2004 feierte das Apollo sein 70-jähriges Bestehen als Club für afroamerikanische Musik. Es bestand schon seit 1914, aber da Harlem als afroamerikanische Community seit Anfang der 1930er Jahre immer mehr Bedeutung bekam, öffnete sein Besitzer Sidney S. Cohen es für schwarzes Publikum. Und verpflichtete schwarze Künstler. Hier begannen die Karrieren von Billie Holiday und Ella Fitzgerald, hier spielten Louis Armstrong und Duke Ellington, später traten hier Soulstars wie Marvin Gay und Diana Ross auf. Und Sam Cooke, dessen Lied Dylan am 28. März 2004 im Apollo sang.

Cooke hatte sich als Soulsänger bereits mit Hits wie „Cupid“, „Twistin‘ the Night Away“ und „Wonderful World“ einen Namen gemacht, als er sich durch Dylans „Blowin In The Wind“ inspirieren ließ und „A Change Is Gonna Come“ schrieb. Er war erstaunt, dass ein Weißer ein Lied wie „Blowin‘ In The Wind“ schreiben konnte und beschämt, dass er es nicht selber geschrieben hatte. Denn er hatte in seinem Leben tiefgehende Erfahrungen mit dem Rassismus in den USA machen müssen. „A Change Is Gonna Come“ erschien zuerst auf seinem Album „Ain’t That Good News“ im Februar 1964 und dann als B-Seite der Single „Shake“ am 22. Dezember 1964. Doch da war er bereits Tod. Er starb unter Umständen, die bis heute kontrovers diskutiert werden. Die Motelmanagerin Bertha Franklin soll ihn in Notwehr erschossen haben, nachdem er sie bedroht habe, Teile der Black Community sehen das anders. Ganz geklärt werden konnte das bis heute nicht.

Dylan sings Cooke
„A Change Is Gonna Come“ wurde einer der Hymnen der Bürgerrechtsbewegung. Und so war es absolut passend, dass der Schauspieler und Bürgerrechtsaktivist Ossie Davis den Sänger Bob Dylan an jenem Abend im Apollo ansagte und das Publikum erinnerte, dass er ihn bereits mehr als vierzig Jahre vorher bei der Kundgebung des „March On Washington“ angesagt hatte. Dylans Auftritt gerät denkwürdig. Dylan stürzt sich mit heiserer rabenrauer Stimme in eine wunderschöne Version des Songs, begleitet von seiner Tourband. Dabei sieht er laut Greil Marcus aus wie ein „Kartenhai“ und das Mikro ist so tief, dass er beim Singen fast auf seinem Keyboard liegt. Aber dennoch: Ein majestätischer Auftritt, der Standing Ovations erntet. Und musikalisch vom Arrangement her ein Vorgriff auf seine spätere Great American Songbook-Phase.

Dylan meets Marsalis
Nur wenige Monate später, am 7. Juni, trat er abermals im Apollo auf. Ein Benefizkonzert für „Jazz at Lincoln Center“ und dem „House of Swing“, der weltweit ersten Konzerthalle für Jazz, die 2004 in New York eröffnet wurde. Doch war er beim Apollo-Jubiläum dahingehend noch auf gewohntem Terrain, dass er mit seiner routinierten Tourband sich einen Song von Sam Cooke aneignete, lieferte er sich nun mit seinen eigenen Songs einer fremden Band und einem kritischen Publikum aus. War er im März noch der weiße Junge, der früher die Songs für die Bürgerrechtsbewegung gesungen hatte, war er nun der „White Guy“, der sich ausgerechnet an diesem Ort in dem Genre versuchte, das allgemein aufgrund seiner starken afroamerikanischen Wurzeln als wichtigster Beitrag Black Americas zur amerikanischen Hochkultur angesehen wird. So ganz wohl schien er sich da in seiner Haut nicht zu fühlen. Dylan hat sich zwar immer schon auch für Jazz interessiert, aber nie hatte er sich bis dahin in diesem Genre versucht. Er hatte alle Genres der amerikanischen Populärmusik verinnerlicht, aber dieses hier, das stets die Schnittstelle zwischen Popkultur und Hochkultur bildete, war bislang nicht seine Ausdrucksform gewesen. Die Folktradition, die Tradition des Liedes, die war seine. Auch wenn ihm in jungen Jahren schon der Jazzer Thelonious Monk sagte: „Wir spielen alle Folkmusik“. Er fand einfach nicht hinein.

The Jazz Singer
Doch nun mit dem Wynton Marsalis Septett ging er volles Risiko. Der Einstieg mit „It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry“ war noch einigermaßen im gewohnten Gleis, spielte das Septett doch einen langsamen Jazz-Blues. Da trafen sich der Folker und die Jazzer. Aber was dann folgte und leider nicht auf dem Albummitschnitt des Konzertes „United We Swing“ ist, war ein „Don’t Think Twice, It’s Alright“ ohne Netz und doppelten Boden. Das hatte so gut wie nichts mehr mit traditionellem Folk und Blues zu tun. Das Septett gab ihm eine urbane New York-Jazz-Melodielinie vor. Hier war Dylan, der Instinktsänger gefordert. Und wie er das – einschließlich der Mundharmonika als Echo der Septett-Musik – löste, ist große Klasse und die Beifallstürme waren gleichermaßen ehrlich und verdient. Dylan jazzte, croonte und swingte sich durch den Song. Für Dylan war der 7. Juni sicher ein einschneidendes Erlebnis. Auch das konnte er, wenn er wollte.

Die Auftritte im Apollo im Jahre 2004 waren für Dylan eine wichtige Bestätigung seiner schwarzen Wurzeln. Und die Musik mit der sich beschäftigte – Soul und Jazz – forderten Ihn als Sänger und Arrangeur heraus. Was er hier mitgenommen hat, kam ihm sicherlich bei seiner Arbeit am Great American Songbook in den 2010er Jahren zu Gute. Auch ein amerikanisches Gesamtkunstwerk ist nie zu Ende gefertigt, ist immer ein „Work in Progress“.

Hier kann man beide Songs mit dem Marsalis-Septett hören:
http://dylanesco.com/tags/wynton-marsalis/

Und hier der Auftritt zum Apollo-Jubiläum:

„Don’t believe in Vodoo, pray to God“

24. April 2020

Bob Dylan und die afrikanische Tradition von Black America

Vor einigen Jahren sah ich Oliver Hardts bemerkenswerten Film “The United States Of Hoodoo”. Er spürt den Wurzeln der afro-amerikanischen Kultur in der afrikanischen und karibischen Voodoo-Religion nach. Dies kam mir nun wieder in den Sinn, als ich mich mit dem Thema „Bob Dylan und Black America“ auseinandersetzte.

