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Notizen zum schwarzen Amerika (Teil 1)

10. Januar 2020

James Baldwin, Maya Angelou, Aretha Franklin

Die Geschichte der schwarzen Amerikaner*innen ist geprägt durch Ausbeutung, Rassismus und Gewalt. Und das bis zum heutigen Tag. Trotzdem oder gerade deswegen hat die schwarze Community bedeutende Intellektuelle und Künstler*innen hervorgebracht. In diesen Tagen kreuzten sich meine Wahrnehmungen dreier afroamerikanischen Persönlichkeiten und ich sah Parallelen in deren Wege und Werke und entdeckte neue Parameter für das Verständnis afroamerikanischer Kultur in den USA.

Der Debütroman des großen Schriftstellers und Intellektuellen James Baldwin (1924 – 1987) „Von dieser Welt“ ist für mich eines der finstersten und traurigsten Bücher überhaupt. Selten wurde die Verlorenheit und die Überwältigung in kirchlichen Strukturen dermaßen ausweglos dargestellt. Der junge John wird in einer ernsten, sittenstrengen und zugleich äußerst bigotten Welt groß. Daran kann man zerbrechen. Die ausführlichen Schilderungen der Gottesdienste beendeten mein Klischeedenken über ausgelassene, fröhliche und bunte afroamerikanische Kirchen. Die gibt es, aber eben nicht nur. Es gibt auch welche, die machen in ihren Gottesdiensten den jungen Menschen genauso viel Angst wie oftmals hierzulande. Denn es geht immer um Gehorsamkeit gegenüber dem strafenden Gott und selten um den verständnisvollen, vergebenden und liebenden Gott.

Eine Kindheit im Süden
Daran musste ich denken als ich Maya Angelous Biographie „Ich weiß, warum der gefallene Vogel singt“ las. Auch hier ist der Gottesdienst erst einmal ernst und den Kindern wird Gehorsam und Demut abverlangt. Umso tiefer die Fallhöhe, als ein weibliches Gemeindemitglied dermaßen spirituell aus dem Ruder läuft, dass sie eine Gefahr für die Pfarrer und die Gottesdienstbesucher darstellt. Wie die spätere Schriftstellerin, Professorin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou ( 1928 – 2014) diese Szene aus ihrer Kindheit beschreibt ist grandios, und was da im Gotteshaus passiert, ist an Irrwitz und Groteske nicht zu überbieten. „Predige es, Predige es“, ruft das ausgeflippte Gemeindemitglied immer wieder und geht auf den Pfarrer los. Ein ganz großer Lesespaß. So groß wie der Spaß, den Maya und ihr Bruder Bailey damals auch hatten. Aber der war nur kurz, denn nachdem die beiden Kinder so laut gelacht und sich auf dem Boden gewälzt hatten, folgte die schmerzhafte Strafe per Gürtelhiebe. Kinder hatten im Gottesdienst nichts zu lachen.

Maya Angelous Buch ist ein faszinierender Einblick in die schwarze Community der 1940er Jahre. Im Süden, in Arkansas, herrschen die Jim Crow-Gesetze. In Stamps wächst Maya bei ihrer Großmutter auf, die für die dortigen Verhältnisse relativ wohlhabend ist, denn sie besitzt einen kleinen Gemischtwarenladen. Der Rassismus und die latente Gefahr für die Schwarzen, Gewalttaten ausgesetzt zu sein, sind bedrückend. Lynchmorde an Schwarzen sind im Süden zu dieser Zeit keine Seltenheit. Dennoch haben Maya und ihr Bruder auch schöne Kindheitstage, später kommen sie zu ihrer Mutter nach St. Louis, wo Maya von deren Freund vergewaltigt wird. Nach einem erneuten Intermezzo in Stamps ziehen die Kinder wieder zu ihrer Mutter, die jetzt in Oakland, Kalifornien lebt. Wie Maya zu einer selbstbewussten, belesenen und kämpferischen jungen Frau wird, davon erzählt dieses Buch in großartiger Manier. Spannend, direkt und klug schildert Maya Angelou, die mit James Baldwin gut befreundet war, ihre Kindheits- und Jugendgeschichte. Lesenswert!

„Amazing Grace“: Ein besonderes Zeitdokument
Die dritte Persönlichkeit ist Aretha Franklin (1942 – 2018). Die große „Queen of Soul“ begann ihre Weg zur Sängerin im Chor der „New Bethel Baptist Church“ ihres Vaters, Clarence LaVaughn Franklin, der sowohl Baptistenprediger, als auch Bürgerrechtsaktivist war. 1972 – schon einige Jahre nach ihrem Durchbruch mit Soul und Pop – gibt sie ein reines Gospelkonzert in der New Temple Missionary Baptist Church in Los Angeles. Der Mitschnitt bekommt als LP unter dem Titel „Amazing Grace“ mit einem Grammy geehrt. Der ebenfalls dort produzierte gleichnamige Konzertfilm wird aufgrund technischer Problem (Ton- und Bildspur stimmten nicht überein) nie gezeigt. Auch als mittels moderner digitaler Technik dies von ein paar Jahren repariert werden kann, verhindert Aretha Franklin dessen Veröffentlichung. Erst jetzt – gut eineinhalb Jahre nach ihrem Tod – sieht der Film das Licht der Welt.

Und es ist ein großartiges Zeitdokument. Wobei uns die Musik nicht völlig überzeugt. Zu oft dekonstruiert Aretha quasi die Songs, indem sie Töne langsam zerdehnt, so dass sie jeden Zusammenhalt verlieren, „Amazing Grace“ wird so zur endlosen Folge einzelner Töne und der Song verliert an Form und Eindruck. Wohlgemerkt uns geht es heute so. Im Gospelkonzert im Gotteshaus im Film reagieren aber sowohl der Chor wie auch die Zuhörer mit spontanen ekstatischen spirituellen Ausbrüchen auf einzelne Töne. Wobei wir fast schon wieder beim Gottesdienst von Maya Angelou wären. Wie auch immer, wir können es nicht nachvollziehen, warum diese Art des Vortrags so zündet. Andere Songs dagegen – Climbing Higher Mountains – entsprechen eher unseren Hörgewohnheiten. Für uns das Highlight: Die Kombination und Verschmelzung des Spiritual „Precious Lord, Take My Hand“ mit Carol Kings Popsong You’Ve Got A Friend“. Wie beides ineinander verwoben wird, so das Pop zu Gospel und Gospel zu Pop wird ist genial.

Mit zur Seite stehen Aretha an diesen zwei Abenden musikalisch zwei Männer. Chorleiter Alexander Hamilton und Reverend Dr. James Cleveland. Letzterer, Arethas väterlicher Freund und Klavierlehrer und wichtige Gründerfigur der modernen Gospelmusik führt mit viel Humor und Schweiß durchs Programm. Dennoch: Aretha spricht in diesem Film ausgesprochen wenig und schaut meist ernst. Ob sie dieses „Back tot he Roots“ dann doch überwältigt. Auf alle Fälle am zweiten Abend könnte das so gewesen sein. Denn da sind nicht nur einige Weiße mehr Anwesend – darunter auch Edelfans wie Mick Jagger und Charlie Watts – sondern auch ihr Vater unter dessen Augen in unmittelbarer sie nun musiziert.

