Archive for April 2023

Harry Belafonte (1927 – 2023)

25. April 2023

Wir trauern um eine amerikanische Ikone

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Er war Sänger, Schauspieler und Entertainer und in diesem Metier schon eine amerikanische Legende. Darüber hinaus war er auch Zeit seines Lebens gesellschaftlich und sozial engagiert. War in der Bürgerrechtsbewegung neben Martin Luther King aktiv und äußerte sich immer wieder kritisch zu Gesellschaft und Politik in den USA. Er war eine der ganz großen Stimmen des „anderen Amerika“. Nun ist diese Stimme für immer verstummt.

Als Sohn des Matrosen Harold George Bellanfanti, Sr. aus Martinique und der jamaikanischen Hilfsarbeiterin Malvene Love in Harlem in einfachen Verhältnissen geboren, wuchs er im Schwarzen-Ghetto auf. Dennoch schaffte er es, die High School zu besuchen. Inspiriert durch den großen afroamerikanischen Sänger und Schauspieler Paul Robeson, beschloss er ebenfalls Schauspieler zu werden. In den frühen 1950er Jahren schloss er sich der Folksong-Bewegung an und sang Lieder, die von der Musik der Westindischen Inseln geprägt waren. 1956 gelang ihm der Durchbruch mit dem Calypso und dem Banana Boat Song, der Popgeschichte schrieb. Harry wurde zum „King Of Calypso“ und war Anfang der 1960er Jahre einer der bekanntesten schwarzen Künstler.

Und hier ist dann auch die Verbindung zu Bob Dylan. Am 2. Februar 1962 nahm Bob mit Harry Belafonte den Song „Midnight Special“ auf. Er spielte Mundharmonika auf diesem Stück und Harrys Kommentar dazu war: “Das Spiel war perfekt, die Aufnahme ist perfekt!” Ob Harry da schon ahnen konnte, dass Bob später ebenfalls zu einer amerikanischen Musik-Ikone werden sollte?

Copyright: RCA Victor

Wie auch immer, blieb Harry Belafonte über die Jahrzehnte eine feste Größe in der internationalen Musikszene und war auch gern gesehener Gast auf deutschen Konzert- und Studiobühnen. Nie hatte Harry Berührungsängste mit der sogenannten „leichten Muse“. Denn er wusste, wie handwerklich anspruchsvoll diese ist. Die Popularität die er damit erreichte, nutzte er für politische und soziale Zwecke. Bis zu seinem Lebensende blieb er Folklorist, sammelte Songs eine Anthologie afroamerikanischer Musik. Und zu dieser Folkmusik zählte er auch den Rapmusik und verdammte die Korrumpierung dieser emanzipatorischen Musik durch die Plattenindustrie, die sie zu einer Musik der Gewalt, des Machismo und der Habgier entstellte.

Heute ist diese große amerikanische Ikone gestorben. Er wird für immer unvergessen bleiben. Rest In Peace, Harry!

Vom Bon Bon Club über Berlin nach Tokyo

14. April 2023

Dylans aktuelle Kunst ist groß, dunkel und meisterhaft und „Shadow Kingdom“ das Scharnier zwischen RARW-Album und Tour

Copyright: Sony/ Legacy

Endlich ist es soweit: Bob Dylan veröffentlicht am 2. Juni die Musik des legendären Streaming-Filmes „Shadow Kingdom“ vom Juli 2021 auf CD, auf Vinyl und digital. Zudem wird am 6. Juni der Film kaufbar als Stream und Download.

Eine gute Sache, auch wenn so mancher Zeitgenosse wieder was zu mosern hatte. Es ist aber halt jetzt eine offizielle Veröffentlichung Dylans mehr, die ein Dylan-Fan einfach haben muss. Zudem eine mit recht aktueller Musik. Denn vieles, was sich bei „Shadow Kingdom“ andeutete, entfaltete sich während Dylans Nach-Pandemie-Touren zur vollen Pracht.

