Archive for the ‘Folk’ Category

Bob Dylans amerikanische Geschichtsschreibung

22. Juni 2020

New York Public Library, Copyright: Wikimedia Commons.

Notizen zu „Rough And Rowdy Ways“: Das neue Album nimmt auch Amerikas raue und rauflustige Wege in den Fokus.

Ich habe immer wieder betont, dass in Bob Dylans Werk auch nach Ende seiner „Protest-Phase“ keineswegs gesellschaftliche Entwicklungen ausgeblendet werden. Er hat im Laufe der Karriere immer wieder treffende Bilder und Beschreibungen für gesellschaftliche Zustände gefunden. „Von All Along The Watchtower“ über „Hurricane“ bis hin zu „Workingman’s Blues #2“. Er sieht aber seine Aufgabe als Künstler darin, gesellschaftliche Entwicklungen in Worte, Bilder und Songs aufzugreifen und nicht darin, als politischer Aktivist für eine Sache einzutreten. Musik kann nicht die Welt verändern, aber den Menschen auf die Sprünge helfen, es zu tun. Auch in diesem Sinne hat Dylan gleich mehrere Generationen beeinflusst.

Dylan schreibt amerikanische Geschichte
Seit der junge Bob Dylan in der New York Public Library gierig nach Erkenntnissen die Zeitungen aus der Epoche des amerikanischen Bürgerkrieges geradezu verschlungen hat, lässt er uns an seiner Art der amerikanischen Geschichtsschreibung teilhaben. „With God On Our Side“ hat die Kriege im Blick, die Amerika zur Weltmacht haben aufsteigen lassen. Von den Indianer-Feldzügen bis zum Kalten Krieg. In „Only A Pawn In Their Game“ klärt er über die Mechanismen des sich immer weiter vererbenden Rassismus in den Südstaaten auf. Und in „Blind Willie McTell“ malt er ein großformatiges Bild des Südens mit Plantagen und Galanterie, Rassismus und Religion. Vom Zeltgottesdienst über die Minstrel Show bis zu Bootlegin‘ Whiskey und Blind Willie McTells Blues.

Wenn nun Dylans neues Werk „Rough And Rowdy Ways“ betitelt ist, so mag das zwar vordergründig ein Selbstbild des Künstlers oder seinem „lyrischen Ich“ sein, es ist aber mindestens genauso auf den Aufstieg und den Niedergang Amerikas gemünzt. Einem Amerika, dessen Geburtsfehler, Lebenslügen, dessen Widersprüche und Aberwitzigkeiten nun angezündet von der Lunte eines diabolisch-dummen Neros im Weißen Haus, das Land ex- und implodieren lassen. Einem kindischen Nero, der das amerikanisch-raue, laute und rauflustige geradezu idealtypisch verkörpert.

Dylans musikalische Geschichtsstunden beschränken sich auf diesem Album nicht auf das offensichtliche „Murder Most Foul“, in dem Dylan den Beginn der Abwärtsspirale auf den 22. November 1963, den Tag der Ermordung John F. Kennedys, datiert. Dylan hatte sich nur wenige Monate nach dem Attentat vor Ort in Dallas umgesehen und teilt seitdem die Meinung vieler in den USA, dass dieses Attentat nie wirklich vollständig aufgeklärt wurde. Auch in anderen Songs äußert sich Dylan zum Weg Amerikas.

Dialektik von Aufklärung und Befreiung
In „Mother Of Muses“ singt Dylan: „Sing of Sherman, Montgomery and Scott/ And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought/ Who cleared the path for Presley to sing/ Who carved the path for Martin Luther King/ Who did what they did and they went on their way/ Man, I could tell their stories all day.“ Damit treibt er die Widersprüche und die Dialektik von Aufklärung und Befreiung auf die Spitze. Denn Shermans grausamer, vernichtender Feldzug durch Georgia brach die Kriegsmoral der Menschen im Süden. Eine Moral, einen Krieg weiterzuführen, in dem der Süden für sein Recht kämpfte, weiterhin Menschen zu versklaven. Und Patton, der im 2. Weltkrieg mit der US-Army Europa vom Faschismus befreite, war durchaus ein fragwürdiger Charakter. Doch beide bereiteten den Boden dafür, dass der weiße Presley die Musik der Schwarzen sang, die eine Nachkriegsjugend global adaptierte, als auch dass Martin Luther King die Bürgerrechte der Schwarzen einfordern konnte und Hoffnung auf politische Veränderung im Sinne der Menschen aufkeimte.

