Notizen zu Song und Film
Gestern Abend bin ich mal wieder beim Zappen reingerutscht. „The Big Lebowski“. Der geniale Film der Coen-Brüder. Diese einzigartige, funkensprühende Mischung aus Buddy-Kino, Schwarzer Reihe und absurdem Trash-Movie ist Outstanding. Und dabei gefallen mir die Filme der Coen-Brüder gar nicht immer. Mir gefallen „O Brother Where Art Thou“, „Fargo“, „True Grit“ und „Inside Llewyn Davis“. Sehr oft fehlt diesen postmodernen Filmemachern aber die wirkliche Empathie für die Figuren. Sie verraten und verkaufen sie. So wie bei „Burn After Reading“ oder „No Country For Old Men“. Dann wird mitunter ein Wettrennen in skurriler Brutalität entfacht und die Firme werden zum „posen“ missbraucht. Schicksal der Figuren, Sinnhaftigkeit der Handlung? „Nö, interessiert uns nicht, wir machen lieber knall, bumm, beng!Und warum? Weil wir es können!“
„The Big Lebowski“ ist aber von Anfang an ein empathischer Film. Der „Dude“ ist ein sympathisch-harmloser Looser, genial von Jeff Bridges gespielt. Er hält sich über Wasser und ihn und seine Freunde meint man wirklich zu kennen. Die Leute, die versuchen noch den letzten Zipfel des amerikanischen Traums zu erwischen. Kohle machen, auch wenn man nicht so schlau ist und Skrupel unterdrückt. Dass sie es letztendlich doch nicht schaffen und zu Flipperkugeln zwischen verschiedenen kriminellen Gruppen werden, macht sie um so sympathischer.
Und die Coens schaffen das, indem sie aus vertrauten Versatzstücken amerikanischer Populärkultur etwas ganz neues schaffen. Bowlingbahn und Porno-Business, Los Angeles und Cowboy-Kultur sowie die multi-ethnische Zusammensetzung der amerikanischen Gesellschaft rollen den Teppich ausm auf dem die Handlung ihren Lauf nehmen kann.
Ein 50 Jahre alter programmatischer Song
Dass dann „The Man in Me“, dieses nun 50 Jahre alte Stück von Bob Dylans Album „New Morning“ der quasi-Titeltrack des Films ist, ist ebenso passend wie große Ironie. Denn wie singt Bobby so schön: „The man in me will do nearly any task/ And as for compensation, there’s little he would ask/ Take a woman like you/ To get through to the man in me.“
Und genau so einer ist der „Dude“ eigentlich nicht. Vielleicht war er es mal. Aber jetzt will er keine Verantwortung mehr übernehmen und keine Arbeiten erledigen. Er ist so desillusioniert, nur das „Bowlen“ gibt ihm einen Halt. Eine ruhige Kugel schieben, seine Freunde treffen und einen „White Russian“ trinken – das strukturiert ihm den Tag. Man könnte darüber lamentieren, man könnte zornig die Ungerechtigkeit anprangern – aber ganz postmodern enthalten sich die Coen-Brüder der Bewertung und zeigen stattdessen, das was ist. Die von mir aufgeführten schlechten Filmbeispiele aber zeigen, was aus postmodernem „Anything Goes“, das ja auch das kulturelle Gegenstück zur neoliberalen Politik- und Wirtschaftssphäre ist, werden kann.
Wärme und Menschlichkeit als universelle Werte
Hier aber liegt der Fall anders. Denn der „Dude“ zeigt in dieser aufregenden Episode seines ansonsten doch ziemlich ereignisarmen Lebens, dass er doch noch so einige menschlich Reflexe beherrscht. Verpeilt, aber letztendlich dann doch empathisch und auf seine Art verantwortungsvoll.
Wie singt doch Bobby: „The man in me will hide sometimes to keep from bein’ seen/ But that’s just because he doesn’t want to turn into some machine/ Took a woman like you/ To get through to the man in me.“ Ja, auch der Dude möchte nicht auffallen, kein großes Aufheben machen, gar nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen. John Waynes konservativ-knorriges „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ werden hier von Dylan und dem Dude zweifach gebrochen, um viel selbstverständlicher, gleichberechtigter und wärmer neu zusammengesetzt zu werden.
Für Bob Dylan war es 1970 in der Hochphase seines Rückzugs ins Familienleben ein programmatisches Lied. Er will keine Maschine werden, der auf Knopfdruck seriell funktioniert. Der Lieder am Fließband schreibt, Konzerte gibt und auf Künstlerparties abhängt. Er will nur sein Leben führen, ohne allzu große Aufregung und Öffentlichkeit. Das will der „Dude“ auch.
Die verschränkte Ironie des Gebrauchs dieses Bob Dylan-Songs für diesen Film ist aber nun die: Für Dylan war die Ruhe in familiärem Rückzug nur eine kleine Insel in einem Meer von „stardom“. Für den „Dude“ war die aufregende Kriminalgeschichte nur eine Insel in einem Meer von Langeweile und Bedeutungslosigkeit.
Dass der Song aber so wunderbar funktioniert zeigt wieder einmal mehr die Qualität von Dylans zeitlosem Songwriting. „The Man In Me“ – ein Klassiker voller Wärme und Menschlichkeit. Und auch wenn es nicht typisch für die Coen Brüder sein mag: Auch beim „Dude“ sind – aller Antriebslosigkeit, Verpeiltheit und Erfolglosigkeit zum Trotz – diese positiven universellen Werte zu spüren.
Drei Versionen von „The Man In Me“