Manchmal wirken die Aufnahmen unfertig und improvisiert und man merkt, wie sehr sich der Film und die Sehgewohnheiten in den fast 50 Jahren verändert haben. Da ist noch echter Schweiß zu sehen, da wirkt manches ungelenk und bedächtig, da ist nichts schnell und auf den Effekt zielend geschnitten. Heutzutage würde solch ein Film ganz anders aussehen. Martin Scorsese hatte 1977 das Genre des Konzertfilms durchaus revolutioniert. Wie er Bob Dylan und Robbie Robertson in „The Last Waltz“ inszeniert hat, wie er längere Erzählpassagen der Bandmitglieder mit den Konzertbildern verwebt ist große klasse. Aber gut, dass die Produzenten rund um Regisseur Spike Lee bei „Amazing Grace“ widerstanden haben, dies hier anzuwenden und einen neuen Film zu schaffen.

Von der Black Power zum Überlebenskampf
So sehen wir ein Zeitdokument der frühen 1970er Jahre, in denen der Stolz der schwarzen Community zu spüren ist. Zwar sind Malcolm X und Martin Luther King ermordet worden, aber es ist die Hochzeit der Black Power des Soul, der Black Panther, der Blaxploitation-Filme mit ihrem König „Shaft“. Noch gibt es bei allen Rückschlägen Erfolge auf dem Weg zur schwarzen Emanzipation in den USA. Die Abwärtsbewegung beginnt mit einige Jahre später Präsident Ronald Reagan und dessen Einsatz rassistischer Denkfiguren und Vorurteile in seiner politischen Kommunikation sowie seinen Kürzungen bei Sozialleistungen, die vor allem die schwarze Community treffen. Die musikalische Antwort darauf waren Hip Hop und Rap und völlig neue popkulturelle Codes. Jetzt ging es nicht mehr um Emanzipation, jetzt ging es oftmals nur noch ums Überleben im Ghetto zwischen Drogen und Gewalt. Doch das ist eine andere Geschichte.

So sind die drei Geschichten, die hier in den zwei Büchern und dem Film erzählt werden, auch gute Beispiele für die Bedeutung der Religion für die Afroamerikaner bis in die 1970er Jahre. Für Glauben und Gehorsam. Für Bigotterie und persönlichen Aufstieg. Für scheinbar dominante Männer- und wirklich starke Frauenfiguren. Und für die Hoffnung, dass Gott seine schwarzen Brüder wirklich befreien möge aus all ihren Ketten. Dass der Kampf des Volkes vom Herrn unterstützt wird.

Diesen Optimismus hat „Black Lives Matter“ nicht mehr. Hier geht es scheinbar alleine um den Abwehrkampf gegen die Ausformungen einer Staatsmacht, die auch mehr als 150 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs und der Sklaverei strukturell dem Rassismus Vorschub leistet.

Wie weiter mit der afroamerikanischen Emanzipation im Amerika der alten, weißen Männer?

Marc Cohn And Blind Boys Of Alabama: Work To Do

4. Oktober 2019

Der Singer-Songwriter und das Gospel-Quartett brillieren live und im Studio

Die Blind Boys Of Alabama gehören zu den legendären Gesangsgruppen in der Tradition des vierstimmigen Gospel-Satzgesanges. Bei uns hier am populärsten ist sicher das Golden Gate Quartett. Eine weitere legendäre Gruppe waren die Five Blind Boys Of Mississippi. Doch während letztere in den 1990ern ihre Karriere beendeten, nachdem das letzte Gründungsmitglied verstorben war – mehr als 60 Jahre waren sie aktiv – gibt es die Blind Boys Of Alabama dank einiger Neubesetzungen immer noch. Und das ist gut so, denn ihr Gospelgesang ist immer noch bewegend, präzise und ausdrucksstark.

Marc Cohn ist hier zulande vor allem wegen „Walking In Memphis“ bekannt. Sein wunderschöner Song voller Südstaaten-Musik-Feeling – Elvis Presley, W.C. Handy, Beale Street, Catfish, Reverend Al Green – wurde ein Riesenhit. Doch Cohn als „One Hit Wonder“ zu bezeichnen, wäre ungerecht. Denn Cohn ist ein interessanter Singer-Songwriter, der sich stark in der Blues, Soul- und Americana-Musik verortet und noch dazu fast unermüdlich in den Jahren live unterwegs ist. Nur seine Discographie ist bislang recht übersichtlich geblieben.

Beide Acts haben nun zusammen ein Album herausgebracht. „Work To Do“ ist ein erfreuliches Highlight geworden. Cohn hat den Blind Boys Songs und Arrangements auf den Leib geschrieben und zeigt selber wieviel Soul und Gospel er in der Stimme hat. Drei Songs sind im Studio aufgenommen worden, der Rest live im Katharine Hepburn Cultural Arts Center in Old Saybrook, CT, im Rahmen der PBS-Konzertreihe »The Kate«.

Cohn und die Jungs harmonieren auf das Beste, so dass das Album 10 hörenswerte Songpretiosen enthält. Darunter faszinierende Versionen von „Ghost Train“ und „Walking Ihn Memphis“. Und auch sehr schön: Cohns Soloauftritt mit „Listening To Levon“, seinem Song über Levon Helm von „The Band“. Und natürlich darf auf solch einem Album auch nicht eines der schönsten Spirituals überhaupt fehlen: „Amazing Grace“, das durch den Gesangsvortrag von Barack Obama bei der Gedenkfeier für die Toten von Charleston noch bedeutender für die schwarze Community geworden ist. Hier in einer ungewöhnlichen und spannenden Version, die von der Melodie sogar etwas an „House Of The Rising Sun“ erinnert.

Perfekt produziert hat das wunderbare Album John Leventhal, der Ehemann von Rosanne Cash. Und für Dylan-Fans ist noch ein Detail interessant. Am Bass der Live-Band war niemand geringeres als Tony Garnier, seit 30 Jahren Bandleader von Dylans-Tourband.

They Are Younger Than That Now!

15. Juli 2019

Neil Young und Bob Dylans gemeinsamer Auftritt in Kilkenny

Promo: Veranstalter

Nein, das wird nicht passieren! Träumer, die da denken Bob Dylan und Neil Young würden sich zum Tour-Abschluss die Bühne für einen gemeinsamen Song teilen. Niemals wird das geschehen! So oder ähnlich dachte ich wie so manch anderer vermeintlicher Realist auch. Zu oft hatte Dylan solche Chancen trotz gemeinsamer Touren mit Willie Nelson, John Mellencamp oder Merle Haggard ausgelassen.

Dadurch hatte man fast vergessen, dass Dylan 2013 bei der Americanarama-Tour tatsächlich gemeinsam mit Wilcos Jeff Tweedy, My Morning Jackets Jim James, und Ryan Bingham zusammen den „Band“-Klassiker „The Weight“ gespielt hatte. Aber das war die große Ausnahme von der Regel.

Aber irgendwie passte dieser gemeinsame Auftritt am Sonntagabend im irischen Kilkenny zu dieser staunenswerten Dylan-Tour im Sommer 2019. Hatte Dylan im Frühjahr schon begeistert durch frische, neue Arrangements seiner Songs – „Don’t Think Twice“ am Klavier nur von Tony zart mit Bass und Bogen begleitet war der Höhepunkt im April in Augsburg – kam bei dieser Tour nun eine für Dylan überbordende Spiel- und Ausdrucksfreude dazu. Selten hat man ihn so entspannt im hier und jetzt gesehen, schon lange nicht mehr so voller Energie und der Lust und dem Spaß an der Performance. Die Konzerte 2017 und 2018 waren sehr gut, die Frühjahrstour auch, doch jetzt steigerte sich Dylan gegen Ende seiner diesjährigen Europatour zu einer beachtlichen Form empor.

