Ein genussreicher Abend für Kunstliebhaber

Berliner Bob Dylan-Tagebuch II: Bob Dylans zweites, phantastisches Berlin-Konzert (6. Oktober 2022)

„Thank You Art Lovers“! Dylans für viele überraschender, weil für seine Verhältnisse schon als Redeschwall durchgehender Ausruf, brachte es auf den Punkt. Bob Dylans gestrige Darbietung in Berlin hatte mit einem beiläufig zu konsumierenden Pop- oder Rock-Konzert nichts zu tun. Es war große Kunst, der man auf beim Entstehen auf offener Bühne zuschauen durfte. Was für ein Fest für alle, die sich darauf einlassen konnten. Und das war die überwältigende Mehrheit, viele begeisterte Standing Ovations zeigten das.

Dylan war im Gegensatz zum ersten Konzert viel wacher, präsenter, körperlicher. Mehrmals trat er vors Piano und zeigte sich, einmal sogar mit Show-Posing. Wo gestern statt Mienenspiel eine Art Maske zu sehen war, folgte nun Dylans Mimik der Musik und dem Text. Und der hatte es wieder in sich. „To Be Alone With You“ zeigte auf wie schnell Verlangen zur dunklen Begierde werden kann. „Gotta Serve Somebody“ brachte „Borderline“, Coast“ und „Zynical“ in einer Strophe zusammen und brachte damit den Umgang mit Flüchtenden auf den Punkt. Nur zwei Beispiele dafür, dass der 81-jährige Dylan noch sehr wach und klar die Dinge beobachtet und in Worte kleidet.

Zwar war auch dieser Abend von einer Art düsteren Dystopie geprägt, aber es war lebendiger und es war anteilnehmender. Da stemmte sich einer trotz allem den Zeitläufen, auch wenn er das schlimme Ende zu ahnen glaubt. Und wo beim ersten Konzert„Key West“ zum fatalistischen Abgesang auf jede Utopie war, wurde es gestern zu einem traurigen Bedauern.

Musikalisch war das Konzert auf hohem Niveau, einzig bei „Masterpiece“ hatte man den Eindruck, die Musikanten hätten das Arrangement in den ersten zwei Dritteln des Songs nicht so richtig im Griff. Aber dann um so mehr. Überhaupt: Es macht großen Spaß, diesen Musikern bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Tony Garnier ist zum freundlichen Stoiker geworden, der Drummer erledigt höchst aufmerksam seine Arbeit, wenn er zwischen Stöcken und Besen und Tambourin wechselt, wenn er die richtigen Rhythmusfolgen antizipiert. Don Herron ist zu einer wichtigen Säule geworden. Sehr oft kommuniziert Dylan direkt mit ihm und wenn die beiden ein tolles Riff gefunden haben, dann leben sie das aus. Einzig der zweite Gitarrist befremdet etwas, wenn er immer hinter Dylans Piano abtaucht, als wolle er hineinkriechen. Er scheint am meisten Schwierigkeiten mit Dylans oftmals unorthodoxen Wendungen zu haben. Aber insgesamt ist diese Band mit ihrem Chef zu einer Einheit verschmolzen, die mehrmalige Rhythmuswechsel in einem Stück spielerisch bewältigen und einen wunderbaren Kammermusikabend bereiteten.

So bot dieses Konzert für alle Kunstliebhaber mehr als genug und es hätte diesen trivialen Moment nicht gebraucht, als Dylan zweimal „Black Rider“ abbrach, um einen Fotografen zu maßregeln mit der Bitte man möge ihn entfernen. Nun sind die Vorgaben klar, nun kennt man Dylan über die Jahre. Da versteht er keinen Spaß. Wenn diese Aktion irgendeinen Sinn gemacht hat, dann vielleicht den, dass Dylan dann für den bösen „Black Rider“-Song auf der richtigen Betriebstemperatur war. Ja, große Kunst entsteht auch oftmals aus dem allzu trivialen.

Und so erlebten wir den Menschen und Künstler Bob Dylan an diesem noch lange unvergessenen Abend in Berlin mit großer Kunst. Und das Beste: Ein weiteres Konzert in der Hauptstadt folgt noch.

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