Damals schrieb hier ich anlässlich des Films: „Es sind andere Songs, die kleinste Hoodoo-Spuren in sich tragen. Jokerman beispielsweise, dessen mystische Sprache Bezüge aufweist, dessen Protagonist – der unbeschwerte, leichtfüßige Jokerman, Gauner, Trickster – Züge von Papa Legba [Anm. Geist oder Heiligerin der afrikanischen und karibischen Religion des Voodoo] trägt. Ein Song, der entstanden ist, als Dylan sich einige Zeit immer wieder mal in der Karibik aufhielt, weil er auf den Bahamas eine Yacht hatte. Und Dylan wäre nicht Dylan, wenn er nicht Stimmung und Vorstellungswelt der Menschen dieser Gegend aufgesogen hätte wie ein Schwamm.“

Und tatsächlich führte ich noch Songs wie Blind Willie McTell, das Album „Oh Mercy“ und den Song „New Pony“ von Street Legal (1978) auf. In Letzterem wird sogar ausdrücklich „Vodoo“ erwähnt. Ich zitiere nochmals aus meinem damaligen Beitrag:
„Oder in „New Pony“ vom Album „Street Legal“, der von Charlie Pattons und Son House’ „Pony Blues” beeinflusst ist. Zwei der Bluessänger, die explizit damit in Verbindung gebracht worden sind, dass der Blues die Musik des Teufels ist. Warum soll er das sein? Weil der Blues sexuelle Themen präferiert und an das von vielen christianisierten Schwarzen verdrängte und verleugnete afrikanische Erbe fortführt.

Und was singt Dylan denn auch in diesem Song seines letzten „vorchristlichen“ Albums:
They say you’re usin’ voodoo, your feet walk by themselves
They say you’re usin’ voodoo, I seen your feet walk by themselves
Oh, baby, that god you been prayin’ to
Is gonna give ya back what you’re wishin’ on someone else“

Und in der Tat, im Blues lebt das alte afrikanische Erbe fort. Tony Atwood, der auf seinem wichtigen Dylan-Blog „Untold Dylan“ auch diesen Song besprochen hat, hat etwas verkürzt, so meine ich, für den Titel alleine „Sex und Blues, Blues und Sex. Total verschlungen“ als Fazit gezogen.

Aber warum Voodoo? Warum heißt das Pony Lucifer?

Natürlich geht es hier um Sex und Blues. Aber es geht auch um den Glauben an Vodoo und an den Glauben an den christlichen Gott. Und wenn Dylan hier singt, dass sein Baby Voodoo-Zauber benutzt, und er sagt ihr „es ist aber Gott zu dem Du gebetet hast und der gibt Dir zurück, was Du anderen gewünscht hast“, dann ist das auch eine Auseinandersetzung zwischen schwarzem christlichen und afrikanisch-karibischem Glauben.

Und so könnte man diesen Song auch als einen Vorgriff auf die drei christlichen Alben Dylans sehen. Wenn wir Street Legal als Übergangsalbum in einer schwierigen persönlichen Situation sehen, so zeichnet sich hier schon die neue Richtung ab.

Die Songs der von April bis Mai 1978 aufgenommenen Platte waren musikalisch von Gospel, Spiritual-Anklängen, von Soul und Blues geprägt. Kein Wunder arbeitete er doch schon seit Mitte Januar 1978 mit der schwarzen Background-Sängerin Helena Springs zusammen, hatte wohl auch eine Beziehung mit ihr, und schrieb mit ihr fast zwanzig Songs. Street Legal beendete die 1970er-Phase, die vom weißen Folk-Rock geprägt war. Bob Dylan setzte sich nun, so sagte es Mitmusiker Billy Cross dem Dylan-Biograph Clinton Heylin, ganz tief mit der schwarzen Kultur auseinander. Und er hatte unter seinen in den Jahren 1978 bis 1985 wechselnden Background-Sängerinnen auch immer wieder wechselnde Freundinnen mit denen er auch Lieder schrieb oder sang wie eben Helena Springs oder auch Clydie King. Das Video von Abraham, Martin and John, spricht Bände über seine Beziehung mit Clydie. Die Afro-Amerikanerin Mary Alice Artes, eine Freundin von Helena Springs, wurde auch eine gute Freundin von ihm, und wurde als „Queen Bee“ in den Liner Notes von Street Legal verewigt. Sie half ihm beim Übertritt zum christlichen Glauben.

Einem christlichen Glauben, der sich religiös in einer evangelikalen Kirche, kulturell aber in der Mischung aus Rock und schwarzem Gospel manifestierte. Es kann sehr gut sein, dass Dylan sich im Song „New Pony“ auch von den Empfindungen seiner damaligen schwarzen Freundinnen und deren Selbstfindung zwischen verdrängtem afrikanisch-karibischen Erbe, strenger kirchlicher Erziehung und dem ewigen Spannungsfeld zwischen Gospel, Soul und Blues, beeinflussen ließ.

Ein Spannungsfeld, durch das man nicht ohne Widersprüche kommt. Dylan predigte während seiner Born Again-Phase christlich-fundamentalistisch. Er spielte schwarzen Gospel-Rock. Sein damaliger privater Lebensentwurf schien aber sinnlichen und lebenszugewandten afrikanischen Traditionen näher zu stehen.
In dieser Phase lernte er dann Carolyn Dennis kennen, die seine Background-Sängerin bis Mitte der 1980er blieb und die er 1986 heiratete und mit der er die gemeinsame Tochter Desiree Gabrielle Dennis-Dylan hat.

Und Dylan blieb in den 1980ern der Black Community weiterhin zugewandt, 1985 nahm er mit Kurtis Blow zusammen einen Rap-Song auf. Doch das ist wieder eine andere Geschichte von „Bob Dylan und Black America“.

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (25)

17. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

today: Anne Frank meets Indiana Jones!

Dylans neuer Song ist ein Selbstporträt des Dichters als Summe vieler Stimmen und Persönlichkeiten – vielfältig und wiedersprüchlich.

Wow! Wieder fährt man morgens den Computer hoch, scannt mit einem Auge als erstes im Netz die Dylan-Seite expectingrain.com und was passiert? Schon wieder hat der alte Kerl über Nacht einen neuen Song veröffentlicht! „I Contain Multitudes“ heißt das neue Werk.