Diesmal war „Girl From The North Country“ der Höhepunkt. Ganz zart, ganz langsam, ganz eindringlich hat der 78-jährige sein frühes Lied über eine Jugendfreundin gesungen. Mit so viel Melancholie, dass einem die Tränen kommen. Fast ebenso melancholisch kommt auch „Simple Twist If Fate“ in diesen Tagen daher. Erinnerungen des alten Mannes an vergangene Liebschaften voller Sehnsucht, voller Hingabe und voller Einsicht, dass das lange zurückliegt aber immer zu diesem Leben dazugehören wird.

Dylan scheint sich der eigenen Bedeutung in diesen Tagen sehr bewusst zu sein und reagiert mit Stolz und der Selbstverpflichtung, etwas Gutes abzuliefern darauf. Kein Auto-Pilot, nicht eine Zeile wird da weg genuschelt. Während Bob mit immer neuen Verfremdungen seiner Songs durch Deutschland reiste, war Neil Young indes als ton- und wortgetreuer Apologet seiner selbst unterwegs. Herausgefordert von der jungen Truppe um Willie Nelsons Sohn Lukas, treibt er die Jungen an, spielt seine Songs wie man sie halt kennt, nur eben live. Mit noch längeren und noch brachialeren Soli die Rocknummern, weich und geschmeidig die zarten Folknummern. Das macht richtig Spaß, ist sicher leichter zugänglich wie die Dylan-Methode, sollte aber nicht – wie in der britischen Presse geschehen- gegen Dylans Art der Performance ausgespielt werden.

Denn beide sind in ihrer Art einzig und besonders. Dass sie sich nun zusammen die Bühne zum Abschluss ihrer beider Touren in Kilkenny teilten, ist auch etwas Besonderes. Wie gesagt, beide sind sich ihrer Stellung bewusst. Und so singen sie aus vollem Herzen das alte Traditional „Will The Circle Be Unbroken“, das schon von so großen und wichtigen Interpreten wie der Carter Family oder den Staple Singers angestimmt wurde.

Dylan und Young hatten in jungen Jahren die Nachfolge der alten Folkmusiker mit ihren eigenen musikalischen Mitteln angetreten, nun im Herbst ihres Lebens nehmen sie die jenseitige Hoffnung des alten, überlieferten Liedes auf. Ein Lied, das auch immer dazu dient, einem die Last vom Leben zu nehmen, weil es verheißt, dass da noch etwas Besseres kommt.

Doch wer Dylan und Young im Sommer 2019 im Konzert erlebt hat, der hat alles andere als Künstler gesehen, die eine Last zu tragen haben. Im Gegenteil: Da konnte man zwei spielfreudige alte Haudegen sehen, die wir weiterhin gerne regelmäßig hierzulande zu Besuch hätten. They Are Younger than that now!

Die Schwester, die uns den Rock’n’Roll gab

14. November 2018

Vor 45 Jahren starb Sister Rosetta Tharpe, Gospel-Sängerin und zugleich Pionierin des Rock’n’Roll

Nein, ich glaube ich muss hier nicht mehr erklären, dass weder Elvis noch Jerry Lee den Rock’n’Roll erfunden haben. Nein, der Rock’n’Roll war schon vorher da, wurde u.a. von Chuck Berry gespielt, hieß da aber noch Rhythm & Blues. Die weißen Jungs waren dafür gut, diesem Musikstil ein zahlungskräftiges, weißes Publikum zuzuführen. Die wirklichen musikhistorischen Leistungen haben dagegen Chuck Berry und eine ganz besondere Frau erbracht.

Sister Rosetta Tharpe, geboren 1915 als Rosetta Nubin im armen Arkansas, kam mit sechs Jahren nach Chicago. Zeit ihres Lebens blieb sie eine Grenzgängerin zwischen dem Gospel und der schwarzen weltlichen Musik. Sie trat schon früh als Sängerin und Gitarristin in kirchlichen Zusammenhängen auf – ihre schwarze Pfingstlergemeinde erlaubte den expressive musikalischen Ausdruck und dass Frauen sangen und lehrten – und nahm mit 23 den Bühnennamen Sister Rosetta Tharpe an, eine Variation des Namens ihres geschiedenen Mannes, mit dem sie nur wenige Jahre zusammen war. „Rock Me“ und andere Songs, die sie 1938 einspielte, machten sie über Nacht zum Star und beeinflussten alle wichtigen weiteren Rhythm & Blues und Rock’n’Roll-Pioniere.

Ihre Einzigartigkeit bestand im expressiven Gesangsvortrag gepaart mit dem Spiel der elektrischen Gitarre, der sie oftmals im Slide-Stil die Töne hervorlockte. Zwar waren es oftmals inhaltlich Gospel, die sie sang, die aber waren mit einer solchen weltlichen musikalischen Wucht vorgetragen, dass sie das religiöse Publikum ebenso schockierten wie das weltliche Publikum elektrisierten. So wurde sie in den 1940er zu einer Künstlerin, die die Grenzen überwand. die Grenzen zwischen schwarzer religiöser und weltlicher Musik ebenso wie die die Rassenschranken, in dem sie schwarze Gospel vor einem größeren weißen Publikum spielte.

In den 1950ern war sie eine Sensation, spielte in ausverkauften Arenen und beeinflusste direkt die weißen Rock’n’Roller. Just als sie wegen deren Erfolg in den Hintergrund gerückt war, wurde sie durch das europäische Interesse am Blues wiederentdeckt und sie trat auf einer Tour durch den alten Kontinent auf.

1970 erlitt sie einen Schlaganfall und beendete deswegen ihre Konzertaktivitäten. Sie hatte Diabetes und verstarb am 9. Oktober 1973 an den Folgen eines erneuten Schlaganfalles.

In den vergangenen Jahren wurde ihr enormer Beitrag zur Geschichte von Rock und Blues durch die Aufnahme in die Rock’n’Roll Hall Of Fame und die Blues Hall Of Fame gewürdigt. Eine BBC-Dokumentation nannte sie „The Godmother Of Rock’n’Roll“. Ihre Einflüsse reichen heutzutage bis hin zu so unterschiedlichen Künstlerinnen wie Rosanne Cash, Mary Chapin-Carpenter oder Rhiannon Giddens. Und Bob Dylan sagte über sie: „Schwester Rosetta Tharpe war alles andere als gewöhnlich und schlicht. Sie war eine große, gutaussehende Frau und göttlich, ganz zu schweigen von der Erhabenheit und Pracht. Sie war eine mächtige Naturgewalt. Eine Gitarre spielende, singende Evangelistin.“

Es lohnt sich also mit der Musik dieser großen Künstlerin zu beschäftigen. In einer besseren Welt hätte sie die Lorbeeren und die öffentliche Aufmerksamkeit bekommen, die andere einheimsten. Daher ist es nur gerecht an sie und ihre Musik zu erinnern.

Zwei Videos. Sister Rosetta Tharpe 1964 bei einem Konzert auf einem Bahnhof in Manchester und Rhiannon Giddens mit Sister Rosetta Tharpes „Up Above My Head“:


Ry Cooder live in Oostende

28. Oktober 2018

Der Meister der Slide-Gitarre liefert ein starkes Konzert ab/ Viele Blues und Gospeltöne

Er ist eigentlich ein Musician’s Musician und als Solokünstler nicht in der ersten Reihe. Mit ihm werden Projekte wie „Buena Vista Social Club“ verbunden oder die Filmmusik zum Wim Wenders-Film „Paris, Texas“. Als Slide-Gitarrist ist er auch ein gefragter Sideman für die Stars der allersten Reihe. Und dennoch hat er auch als Solo-Künstler ein so beachtenswertes Oeuvre geschaffen, dass seine Tourneen auf große Resonanz stoßen.

