Sechzig feinste Wort-Jonglagen

Wenn das neue Dylan-Buch in Gänze das Niveau der beiden soeben vorab veröffentlichten Essays erreicht, dann bekommen wir es bei „Die Philosophie des modernen Songs“ mit geistreichen und ganz-dylanesken Wortjonglagen voller wichtiger Einsichten zu tun

Back Cover von „The Philosophy Of Modern Song“, Copyright: Simon & Schuster

Also doch. Bereits vor dem Erscheinen des Buches am 2. November gibt es in der New York Times Auszüge aus „Die Philosophie des modernen Songs“ bzw. besser gesagt aus dem amerikanischen Original „The Philosophy Of Modern Song“ zu lesen. Und die Annahmen bestätigen sich. Es ist feinste Prosa des reifen Dylan, wie wir sie seit den Liner Notes zu „World Gone Wrong“ (1993) kennen. Im Beatrhythmus und -duktus, wort- und bildreich, humorvoll und immer wieder mit verblüffenden Schlüssen und Pointen.

Insbesondere in den „Riffs“, den Deutungsversuchen und Einordnungsversuchen, die vor den jeweiligen Essays stehen, ist Dylans wort- und bildreich, scheut kein erzählerisches Risiko, kommt zu halsbrecherischen Schlüssen und verführt uns mit seiner süffigen Prosa dazu, ihm zu glauben. In den Essays dann erzählt er etwas gezügelter, aber immer noch humorvoll, er die Geschichte des Songs und die Geschichten um ihn herum.

Strangers In The Night

Veröffentlicht wurden nun in der New York Times die Riffs und Essays zu „My Generation“ und „Strangers In The Night“. Und es ist eine Freude. Selten hat man so geistreich die Anbahnung eines One Night Stands beschrieben gesehen wie hier: „Zwei wurzellos entfremdete Menschen, zurückgezogen und isoliert, öffneten einander die Tür, sagten Aloha, Howdy, How you doing und Good Evening. Wie konntest du wissen, dass das Knutschen und Schmusen, Eros und Anbeten nur einen Schritt vom Mambo entfernt waren – ein seitenlanger Google-Augen-Blick und ein lüsternes Grinsen – dass du seit diesem Moment der Wahrheit unter Dampf stehst, Hals über Kopf, die Herzenswünsche des anderen“, dichtet Dylan.

Und dabei bekommt man von Dylan die Augen geöffnet. Wenn „Tangled Up In Blue“ Bob Dylans „Big River“ ist, dann ist „Simple Twist of Fate“ sein „Strangers In The Night“. Denn all das, was Dylan in seinem Riff für „Strangers Of The Night“ sagt, ließe sich auch über Dylans Song aus dem „Blood On Tracks“-Album sagen.

Das Essay dagegen mäandert plötzlich zu einer ganz anderen Geschichte. Der eigentliche Schöpfer der weltbekannten Melodie ist der armenische Musiker Avo Uvezian. Er schickt seine Melodie an Bert Kaempfert. Der legte den Song „Broken Guitar“ Frank Sinatra vor. Dem wiederum gefällt es nicht so sehr. Charles Singleton und Eddie Snyder werden hinzugezogen. Sie nehmen das melancholische Lied mit dem Titel „Broken Guitar“ und kehren eine Woche später mit „Strangers in the Night“ zurück. Der Rest ist Geschichte. Doch die Meriten für den Song bekommt bis heute Bert Kaempfert.

Aber die Geschichte endet nicht traurig, denn Avo Uvezian wurde später der Erfinder der Zigarre Avo XO aus feinem dominikanischen Tabak, die von Davidoff vermarktet wurde. Die verlorenen Tantiemen aus seiner Melodie wurden durch die Einnahmen aus der Zigarre mehr als vergolten.

Eine Geschichte, die zeigt wie sehr Bob Dylan mit 81 Jahren nun mit sich im reinen ist. Denn immer wieder hat man ihm vorgeworfen „gestohlen“ zu haben, ohne dass man das Prinzip „Diebstahl aus Liebe“ wirklich begriffen hätte. Und nun erzählt er diese Geschichte um Rechte und verlorenen Einnahmen. Dylan hat es immer noch drauf!

My Generation

Und so scheinen die Songs und die Geschichten hinter den Song durchaus etwas mit Dylan selbst zu tun zu haben. Wenn Dylan im zweiten veröffentlichten Essay sich mit einer der Hymnen der 1960er von The Who auseinandersetzt, dann ist das auch eine erneute Aussage, dass er mit dem Sixties-Ding eigentlich nicht viel zu tun hatte. Obwohl er immer noch von unverbesserlichen als „Protestsänger“ und „Stimme der Hippie-Generation“ bezeichnet wird, ist er der Protagonist dieser Generation, der einfach in seiner Entwicklung nie stillgestanden hat. Als sie noch aufgetreten sind, kamen The Who ohne „My Generation“ von keiner Bühne. Die Stones können keinen Gig ohne „Satisfaction“ spielen und Paul McCartney ist der ewige Beatles-Wiedergänger. Nur Bob Dylan kann es sich leisten, heutzutage im Konzert ohne einen seiner großen Hits „Blowin In The Wind“, „Like A Rolling Stone“, oder „Knockin‘ On Heaven’s Door auszukommen.

Und so wird die Scheidelinie zwischen Kunst, die nur in einem bestimmten Moment funktioniert und Kunst die universell ist und langfristig Bestand hat, bei „My Generation“ deutlich. „Wir alle schimpfen auf die vorherige Generation, wissen aber irgendwie, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir selbst sie werden“ schreibt Dylan an einer Stelle und an einer anderen „Jede Generation scheint die Arroganz der Ignoranz zu haben und sich dafür zu entscheiden, das Vergangene über Bord zu werfen, anstatt auf der Vergangenheit aufzubauen.“ Und so wird aus der vitalen, trotzigen, selbstüberzeugten Hymne ein Fall fürs Archiv oder gar fürs Altersheim: „In Wirklichkeit bist du ein 80-jähriger Mann, der in einem Altenheim herumgefahren wird, und die Krankenschwestern gehen dir auf die Nerven…“sie sprechen über Ihre Generation, predigen, halten einen Diskurs.“ Und obwohl jede junge Generation eine ähnliche selbstüberzeugte Haltung einnimmt, wird „My Generation“ keineswegs von einer neuen Generation entdeckt, sondern ist eine Oldie-Nummer geworden, die den Jugendwahn ihrer Generation bloßstellt, da sie heute alles andere als taufrisch daherkommt.

Der 81-jährige Dylan dagegen ist indes weit davon entfernt, sich im Altenheim von Krankenschwestern piesacken zu lassen. Er ist ein „Rolling Stone, der kein Moos ansetzt“. Im Gegensatz zu den Rolling Stones oder eben The Who, die krampfhaft die Haltung und die Gesten ihrer Jugend zu konservieren versuchen. Dylan ist einfach gealtert und seine Musik mit ihm gereift und daher ganz anders wie früher. Seine Musik ist entgegen falscher Annahmen keine Musik nur für eine Generation. Und so entscheidet er sich, für sein aktuelles Programm die Songs auszuwählen, die sich mitentwickelt haben bzw. weiterentwickelt werden können.

Und so zeigen die nun vorveröffentlichten Riffs und Essays, wie Songs generationenübergreifend funktionieren und universell sind und andere zeitgeistig und speziell. Dylan essayistische Reflexionen versprechen ein großer Lese- und Denkgenuss zu werden. Was ich mir bei den Berliner Konzerten schon gedacht habe, ist auf gutem Wege durch das Buch ebenfalls bestätigt zu werden. Gerade wenn man denkt, ein bisschen distanzierter und nüchterner mit dem Dylan-Ding umgehen zu können, packt einem der Kerl wieder aufs Neue!

Cover der deutschen Ausgabe. Copyright: C.H. Beck

Talk und Musik rund um Dylans neues Buch am 18. November in Darmstadt

Langsam aber sicher geht es auf die Veröffentlichung des Buches zu, das hierzulande am 2. November erscheint. Mit einer Veranstaltung in Darmstadt, in der Bessunger Knabenschule, wollen wir am 18. November mit Talk und Musik dem neuen Dylan-Buch auf den Grund gehen. Mit dabei Buchübersetzerin Conny Lösch, der Dylan-Experte Heinrich Detering sowie Dan Dietrich, Martin Grieben und Four Chords & The Truth.

Mehr Infos uns Tickets gibt es hier: https://www.knabenschule.de/?id=1171

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