Es gibt noch Hoffnung

Berliner Bob Dylan-Tagebuch III: Bob Dylans drittes, wunderbares Berlin-Konzert (7. Oktober 2022)

Neue Plätze, neue Perspektiven. Nach Parkett Reihe 2 in den ersten beiden Konzerten nun Oberrang. Nun können wir Dylan das ganze Konzert übersehen und die Interaktion der Band und ihre Zusammenarbeit als Gesamtkunstwerk noch besser wahrnehmen. Negativ: Hier oben sitzen wohl die, die Dylan nicht so nahe sind. Noch mehr als dreißig Minuten nach Konzertbeginn irren die Nachzügler umher und suchen ihre Plätze. Nur um wenig später ein ständiges Kommen und Gehen zum Bierstand einzuläuten. Die Unruhe ist ein Ärgernis, das den Kunstgenuss stört. Doch egal. Ohren auf und Augen auf den Meister und man erlebt wieder einen Abend, der so anders ist als seine Vorgänger.

Dylan behält das Körperliche, Vitale, Präsente vom Donnerstag und hält auch das musikalische Niveau. So entsteht ein wunderbares, starkes Konzert, das Dylans performatives Konzept idealtypisch aufzeigt. Es gibt eine klare, nicht veränderbare Abfolge der Songs, die Arrangements sind durchgeplant, in diesem Rahmen sind wenige Soli der Musiker und vor allem die Stimmung des Meisters die variablen. Da wo am Mittwoch fatalistische Düsternis und am Donnerstag die Leiden daran herrschten, schimmerte am Freitag doch noch so etwas wie Hoffnung durch. „Key West“ – absoluter Höhepunkt und Auslöser von Standing Ovations – war der Gradmesser dafür. Da waren mehr idyllischere Töne, die mit den düsteren rangen. Key West, gelegen am grausam durch von Menschen gemachten Katastrophen malträtierten Golf von Mexiko, ist schon lange kein Paradies mehr. Nur noch in der Erinnerung, aber diese Erinnerung darf nicht sterben. Dylan nimmt uns in seinem Song mit auf die Reise zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen Horror und Idylle und stemmt sich gegen das Schlechte. Eine großer, Hoffnung stiftender Moment in diesem Konzert.

Und so gehen auch die düsteren Töne diesmal Dylan scheinbar leichter von der Hand, aber er schafft es auch weitere Bedeutungsebenen zu geben. „I’ll Be Your Baby Tonight“ ergeht sich am gestrigen Abend in großartiger Ambivalenz zwischen sakraler Liebe und der Liebe zwischen Menschen. Es beginnt wie ein Gospelgottesdienst – die Liebe an Gott kommt zum Ausdruck- wird plötzlich ein ganz und gar fleischlicher Rhythm & Blues und kommt wieder zum Gospel zurück. Gott schafft Liebe, auch die körperliche, man kann Liebeslieder für Gott und für einen anderen Menschen singen und ein Unterschied besteht eigentlich gar nicht. Denn am Ende hat ja Gott die Liebe geschaffen.

So wie Dylan in diesen Tagen seinen Glauben in Worte und Strophen fasst, lässt mitfühlen und verstehen. Da ist kein missionarischer Eifer. Da will einer, dass man seine Beweggründe versteht, aber nicht, dass man ihm folgt. Und das wollte Dylan ja auch nicht, außer in diesen drei Jahren, als er scharf und unerbittlich predigte, als hätte er die absoluteste aller Wahrheiten gefunden.

Der heutige Dylan relativiert das schon früh, in dem er als dritten Song „I Contain Multitudes“ spielt, indem er endlich zugibt, was wir eh schon alles gewusst haben: Ich bestehe aus Vielheiten, ich bin widersprüchlich. Und so unterhält uns dieser Dylan am letzten Berliner Abend in sehr aufgeräumter Laune und mit manchem witzigen Spruch. Auch wenn er nicht mehr gut zu Fuß ist: Dieser 81-jährige Mann hat Kraft, Energie, Spielfreude und Lust an der Dichtkunst. Am Ende schickt er uns mit einem traumhaften „Every Grain Of Sand“ in die Berliner Nacht. Und wir haben wieder Hoffnung.

2 Antworten to “Es gibt noch Hoffnung”

  1. Andreas Says:

    Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Dylans „nicht mehr gut zu Fuß“ ein wenig gefakt ist. Kürzlich kursierte ein Backstage-Foto im Internet, wo man Bob mit ausholendem, dynamischen Schritt bewundern kann. Auch aus dem letzten Jahr gab es rund um die Aufnahmen zu Shadow Kingdom ein ähnliches Foto aus den Straßen von LA. Auf der Bühne hat Dylan sich ja seit jeher sehr eigentümlich bewegt. Also, nach meinem Eindruck ist er auch körperlich noch recht fit.

    • bobby1963 Says:

      Das hätte ich vor wenigen Jahren auch noch unterschrieben. 2018 haben wir Dylan zufällig in Baden-Baden im Kurpark gesehen und da war er auch besser zu Fuss als auf der Bühne. Aber so wie er sich jetzt in Berlin bewegt hat – auch im Halbdunkel- scheint er mir tatsächlich gehandicapt.

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