So auch am Freitag, 12. Oktober, im Nordseebad Oostend in Belgien. Der Kursaal war ausverkauft und wir waren gegen 19.58 Uhr auf den Plätzen, nachdem Zugausfälle, Streckensperrungen und Umleitungen unsere Anreise erschwert hatten. Das was wir dann zu hören und sehen bekamen, war mehr als eine Entschädigung. Es war ein ganz starkes Konzerterlebnis. Was man jedoch vom Vorprogramm mit Ry Cooders Sohn Joachim nicht sagen konnte. Sphärische Weltmusikklänge, die einen nie wirklich gepackt haben. Haken wir das mal als väterliche Unterstützung ab.

Ry Cooder jedoch ist in großer Form an Slide- und E-Gitarre und hat eine Klasse Band und das fantastische Gospel-Soul-Sangestrio The Hamiltones dabei. Cooder spielt knüpft an sein letztes Album „The Prodigal Son“ an und spielt hauptsächlich alte Traditionals und mit „The Very Thing That Makes You Rich (Makes Me Poor)“ nur einen eigenen Song. Die Musik ist blues- und gospelgetränkt. Er steigt ein mit zwei Coverversionen von Songs des texanischen Blues- und Spiritualmusikers Blind Willie Johnson ein: „Nobody’s Fault But Mine“ und „Everybody Ought to Treat a Stranger Right“. Damit ist Abend programmatisch umrissen. Später folgt noch mit „Jesus In The Mainline“ von Mississippi Fred McDowell ein Klassiker eines Delta-Blues-Veterans. Cooder geht ganz auf in dieser alten Musik aus den 1940er Jahren. Und spielt auch Stücke von weißen Musikern. Das Stock der Stanley Brothers – Harbor Of Love“ wird von ihm zu einem schwarzen Gospel umarrangiert. Und er spielt einen Titel von Woody Guthrie, „Vigilante Man“ und natürlich „The Prodigal Son“, den Titeltrack seiner gleichnamigen neuen Albums. Ihm geht es um die Musik der armen und beladenen Amerikaner, der Schwarzen wie der Weißen. Und die Aussage dahinter, um die es ihm geht, ist die Erinnerung an das andere Amerika. Denn ohne dass Cooder explizit politische Reden führt, ist das Konzert eine einzige Liebeserklärung an das andere Amerika.

Cooder ist gut aufgelegt, sein Gitarrenspiel launig und inspiriert, dabei wie immer technisch perfekt. Wenn man sich die Setlist und seine neue Platte anhört, könnte man meinen, der Mann müsse Trübsal blasen. Doch im Konzert zeigt sich ein ganz entspannter, selbstironischer und humorvoller Ry Cooder. Er ist sogar zu Scherzen aufgelegt. So bewirbt er den Merchandising-Verkauf im Foyer und hebt hervor, dass Dylan ein großer Anhänger und Experte des „Merch“-Verkaufs sei. Die Baby Doll T-Shirts seien immer als erstes ausverkauft, habe ihm die Singer-Songwriter-Legende mit auf den Weg gegeben, erzählt Cooder schmunzelnd.

Das Konzert nimmt zum Schluss immer mehr Fahrt auf, wofür auch die „Hamiltones“ sorgen, die mit viel Gospel-Soul-Power die Betriebstemperatur im Kursaal mächtig steigen lassen. Nach Cooders klasse Version von Elvis‘ „Little Sister“ gehören die Lead-Vocals im letzten Song dann den „Hamiltones“. „I Can’t Win“ ist ein triumphaler Abschluss eines ganz starken Konzertes. Ein Abend, der im Gedächtnis bleiben wird.

Bob Dylan und „Black Music“

11. Mai 2018

Dass Bob Dylan seine Wurzeln auch im Blues hat, ist hinlänglich bekannt. Seine Beziehung zu Gospel, Soul und Rap lohnt aber einer genaueren Betrachtung

Die Generation aus der Bob Dylan stammt hat den Blues der Schwarzen aufgesogen, war doch die Musik der unterdrückten Afroamerikaner für diese rebellische Jugend ein perfektes Ausdrucksmittel gegen die Kultur ihrer Eltern, die musikalisch in den Zentren Classic Urban Pop und im ländlichen Raum Country Music hörte. Das war bei Dylan auch nicht anders, jedoch hat der schon früh in seinem Werk auch die Verbindungslinien vom Blues zum Country offengelegt. So ist „Only A Hobo“ beispielsweise von Jimmie Rodgers beeinflusst, der Blues und Hillbilly-Elemente zusammenführte und somit zum „Vater“ der klassischen Countrymusik wurde.

An der Seite der Bürgerrechtsbewegung
Dylan hat seine ganze Karriere über Blues gespielt und ist somit – ohne dieses Label direkt zu tragen – im Grunde einer der wichtigsten und einflussreichsten weißen Bluesmusiker überhaupt. Zudem ist er schon in jungen Jahren ein Bewunderers der Gospel Music der Staple Singers gewesen, mit Mavis Staples war er eine Zeit lang liiert, seinen Heiratsantrag in jungen Jahren lehnte sie ab. Dylan gehörte der jungen weißen Generation an, die ganz selbstverständlich mit den Schwarzen als ihnen gleichberechtigte Menschen umging und sich für deren Rechte einsetzte. Er spielt in seiner Frühzeit in New York im Vorprogramm von John Lee Hooker. Er reiste im Juli 1963 mit Pete Seeger und Theodore Bikel in den Süden, um die Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen und er spielte mit Joan Baez bei „March to Washington“ im August 1963, bei dem Martin Luther King seine berühmte Rede „I have a dream“ hielt.

Die schwarze Community wurde natürlich auf den jungen weißen Freiheitssänger aufmerksam. Insbesondere natürlich die schwarzen Musiker. Sie ließen sich von ihm inspirieren wie Sam Cooke, dessen „A Change Is Gonna Come“ eine direkte Antwort auf „Blowin In The Wind“ darstellt. Oder sie sangen seine Lieder. So wie die schon erwähnten Staple Singers. Oder Odetta oder Nina Simone oder Jimi Hendrix. Sie alle spielten bereits in den 1960ern Dylans Songs. Und 1969 nahm ein von Lou Adler zusammengestellter Gospel-Chor Dylan-Songs unter dem Titel „Dylan’s Gospel“ auf. Mit dabei Clydie King, die in den frühen 1980ern dann Dylans Backgroundsängerin und Freundin werden sollte. Doch dazu später mehr. Die Linie der schwarzen Musiker, die Dylan geschätzt und gecovert haben führt über die O’Jays, Solomon Burke und Bobby Womack bis hin zu Bettye LaVette, die soeben unter dem Titel „Things Have Changed“ ein Soul-Album mit Dylan-Songs veröffentlicht hat. Eine schöne Sammlung zu diesem Thema ist unter dem Titel „How Many Roads. Black America Sings Bob Dylan“ erschienen.

Und Dylan blieb der schwarzen Community und deren Problemen wie Kriminalisierung und Rassimus auch in den 1970ern treu. Nicht von ungefähr stellen seine beiden einzigen wirklichen Protestsongs dieser Dekade schwarze Protagonisten in den Mittelpunkt. 1971 den erschossenen Black Panther-Führer George Jackson und 1975 den zu Unrecht wegen Mordes verurteilten schwarzen Boxer Rubin „Hurricane Carter“. Zum großen Benefizkonzert kam dann auch Muhammad Ali in den Madison Square Garden. Übrigens war Black Panther-Mitbegründer Huewy Newton ein großer Dylan-Fan. Wobei er sich weniger von den Bürgerrechtssongs, also von Dylans Rockmusik begeistert zeigte. Letztlich hat sich Dylan aber wohl – es soll bei einem Treffen zu einem Disput zwischen den Panther-Funktionären und dem Sänger gekommen sein – wegen der Gegnerschaft der Panther zu Israel sich dann nie wirklich für sie verwendet.

Dylan entdeckt den Gospel für sich
Eine tiefere, systematische Beschäftigung mit der schwarzen Musik jenseits vom Blues jedoch begann für Dylan dann mit seiner Welt-Tournee 1978 und den darauf folgenden „Born Again“-Jahren. „Street Legal“ war schon gekennzeichnet durch Soul- Rhythm & Blues sowie Gospel-Elementen, und es wurde erstmals bei Dylan ein Background-Chor schwarzer Sängerinnen eingeführt. Verstärkt wurde das dann durch seinen Übertritt zum Christentum. Denn Bob spielte fortan schwarzen Gospel, keinen weißen Country-Gospel. Und es war die schwarze Schauspielerin Mary Alice Artes, die ihn bei seiner Konvertierung zum Christentum unterstützte.

Dylan verband übrigens mit einigen seiner schwarzen Backgroundsängerinnen mehr als nur die Musik. so war er eine Zeit lang mit besagter Clydie King liiert – es gibt ein wunderschönes Video der beiden, wie sie Abraham, Martin & John singen und die tiefe Zuneigung überhaupt nicht zu übersehen ist. Und mit Carolyn Dennis war er dann Mitte der 1980er verheiratet und hat mit ihr auch ein Kind.
Bis in die frühen 1990er Jahre spürt man in seiner Musik den Einfluss von Rhythm & Blues, Soul und Gospel. Insbesondere sein 1985er Album „Empire Burlesque“ atmet – unabhängig von den bekannten Qualitätsproblemen bei Songs und Produktion – viel Soul und Funk. 1986 nimmt er zur Verblüffung vieler bis heute einen Song zusammen mit dem Rapper Kurtis Blow auf. Was von vielen als künstlerische Desorientierung Dylans in den 1980ern angesehen wird, ist meiner Meinung nach ein Zeugnis für die Hochachtung Dylans vor der schwarzen Musik in all ihren Ausprägungen. 1986 und 1987 tritt er zusammen mit den Queens Of Rhythm als Background-Sängerinnen auf, Gospel-Einflüsse halten sich weiterhin in seiner Musik.

Blues und Jazz
Mit seinen Alben „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ erinnert er sich dann wieder an seine Blueswurzeln. Aber diesmal auch an die schwarze Musik, die es fernab dem typischen Delta-Blues gab. Er spielt „Frankie & Albert“, einem Stoff, der u.a. auch von den Songsters – nicht Bluesern! – Leadbelly und Mississippi John Hurt bekannt ist. Und „World Gone Wrong“ ist auch eine Reminiszenz an die Mississippi Sheiks, einer Gruppe von Unterhaltungsmusikern aus dem Süden, deren Repertoire weit über den klassischen Blues hinausging.

Bis heute sind all diese Einflüsse – Blues, Soul, Funk, Rythm & Blues – in seiner Musik vorhanden. Sogar Ausflüge in den Jazz gibt es zu notieren. Wie zum Beweis ist gerade „United We Swing: Best of The Jazz at Lincoln Center Galas“ erschienen, auf dem Dylan mit dem Winston Marsalis Septet „It Take A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry singt und dabei Mundharmonika spielt. Die ebenfalls auf einer dieser Galas Anfang der 2000er Jahre verjazzte Version von Don’t Think Twice“ hat es leider nicht auf die Platte geschafft.

Und wenn man sich heute seine Konzerte anhört, dann hat „Blowin‘ In The Wind“ mittlerweile einen starken Gospel-Soul-Touch. Bob Dylan ist bis heute ein kultureller Brückenbauer zwischen Schwarz und Weiß geblieben. Auch das ist eine Qualität für sich im heutigen Amerika.

The O’Jays sing Bob Dylan:

Bob Dylan sings Solomon Burke:

Ruthie Foster und das 37. Lahnsteiner Bluesfestival

1. Oktober 2017

Nein, ich bin eigentlich kein Blueser. Von Hause aus bin ich wegen Bob Dylan Folk-Rocker, dann kam über die Jahre die Liebe zum Alternative Country, zur Old Time Hillbilly-Musik und zum Bluegrass dazu. Doch für all diese Musik hat der Blues eine immense Bedeutung. Als ich dann nach regelmäßigem Austausch über Bob Dylan und die Americana-Musik mit Tom Schroeder, einem „Elder Statesman“ der deutschen Folk- und Bluesmusikszene, von ihm zum 37. Lahnsteiner Bluesfestival eingeladen wurde, fuhren wir sehr gerne hin.

Dort bemerkte ich dann, dass Tom Schroeder im Programmheft meine Gedanken zum Thema „Americana und Protestsongs in den Zeiten von Trump“ aufgenommen hatte und mich sogar dort namentlich erwähnt hatte. Wow!

Albert Castiglia und Mike Zito

Guitar Champs
Erster Act des Abends waren dann die „Guitar Champs“, Mike Zito und Albert Castiglia, die beide Meister ihres Fachs sind, und auch mich begeisterten. Ich bin kein Bluesrock-Fan und kann stundenlangen Blues-Rock-Gewittern nicht viel abgewinnen. aber was die beiden eine knappe Stunde lang da veranstalteten, war allererste Sahne. Beide spielen lange virtuose Bluesgitarrensoli und doch könnte ihre Spielweise nicht unterschiedlicher sein. Wo Zito eher lickt und perlt, da zieht und zwingt Castiglia die Töne, und beide holen das letzte aus sich und ihren Instrumenten heraus. Und wo Zito eine gute Rockstimme hat, hat Castiglia eine Blues-Röhre. Und wenn die beiden dann noch miteinander spielen und jeder den anderen zu noch größeren Höchstleistungen anstachelt, dann gibt es kein Halten mehr. Allerhöchste Spielfertigkeit – ein Genuß!

Joja Wendt und Stefan Gwildis

Stefan Gwildis


Nun kommt der Teil des Abends, der eher dem leichteren Mainstream-Blues gewidmet ist. Joja Wendt, der laut Laudatorin Andrea Ballschuh ein wirklich sympathischer Mensch ist, bekommt den Blues-Louis 2017. Zusammen mit seinem Kumpel Stefan Gwildis bringt er dann ein paar Songs zum Klingen und insbesondere Gwildis‘ Hit „Spiel das Lied in Dir“ sorgt für Riesenstimmung im Publikum.

Ruthie Foster

Ruthie Foster
Ich gebe zu, ich hatte sie vor dem Abend nicht auf dem Schirm. Umso begeisterter war ich nach dem Auftritt der Texanerin, die in großartiger Weise Folk, Gospel, Soul und Blues mischt und damit bestes Americana erschafft. Bei ihrer Musik und ihren Texten ist der Süden präsent. Die kleinen Käffer aus denen man fliehen will, die Herzlichkeit der Leute, ebenso wie der Rassismus, Armut und privaten Katastrophen ebenso wie die Liebe und der Gottesglaube. Mit im Gepäck hat sie auch Songs musikalischer Vorbilder wie Sister Rosetta Tharpe oder Mavis Staples.

Mit der Unterstützung ihrer tollen Band – Scottie Miller an Tasteninstrumenten und Mandoline, Samantha Banks an Drums, Percussion und Spoons sowie Larry Fulcher, ganz zurückhaltender Bassist, der aber viel für den Zusammenhalt der Band tut – nimmt sie das Publikum mit auf eine Reise durch den Süden mit. Unglaublich, mit wieviel Energie und Stimme die nicht sehr große Frau in der Lage ist, ihren Songs Aus- und Nachdruck zu verleihen.
Die Frau hat noch dazu so ein natürliches, sympathisches Cahrisma, dass ihr die Herzen in der Lahnsteiner Stadthalle im Nu zufliegen. Ihr viel umjubelter Auftritt endet erst nach einer so im Zeitplan nicht vorgesehenen Zugabe. Und kaum ist sie von der Bühne, ist sie auch schon auf der anderen Seite der Halle am Verlaufsstand und signiert CDs und ist zu jedem Selfie bereit. Eine fantastische Künstlerin.

Danach ist dann die „Latvian Blues Band“ eher als Partyband zu werten. Doch im Anbetracht der Uhrzeit und dem Nachhauseweg entscheiden wir uns aufzubrechen und auf Party und After Show-Meeting zu verzichten. Doch warum nicht nächstes Mal? Denn nach diesem tollen Erlebnis werden wir ganz sicher nochmals nach Lahnstein kommen.

Rückblick auf die Gospel-Phase

21. September 2017

Die nächste Ausgabe der Bootleg Series von Bob Dylan führt zurück in die späten 1970er und frühen 1980er Jahre als die Musiklegende sich ganz dem Gospel-Rock verschrieb

Bei vielen Dylan-Fans sind die religiösen Gospeljahre des Ausnahmekünstlers bis heute umstritten. Sicher, die Musik war richtig gut und die Performance des Meisters leidenschaftlich und engagiert. Aber die Inhalte – die wollten so gar nicht zu dem sonst so freigeistigen Dylan passen. Konservative Moral- und Politikansichten gepaart mit düsteren, voller alttestamentarischem Zorn aufgeladenen Predigten auf der Bühne: Dylan wurde Ende der 1970er zum wiedergeborenen Christ. Das war dann doch einigen zu viel. Umso größer war dann die Freude, dass ein Bob Dylan sich eben doch nicht über längere Zeit vom Dogmatismus gefangen nehmen lässt. Denn Anfang der 1980er war die Liaison mit dem fundamentalistischen Christentum dann schon wieder vorbei.Ausgerechnet dieser Phase widmet nun Columbia den 13. Teil der Bootleg Series. „Trouble No More“ heißt das Werk, das sowohl als 8-CD-De Luxe-Version, als auch als 2-CD-Version auf den Markt kommt und Live-Aufnahmen von 1979 – 1981 enthält.

Und tatsächlich klingt die erste Aufnahme, die auf youtube aufgetaucht ist. großartig. Und schon sind sie wieder da- die Bilder, die Klänge. „Slow Train Coming“ und „When You Gonna Wake Up“ mit ihren düsteren Aussagen. „Gotta Serve Somebody“, dessen bayerische Version „Nix Minemmma“ von Ringsgwandl mir immer noch besser gefällt als das Original. Aber auch die geilen Riffs und Licks von Mark Knopfler, der musikalisch dafür sorgte, dass „Precious Angel“ bis heute mein liebster Song aus dieser schwierigen Phase ist. Textlich konnte ich mir dabei schon was Nettes denken, denn ebenso wie auch bei „I Believe In You“ waren diese Songs immer auch doppeldeutig. Preist er hier Gott oder eine Frau? Oder ist Gott für Ihn eine Frau?: Oder zumindest manchmal? Ich jedenfalls interpretierte sie mir immer als Liebeslieder an Frauen. Diese Songs jedenfalls halfen mir, dranzubleiben in meiner frühen Dylan-Phase.

Ebenso wie das Mannheimer Konzert1981, das mein erstes Dylan-Live-Erlebnis war. Da mischte er schon wieder neue und alte Songs. Mit dieser großartigen gestenreichen Version von „Ballad Of A Thin Man“, von der auch der Schnappschuss auf dem Cover stammt. Und „Heart Of Mine“, diesem wunderschön einfachen, rumpelndem Lovesong. Und „Mr. Tambourine Man“ war wieder voll da. Und dann hatte er sich nur kurze Zeit später tatsächlich wieder ins Weltliche begeben und seine nächste Platte sollte ja dann „Infidels“ heißen.

Erst viele Jahre später habe ich noch andere interessante, hörenswerte Dinge entdeckt. Wie wunderbar er den schwarzen Gospel für sich adaptiert hat: „Pressing On“, „When He Returns“ oder „In The Garden“. Denn es war der schwarze Gospel, nicht dfer weiße Country-Gospel, den er hier für sich entdeckt hatte. So sehr, dass er in großartiger Manier das als weißen Country-Gospel von Porter Wagoner bekannte „Satisfied Mind“ am Anfang von „Saved“ in genialer Art und Weise in einen schwarzen Gospel überführte. Ein ganz starkes Stück Musik ist das, wenn er mit „Satisfied Mind“ die Spannung ansteigen lässt, und mit „Saved“ dann die Auflösung, die Befreiung, die Erlösung von der Spannung kommt. Wie in einem afroamerikanischen Gottesdienst. Fantastisch!

Und auch wenn diese Phase Dylans glücklicherweise nur kurz währte und eben nicht meine Lieblingsphase ist, so bin ich doch gespannt auf die Konzerttaufnahmen, auf die Liner Notes und auf den Film „Trouble No More“. Die Bootleg Series haben damit wieder einmal eine Lücke im offiziellen Dylan-Katalog geschlossen. Und das ist immer wieder gut, egal wie nahe einem der Dylan jener Zeit gewesen ist. Etwas Lohnendes zu entdecken gibt es für Dylan-Freunde dabei immer.

„Bob Dylan Trouble No More – The Bootleg Series, Vol. 13 / 1979-1981“ erscheint am 3. November.

Dämonen, die nicht vergehen wollen

5. Juni 2017

Rassismus und rassistische Gewalt als Thema der Roots Music in den USA

„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“
William Faulkner

So wie die Deutschen den Juden nie den Holocaust vergeben hätten, so das alte, böse Bonmot, hat wohl das weiße Amerika den Schwarzen die Sklaverei eigentlich nie vergeben. Deren Schreckensherrschaft nicht, deren Aufhebung nicht und nicht den Bürgerkrieg, der nicht ursächlich wegen ihrer Beseitigung ausgebrochen war, aber dazu beitrug.

Bob Dylan hat in einem Interview dazu einmal gesagt: „Dieses Land ist einfach zu fucked up, wenn es um die Hautfarbe geht. Die Leute gehen sich gegenseitig an die Gurgel, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Es ist der Gipfel des Wahnsinns und würde jede Nation – sogar jede Nachbarschaft – von einer gesunden Entwicklung abhalten. Die Schwarzen wissen, dass es einige Weiße gibt, die die Sklaverei beibehalten wollten, dass sie noch immer unter dem Joch wären, wenn diese Leute die Oberhand behalten hätten…Es ist fraglich, ob Amerika dieses Stigma je abschütteln kann. Es ist nun mal ein Land, das auf dem Rücken der Sklaven aufgebaut wurde. Das ist das Grundübel. Wenn man die Sklaverei auf friedliche Art und Weise aufgegeben hätte, wäre Amerika heute bereits viel weiter.“

Abgesehen vom echten latenten Rassismus, den es nicht nur im Süden gibt, verzeiht das kollektive amerikanische Unterbewusstsein den Schwarzen die 500.000 Toten des Bürgerkriegs wohl nicht. Und so ist das Vergangene im Faulkner’schen Sinne wirklich nicht tot, sondern nicht einmal vergangen.

Der Rassismus beherrscht die US-amerikanische Gesellschaft noch immer und ebenso die Staatsgewalt. Folgende Zahlen belegen das: Junge schwarze Männer (im Alter von 15 bis 34 Jahren) werden – so ein Bericht und eine Untersuchung des britischen Guardian aus dem Jahr 2015- neunmal so oft Opfer von tödlicher Polizeigewalt wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Auch mit Bezug auf gleichaltrige Männer sind die Unterschiede frappierend: Schwarze junge Männer werden fünfmal so oft von Polizisten erschossen wie weiße junge Männer. Schwarze und Hispanics machen 25 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, doch sie stellen gut sechzig Prozent der Gefängnisinsassen. Die Bürgerrechtsbewegung hat die völlige Entrechtung der Schwarzen gelindert, aber die Dämonen wollen einfach nicht vergehen.

Die Wahl Trumps zum US-Präsidenten hat die Lage noch einmal verschärft. Die Zahl der rassistischen Übergriffe gegen Muslime, Schwarze und Hispanics stieg in den Monaten nach der Machtergreifung von Trumps Clique aus weißen Millionären und Milliardären noch einmal an. Und diese Clique würde die Zeit zu gerne zurückdrehen. Vor die Zeit der Bürgerrechtsbewegung und den Gesetzen zur Rassengleichheit.

Rassismus und kulturelle Befruchtung
Das menschliche Zusammenleben ist widersprüchlich. Mehrere hundert Jahre Sklaverei in den USA brachten Rassentrennung, Unterdrückung und rassistische Gewalt hervor. Gleichzeitig aber vermischten sich die Ausdrucksformen der weißen Einwanderer aus Europa und der schwarzen, eingeschleppten Menschen aus Afrika. Im Süden veränderten sich weiße und schwarze Musik und näherten sich an. Neben den „weißen“ Instrumenten Gitarre, Mandoline und Geige etablierte sich das „schwarze“ Banjo. Zusammen gingen wie in den „String Bands“ auf. Afrikanische Tänze und Gesänge mischten sich mit weißen religiösen Inhalten und musikalischen Ausdrucksformen und es entstanden sowohl religiöse Gospels, als auch die Blues- und Workingsongs. Und die Weißen adaptierten die Gospels mit der Folge, dass dasselbe Liedgut sowohl in schwarzen, als auch in weißen Kirchengemeinden gesungen wird. Und während die schwarzen Unterhaltungsmusiker nach der Sklaverei sowohl die weiße Hillbilly-Musik als auch den schwarzen Blues sangen, entstand aus der Zusammenführung beider die Countrymusik, die zwar als „Blues des weißen Mannes“ gilt, aber ihre schwarzen Wurzeln hat, die viel zu oft übersehen werden.

Von „Run, Nigger, Run“ bis „Freedom Highway“
In der Musik der Schwarzen war Rassismus und Gewalt natürlich seit jeher Thema. Eines der bekanntesten frühen Beispiel aus der amerikanischen Folkmusik ist der Song „Run, Nigger, Run“, der Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals dokumentiert ist und von der Flucht vor den weißen „Slave Patrols“ handelt. Als die ländliche Musik des Südens in den 1920er Jahren erstmals auf Platten aufgenommen wurde, waren es eine ganze Reihe von weißen Interpreten, die dieses Lied sangen, wie Uncle Dave Macon (1925) oder Gid Tanner and the Skillet Lickers (1927). Längst hatte sich der schwarze Song ins kollektive Gedächtnis auch der weißen Südstaatler eingebrannt.

„They sellin‘ Postcards of The Hangin'“ singt Bob Dylan in seinem epischen „Desolation Row“. Was auf den ersten Blick als eine treffende böse Metapher auf den amerikanischen Verkaufsgeist daherkommt, ist in Wirklichkeit eine Reminiszenz an einen rassistischen Lynchmord in Dylans Geburtsstadt Duluth in den 1920er Jahren. Was im nördlichen Bundesstaat Minnesota eher die Ausnahme darstellte, war in den Südstaaten bis in die jüngere Vergangenheit Gang und Gebe und hat in die Populärkultur Einzug gehalten. Wir begegnen ihm beispielsweise als Versuch in Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“.

Das abgründigste und berührendste Lied über die Lynchmorde an Schwarzen ist sicher „Strange Fruit“. Der Song wurde 1939 durch Billie Holiday weltweit bekannt. Das von Abel Meeropol komponierte und getextete Lied ist eine der stärksten künstlerischen Aussagen gegen Lynchmorde in den Südstaaten der USA. „Strange Fruit“ wurde zu einer Metapher für Lynchmorde. Eine ganze Reihe von schwarzen und weißen Musikern haben es gesungen: Josh White, Pete Seeger oder Nina Simone. Letztere hat zudem einen eigenen Song als Anklage des Rassismus in den Südstaaten legendär werden lassen: Mississippi Goddam von 1964 war ihre Antwort auf die Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Medgar Evers und dem Bombenanschlag auf eine schwarze Baptistenkirche in Birmingham, Alabama.

Die weiße Jugend entdeckt das Leiden der Schwarzen
Auch in der Bürgerrechtsbewegung befruchteten sich das weiße und das schwarze Amerika. Die junge weiße Generation empfand sich Ende der 1950er/Anfang der 1960er als gegängelte Jugend, die noch dazu die Welt wegen des Ost-West-Konflikts in Kriegsgefahr sah. Man adaptierte die schwarze Leidensgeschichte und deren kulturelle Ausdrucksform für die eigene Zwecke des Aufbegehrens gegen die Elterngeneration. Man fand den Blues und sang im Folk gegen Rassismus und Gewalt. Gerade der junge Bob Dylan hatte eine ganze Reihe von antirassistischen Songs im Repertoire: „Only A Pawn In Their Game“, The Death Of Emmett Till, „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“ oder auch „Oxford Town“.

Der schwarze Blues verarbeitete zwar die tägliche Diskriminierung in seinen Texten, aber Songs mit eindeutig politischer Dimension wie der von Billie Holiday waren bis Mitte des letzten Jahrhunderts eher selten. Genauso selten wie in der weißen Folkmusik vor Woody Guthrie. J.B. Lenoir bildete mit eindeutigen Songs wie „Alabama Blues“, „Down in Mississippi“ und „Vietnam Blues“ hier eher die Ausnahme. Erst die Bürgerrechtsbewegung änderte das. 1965 schrieb Pops Staples für seine Staples Singers als Reaktion auf den Marsch von Selma nach Montgomery den Song „Freedom Highway“.

Selbstredend war die die Problematisierung von Rassismus kein Thema in der weißen Countrymusik. Man sang einfach nicht darüber. Schwarze Countrymusiker wie Charley Pride und Darius Rucker bleiben die Ausnahmen, hatten und haben aber immer wieder mit rassistischen Ausfällen von Teilen des Publikums zu rechnen. Und das, obwohl Lichtgestalten der Countrymusik, wie A.P. Carter, Hank Williams oder Bill Monroe, ohne ihre schwarzen Helfer oder Lehrer gar nicht vorstellbar wären. Ausgerechnet jedoch der Ende der 1960er Jahre als Sänger der Rednecks verschriene Merle Haggard war es, der das Thema Rassismus erstmals in einem Countrysong aufgriff. „Irma Jackson“ über die Liebe zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau wollte er als Single-Nachfolger für seinen als Anti-Hippie-Spottlied verstandenen 1969er Hitsong „I’m An Okie From Muskogee“ veröffentlichen. Doch seine Plattenfirma Capitol Records ließ das nicht zu.

Immer und immer wieder Thema
Bob Dylan indes sollte auch nach Ende seiner kurzen Protestsongphase das Thema immer wieder einmal aufgreifen. So setzte er 1970 mit „George Jackson“, einem ermordeten Black Panter-Führer ebenso ein Denkmal wie 1975 mit „Hurricane“ dem schwarzen Boxer Rubin Carter, der ein Opfer der amerikanischen Rassenjustiz wurde.

Vier aktuelle Beispiele für die Thematisierung von Rassismus und rassistischer Gewalt seien hier genannt. Heartland-Rocker John Mellencamp hat auf seinem neuen Album den Song „Easy Target“ aufgenommen, der rassistische Gewalt thematisiert und die großartige Rhiannon Giddens hat nicht nur ihr jüngstes Album „Freedom Highway“ genannt und hat damit den Pops Staples-Song angemessen ins heute verfrachtet, sondern ihr Longplayer enthält mit „At The Purchaser’s Option“ auch einen der eindringlichsten Songs über die menschlichen Tragödien als Folgen des Sklavenhandels, der je geschrieben worden ist. Alynda Lee Segarra wiederum kehrt mit ihrem Bandprojekt „Hurray For The Riff Raff“ zu ihren hispanischen Wurzeln zurück und begehrt auf „The Navigator“ gegen Gentrifizierung, Homophobie und Rassismus auf. Und jüngstes Beispiel ist der Song „White Man’s World“ von Südstaaten-Roots-Rocker Jason Isbell, der überhaupt auf seinem neuen Album „The Nashville Sound“ einen scharfen Blick auf die verstörenden Entwicklungen in den USA hat.

Die amerikanische Musikszene hat seit der Wahl Trumps eine Hinwendung zu gesellschaftlichen und politischen Themen vollzogen. Man darf gespannt sein, wie sich Amerika und seine Roots Music angesichts der problematischen Herausforderung durch die Trump/ Bannon-Clique, deren jüngster Affront die Kündigung des Pariser Klimaschutzabkommens war, in nächster Zeit entwickeln werden.

Mit unbändiger Spielfreude unterwegs auf dem „Freedom Highway“

26. März 2017

Schiere Spielfreude: Rhiannon Giddens in Amsterdam 2017, Photo Credit: Thomas Waldherr


Warum ein musikalisch vielseitiger Americana-Abend mit Rhiannon Giddens auch ein politisches Statement ist/ Rhiannon Giddens präsentiert sich als lockere und temperamentvolle Teamplayerin

Programmatische politische Statements, wie sie sie im Umfeld der Veröffentlichung ihres neuen Album „Freedom Highway“ getroffen, und noch am Tag des Konzerts in Amsterdam am vergangenen Samstag in der Mittagszeit beim einem Kurzauftritt im Musikhaus Concerto geäußert hatte – „nach der Wahl haben wir das Album „Freedom Highway“ genannt“ – unterließ Rhiannon Giddens in der ausverkauften Amstelkerk. Und dennoch: die Songauswahl – Erzählungen über Schicksale von Schwarzen in der Sklavenzeit („Julie“, „Purchasers Options“), Erinnerungen an die rassistische Gewalt in den 1960ern („Birmingham Sunday“) – und die erklärenden Hinführungen zu den Songs sowie die musikalische Breite des Programms – es erklangen Folk, Blues, Country, Gospel und sogar Cajun-Musik – waren eine klare Aussage: Wir alle sind Amerika, wie lassen uns von dieser US-Regierung nicht spalten. In den 1960er und frühen 1970er Jahren, als Bürgerrechtsbewegung, Studentenunruhen und die Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg die Nation polarisierten, war es Johny Cash, der versuchte die Gräben zu überwinden. Heute übernimmt diese Rolle das Americana-Genre und in ihm seine derzeit bedeutendste weibliche Frauenstimme ein – Rhiannon Giddens.

Und die verstand es an diesem Abend wieder einmal das Publikum von Anfang an mitzureißen. Das war Anfang letzten Jahres genauso. Doch war es diesmal eine ganz andere Art von Performance. War das Konzert 2016 ganz auf die Frontfrau zugeschnitten und gab diese eine mitreißende, aber sehr strenge, durchgeplante Performance ab, so konnten die Zuhörer am Samstagabend eine vor Spielfreude und Lust aufs gemeinsame Musizieren mit ihren Kumpanen schier berstende Rhiannon Giddens erleben, die man selten so locker erlebt hat.

Ob es die Anwesenheit von Dirk Powell, ihrem Co-Produzenten von „Freedom Highway“ war – einem mit allen Wassern gewaschenen Multiinstrumentalisten, der mit seiner Präsenz der Frontfrau Halt und die notwendigen Spielräume gab, kann nur vermutet werden, vielleicht hat sich aber auch in der jetzigen Konstellation – neben Powell waren wieder Hubby Jenkins (Gitarre, Banjo, Mandoline) Jason Sypher (Bass) und Jamie Dick (Drums) mit dabei – einfach auch die ideale Band gefunden.

Ein sichtbarer Ausdruck von Rhiannons neuer Lockerheit war, dass es kein spezielles Bühnen-Outfit gab. Mit denselben Alltagsklamotten mit denen sie am Nachmittag gutgelaunt mit der Band an den Grachten entlangschlenderte, stürzte sie sich Hals über Kopf in ein fantastisches, berauschendes Konzert. Ihre faszinierenden Vorträge von Songs wie „Waterboy“, „Spanish Mary“ (vertont nach Lyrics von Bob Dylan), dem Patsy Cline-Hit „She’s Got You“ oder Sister Roseta Tharpes „Music In The Air“ steigert sie oftmals in stakkatohaften Scat-Gesang oder dramatische Lautstärke und Entschlossenheit und erzählt und lebt dabei voller Hingabe in Mimik und Gestik ihre Songs richtig aus.

Ein weiteres Zeugnis, dass Rhiannon Giddens 2017 scheinbar endlich mit sich und in ihrer Musik vollauf zufrieden ist – wir erinnern uns an den Film zu den „New Basement Tapes“, als sie voller Selbstzweifel T Bone Burnett als freundlichen Ratgeber brauchte, um zu ihrer Version der Songs zu finden – war ihre große Fröhlichkeit, die alles andere als routiniert gespielt war. Die Kommunikation mit dem Publikum war herzlich und spontan und auch nach dem Konzert nahm sie sich Zeit für Gespräche mit den Fans.

Rhiannon Giddens: Eine Ausnahmeerscheinung, die noch weiter reifen kann, Photo Credit: Thomas Waldherr

Und wieder einmal fällt uns ein, wie großartig es ist, über Jahre verfolgen zu können, wie ein Künstler oder eine Künstlerin sich entwickelt, reift, eine Form findet und dann wieder verändert. Rhiannon Giddens ist jetzt schon großartig, eine Ausnahmeerscheinung und starke Stimme des „anderen Amerika“. Aber sie ist auch jung genug, um noch tiefer und noch reifer zu werden.