Song aus der „Great Migration“
„Goodbye Jimmy Reed“ wiederum ist durchaus auch als eine Geschichte über eine typische afroamerikanische Biographie aus der Zeit der „Great Migration“ zu verstehen. Reed wurde 1925 in Mississippi im tiefsten Süden geboren und ging wie viele Afroamerikaner seiner Zeit 1943 nach Chicago, arbeitete erst bei der Marine, dann im Schlachthof und kam dort in Kontakt mit Leuten aus der Bluesszene und würde selbst einer ihrer Stars. Dieser Jimmy Reed wird hier besungen von einem Afroamerikaner, der es nicht geschafft hat. Der mit dem Rassismus und der Gewalt in Virginia kämpft – „They threw everything at me, everything in the book/ I had nothing to fight with but a butcher’s hook/ They had no pity, they never lent a hand/ I can’t sing a song that I don’t understand“ – und über sein Idol ins Schwelgen gerät.

Böse Prediger
Auch „False Prophet“ ist nicht nur irgendwo zwischen Selbstporträt, Weltgeist und Teufel angesiedelt. Der „False Prophet“ steht auch für die in den USA wohlbekannte Figur des gefährlichen Predigers, des zur Gewalt anstiftenden Anführers. Robert Mitchum in „Die Nacht des Jägers“, Andy Griffith in „A Face In The Crowd“ oder William Shatner in „Weißer Terror“ haben ihm Gesichter gegeben. Dylan hat ihn in Songs wie „Man Of Peace“ oder „Man In The Long Black Coat“ verewigt. Diesmal scheint der amtierende Präsident als falscher Prophet benannt zu werden: „Hello stranger, hello and goodbye/ You rule the land but so do I/ You lusty old mule, you got a poisoned brain/ I’ll marry you to a ball and chain.“ Dass der Schatten des gehängten Mannes auf dem Cover von „False Prophet“ dem Orangefarbenen ähnelt, scheint ein weiterer Beleg dafür zu sein.

Dylans Sehnsuchtsort

Copyright: Wikimedia Commons.


„Key West“ in Florida dagegen ist Dylans Sehnsuchtsort des anderen Amerika. Hier haben die Beatniks Ginsberg, Corso und Kerouac gelebt, hier verbrachten Tennessee Williams, Louis Armstrong oder Ernest Hemingway Teile ihres Lebens. Wenn er das Bild „I was born on the wrong side of the railroad track“ benutzt, dann identifiziert er sich auch hier wieder mit der afroamerikanischen Community, deren Platz stets am Rande der Orte, in den windschiefen Hütten hinter den Eisenbahnschienen war. Hier in Key West haben sie alle ihren Platz. Alle Menschen, alle Ethnien können nach ihrer Fasson im liberalen und optimistischen Klima zu sich selbst finden, nachdem sie am restlichen Amerika den Verstand verloren haben.

Dylans Erzählung vom amerikanischen Sehnsuchtsort beginnt mit der Ermordung Williams McKinleys, dem US-Präsidenten, der die Nation in den imperialistischen spanisch-amerikanischen Krieg 1898 geführt hatte und 1901 an den Folgen eines anarchistisch motivierten Attentats starb. Schon der Old Time Musiker Charlie Poole hatte McKinley im „White House Blues“ besungen. In Key West zog sich während des spanisch-amerikanischen Krieges die US-Flotte zusammen. Dylan lässt hier McKinley nochmals sterben, um Key West die Unschuld zurück zu geben, die es braucht, um zum Sehnsuchtsort des anderen Amerikas zu sein. Ein Ort, der sogar sein „Little White House“ besitzt, den Wintersitz des US-Präsidenten Harry S. Truman. Und Dylan setzt auch wieder ein Zeichen für religiöse Toleranz. Singt er in „Goodbye, Jimmie Reed“: I live on a street named after a saint/ Women in the churches wear powder and paint/ Where the Jews and the Catholics and the Muslims all pray/ I can tell a party from a mile away“ – nebenbei auch ein Wink wie nah der Juke Joint an der Kirche liegt – so heißt es hier „I play gumbo limbo spirituals/ I know all the Hindu rituals/ People tell me that I’m truly blessed.“ Auch in religiöser Hinsicht stimmt die Selbsteinschätzung „I Contain Multitudes“.