Die Zeit steht still

„Shadow Kingdom“ ist so typisch Dylans Alterswerk, mehr geht nicht. Die Zeit steht still, ein Juke Joint (oder Honky Tonk) ist dunkel, schattig und altmodisch verraucht und zugleich modern divers besucht. Dylan, der Arrangeur, arbeitet an seinen Songs mittlerweile so respektvoll und sorgfältig, als wären die live gespielten Hau-Weg-Fassungen aus den frühen 1990er Jahren aus einem anderen Leben. Dazu ist er mit seiner verjüngten Stimme wieder in der Lage, variabler und prononcierter zu singen als viele Jahre lang.

Alte Songs neu interpretiert

„Watching The River Flow“, „Most Likely Go Your Way (And I’ll Go Mine)“, „I’ll Be Your Baby Tonight“, „When I Paint My Masterpiece“ und „To Be Alone With You“ sind die Songs von „Shadow Kingdom“ aus dem imaginären „Bon Bon Club“, die sich auch in seinem aktuellen Bühnenprogramm, sei es in Berlin oder in Tokyo, wiederfinden. Sie stehen für seine derzeitigen künstlerischen Hauptmotive: Die Autonomie und Unabhängigkeit des Individuums und der schmale Grat zwischen romantischer Liebe und toxischer Beziehung.

Für diese beiden Oberthemen ist Dylans „Rough And Rowdy Ways“-Tourprogramm zusammengestellt. Die Songs vom RARW-Album bilden das Gerüst, dazu fügen sich die alten Songs ein, indem sie von Dylan mittels Textrevision passend gemacht werden. So wird aus dem ausgelassenen Begehren der Originalfassung von „To Be Alone With You“ in der Neuausrichtung ein militanter, bedrohlicher Besitzanspruch.

Kammermusik für den Club

Musikalisch ist „Shadow Kingdom“ Kammermusik für den Club. Für die 2.500er Hallen, die er aktuell bespielt, wird es breiter und voluminöser orchestriert. Es bleibt aber durcharrangiert bis ins kleinste Detail. Jeder Musiker geht im Bühnenkollektiv auf. Das Klangbild steht im Mittelpunkt. Und das kann -durcharrangiert hin oder her – jeden Abend anders sein. Kein Konzert gleicht dem anderen bei nur minimalen Abweichungen der Setlist – „Truckin‘“ ersetzte jüngst Old Black Magic – eine beachtenswerte künstlerische Leistung. Auf dieser musikalischen Basis lebt dann Dylan seine Songs mit seiner Stimme wieder aus.

„Shadow Kingdom“ war für Dylan also der wichtige Zwischenschritt von „Rough And Rowdy – das Album“ zu „Rough And Rowdy Ways – die Tour“. Einer Tour, die immer mehr Fahrt aufnimmt, die längst die Pandemie-Nachwirkungen überwunden hat und nun nach der Japan-Station im Juni und Juli nach Südwest- und Südeuropa kommt.

Logische Veröffentlichung

In diesem Sinne ist es logisch, dass „Shadow Kingdom“ nun erscheint. Denn Dylan lässt uns ja mittlerweile durch die Bootleg-Series an seinen früheren Entwicklungsschritten hinter den offiziellen Alben teilhaben. Also freuen wir uns ohne jede Beckmesserei auf die offizielle „Shadow Kingdom“-Veröffentlichung.

Bob Dylan und die Geschichte von Emmett Till

7. April 2023

Der Tod von Emmett Till im Jahr 1955 beschäftigt Amerika bis heute

Symbolbild Emmett Till, Copyright: Wikimedia Commons

„And then to stop the United States of yelling for a trial

Two brothers they confessed that they had killed poor Emmett Till

But on the jury there were men who helped the brothers commit this

awful crime

And so this trial was a mockery, but nobody seemed to mind“

Bob Dylan, The Death Of Emmett Till

Die Ermordung des damals 14-jährigen schwarzen Jungen Emmett Till und der drauf folgende Freispruch für seine Mörder im Jahr 1955 ist bis heute eine schmerzvolle Wunde, nicht nur in der afroamerikanischen Geschichte. Denn Mord und Urteil schufen Aufmerksamkeit für die rassistische Gewalt der Südstaaten quasi in aller Welt. Und sie waren Auslöser und Verstärker für das sich gerade formierende Civil Rights Movement, das im selben Jahr mit Rosa Parks zivilem Ungehorsam gegenüber der Rassentrennung und dem später folgenden Montgomery Busboykott ihre ersten öffentlichkeitswirksamen Aktionen hatte.

Die Geschichte wird neu erzählt

In letzter Zeit, beeinflusst von dem Tod George Floyds und der Black Live Matters Proteste im Jahr 2020, ist diese Geschichte erneut erzählt worden. So steht im Film „Till – Kampf um die Wahrheit“ mit Danielle Deadwyler und Jalyn Hall, Emmetts Mutter und ihre Suche nach der Wahrheit im Mittelpunkt. In Percyval Everetts neuem Buch „Die Bäume“ ist die Ermordung Emmett Tills quasi das Symbol für alle rassistischen Lynchmorde in den USA. Als nun weiße Rassisten ermordet werden, finden sich neben ihren Leichen immer auch die Leiche von Emmett Till.

Bob Dylan „journalistischer“ Protestsong

Bob Dylan hat über die Ermordung und das Skandalurteil einen Song geschrieben. Doch im Gegensatz zu „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“ über William Zantzinger, der im Suff die schwarze Haushaltshilfe und Mutter von elf Kindern so sehr schlug, dass sie einen Schlaganfall erlitt und starb, wurde „The Death Of Emmett Till“ kein Dylan-Klassiker. Er kam noch nicht Mal auf ein offizielles Album.

Dylan hatte ihn 1962 geschrieben und in einigen Rundfunksendungen gespielt, u.a. auch bei „The Folksinger’s Choice Radio Show“ mit Cynthia Gooding. Hier sagte er, er hätte die Melodie von dem Len Chandler-Song „The Bus Driver.“ Wobei die Melodie dem Klassiker „House Of The Rising Sun“ doch sehr ähnlich ist. Nur einmal spielte er den Song live, und zwar im Finjan Club in Montreal, Kanada am 2. July 1962. Doch da war er als Songwriter schon weiter. Am 9. Juli sollte er das geniale „Blowin‘ In The Wind“ aufnehmen. Seine Protestsongs zeichneten sich nun durch feine poetische Bilder aus, die die Anklagen verstärkten.

Copyright: Leftfield Media

Dagegen wirkt „The Death Of Emmett Till“ tatsächlich wie ein gesungener Zeitungsbericht. Dylan machte also hier das, was er später Phil Ochs vorwerfen sollte. Der war seiner Meinung nach eher Journalist als Songwriter. Gut möglich also, dass der Song bei Dylan „in Ungnade“ gefallen ist, nachdem er sich 1962 und 1963 so rasend schnell vom Woody Guthrie-Double und Sänger von Folk-Klassikern zum genialen Protestsong-Poeten entwickelt hatte.

Emmylou Harris‘ Emmett Till-Song

Übrigens griff 2011 Emmylou Harris den Stoff ebenfalls auf, als sie „My Name Is Emmett Till“ veröffentlichte. Wobei sie mir damals sagte, den Dylan-Song gar nicht zu kennen. Sie erzählt den Tod Emmets aus dessen Perspektive. Ein sentimentaler, trauriger Song, dem aber auch die Tiefe und Schärfe fehlt. Die wiederum hat Dylans Song, der aber zu nüchtern beschreibt, als dass er wirklich berühren kann.

Der Blick auf den Tod Emmett Tills zeigt den gewalttätigen Rassismus des Südens als das , was er ist. Eine amerikanische Schande. Die aber leider immer noch aktuell ist, solange schwarze Kids um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen, wenn sie am falschen Ort zur falschen Zeit einer Polizeistreife begegnen.