Das Ding ist mit diesmal knapp viereinhalb Minuten deutlich kürzer als „Murder Most Foul“, aber kein bisschen weniger textlich anspruchsvoll. Dylans Song ist eine Art Selbstporträt. Der Dichter als lebender Widerspruch. Das ist er ganz persönlich, aber auch als Projektionsfläche der Hoffnung mehr als einer US-Generation. Denn wie viele Stimmen, wie viele Persönlichkeiten, wie viele künstlerische Ansätze hat er verfolgt, nur um sie gleich wieder einzureißen und neue zu beginnen. Und das nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig.

Dabei hat sich Dylan des Titels diesmal beim großen amerikanischen Dichterfürsten Walt Whitman bedient. Bei dessen Poem „Songs of Myself, 51“:

Do I contradict myself?
Very well then I contradict myself,
(I am large, I contain multitudes.)

Vielfalt
Dieser Whitman empfand sich von sich, er bestünde aus vielen Teilen, er sei vielfältig. Und damit meinte Whitman auch wie später auch Woody Guthrie oder die Beatniks – die allesamt Dylan prägten – sagen, dass sein Amerika ein vielfältiges Amerika sei. This Land Is Your Land This Land Is My Land“, sang Woody. Vielfältig landschaftlich wie ethnisch, religiös wie politisch. Vielfältig, aber auch so widersprüchlich. Der Süden hat Sklaverei und Rassismus ebenso hervorgebracht wie Blues, Country und Jazz. Zu den USA gehören demokratischer Pluralismus und Gewaltenteilung ebenso wie menschenfeindlicher Radikal-Kapitalismus. Zusammenhalt in den Communities ebenso wie Einzelkämpfertum und Egoismus.

Gegensatzpaare
Nicht diese, aber andere Gegensatzpaare, spielen eine große Rolle in dem Song. Anne Frank und Indiana Jones in einen Vers zu bringen, ist genial. Im Netz suchen sie nach verbindendem zwischen den beiden. Aber ist denn der Gegensatz nicht der, der zählt? Dass man konträre Eigenschaften hat und trotzdem Teil eines Ganzen ist? Anne Frank, das jüdische Mädchen, das sich vor den Nazis in Amsterdam verstecken musste, und ihnen zum Opfer fiel und Indiana Jones, der Abenteurer, der sich immer wieder Kämpfe mit den Nazis lieferte, aber stets die Oberhand behielt. Dylan bietet uns noch weitere Gegensatzpaare an, nennt uns aber auch weitere Vorbilder, die quasi prägend sind: William Blake oder Edgar Allan Poe.

Kollektivwesen
In seiner Radio Show webte Dylan über mehrere Jahre an einem idealtypischen musikalischen Gewand für Amerika. Die USA sind so vielfältig, das Gewand konnte nur ein Patchwork-Quilt werden. Dylan greift hier bei „I Contain Multidudes“ das Motiv der vielen Persönlichkeiten, der vielen Stimme nochmals auf und reklamiert dieses Prinzip für seine Person. Er als amerikanischer Poet kann gar nicht anders als vielstimmig sein. Aus seinem Kopf, aus seinem Mund spricht quasi das amerikanische Kollektivwesen. Heinrich Detering hat einmal diesen Vergleich zu Goethe gezogen, der sein Werk als Werk eines Kollektivwesens verstand, das nur zufällig Goethe hieß.

Amerikanisches Gesamtkunstwerk
Bob Dylan ist längst ein amerikanisches idealtypisches Gesamtkunstwerk. Er vereinigt in sich Folk, Blues, Country, Gospel, Soul. Woody Guthrie und Sinatra. Johnny Cash und Sam Cooke.

Schlaumeier könnten jetzt sagen, das klingt jetzt aber doch ganz schön nach Finale und Vermächtnis. Der erste Song über das amerikanische Trauma im amerikanischen Jahrhundert, der zweite ein Selbstporträt orientiert an einem amerikanischen Dichterfürsten. Doch Dylan – der uns schon seit vielen Jahren auf der Bühne vorspielt, er sei ein alter gebrechlicher Mann und sich auch bewusst eine verbrauchte Stimme gab und der im Kurpark gut zu Fuß unterwegs war und heutzutage so gut singt, wie seit 35 Jahren nicht mehr und der mit dem Rücken zum Publikum mit der Band scherzt, aber den Zuschauern gegenüber keine Miene verzieht – der kann uns jetzt auch ganz einfach nochmal seine Stilmittel und sein Selbstverständnis erklären, um dann wieder ganz anders weiter zu machen.

Bob Dylan nutzt die Zeit, die durch Corona still steht, um unseren Blick auf Amerika – sein Amerika ist ein anderes, als das von Trump – und auf sich selbst zu schärfen. Was weiter passiert, hängt auch davon ab, wie es auf der Welt weitergeht.

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (11)

3. April 2020

Für dieses Album sangen Bob Dylan und Mavis Staples zusammen „Gonna Change My Way Of Thinking“

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,
überwindet Gräben und Grenzen!

Schon in meinem letzten Eintrag habe ich darüber geschrieben, dass ich das derzeit geflügelte Wort von der „sozialen Distanz“ nicht so recht glücklich empfinde. Denn soziale Distanz ist etwas anderes als räumliche oder körperliche Distanz. Ein enorme soziale Distanz bestand und besteht noch in weiten der USA zwischen Schwarz und Weiß. Diese Distanz zu überwinden, beispielsweise in einer gemischtrassigen Beziehung war im tiefen Süden durchaus bis vor gar nicht allzu langer Zeit lebensgefährlich und auch heute ist es noch die Ausnahme.

Anders war das natürlich in der Generation, die Anfang der 1960er Jahre in den USA den Aufbruch wagte, die für Bürgerrechte auf die Straße ging. So wie Bob Dylan und Mavis Staples. Dass Bob und die Soulsängerin Mavis von den „Staple Singers“ um ein Haar geheiratet hätten, wissen vielleicht einige. Aber warum haben sie es nicht getan? Bobby hatte wohl Mavis‘ Vater Pops von seinem Wunsch erzählt, der hatte ihn an Mavis verwiesen, doch Mavis fühlte sich zu zu jung für diesen Schritt. Doch war das der wirkliche Grund?

Dylan sagt, er hätte die Staples aus dem Radio schon seit 1953 gekannt. Da war Mavis gerade mal vierzehn. Aber ihre teilweise heisere, raue Stimme, die so schön kontrastierte zu Pops Staples „samtener Stimme“ (Dylan), die war Dylan so vertraut, dass er Anfang der 1960er bei einem Treffen sofort wusste, wer Mavis war, ohne dass man sie ihm vorstellen musste. Ihn faszinierte vor allem der Staples Song „Uncloudy Day“ (wir hören ihn unten), für ihn mit das „mysteriöseste“ was er je gehört hätte.

Die beiden sahen sich bei einer TV-Show, schrieben sich Briefe hin und her und trafen sich bei einem Festival. „Da haben wir rumgeknutscht“, erinnerte sich Mavis vor wenigen Jahren an ihre Zeit mit Bobby. Sie wies ihn ab, weil sie sich zu jung dafür fühlte? Wofür zu jung? Hatte Sie als junge schwarze Frau einfach Angst vor den Folgen einer gemischtrassigen Beziehung? Eine andere Version besagt, sie hätte sich aus Furcht vor der Reaktion Martin Luther Kings mit dem die Familie eng befreundet war, Dylans Werben nicht erhört. Man kann spekulieren, sollte es aber nicht.

Denn wie auch immer. Die beiden haben sich nie aus den Augen verloren, die Staple Singers und auch

Mavis Staples

Mavis hatten ihre ganze Karriere über immer Dylan-Titel im Repertoire. 1977 traten Bob und die Staple Singers beim Abschiedskonzert von The Band auf. Zudem telefinieren Bob und Mavis bis heute regelmäßig. 2003 nahmen die beiden zusammen eine neue Version von Dylans 1979er Gospel-Rocksong „Gonna Change My Way Of Thinking“ auf. Ebenfalls unten zu hören. Interessant hierbei: Dylan und Staples haben dem Song eine kleine Dialogsequenz vorangestellt, die sich an den legendären Radioauftritt „Jimmie Rodgers visits The Carter Family“ von 1931 anlehnt. Und auch das, ist am Fußende des Artikels zu hören.

Und 2016 und 2017 gingen Bob und Mavis dann zusammen auf Tour, Mavis spielte im Vorprogramm von Bob. Gemeinsame Auftritte sind nicht überliefert, doch rund um die Konzerte entstanden einige innige Schnappschüsse der beiden.

Irgendwie schade, dass es zu keiner Verbindung der beiden gekommen ist. Das wäre sicher eine musikalisch spannende Mischung geworden. Vom möglichen Nachwuchs ganz zu schweigen.

Was bleibt ist eine tiefe Freundschaft zwischen zwei Künstlern, die trotz aller Probleme, die viele in den USA mit Farben haben, sich nicht darum scheren.

Best
Thomas

Bob Dylan & Mavis Staples: Gonna Change My Way Of Thinking:

Notizen zum schwarzen Amerika (Teil 1)

10. Januar 2020

James Baldwin, Maya Angelou, Aretha Franklin

Die Geschichte der schwarzen Amerikaner*innen ist geprägt durch Ausbeutung, Rassismus und Gewalt. Und das bis zum heutigen Tag. Trotzdem oder gerade deswegen hat die schwarze Community bedeutende Intellektuelle und Künstler*innen hervorgebracht. In diesen Tagen kreuzten sich meine Wahrnehmungen dreier afroamerikanischen Persönlichkeiten und ich sah Parallelen in deren Wege und Werke und entdeckte neue Parameter für das Verständnis afroamerikanischer Kultur in den USA.

Der Debütroman des großen Schriftstellers und Intellektuellen James Baldwin (1924 – 1987) „Von dieser Welt“ ist für mich eines der finstersten und traurigsten Bücher überhaupt. Selten wurde die Verlorenheit und die Überwältigung in kirchlichen Strukturen dermaßen ausweglos dargestellt. Der junge John wird in einer ernsten, sittenstrengen und zugleich äußerst bigotten Welt groß. Daran kann man zerbrechen. Die ausführlichen Schilderungen der Gottesdienste beendeten mein Klischeedenken über ausgelassene, fröhliche und bunte afroamerikanische Kirchen. Die gibt es, aber eben nicht nur. Es gibt auch welche, die machen in ihren Gottesdiensten den jungen Menschen genauso viel Angst wie oftmals hierzulande. Denn es geht immer um Gehorsamkeit gegenüber dem strafenden Gott und selten um den verständnisvollen, vergebenden und liebenden Gott.

Eine Kindheit im Süden
Daran musste ich denken als ich Maya Angelous Biographie „Ich weiß, warum der gefallene Vogel singt“ las. Auch hier ist der Gottesdienst erst einmal ernst und den Kindern wird Gehorsam und Demut abverlangt. Umso tiefer die Fallhöhe, als ein weibliches Gemeindemitglied dermaßen spirituell aus dem Ruder läuft, dass sie eine Gefahr für die Pfarrer und die Gottesdienstbesucher darstellt. Wie die spätere Schriftstellerin, Professorin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou ( 1928 – 2014) diese Szene aus ihrer Kindheit beschreibt ist grandios, und was da im Gotteshaus passiert, ist an Irrwitz und Groteske nicht zu überbieten. „Predige es, Predige es“, ruft das ausgeflippte Gemeindemitglied immer wieder und geht auf den Pfarrer los. Ein ganz großer Lesespaß. So groß wie der Spaß, den Maya und ihr Bruder Bailey damals auch hatten. Aber der war nur kurz, denn nachdem die beiden Kinder so laut gelacht und sich auf dem Boden gewälzt hatten, folgte die schmerzhafte Strafe per Gürtelhiebe. Kinder hatten im Gottesdienst nichts zu lachen.

Maya Angelous Buch ist ein faszinierender Einblick in die schwarze Community der 1940er Jahre. Im Süden, in Arkansas, herrschen die Jim Crow-Gesetze. In Stamps wächst Maya bei ihrer Großmutter auf, die für die dortigen Verhältnisse relativ wohlhabend ist, denn sie besitzt einen kleinen Gemischtwarenladen. Der Rassismus und die latente Gefahr für die Schwarzen, Gewalttaten ausgesetzt zu sein, sind bedrückend. Lynchmorde an Schwarzen sind im Süden zu dieser Zeit keine Seltenheit. Dennoch haben Maya und ihr Bruder auch schöne Kindheitstage, später kommen sie zu ihrer Mutter nach St. Louis, wo Maya von deren Freund vergewaltigt wird. Nach einem erneuten Intermezzo in Stamps ziehen die Kinder wieder zu ihrer Mutter, die jetzt in Oakland, Kalifornien lebt. Wie Maya zu einer selbstbewussten, belesenen und kämpferischen jungen Frau wird, davon erzählt dieses Buch in großartiger Manier. Spannend, direkt und klug schildert Maya Angelou, die mit James Baldwin gut befreundet war, ihre Kindheits- und Jugendgeschichte. Lesenswert!

„Amazing Grace“: Ein besonderes Zeitdokument
Die dritte Persönlichkeit ist Aretha Franklin (1942 – 2018). Die große „Queen of Soul“ begann ihre Weg zur Sängerin im Chor der „New Bethel Baptist Church“ ihres Vaters, Clarence LaVaughn Franklin, der sowohl Baptistenprediger, als auch Bürgerrechtsaktivist war. 1972 – schon einige Jahre nach ihrem Durchbruch mit Soul und Pop – gibt sie ein reines Gospelkonzert in der New Temple Missionary Baptist Church in Los Angeles. Der Mitschnitt bekommt als LP unter dem Titel „Amazing Grace“ mit einem Grammy geehrt. Der ebenfalls dort produzierte gleichnamige Konzertfilm wird aufgrund technischer Problem (Ton- und Bildspur stimmten nicht überein) nie gezeigt. Auch als mittels moderner digitaler Technik dies von ein paar Jahren repariert werden kann, verhindert Aretha Franklin dessen Veröffentlichung. Erst jetzt – gut eineinhalb Jahre nach ihrem Tod – sieht der Film das Licht der Welt.

Und es ist ein großartiges Zeitdokument. Wobei uns die Musik nicht völlig überzeugt. Zu oft dekonstruiert Aretha quasi die Songs, indem sie Töne langsam zerdehnt, so dass sie jeden Zusammenhalt verlieren, „Amazing Grace“ wird so zur endlosen Folge einzelner Töne und der Song verliert an Form und Eindruck. Wohlgemerkt uns geht es heute so. Im Gospelkonzert im Gotteshaus im Film reagieren aber sowohl der Chor wie auch die Zuhörer mit spontanen ekstatischen spirituellen Ausbrüchen auf einzelne Töne. Wobei wir fast schon wieder beim Gottesdienst von Maya Angelou wären. Wie auch immer, wir können es nicht nachvollziehen, warum diese Art des Vortrags so zündet. Andere Songs dagegen – Climbing Higher Mountains – entsprechen eher unseren Hörgewohnheiten. Für uns das Highlight: Die Kombination und Verschmelzung des Spiritual „Precious Lord, Take My Hand“ mit Carol Kings Popsong You’Ve Got A Friend“. Wie beides ineinander verwoben wird, so das Pop zu Gospel und Gospel zu Pop wird ist genial.

Mit zur Seite stehen Aretha an diesen zwei Abenden musikalisch zwei Männer. Chorleiter Alexander Hamilton und Reverend Dr. James Cleveland. Letzterer, Arethas väterlicher Freund und Klavierlehrer und wichtige Gründerfigur der modernen Gospelmusik führt mit viel Humor und Schweiß durchs Programm. Dennoch: Aretha spricht in diesem Film ausgesprochen wenig und schaut meist ernst. Ob sie dieses „Back tot he Roots“ dann doch überwältigt. Auf alle Fälle am zweiten Abend könnte das so gewesen sein. Denn da sind nicht nur einige Weiße mehr Anwesend – darunter auch Edelfans wie Mick Jagger und Charlie Watts – sondern auch ihr Vater unter dessen Augen in unmittelbarer sie nun musiziert.

Manchmal wirken die Aufnahmen unfertig und improvisiert und man merkt, wie sehr sich der Film und die Sehgewohnheiten in den fast 50 Jahren verändert haben. Da ist noch echter Schweiß zu sehen, da wirkt manches ungelenk und bedächtig, da ist nichts schnell und auf den Effekt zielend geschnitten. Heutzutage würde solch ein Film ganz anders aussehen. Martin Scorsese hatte 1977 das Genre des Konzertfilms durchaus revolutioniert. Wie er Bob Dylan und Robbie Robertson in „The Last Waltz“ inszeniert hat, wie er längere Erzählpassagen der Bandmitglieder mit den Konzertbildern verwebt ist große klasse. Aber gut, dass die Produzenten rund um Regisseur Spike Lee bei „Amazing Grace“ widerstanden haben, dies hier anzuwenden und einen neuen Film zu schaffen.

Von der Black Power zum Überlebenskampf
So sehen wir ein Zeitdokument der frühen 1970er Jahre, in denen der Stolz der schwarzen Community zu spüren ist. Zwar sind Malcolm X und Martin Luther King ermordet worden, aber es ist die Hochzeit der Black Power des Soul, der Black Panther, der Blaxploitation-Filme mit ihrem König „Shaft“. Noch gibt es bei allen Rückschlägen Erfolge auf dem Weg zur schwarzen Emanzipation in den USA. Die Abwärtsbewegung beginnt mit einige Jahre später Präsident Ronald Reagan und dessen Einsatz rassistischer Denkfiguren und Vorurteile in seiner politischen Kommunikation sowie seinen Kürzungen bei Sozialleistungen, die vor allem die schwarze Community treffen. Die musikalische Antwort darauf waren Hip Hop und Rap und völlig neue popkulturelle Codes. Jetzt ging es nicht mehr um Emanzipation, jetzt ging es oftmals nur noch ums Überleben im Ghetto zwischen Drogen und Gewalt. Doch das ist eine andere Geschichte.

So sind die drei Geschichten, die hier in den zwei Büchern und dem Film erzählt werden, auch gute Beispiele für die Bedeutung der Religion für die Afroamerikaner bis in die 1970er Jahre. Für Glauben und Gehorsam. Für Bigotterie und persönlichen Aufstieg. Für scheinbar dominante Männer- und wirklich starke Frauenfiguren. Und für die Hoffnung, dass Gott seine schwarzen Brüder wirklich befreien möge aus all ihren Ketten. Dass der Kampf des Volkes vom Herrn unterstützt wird.

Diesen Optimismus hat „Black Lives Matter“ nicht mehr. Hier geht es scheinbar alleine um den Abwehrkampf gegen die Ausformungen einer Staatsmacht, die auch mehr als 150 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs und der Sklaverei strukturell dem Rassismus Vorschub leistet.

Wie weiter mit der afroamerikanischen Emanzipation im Amerika der alten, weißen Männer?

Vielstimmige Suche nach dem Maskenmann

30. November 2019

Fast drei Stunden Kurzweil: Bob Dylan-Abend von „Americana im Pädagog“ begeistert in ausverkauftem TIP

Zehn Musikerinnen und Musiker und ein Moderator entführten am Donnerstagabend (28.11.) das Publikum im bis auf den letzten Platz vollbesetzten Darmstädter Theater im Pädagog in den Bob Dylan-Kosmos. Es wurde eine vielstimmige, erlebnisreiche und kurzweilige Suche nach dem großen Trickser, Chamäleon und Sinnsucher der Rockgeschichte. Auch nach fast drei Stunden Programm ging keiner vorzeitig. Das Programm traf genau den Nerv der Dylan-Interessierten.

„Americana im Pädagog“ hatte eingeladen und viele Dylans kamen. Der „Darmstädter Dylan“ Dan Dietrich hatte natürlich Heimspiel, den weitesten Weg hatte Stiff La Wolf aus Mecklenburg-Vorpommern. Aus Frankfurt kamen die DoubleDylans, die Singer.Songwriterin Jen Plater und Martin Grieben, der in Darmstadt aus seiner Zeit bei der Band „Jay“ bestens bekannt ist. Aus Weinheim stießen Zimmerman‘s Friends zur bunten Truppe.

Ihnen allen hatte Thomas Waldherr, Kurator der Americana-Reihe, Songs vorschlagen, die zu den von ihm gesetzten inhaltlichen Schwerpunkten des Abend passten. Ziel war es, die weniger bekannten Seiten des Songwriter-Papstes auszuloten. Und wie die Künstler die Songs aufbereitet hatten, rief immer wieder Beifallstürme des Publikums hervor. So glänzte Martin Grieben mit fantastischen Versionen von „When He Returns“ (Dylans religiöse Phase) und „Po‘ Boy (Dylans Alterswerk). Mitreißend und genau traf er die Beseeltheit Dylans in Ausdruck und Stimme bei „Returns“, musikalisch genial war die Idee, den Po‘ Boy auf der kleinen Ukulele zum Besten zu geben.

Die Double-Dylans fesselten das Publikum mit ihrer ungewöhnlichen Rap-Version von „The Lonesome Death Of Hattie

Matze Schmidt, Stiff La Wolf, Thomas Waldherr, Foto: AIP

Caroll“ (Bob Dylan und Black America) und zusammen mit Jen Plater und deren Maskierung als Mann arbeiteten sie fein heraus, dass die „Political World“ eine Männerwelt ist (Bob Dylans politische Welt). Im Duett hatten Jen Plater und Lokalmatador Dan Dietrich schon lange vorher die Erinnerung Dylans an das „Girl From The North Country“ (Bob Dylans Jugend) mit viel Gefühl intoniert.

Zimmerman’s Friends führten dann die Country-Abteilung an. Mit „Make You Feel My Love“ – u.a. auch von Country-Superstar Garth Brooks gecovered – wurde Dylans Liebeslied von den Weinheimer Dylans in genialer Art, ganz wunderbar zart und sinnlich vorgetragen. Überhaupt schreibe Dylan die schönsten und gefühlvollsten Liebelieder meinte Bandleader Bernd Hoffmann dazu. Anschließend gingen sie beim schmissigen „You Aint‘ Goin‘ Nowhere“ in packender Manier voran und rissen das gesamte Ensemble und das Publikum mit, ehe es in die Pause ging.

Stiff La Wolf wiederum brachte das Publikum durch Vortrag, Bühnenpräsenz und Charisma dazu, ihm bei den langen, textlich besonders anspruchsvollen Stücken „Not Dark Yet“ und „Every GrainOf Sand“ aufmerksam zu folgen. Da schien für einen Moment im Pädagogkeller die Zeit still zu stehen. Aber auch Kurator und Moderator Thomas Waldherr ergriff an diesem Abend seine Chance und sang zusammen mit Stiff La Wolf, begleitet von DoubleDylan Matze Schmidt, die Bob Dylan und Willie Nelson Koproduktion „Heartland“. Das ließ sich hören.

Auch nach fast drei Stunden ließ das frenetisch applaudierende Darmstädter Publikum die Dylan-Truppe einfach nicht von der Bühne und so wurde als allerletzter Song „All Along The Watchtower“ improvisiert. Als dann das Saallicht wieder anging schaute man ringsherum nur in strahlende Gesichter. „Vielen Dank, Ihr habt uns mit diesem Abend ein großes Geschenk gemacht“, drückte eine Besucherin ihre Freude aus. Und beschenkte damit wiederum Ensemble und Moderator. Ein Abend, der für alle, die dabei waren – ob auf, vor oder hinter der Bühne – unvergessen bleiben wird.

Am 13. Dezember unterstützt „Americana im Pädagog“ das Konzert der Country-Rockband „Music Road Pilots in der Darmstädter Michaelsgemeinde und geht dann in die Weihnachts- und Winterferien. Die Americana-Saison 2020 startet dann im TIP am Donnerstag, 30. Januar, mit Martin Griebens Programm „Elvis Pur. Songs und Geschichten vom King of Rock’n’Roll“.

Marc Cohn And Blind Boys Of Alabama: Work To Do

4. Oktober 2019

Der Singer-Songwriter und das Gospel-Quartett brillieren live und im Studio

Die Blind Boys Of Alabama gehören zu den legendären Gesangsgruppen in der Tradition des vierstimmigen Gospel-Satzgesanges. Bei uns hier am populärsten ist sicher das Golden Gate Quartett. Eine weitere legendäre Gruppe waren die Five Blind Boys Of Mississippi. Doch während letztere in den 1990ern ihre Karriere beendeten, nachdem das letzte Gründungsmitglied verstorben war – mehr als 60 Jahre waren sie aktiv – gibt es die Blind Boys Of Alabama dank einiger Neubesetzungen immer noch. Und das ist gut so, denn ihr Gospelgesang ist immer noch bewegend, präzise und ausdrucksstark.

Marc Cohn ist hier zulande vor allem wegen „Walking In Memphis“ bekannt. Sein wunderschöner Song voller Südstaaten-Musik-Feeling – Elvis Presley, W.C. Handy, Beale Street, Catfish, Reverend Al Green – wurde ein Riesenhit. Doch Cohn als „One Hit Wonder“ zu bezeichnen, wäre ungerecht. Denn Cohn ist ein interessanter Singer-Songwriter, der sich stark in der Blues, Soul- und Americana-Musik verortet und noch dazu fast unermüdlich in den Jahren live unterwegs ist. Nur seine Discographie ist bislang recht übersichtlich geblieben.

Beide Acts haben nun zusammen ein Album herausgebracht. „Work To Do“ ist ein erfreuliches Highlight geworden. Cohn hat den Blind Boys Songs und Arrangements auf den Leib geschrieben und zeigt selber wieviel Soul und Gospel er in der Stimme hat. Drei Songs sind im Studio aufgenommen worden, der Rest live im Katharine Hepburn Cultural Arts Center in Old Saybrook, CT, im Rahmen der PBS-Konzertreihe »The Kate«.

Cohn und die Jungs harmonieren auf das Beste, so dass das Album 10 hörenswerte Songpretiosen enthält. Darunter faszinierende Versionen von „Ghost Train“ und „Walking Ihn Memphis“. Und auch sehr schön: Cohns Soloauftritt mit „Listening To Levon“, seinem Song über Levon Helm von „The Band“. Und natürlich darf auf solch einem Album auch nicht eines der schönsten Spirituals überhaupt fehlen: „Amazing Grace“, das durch den Gesangsvortrag von Barack Obama bei der Gedenkfeier für die Toten von Charleston noch bedeutender für die schwarze Community geworden ist. Hier in einer ungewöhnlichen und spannenden Version, die von der Melodie sogar etwas an „House Of The Rising Sun“ erinnert.

Perfekt produziert hat das wunderbare Album John Leventhal, der Ehemann von Rosanne Cash. Und für Dylan-Fans ist noch ein Detail interessant. Am Bass der Live-Band war niemand geringeres als Tony Garnier, seit 30 Jahren Bandleader von Dylans-Tourband.

Starke Stimmen, starke Frauen, starkes Festival

29. September 2019

39. Lahnsteiner Bluesfestival bot Programm der Extra-Klasse/ Blues-Louis an Brian Auger

Ali Neander’s Blues Bang & Friends

Am Ende waren es neben einem Rock-Veteranen vor allem die starken Frauenstimmen, die die 39. Auflage des Lahnsteiner Bluesfestivals prägten: Ann Vriend, Jessica Born (als Teil von Ali Neander’s Blues Band & Friends) und Shakura S’Aida begeisterten das Publikum mit perfektem Soul- und Bluesgesang, Brian Auger wurde für sein Lebenswerk mit dem Blues-Louis ausgezeichnet.

Den Auftakt des wie immer von Arnim Töpel souverän und humorvoll moderierten Abends in der Lahnsteiner Stadthalle machte die Kanadierin Ann Vriend. Zweifellos mit großem Talent ausgestattet, schöpfte sie an diesem Abend dieses jedoch nicht voll aus. Sie lieferte eine gute Show ab, die noch hätte besser sein können. Sie zeigte schöne Ansätze eines anspruchsvollen Pop-Souls und glänzt durch ideenreiches Songwriting , doch mit den Vergleichen mit Aretha Franklin, die ihr im Vorfeld zugeschrieben wurden, tut man ihr keinen Gefallen. Unterm Strich bleibt ein Auftritt, der auf eine sehr positive Resonanz im Publikum traf und Interesse macht, zu schauen, wie sich ihr Talent weiter entwickeln wird.

Ali Neander’s feine Band und Jessica Borns beeindruckende Gesangsleistung
Dann der erste Knaller des Abends: Ali Neander’s Blues Bang & Friends. Mit Jessica Born am Gesang, Felix Zöllner mit Vocals und Harp, Raoul Walton am Bass, Marcel Millot an den Drums, Markus Lauer an der Orgel, Biber Herrmann mit Gitarre und Gesang sowie dem Bläser-Set mit Tommy Schneller (Saxophone, Vocals), Gary Winters (Trompete) und Dieter Kuhlmann (Trombone). Hier wurde in mehrfacher Hinsicht mit dem ganz großen Besteck operiert. Nach einem tollen Solo-Beginn mit „I Got My Mojo Working“ von Biber Herrmann, bei dem er seine faszinierenden Gitarrenkünste eindrucksvoll unter Beweis stellte, und einem feinen Zweierauftritt mit Ali Neander, kam der Rest der Band auf die Bühne und es ging die Post in Sacken Blues-Rock und Soul ab. Insbesondere Sängerin Jessica Born begeisterte, in dem sie alle ihre stimmlichen Register zog und die sind enorm: da ist Soul und Blues in der Stimme, da ist Power, Gefühl und viel Seele.

Doch auch das konnte nur funktionieren mit einer perfekten Bandleistung: Die präzise Rhythmus-Sektion war präzise, Neanders Gitarrenspiel ebenso druckvoll wie einfallsreich und der Bläsersatz ergänzte mit starkem Timing. Zweite gesangliche Entdeckung des Auftritts von Neanders Blues Bang war Tommy Schneller, der mit seinem einzigen Solo-Vortrag stimmlich zwischen Stevie Wonder und Dr. John reüssierte. Denn für den Gesang war ja eben Jessica Born und daneben auch Felix Zöllner zuständig, der ansonsten an der Harp brillierte. Und so spielte sich das Ensemble durch viele Blues- und Soul-Klassiker u.a. von Sam & Dave sowie Howlin‘ Wolf.

Brian Auger mit Lilliana de los Reyes

Pete Yorks humorvolle Laudatio zur Preisverleihung an Brian Auger
Zum 21. Mal wurde dann der Blues-Louis vergeben. In diesem Jahr erhielt ihn Orgel-Rock-Veteran Brian Auger für sein Lebenswerk zur Entwicklung der Orgel in der Rockmusik. Laudator war der Blues-Louis-Preisträger von 2014, Pete York, und gemeinsam sorgten sie – da waren sich die Beobachter einig- für die bislang beste und unterhaltsamste Blues-Louis-Verleihung überhaupt. Wie die beiden Rock-Veteranen sich voller britischem Humor die Bälle zuspielten – da blieb kein Auge trocken und keine Pointe ungesetzt. Ein ganz großer Spaß.

Auch der folgende Auftritt von Brian Auger und Oblivion Express war perfekte Unterhaltung. Auger ist auch mit 80 Jahren voller Energie und Spielfreude, dabei blitzt ihm der stets der Schalk im Nacken. Dylan-Fans ist Brian Auger natürlich auch wegen seiner von Julie Driscoll gesungenen Version von „This Wheel’s On Fire“ bekannt, die 1968 zum einem großen Hit wurde. Die Rolle der Sängerin übernahm an diesem Abend Lilliana de los Reyes, die Ex-Santana-Sänger Alex Ligertwood vertrat. Wobei sie mehr als eine Vertretung war. Ihr perfekter, gefühlvoller Gesang und ihre optische Präsenz setzte Zeichen, und dabei hat sie Talent und Kontur genug, der Gefahr zu trotzen, möglicherweise nur als hübsches Beiwerk den genialischen Maestro an der Orgel wahrgenommen zu werden. Denn sie stammt schließlich aus einer großen kubanischen Musikerdynastie. Ihr Vater Wally ist ein legendärer Drummer und ihr Großvater Walfredo arbeite u.a. mit Linda Ronstadt und Steven Winwoord zusammen.

Shakura S’Aida

Shakura S’Aida setzt einen selbstbewussten und begeisternden Schlusspunkt
Der Abend schloss dann mit einer weiteren starken Frauenstimme. Shakura S’Aida brachte zu fortgeschrittener Stunde den Saal zum Kochen und Singen. Mit ihrem musikalisch abwechslungsreichen Mix aus Soul, Blues und Rock bildete sie alle menschlichen Emotionen ab. Sie war Entertainerin, Diva und Wildkatze. Vor allem aber eine selbstbewusste schwarze Frau, die stets die Kontrolle darüber behält, was sie macht. Und was sie macht, macht sie, weil sie es will und sie macht es gut. Mit „Gechee Woman“, „Don’t Tell Mama Where Her Children Hide“ oder „Devil Only Know My First Name“ heizte sie mit mit einer mitreißendne Performance voller souveränen Körperlichkeit dem Publikum ein, brachte die Halle zu toben und setzte dem großartigen Programm des diesjährigen Lahnsteiner-Bluesfestival einen großen und würdigen Abschluss.

Bei der Güte dieser Auftritte fragt man sich, wie das Ganze im kommenden Jubiläumsjahr noch getoppt werden soll. Doch wenn es das jemand schaffen kann, dann die klugen und kenntnisreichen Organisatoren dieses Festivals!

„The Queen Of The City“

26. Juli 2019

Anita Honis-Bohländer (Standbild aus „The Queen Of The City“ von Lorelay)

Im Dezember 2018 verstarb die Sängerin und Gastwirtin Anita Honis-Bohländer. Nun hat ihr die Frankfurter Singer-Songwriterin Lorelay eine filmische Hommage gewidmet. „The Queen Of The City“ hat am 27. Oktober Premiere.

Sie war der Fixpunkt einer bunten Künstlerszene. In ihrem Lokal Balalaika in Sachsenhausen gaben sich viele Musiker aus der Mainmetropole ein Stelldichein und bis zuletzt war sie eine Art Mutterfigur dieser Szene. Abend für Abend war sie nicht nur die großherzige und verständnisvolle Gastgeberin, sondern liebte es, auch zur Gitarre zu greifen, um Blues- Soul- und Jazzsongs zu singen.

Ihr Tod im Dezember vergangenen Jahres machte viele traurig, weil dies für viele Menschen einen großen Verlust darstellte. Auch für die mittlerweile in Berlin lebende Frankfurter Singer-Songwriterin Lorelay. Die junge Frau hat nun ihren eigenen Weg gefunden, diese Trauer zu verarbeiten und diesen Verlust einzuordnen. Sie hat eine filmische Hommage an Anita Honis erstellt, die am 27. Oktober in Frankfurt Premiere hat.

„Ich hatte für mich selbst das Gefühl, dass Anita trotz einer wunderschönen Trauerfeier mit vielen Gästen nicht die Ehre zuteil geworden war, die sie verdient hatte. Ich hatte das Bedürfnis mit Menschen die sie ebenfalls kannten über sie zu sprechen, mehr zu erfahren.“ Das war der Ausgangspunkt für die junge Musikerin und dem Projekt „The Queen Of The City“. Ich wand mich an die in Berlin lebende Elisabeth Ok, die einige Jahre zuvor über Anitas Ehemann, Carlo Bohländer, einen Film gedreht hatte. Zu meiner großen Freude besaß Elisabeth Ok noch filmisches Archivmaterial von Anita und war so großzügig mir dieses zur Verfügung zu stellen.“

Mit diesem Grundstock begann sie, Bekannte und Freunde von Anita zu interviewen, unter anderem deren langjährige Freundin Sylvia Wunderlich. Man erfährt in dem Film einiges über den Menschen Anita Honis, der stets einen Rat oder ein freundliches Wort für ihre Schützlinge und Gäste hatte. In ihrer Balalaika- Bar, die für viele Künstler zum Treffpunkt wurde. Und man erfährt viel davon, wie sehr sie die Menschen verehrt haben und was für diese Menschen das Besondere an Anita Honis war.

„Und so wurde aus einem sehr persönlichen Lied, einem letzten Gruß an meine ganz persönliche Schlüsselfigur in die Welt der Musik und des Jazz, ein Film, „The Queen of the City“. Benannt nach meinem Lied für Anita“, beschreibt Lorelay die Entstehung des Films.
Lorelay selbst hatte in der Balalaika-Bar einen ihrer ersten Auftritte und ist ihr bis heute verbunden: „Die Balalaika ist an sich schon ein besonderer Ort, aber wir alle kamen dort wegen Anita hin. Sie war es, die uns ermutigte zu spielen, sie war es, die uns das Gefühl von Zugehörigkeit gab, davon willkommen und wertvoll zu sein. Wir kommen alle heute noch immer in ihre Bar, weil wir ihrem Geist nahe sein wollen. Und weil wir John, ihren Sohn sehen wollen. Es ist immer noch wie zu Hause, auch wenn sie sehr fehlt.“

Der Film von Lorelay, der am Sonntag, 27. Oktober, in der Frankfurter Art-Bar Premiere hat, wird diesen Verlust thematisieren, aber mehr noch: Er ist eine Hommage an eine Frau, die neben ihrer Persönlichkeit auch ihre musikalischen Wurzeln in Blues und Soul an den Main gebracht hat. Wer den Film sieht, wird erahnen, was Frankfurt mit ihr verloren hat.

Und hier der Trailer zu „The Queen of the City“: