Archive for August 2020

Country, Kapitalismuskritik und Bob Dylan

28. August 2020

Die Berliner Americana-Band Rodeo FM spannt einen interessanten Bogen

Americana aus Berlin: Rodeo FM, Foto Rodeo FM Promo

„Wenn es Country klingt, ist es das, es ist ein Country-Song. Das hat Kris Kristofferson gesagt. Der Schriftsteller, der über die einfachen Leute sprach, als die einfachen Leute noch nicht von 40 Jahren Neoliberalismus niedergeschlagen wurden.“ Das schreibt die Berliner Band Rodeo FM und zeigt damit sehr deutlich auf wohin sie will: Countrymusik mit politischer Haltung und klaren Aussagen. Und, um das deutlich zu sagen: Rodeo FM macht „Left Wing Countrymusik“.

In ihren Texten zielen sie auf die Widersprüche des Kapitalismus und die Hoffnung auf eine andere, gerechte Gesellschaft. Und nicht einen kleinen Moment lang geraten sie in Gefahr, Agit Prop zu machen. Da sind ihre Songwriter-Vorbilder schon vor. Der schon erwähnten Kristofferson und Bob Dylan haben die Band gelehrt, dass Gesellschaftskritik im Song am besten über die Songpoesie subjektiver Betrachtungen geht und nicht über das Deklamieren sogenannter objektiven Wahrheiten.

Zu Bob Dylan sagt Leadsänger und Songwriter Patrick: „Seine Art zu mäandern und Gedanken schweben zu lassen, hat mich sicher schon beeinflusst, siehe auch „Summer Rain“… eine abgeschlossene Story zu präsentieren, das ist schon ziemlich advanced. Ich arbeite da eher oft wie „Stuck inside of mobile“ (auch ein bisschen der Summer Rain-Ansatz), mit kleinen Episoden, die aber irgendwie auf ein gemeinsames Thema einzahlen. Also geprägt auf jeden Fall, andere Texter und Komponisten sind aber sicher zugänglicher…“

Kein Wunder, dass daher auch Bob Dylan-Songs in ihrem Repertoire sind. Das von Patrick erwähnte textlich-atmosphärische wilde „Stuck Inside of Mobile“ passt ebenso bestens in ihr Oeuvre wie das verliebte „I Want You“.

Ja, sie haben viel von ihren Leitfiguren gelernt und ihre neue Single zeigt dies exemplarisch und die Band beweist dabei Bestform. „Summer Rain“ erinnert im elegischen Intro an Dylans „Workingman’s Blues #2 (wir bleiben beim Thema!) und gewinnt dann aber eine eigene starke Form. „Summer Rain“ ist ein wunderbar melancholischer Song, der recht drastisch davon erzählt, wie es ist, in dieser Gesellschaft einen eigenen kritischen Weg zu gehen. Einen Weg, der die Probleme und Ungerechtigkeiten klar benennt und wie schwer es ist, dies auszuhalten. Doch immer wieder findet man die Liebe und damit Kraft, diesen schweren Weg weiterzugehen.

Die Musik von „Rodeo FM“ ist Neo-Folk-Country-Americana mit Einflüssen von Tom Petty und Gram Parsons und damit absolut radiotauglich. Denn die Jungs von Rodeo FM wollen auch immer unterhalten und wie sie auf ihre Website schreiben: „immer, immer Leute auf die Tanzfläche ziehen.“

Im Dezember erscheint ihr neues neues Album „Upgrade To Truth“. Das wird ein frohes Fest!

Ja, ich bin Dylanologe!

21. August 2020

Mal wieder eine Art Selbstverständigung

Im Anbetracht mancher aktueller Buchveröffentlichung, mancher Diskussion unter Dylan-Freunden, Dylans neuestem Werk Rough And Rowdy Ways und meines eigenen Dylan-bezogenen Outputs, kam ich wieder mal ins Grübeln. Während ich früher durchaus schon einmal das dicke Etikett „Dylanologe“ von mir wies, während ich Dylan-Kenner immer anmaßend fand – Wer kennt schon Dylan? – und Dylan-Fan im Grunde ein umgangssprachlicher kleiner gemeinsamer Nenner mit so Vielen darstellte, bekenne ich mich jetzt endlich dazu: Ja, ich bin Dylanologe!

Denn so wie ich den Terminus verstehe, hat der Dylanologe eine ausreichende Distanz zum Forschungsgegenstand. D.h. ich beschäftige mich mit Dylan ausführlich in kritischer Sympathie, weil ich ihn für einen der bedeutendsten lebenden Künstler der Welt und für den größten amerikanischen Künstler der Gegenwart überhaupt halte. Sein Werk hat mich zu einem bestimmten Zeitpunkt eine wichtige persönliche und gesellschaftliche Erfahrung machen lassen. Seine öffentliche Persönlichkeit und sein Werk haben mich danach nie wieder losgelassen.

Und das heißt nicht, dass ich bis heute alle seine Schaffensphasen mit Inbrunst billige. Nein, ich finde seine Born Again-Phase bis heute grässlich. Starke Performance und starker Spirit des Musikers können letztendlich die fundamentalistische, reaktionäre Weltsicht des Texters und Bühnenpredigers nicht wettmachen. Denn Dylan ist als Freigeist und Verwirrkopf faszinierend und am besten, nicht als Parteisoldat eines hermetisch abgeriegelten fundamentalistischen Denkgebäudes.

Ich verstehe Dylanologie tatsächlich als Wissenschaft – sympathisch finde ich in diesem Zusammenhang das Bonmot, das Dylanologie eine „ironische Wissenschaft“ sein müsse. Ja, das muss sie. Und humorvoll und respektlos gleichermaßen. Denn es geht hier nicht um Heldenverklärung. Und Dylan ist auch nicht mein großer Freund. Für mich ist er noch nicht einmal „the brother that you never had“. Und schon gar nicht finde ich es erstrebenswert, wenn Leute Dylan romantisieren, oder ihr Verhältnis zu ihm messianisch aufgeladen ist. Für die würde eher das Wort „Dylanianer“ oder „Dylan-Jünger“ passen. Den auf Dylan bezogenen Begriff „Meister“ verstehe ich daher ironisch. Andere doch wohl auch?

Nein, als Dylanologe verzweifele ich auch mal an Dylan. Sei es, wenn er uns mit 5 Sinatra-Silberlingen nervt, zum x-ten Mal wagt, uns einen neuen Song mit einem schon tausendmal gehörten Blues-Schema anzubieten oder uns bestimmte Pretiosen – Livematerial der letzten Jahre! – weiterhin in großem Stil vorenthält. Oder wenn er sich vorzugsweise mit Boxern oder Models ablichten lässt, und eine feiste Piloten-Sonnenbrille dabei trägt.

Jede Wissenschaft hat verschiedene Denkschulen und Richtungen. Da im Moment gerne die religiös-motivierte Dylan-Deutung auf dem Vormarsch ist und die Right Wing-Bob-Bewegung in den USA recht offensiv auftritt, sage ich, der von Greil Marcus, Günter Amendt, Klaus Theweleit und der kritischen Theorie geprägt wurde: Ich bin ein Left Wing-Dylanologe! Dylan ist meiner Meinung nach nur zu verstehen, wenn man stets die Verschränkung von gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Hintergründen und Wirkungen seiner Musik miteinbezieht.

Meine Meinung: Reine Text-Exegese – bringt nix! Nur Bibel und sämtliche Weltreligionen durchforsten – bringt nix! Nur im biographischen Erklärungen finden wollen – bringt nix. Aus Setlists, Tracklists, Outtakes und Statistiken sein Denken und Handeln verstehen zu wollen – fleißig! Und Transfigurationsphantasien durchspielen – viel Spaß damit!

Das kulturell-gesellschaftliche Phänomen Bob Dylan ist für mich persönlich nur auf der Basis einer kritischen Theorie der Gesellschaft möglich. Und vor allem: Immer schön über den Tellerrand blicken. Dylan hat so viele musikalische Einflüsse und Wurzeln. Auch ohne die kann man gar nicht sinnvoll über Dylan nachdenken.

Ich bin weder religiös, noch spirituell. Und trotzdem faszinieren mich der Künstler und sein Werk seit mehr als 40 Jahren. Es lädt sein, sich kritisch mit dem Hier und Jetzt und wie es dazu gekommen ist, auseinanderzusetzen. Und immer wieder den Schein nicht für bare Münze zu nehmen. Dylan ist selber ein cleverer Trickser. Das macht ihn zum idealen Forschungsgegenstand für eine ebenso kritisch-historische wie spekulative Dylan-Forschung.

Und mich zu einem begeisterten Dylanologen.

Drei wichtige Songs zum Thema:

Endlich wieder ein Buch über Bob Dylan!

14. August 2020

Stefan Kutzenberger kluges und lustiges Buch „Jokerman“ ist eine Statement zur Lage zwischen Verschwörungstheorien und der US-Präsidentschaftswahl

Wenn ich ehrlich bin, bin ich ein bisschen müde geworden über all die vielen Dylan-Bücher. Immer wieder erscheinen Biographien, die das altbekannte in ewig alten Phrasen wiederkäuen. Dann gibt es die fleißigen Vielschreiber, die zu jedem Dylan-Song ein Buch herausbringen und solche, denen vor Begeisterung ganz klar die Distanz zum Forschungsgegenstand fehlt. Das sind dann Dylanianer, keine Dylanologen.

Lesen über Dylan
Im Moment sind eigentlich die einzigen, die ich wirklich mit Erkenntnisgewinn zu Bob Dylan lese, die Herren Greil Marcus und Elijah Wald. Und am überdrüssigsten bin ich eigentlich Clinton Heylin, der uns Zeile für Zeile wichtig zuzuraunen scheint; „schaut mal her, was ich über Dylan weiß, das weiß nur ich“ und mit dieser Methode ganze Schaffensperioden so zuschneiden will, dass sie stromlinienförmig und widerspruchslos sich ins Werk des großen Künstlers einfügen. Als würde das zum „Unstimmigsten aller Menschen“ (der kluge Günter Amendt) passen, geschweige denn ihm angemessen sein.

Und dann gibt es in den letzten Jahren den Hang, Dylan-Romane herauszubringen. Zum Buch „Catfish“ Rolling Stone-Autor Maik Brüggemeyer schrieb ich seinerzeit, nachdem ich ihn gelobt hatte für seinen Respekt vor Dylan und seinen Kenntnisreichtum: „Seitenlang gießt er Songtexte, Interviewpassagen und sonstige Dylan-Zitate in Dialogform. Was am Anfang noch interessant, vielversprechend und frisch wirkt, wird mit der Zeit überstrapaziert. Dylan-Fans kennen diese Zitate, andere nicht. Die wundern sich nur. Und die Dialoge sind nur selten lebendig, am Ende wirken sie durchaus auch mitunter gezwungen und ermüdend, hat der Autor den Bogen überspannt.“ Oder ich denke an Liaty Pisanis bizarres Werk „Der Spion und der Rockstar“.

Positiver stimmte mich dagegen Markus Berges‘ „Die Köchin von Bob Dylan“. Ich urteilte:“…Berges führt Dylan als netten, sonderlichen alten Herrn in den Roman ein, ohne ihn der Lächerlichkeit preis zu geben. Der Respekt des Songwriters Berges vor einem Säulenheiligen seiner Zunft und viel echte Empathie für die unermüdlich tourende bald 75-jährige Musiklegende lässt Berges Schilderungen von Dylan und seinem Leben auf der Tour zu kleinen, wunderbaren Miniaturen werden, die einen guten Kontrast zum tragischen Leben von Jasmin Nickenigs Großvater Florentinius Malsam abgeben…Berges gelingt hier das Kunststück, in einer Sprache, die in ihrer Menschlichkeit und Wärme für die Figuren an den großen Joseph Roth erinnert, das tragische Leben des deutschstämmigen Ukrainers Florentinius zwischen Stalinismus, Nazismus und Krieg so zu erzählen, dass es realistisch und berührend ist, dass es Grausamkeiten nicht ausspart, aber auch sich nicht daran weidet.“

„Jokerman“…
Nun also eine neue fiktive Erzählung rund um Bob Dylan. „Jokerman“ von Stefan KutzenbergerUnd sie funktioniert gut. Weil sie eben das Dylan-Universum nur zum Ausgangspunkt einer klugen und lustigen Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien und dem orangefarbenen Bewohner des Weißen Hauses nimmt. Und spielerisch und ohne falschen Respekt mit den großen Dylan-Mythen jongliert. Mit seiner Dichtkunst und der Textauslegung mit ihren oftmals bildungsbeflissenen Querverweisen, mit seinen Fans und mit deren-„Geheimgesellschaften“. Kutzenberger tut dies so erfrischend, so gescheit und lustig, dass dieser Roman ein einziges großes Lesevergnügen ist.

Zum Inhalt lesen wir auf der Seite des Piper-Verlages: „Sein Name ist Kutzenberger, Stefan Kutzenberger. Der melancholische Österreicher hat den Auftrag, die Welt zu retten, denn er ist der Jokerman. Schuld daran ist kein Geringerer als Bob Dylan, auch wenn der gar nichts davon weiß. All die Menschen, die das Werk des Musikers und Literaturnobelpreisträgers seit Jahrzehnten wie eine heilige Schrift deuten, haben den Jokerman auserkoren, die Wiederwahl eines der bizarrsten Tyrannen unserer Tage ins Weiße Haus zu verhindern. Mit Verve und Witz zeigt dieser Roman, wie Verschwörungsszenarien entstehen und sich so gut wie alles erklären lässt mit einer „wahren“ Lehre. Ein entlarvender Spiegel der Gegenwart, eine literarische Entdeckung und ein Riesenspaß – weit über die schicksalhaften US-Wahlen am 3. November hinaus.“

…sticht Trump?
Und mit einem bizarren Showdown, denn am Ende steht Kutzenberger Trump mit einer Giftspritze in der Hand gegenüber.“ Dies verriet bereits Ende letzten Jahres die Wiener Zeitung. Denn da war der Roman wohl schon in weiten Teilen fertig gestellt. Ob Dylan davon wusste, als er das Bild vom Skelett mit Spritze und Trump-Schatten zu seiner Album-Auskopplung „False Prophet“ veröffentlichte? Die Bob Dylan-Geheimgesellschaft wird es wissen…

Mehr wird hier aber nicht verraten, denn dieser Roman verdient viele Leser. Man geht aus diesem Buch fröhlicher und (lebens-)klüger hinaus, als man hineingegangen ist. Was man eben heutzutage nicht von vielen Bob Dylan-Büchern sagen kann…

Piper-Verlag, 22 Euro, ISBN-13: 978-3827014245

„The Man in Me“ und „The Big Lebowski“

7. August 2020

Notizen zu Song und Film

Gestern Abend bin ich mal wieder beim Zappen reingerutscht. „The Big Lebowski“. Der geniale Film der Coen-Brüder. Diese einzigartige, funkensprühende Mischung aus Buddy-Kino, Schwarzer Reihe und absurdem Trash-Movie ist Outstanding. Und dabei gefallen mir die Filme der Coen-Brüder gar nicht immer. Mir gefallen „O Brother Where Art Thou“, „Fargo“, „True Grit“ und „Inside Llewyn Davis“. Sehr oft fehlt diesen postmodernen Filmemachern aber die wirkliche Empathie für die Figuren. Sie verraten und verkaufen sie. So wie bei „Burn After Reading“ oder „No Country For Old Men“. Dann wird mitunter ein Wettrennen in skurriler Brutalität entfacht und die Firme werden zum „posen“ missbraucht. Schicksal der Figuren, Sinnhaftigkeit der Handlung? „Nö, interessiert uns nicht, wir machen lieber knall, bumm, beng!Und warum? Weil wir es können!“

„The Big Lebowski“ ist aber von Anfang an ein empathischer Film. Der „Dude“ ist ein sympathisch-harmloser Looser, genial von Jeff Bridges gespielt. Er hält sich über Wasser und ihn und seine Freunde meint man wirklich zu kennen. Die Leute, die versuchen noch den letzten Zipfel des amerikanischen Traums zu erwischen. Kohle machen, auch wenn man nicht so schlau ist und Skrupel unterdrückt. Dass sie es letztendlich doch nicht schaffen und zu Flipperkugeln zwischen verschiedenen kriminellen Gruppen werden, macht sie um so sympathischer.

Und die Coens schaffen das, indem sie aus vertrauten Versatzstücken amerikanischer Populärkultur etwas ganz neues schaffen. Bowlingbahn und Porno-Business, Los Angeles und Cowboy-Kultur sowie die multi-ethnische Zusammensetzung der amerikanischen Gesellschaft rollen den Teppich ausm auf dem die Handlung ihren Lauf nehmen kann.

Ein 50 Jahre alter programmatischer Song
Dass dann „The Man in Me“, dieses nun 50 Jahre alte Stück von Bob Dylans Album „New Morning“ der quasi-Titeltrack des Films ist, ist ebenso passend wie große Ironie. Denn wie singt Bobby so schön: „The man in me will do nearly any task/ And as for compensation, there’s little he would ask/ Take a woman like you/ To get through to the man in me.“

Und genau so einer ist der „Dude“ eigentlich nicht. Vielleicht war er es mal. Aber jetzt will er keine Verantwortung mehr übernehmen und keine Arbeiten erledigen. Er ist so desillusioniert, nur das „Bowlen“ gibt ihm einen Halt. Eine ruhige Kugel schieben, seine Freunde treffen und einen „White Russian“ trinken – das strukturiert ihm den Tag. Man könnte darüber lamentieren, man könnte zornig die Ungerechtigkeit anprangern – aber ganz postmodern enthalten sich die Coen-Brüder der Bewertung und zeigen stattdessen, das was ist. Die von mir aufgeführten schlechten Filmbeispiele aber zeigen, was aus postmodernem „Anything Goes“, das ja auch das kulturelle Gegenstück zur neoliberalen Politik- und Wirtschaftssphäre ist, werden kann.

Wärme und Menschlichkeit als universelle Werte
Hier aber liegt der Fall anders. Denn der „Dude“ zeigt in dieser aufregenden Episode seines ansonsten doch ziemlich ereignisarmen Lebens, dass er doch noch so einige menschlich Reflexe beherrscht. Verpeilt, aber letztendlich dann doch empathisch und auf seine Art verantwortungsvoll.

Wie singt doch Bobby: „The man in me will hide sometimes to keep from bein’ seen/ But that’s just because he doesn’t want to turn into some machine/ Took a woman like you/ To get through to the man in me.“ Ja, auch der Dude möchte nicht auffallen, kein großes Aufheben machen, gar nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen. John Waynes konservativ-knorriges „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ werden hier von Dylan und dem Dude zweifach gebrochen, um viel selbstverständlicher, gleichberechtigter und wärmer neu zusammengesetzt zu werden.

Für Bob Dylan war es 1970 in der Hochphase seines Rückzugs ins Familienleben ein programmatisches Lied. Er will keine Maschine werden, der auf Knopfdruck seriell funktioniert. Der Lieder am Fließband schreibt, Konzerte gibt und auf Künstlerparties abhängt. Er will nur sein Leben führen, ohne allzu große Aufregung und Öffentlichkeit. Das will der „Dude“ auch.
Die verschränkte Ironie des Gebrauchs dieses Bob Dylan-Songs für diesen Film ist aber nun die: Für Dylan war die Ruhe in familiärem Rückzug nur eine kleine Insel in einem Meer von „stardom“. Für den „Dude“ war die aufregende Kriminalgeschichte nur eine Insel in einem Meer von Langeweile und Bedeutungslosigkeit.

Dass der Song aber so wunderbar funktioniert zeigt wieder einmal mehr die Qualität von Dylans zeitlosem Songwriting. „The Man In Me“ – ein Klassiker voller Wärme und Menschlichkeit. Und auch wenn es nicht typisch für die Coen Brüder sein mag: Auch beim „Dude“ sind – aller Antriebslosigkeit, Verpeiltheit und Erfolglosigkeit zum Trotz – diese positiven universellen Werte zu spüren.

Drei Versionen von „The Man In Me“

„Could be the Fuhrer, could be the local priest“

1. August 2020

Die ungebrochen Aktualität des Werkes von Bob Dylan und was es uns zum heutigen Amerika zu sagen hat

Es gibt eine ganze Reihe von Dylan-Afficionados, die meinen, Dylan wäre auf einem höherwertigen moralischen und intellektuellen Level als zu früheren Zeiten, da er sich heutzutage nicht in seinen Songs oder mit anderen Aussagen tagespolitisch zu Wort meldet. Ich sehe das profaner: Es ist halt so und er darf das. Kein Künstler ist verpflichtet, politischer Aktivist zu sein. Sein kritisches Denken, seine Subversivität wirkt zu allererst durch seine Kunst.

Aber das heißt andersherum auch, dass Kunst und Künstler nicht per se besser sind, wenn sie sich tagespolitisch enthalten. Und auch nicht, dass die Kunst von Künstlern, die politische Aktivisten sind, per se schlechter ist. Es gibt gute und schlechte Kunst – ob sie nun direkt politisch ist oder nicht.
Was Dylan allerdings vielen anderen Künstlern Voraus hat, und was ihn so einzigartig macht, ist sein Niveau der Beschäftigung mit den universellen Fragen, die seine Songs zu zeitlosen Klassikern werden lassen, da sie Gültigkeit haben, solange unsere Welt so ist wie sie ist.

In Dylans Werk Amerika studieren
Und daher funktionieren auch seine Protestsong-Klassiker auch heute unvermindert gut. Denn die USA waren in den 1960er Jahren ähnlich gespalten wie heute. Und die Brutalität der White Supremacy, denen sowohl ein Medgar Evers, als auch die vier Mädchen in Birmingham Four schließlich auch Martin Luther King zum Opfer fielen, war noch offener und spektakulärer. Den Unterschied macht heute ein protofaschistischer Präsident aus, der einen positiven Resonanzboden von höchster Stelle aus für menschenverachtendes Denken, Rassismus und gefährlichen Irrsinn bietet.

Dylan äußert sich nicht dezidiert tagespolitisch zur aktuellen Lage. Aber wer sein Werk aufmerksam studiert – gerne auch einmal rückwärts von „Rough And Rowdy Ways“ bis zu seinen Anfängen – der kann sehr viel darüber herauslesen, warum Amerika heute so ist wie es ist. Ob er in „Who Killed Davey Moore“ oder „Union Sundown“ oder „Workingmans Blues #2“ die kapitalistische Leistungs- und Gewinnmaximierung sichtbar macht, in „With God On Our Side“, „Masters Of War“ oder „Murder Most Foul“ die politische Klasse und den Einfluss des militärisch-industriellen Komplex auf die Geschicke des Landes anspricht, in „Only A Pawn In Their Game“ oder „Hurricane“ die Mechanismen einer rassistischen Klassengesellschaft offenlegt oder in „Jokerman“, „Man Of Peace“, „Man In The Long Black Coat“ oder „TV Talking Song“ die Führerhörigkeit und die Verführbarkeit der Massen durch Autokraten und Medien zum Thema macht. Diese gesellschaftlich-politisch-wirtschaftlichen Strukturen haben in den USA bis heute ihre Gültigkeit und sind ursächlich für das aktuelle Chaos und den Niedergang.

The Times They Are A-Changin‘
Und daher muss Dylan dem auch nichts grundlegend Neues hinzufügen. Und deswegen sind seine Klassiker auch heute noch immer wieder der Soundtrack jeder Bewegung und jeden Amerikaners gegen den nicht enden wollenden amerikanischen Alptraum. Von den Jugendlichen, die sich seinerseits nach dem ixten Schulmassaker mit „The Times They Are A-Changin‘ gegen den Waffenwahn gewandt haben bis zu Neil Young, der soeben neben seinem eigenen nun neu getexteten „Looking For A Leader“ (gegen Trump und für Biden) ebenfalls nun dieses unverwüstliche „Times'“ anstimmt.

Denn auch die Bewegung, die unter dem Banner von „Black Lives Matter“ auf die Straße geht ist jung wie damals die Kids in den 1960ern. Aber sie ist auch bunter, diverser und weiblicher. Und gibt uns die Hoffnung, dass das Diktat der alten weißen Männer, der Trumps und ihrer menschenfeindlichen Gesinnung, die im Schoß des Hire und Fire-Kapitalismus gewachsen ist, endlich gebrochen wird.

Dass man dafür jetzt erstmal wieder den alten weißen Mann Biden braucht, ist eine Notwendigkeit die sich nicht ändern lässt. Hinter ihm aber kann eine neue hoffnungsvolle Generation kommen. Es ist das Entscheidungsspiel für Amerika. Mit Biden die Hoffnung und vor allem die Ausgangsbedingungen für eine progressive Umgestaltung Amerikas erhalten und erweitern oder mit Trump in die die brutale Diktatur des Chaos abrutschen.

Bob Dylan – Only A Pawn In Their Game:

D.C. choir sings with Jennifer Hudson, ‚The Times They Are A Changin‘ at March For Our Lives Rally:

Neil Young – The Times They Are A Changin‘ 2020: