Jerry Lees Tod hat mich sehr berührt. Für mich war er der wildeste und waghalsigste aller weißen Rock’n’Roller. Kein braves Bübchen wie Elvis, sondern eben „The Killer“. Verrückt, ein bisschen brutal, aber sehr genial.
Mit Begeisterung habe ich Nick Tosches‘ Jerry Lee-Biographie „Hellfire“ gelesen. Die hat mir deutlich gemacht, wie bedeutend die evangelikalen Südstaaten-Kirchen für die Entwicklung des Rock’n’Roll waren. Die religiöse Extase, die Jerry Lee bei den Pfingstlern (die mit den Schlangen!) erfuhr, hat er in die Musik gelegt, die von sexueller Extase erzählte und sie bei den Fans durchaus auch hervorrief.
Auch den Film über ihn, „Great Balls Of Fire“ schätze ich sehr. Es soll aber hier auch nicht verschwiegen werden, dass die Heirat mit seiner damals 13-jährigen Cousine ersten Grades Myra Gale Brown 1958 natürlich moralisch eine sehr fragwürdige Angelegenheit war. Der Skandal führte zum Abbruch seiner England-Tournee und die US-Öffentlichkeit war entsetzt. Wobei gesagt werden muss, dass heute noch in einigen US-Staaten erlaubt ist, minderjährige zu heiraten. Und Jerry Lee schloss seine erste Ehe auch gerade mal mit 16 Jahren, seine Frau war 17. Bei den Pfingstlern im Süden waren Teenager-Ehen durchaus nicht ungewöhnlich.
Jerry Lees ganz große Karriere war mit diesem Skandal vorbei, doch er machte wieder die Ochsentour durch die kleinen Clubs. Und kam mit seinen Konzerten im Hamburger Star-Club 1964 nochmal groß raus. Das dort mitgeschnittene Album „Live At The Starclub, Hamburg“ gilt bis heute als wichtiges Dokument des ungezügelten Rock’nRoll und als eines der besten Live-Alben überhaupt.
Später wechselte der Südstaaten-Junge ins Countryfach und hatte auch hier einige Erfolge. Klasse auch seine 1981er Reunion mit Johnny Cash und Carl Perkins bei einem Konzert in Böblingen von dem ich vor mehr als zehn Jahren an dieser Stelle berichtet habe. Ich zitiere:
„Was den Zuschauern am 23. April 1981 in Böblingen bei Stuttgart geboten wurde, war nicht weniger als die Freilegung der Wurzeln des Rock. Country, Gospel und Rockabilly wurden von den Jugendfreunden in fast wahnwitzigerweise Weise zelebriert. „I saw the light“, Hank Williams fromme Erleuchtung, und die Carter-Family-Hymne „Will the circle be unbroken“ wurde von Jerry Lee derart umspielt, musikalisch paraphrasiert und gesanglich improvisiert dargeboten, dass es schon richtig „schwarz“ klang. Wobei Jerry Lee ohnehin eine der schwärzesten Stimmen aller weißen Rockmusiker hat. Während also Jerry Lee den ungezügelten, respektlosen Derwisch am Klavier gab, war Johnny Cash der logische, stoische und würdevolle Anführer des Trios und Carl Perkins der solide, treibende Motor des Ganzen.“
Das Album ist als CD nicht mehr erhältlich, dafür kann man es digital erwerben und es sich auf youtube anhören. Es lohnt sich. 1985 nahmen die drei noch Roy Orbison dazu und brachten mit „Class of 55“ ein Tribute für Sun Records und Elvis Presley heraus.
Jerry Lee und Bob Dylan
Und natürlich gibt es auch einen Dylan-Link. Dylan verehrte natürlich Jerry Lee Lewis, aber auch der schätzte Dylan. 1969 trafen sich die beiden, als Dylan „Nashville Skyline“ aufnahm und im Studio nebenan Jerry Lee an einem Album arbeitete. Im Rolling Stone-Interview von 1969 sagte Dylan dazu: „Ich habe To Be Alone With You geschrieben – das ist auf Nashville Skyline – ich habe es für Jerry Lee Lewis geschrieben. [Gelächter] Er war dort unten, als wir uns die Playbacks anhörten, und er kam herein. Er nahm nebenan ein Album auf. Er hat es sich angehört … Ich glaube, wir haben ihm einen Dub geschickt.“
Doch Jerry Lee nahm den Song nicht auf. Es sollten fast zehn Jahre vergehen, ehe er mit „Rita Mae“ einen Dylan-Titel einspielte. Dabei er war von Dylans Songwriting-Künsten absolut überzeugt. So soll er 1979 im Studio zum Song „Rita Mae“ gesagt haben „Von wem ist das? Bob Dylan? Oh, der Typ hat’s drauf, von dem singe ich alles!“ Und tatsächlich ist Jerry Lees Version von „Rita Mae“ großartig.
Ich habe Jerry Lee aber nie live gesehen. Wenn er noch aufgetreten ist, dann konnte man sehen, dass er nicht mehr gut bei Gesundheit war und man baute ein Programm um ihn herum. Da tat er einem schon leid.
Nun ist er von uns gegangen und Bob Dylan zollte ihm am Abend seines Todes bei einem Konzert in Nottingham Tribut. Für alle überraschend beendete Dylan sein Programm nicht direkt nach „Every Grain Of Sand“, sondern er sagte in etwa: „Ich weiß nicht, ob Ihr es wisst, aber Jerry Lee gegangen. Aber wir alle wissen, er wird unsterblich bleiben. Wir möchten diesen Song für ihn spielen.“ Und es erklang der sentimentale Country-Song „I Can’t Seem To Say Goodbye“. Ein Motto das für Jerry Lee genauso galt wie es für Bob immer noch gilt.
Rest In Peace, Killer!