Und so sind die letzten Zeilen des letzten Songs der ersten CD denn auch die Anti-These zu so vielem, was vorher auf dieser Platte von Dylan beklagt und besungen wurde. Wenn die Welt ein besserer Ort werden möchte, dann sollte sie sich ein Beispiel an Key West nehmen: „Key West is paradise divine/Key West is fine and fair/ If you lost your mind, you’ll find it there/ Key West is on the horizon line.“

Songs aus der Corona-Isolation

30. Mai 2020

J.S. Ondara überrascht mit neuem Album

Für den Blogger war das nach der Albumankündigung von Bob Dylan der überraschendste und größte musikalische Moment während der Corona-Krise: J.S.Ondara hat kurzerhand auf allen digitalen Plattformen gestern aus dem Nichts heraus ein neues Album veröffentlicht. Die physische Veröffentlichung folgt Ende August, aber der historische Moment ist jetzt. „Folk n’ Roll Vol. 1: Tales Of Isolation“ ist in nur drei Tagen nach wochenlanger Isolation und Nichtstun entstanden. Es musste jetzt raus.

Ondara knüpft in Echtzeit da an, wo der Vorgänger „Tales Of America“ aufhört. Er sieht dem auseinanderbrechenden Amerika während der Corona-Krise zu und erzählt in „Pulled Out Of The Market“ von arbeitslosen Restaurantbedienungen und gefeuerten Arbeitern. Er erzählt in „Isolation Depression Syndrome (IDS)“ von seinen Ängsten, von seiner Isolation und Depression und er singt in „Ballad Of Nana Doline“ über die typisch amerikanische Lebensgeschichte einer älteren Frau bis zu ihrem Tod durch Corona.

Ondara, hat sich ja seinen amerikanischen Bob Dylan-Traum erfüllen können und siedelte vor ein paar Jahren von Kenia über nach Minneapolis. Weil er da Verwandte hat und weil Bob Dylan aus Minnesota kommt. Die jetzigen Unruhen und die Ermordung George Floyds in seiner neuen Heimatstadt, konnten noch nicht in die neue Musik einfließen. Aber die Geschehnisse gegen die ja auch in Louisville, Denver, Dallas, Los Angeles, New York und Washington demonstriert wird, sind ja ohnehin ein trauriges Kontinuum für die afroamerikanische Community. Polizeigewalt ist für Afroamerikaner eine das ganze Leben durchziehende reale Bedrohung.

Ondara, für den ich mir sehr gewünscht habe, dass er sein starkes Debütalbum bestätigt, hat sein Soll mehr als erfüllt. Er ist der derzeit schärfste Beobachter des amerikanischen Alptraums und er tut dies in einer Bildsprache, die klar und kräftig ist, er tut dies in Songs, die spannende Geschichten erzählen, mit Gesang und Melodien, die absolut mitreißend sind. Und das alles macht er mit einer großen Empathie für die Menschen.

Eigentlich wollte er ein ganz anderes Album herausbringen, eines mit voller Band, aber jetzt er sich aus der Not heraus ganz alleine in große Höhen geschwungen. J.S. Ondara wird man wirklich fest im Auge behalten müssen. Er ist zu gut, um stehen zu bleiben. Ganz wie sein großes Vorbild.

Freedom Singer

22. Mai 2020

1962/63: Bob Dylan und die Bürgerrechtsbewegung

Als Bob Dylan Anfang 1961 nach New York kam, da lernte er bald Suze Rotolo kennen. Sie war jünger als er, aber politischer, sie stammte aus einer Familie italienischer Kommunisten und war aktiv in der Bürgerrechtsorganisation „Congress of Racial Equality (CORE)“. Und sie war interessiert an Literatur und Theater. Dies und die linke Boheme des Greenwich – ähnliches hatte er bereits in Dinkytown in St. Paul, Minnesota, kennengelernt – festigten Dylans kritische Weltsicht. In Greenwich-Village gab es keine Rassendiskrimierung und die Folkies verehrten die schwarzen Bluesleute. Sein erster offizieller Auftritt war denn auch im Vorprogramm des legendären John Lee Hooker.

Dylan wird zum politischen Songwriter

Joan Baez und Bob Dylan beim „March On Washington 1963, Foto: Wikimedia Commons/National Archive/Newsmakers


Dylan spielte anfangs nur alte Folkstücke, sein erster eigener Song war der über sein Folk-Idol Woody Guthrie. Als er dann mit Suze im Januar 1962 in ein gemeinsames Apartment zog, wirkte sich dies direkt auf seinen künstlerischen Output aus. Denn jetzt zeigte sicher einige seiner wichtigsten Eigenschaften: Dylan ist unermüdlich darin, sich Wissen und Können anzueignen. Er saugt die Dinge wie ein Schwamm auf. Und er ist in der Lage sie so weiterzuverwenden, dass er ihnen seinen eigenen Stempel aufdrückt. Als sein Debütalbum „Bob Dylan“ mit Folkstandards im März 1962 erscheint und floppt, ist er eigentlich schon viel weiter. Dylan ist im Village bereits als aufstrebender Songwriter bekannt und ein begehrter Live-Künstler. Er nimmt in verschiedenen Sessions „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ von April 1962 bis April 1963 auf. Als das Album am 27. Mai 1963 erscheint, ist sein „Blowin In The Wind“ schon bekannt von seinen Live-Auftritten, wird aber zum Hit durch die Version von Peter, Paul und Mary. Doch „The Freewheelin“ bringt den Durchbruch für ihn, das Album kommt einer künstlerischen Explosion gleich. Das Album enthält 13 Songs, davon ein gutes halbes Dutzend absolute bis heute gültige Klassiker seines Oeuvres.

Songs gegen Rassismus und Antikommunismus
Dylan entwickelt in den Jahren 1962-64 im Songwriting eine beispiellose Schnelligkeit, Kunstfertigkeit und Präzision. Und er schreibt einige der wichtigsten amerikanischen Songs gegen Rassismus: „The Death Of Emmett Till, „Oxford Town“, „Only A Pawn In Their Game“ und „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“.

In „Oxford Town“ schildert er die Ereignisse rund um die Durchsetzung des Rechts von James Meredith, erster schwarzer Student an der Universität von Mississippi zu sein. Es kam zu schweren gewalttätigen Auseinandersetzungen und US-Marshalls mussten Meredith schützen. „Only A A Pawn In Their Game“ greift die Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Medgar Evers am 13. Juni 1963 auf.

Im März 1963 lernt er bei gemeinsamen Fernsehaufnahmen bei Westinghouse TV Mavis Staples kennen. Er kennt die Musik der Staple Singers da schon eine ganze Zeit lang und ist begeistert von Mavis‘ rauer Stimme. Im Juni nehmen die Staple Singers „Blowin In The Wind“ auf. Eine Premiere, denen viele Dylan-Cover der Staples folgen.

In dieser Zeit freundet sich Bob auch mit den „Freedom Singers“ von der Bürgerrechtsorganisation Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) an, schreibt Robert Shelton in seiner Dylan-Biographie. Das SNCC – gesprochen „SNICK“ – waren mit „CORE“ zusammen die Veranstalter der „Freedom Rides“. Die jungen singenden Aktivisten hatten für Dylan eine besondere Relevanz, da sie über sich selbst und über ihr Leben singen würden. Mit einer von ihnen, Bernice Johnson, hatte er ein paar Jahre intensiven Kontakt.

Bob hatte in diesen Tagen durch klare politische Ansagen für reichlich Wirbel gesorgt. Er schrieb den Song „Talking John Birch Society Blues“, ein Spottlied über die gleichnamige antikommunistische Gruppe und sollte am Vorabend des geplanten Album-Release (12. Mai 1963) im CBS-Fernsehsender in der Ed Sullivan-Show auftreten. Sein Vorhaben, den John Birch-Song dort zu spielen, stieß bei den CBS-Fernsehleuten auf Widerstand. Sie fürchteten ins Kreuzfeuer der rechten, einflussreichen Extremisten zu geraten. Doch Dylan lehnte es ab, einen anderen Song zu spielen und trat nicht in der Sendung auf. Dies führte zwar zu einem positiven Echo im fortschrittlichen Teil Amerikas, brachte aber die Plattenbosse bei Columbia Records dazu, die geplante Veröffentlichung von „The Freewheelin'“ zu verschieben. Da Dylan nach seinem Debüt-Flop keine starke Ausgangsposition für eine Auseinandersetzung hatte, musste er die Kröte schlucken, nutzte es aber auch gleichzeitig dafür, selbst noch verschiedene Wechsel auf der Tracklist vorzunehmen. So wurden Songs, die nicht mehr ganz seinem aktuellen Profil entsprachen, u.a. durch „Masters of War“ und „Girl from the North Country“ ersetzt. Eine sehr gute Entscheidung, die großen Einfluss auf die Qualität und den Erfolg des Albums hatte.

Copyright: Sony Music

Greenwood, Mississippi
In diesen Tagen war Pete Seeger einer seiner großen Mentoren. Seeger war der politische Folksänger in der Nachfolge Woody Guthries und mit Theodore Bikel zusammen Begründer des Newport Folkfestivals, dass nach zweijähriger Pause Ende Juli seine Fortsetzung erfahren sollte. Einen Auftritt Dylans beim Festival hatten die beiden Folk-Impresarios schon im Blick, als sie den nun bundesweit bekannten Dylan zu einer „Vote Registration Rally“ in Mississippi einluden. Mit einem Nachtflug vom 1. auf den 2. Juli 1963 machte sich der jüdische Nordstaatler zusammen mit Pete Seeger auf den Weg in den tiefen, von Rassenkämpfen zerrissenen Süden der USA. Und folgte damit auf seine Weise dem Beispiel der jungen Leute vom SNCC, die sich als „Freedom Rider“ für die Sache der Schwarzen ebenfalls auf den Weg vom Norden in den Süden machten. Und zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls Juden waren. Denn bis in die 1960er Jahre engagierten sich viele jüdische Amerikaner für und mit den Schwarzen in der Bürgerrechtsbewegung. Es war auch ihr Kampf, denn Rassisten sind immer auch Antisemiten. Erst mit dem Aufkommen der schwarzen „Nation Of Islam“ und den Black Panthers ab Ende der 1960er kam es wegen deren Anti-Zionismus zu Rissen im gesellschaftlichen Bündnis von Jewish und Black Community.

Dylan und Seeger kamen am 2. Juli 1963 in Greenwood, Mississippi an, und Bob traf dort neben Theodore Bikel, auch Bernice Johnson wieder. Ein paar Tage arbeiteten sie in Workshops zusammen: Die New Yorker Folkies, die College-Studenten aus den Nordstaaten und die armen schwarzen Farmer.
Am 6. Juli spielte Dylan dann auf Silas Magee’s Farm vor einem rund 300-köpfigem Publikum aus schwarzen und weißen Aktivisten, schwarzen Einheimischen, Journalisten und Fernsehleuten. Er trug einen neuen Song „Only A Pawn In Their Game“ vor und Bernice erzählte später Shelton: „‚Pawn‘ war das allererste Lied, das zeigte, dass die armen Weißen ebenso von Diskriminierung betroffen waren wie die armen Schwarzen. Die Greenwood-Leute wussten nicht, dass Pete, Theo und Bobby bekannt waren. Sie waren einfach froh, Unterstützung zu bekommen. Aber sie mögen Dylan dort unten im Baumwoll-Land wirklich.“

Newport Folk-Festival und „March On Washington“
Es kam wie es kommen musste. Suze Rotolo war weit weg in Italien, und Joan Baez, die „Queen Of Folk“, nahm immer mehr Platz in Bobbys Leben ein. Sie hatte ihn bereits 1961 kennengelernt, fand immer mehr Gefallen an dem „unwashed Phenomenon“, wie sie ihn später im Song „Diamonds And Rust“ nennen sollte. Bobby weckte bei vielen Frauen Beschützerinstinkte. Für ihn war Joan ein Glücksfall. Während Suze mit dem Folkstar-Leben fremdelte, war Joanie bereits seit 1959 beim Folk-Revival dabei und nun als Künstlerin an der Spitze der Bewegung. Auch sie war politische Aktivistin und war begeistert von Dylans Songs. Und es war es ihr vorbehalten, den sich bereits ankündigenden aufgehenden Stern die Bühne zu bereiten. Beim Newport Folk Festival 1963 (26. – 28. Juli) war sie die Queen und trug den aufstrebenden Singer-Songwriter ihrem Publikum an. In Workshops traten sie zusammen auf und Dylan hatte seinen Solo-Auftritt. Und plötzlich war er mit Joanie zusammen ganz vorne an der Spitze der Bewegung.

Doch nicht nur er erlebte seine Premiere in Newport, auch Mavis Staples und ihre Familie waren da. Es soll heftig geknistert haben zwischen den beiden. Bobby soll sogar um die Hand von Mavis angehalten haben, doch Mavis wollte nicht. Sie war jung und möglicherweise fürchtete sie auch die Tatsache, dass gemischtrassige Paare in den USA zu dieser Zeit noch vielen Anfeindungen ausgesetzt waren. In manchen Bundesstaaten waren gemischtrassige Beziehungen sogar gesetzlich verboten und wurden mit Gefängnis bestraft. Auch wenn Mavis ihm einen Korb gegeben hatte, haben sie ihre Freundschaft jedoch bis heute erhalten.

Bob sang in Newport seinen antirassistischen Songs „Only A Pawn In The Game“ und zusammen mit dem gesamten Line-Up die Bürgerrechts-Hymne „We Shall Overcome“. Bob Dylan und Joan Baez – das Traumpaar von Folk und Protest hatte sich öffentlich gefunden. Suze zog im August aus der gemeinsamen Wohnung aus, 1964 trennte sie sich endgültig von Bob. Joanie und Bobby aber gingen nach Newport 1963 zusammen auf eine Kurz-Tournee an der Ostküste, unterbrochen von den ersten drei Aufnahmesessions für Dylans neues Album „The Times They Are A-Changin“, das dann im Januar 1964 veröffentlicht wurde und den Höhepunkt seiner Protestsängerkarriere darstellt.

Am 28. August standen die beiden dann beim „March On Washington“ auf der Bühne, auf der Martin Luther King seine berühmte Rede „I Have A Dream“ halten sollte. Joan Baez spielte „Oh Freedom“ und sang mit der Menge zusammen „We Shall Overcome“. Dylan sang solo “When the Ship Comes In” und mit Baez zusammen “Only A Pawn In Their Game. Im Finale sangen sie dann “We Shall Overcome” mit Peter, Paul and Mary und Theodore Bikel.

Am 31. Oktober fand die letzte Aufnahmesession für das Album „The Times They Are A-Changin'“ statt. Knapp drei Wochen später, am 22. November wurde John F. Kennedy in Dalla ermordet. Dylan ging dessen Tod sehr nahe, nur widerwillig gab er am Folgetag ein Konzert. Drei Monate nach der Ermordung Kennedys reiste Dylan dann nach Dallas und hatte nach dem Besuch des Attentats-Schauplatz erhebliche Zweifel an den offiziellen Schilderungen zum Tathergang.

Für ihn war Lee Harvey Oswald nur ein Bauernopfer und bis heute – Murder Most Foul! – geht er von einem Komplott des militärisch-industriellen Komplexes aus. Dies und die immer größere Angst davor, von der jugendlichen Protestbewegung als politischer Führer angesehen zu werden, führt zu einer Entwicklung, die 1964 in sein Album „Another Side Of Bob Dylan“ mündete.

Tom Paine Award

Copyright: Sony Music

Dies muss mitbedacht werden, als Dylan am 13. Dezember 1963 bei der Verleihung des „Tom Paine Awards“ durch die „Emergency Civil Liberties Union’s (E.C.L.U.)“ im New Yorker Hotel Americana in angetrunkenem Zustand eine verunglückte Rede hielt. Irgendwas hatte da in ihm geschlummert, das jetzt durch den Alkohol raus kam. Er war auf Krawall gebürstet, hielt erst dem Publikum vor, dass es vorwiegend grau und weiß sei (das stimmte!), dann dass seine Freunde nicht feine Anzüge tragen müssten, um als respektable „Negroes“ angesehen zu werden (auch nicht so dumm!), brachte es aber unglücklicherweise in den Zusammenhang mit dem „March on Washington“. Schließlich leistete er sich den Fauxpas zu sagen, auch er fühle Dinge in sich, die er bei Lee Harvey Oswald (dem Kennedy-Attentäter) gesehen habe, aber er würde natürlich nicht so weit gehen und schießen. Waren die liberalen Zuhörer vorher noch unruhig, aber höflich, so erntete der gute Bobby nun heftige Buhrufe. Skandal!

Dylan versuchte danach mit einem Brief die Wogen zu glätten. Relativierte, beschwichtigte, verschlimmbesserte. Wie auch immer, der zentrale Punkt lautete:
I can not speak. I can not talk
I can only write an I can only sing
perhaps I should’ve sung a song
but that wouldn’t a been right either
for I was given an award not to sing
but rather on what I have sung

I thought something else was expected of me
other than just sayin “thank you”
an I did not know what it was
it is a fierce heavy feeling
thinkin something is expected of you
but you dont know what exactly it is…
it brings forth a wierd form of guilt

Dylan wollte kein Speaker für irgendetwas mehr sein. Er wollte er selbst sein, das machen, was er wollte, nicht mehr das, was andere erwarteten.

Bob Dylan hatte 1963 für sein Empfinden sein Maß an konkretem politischem Engagement übererfüllt. Seine Zeit als vermeintlicher politischer Anführer war nun bereits wieder vorbei. Bernice Johnson sagte später Robert Shelton dazu: „Ich hatte das Gefühl, dass er einige emotionale Geschichten durchmachte, und ich wollte da kein Urteil fällen. Einige Weiße haben sich unserer Bewegung angeschlossen, weil sie Schwarze irgendwie besonders mochten, und andere waren einfach voll von Schuldgefühlen. Dylan war da ganz anders. Als er sich von der Bewegung zurückzog, da waren es die Weißen bei SNICK, die ihm das übel genommen haben. Dieses Gerede von wegen „er verkauft sich“ haben wir nur von den Weißen gehört, nie von den Schwarzen.“

Das Jahr 1964 sollte eine andere Seite Dylans zeigen und ein Jahr des Übergangs sein. Während im Januar 1964 „The Times They Are A-Changin'“ veröffentlicht wird, ist Bob Dylan wieder mal schon einen Schritt weiter.

Bob Dylan beim „March On Washington“:

Bob Dylan visits Jimmie Rodgers & The Carter Family

10. Mai 2020

„Rough And Rowdy Ways“ ist auch eine Hommage an die frühen Ikonen der Countrymusik

Bob Dylan – Rough And Rowdy Ways. Bildrechte: Columbia, Sony Music

Bob Dylan neues Album heißt „Rough And Rowdy Ways“. Im Inneren der Doppel-CD befindet sich ein Bild von Jimmie Rogers mit der Carter Family. Sie waren die ersten Stars der Countrymusik. Was hat dies miteinander zu tun hat und was bedeutet das? Nun, „My Rough & Rowdy Ways“ ist der Titel eines alten Jimmie Rodgers-Song. Dies und das Bild deuten möglicherweise auf eine besondere Inspiration Dylans für dieses Album hin, die von den Musiklegenden ausgegangen sein könnte. Dylans Karriere weist ohnehin viele Bezüge zur Musik dieser Künstler aus. Gehen wir dem doch mal ein bisschen genauer auf den Grund.

Der „Big Bang“ der Country Music
Es war der „Big Bang of County Music“ wie sich Johnny Cash auszudrücken pflegte. Als 1927 während der Auditions in Bristol, Tennessee/Virginia, die Sterne von Jimmie Rodgers und der Carter Family aufgingen. Mit ihnen fing die Countrymusik an. Der eine, Jimmie Rodgers aus Meridian, Mississippi, mischte Hillbillymusik mit schwarzem Blues und Jazz, sowie urbanem Schlager zu einer ganz wilden einzigartigen Mischung, die anderen, „The Carter Family“ aus dem Poor Valley in Virginia, sangen wie sonst niemand die alten Folk-Balladen der Appalachen und machten sie zu Hits. Während Rodgers viele ikonische Bilder des alten, gefährlichen Amerika in die Countrymusik einbrachte – „T For Texas“, „Waiting For A Train“, „In The Jailhouse Now“, konservierten die Carters die Atmosphäre des ländlichen Südens – Tradition, Armut, Arbeit, Glauben, Liebe, Hoffnung – auf Tonträgern. Beide Acts konnten durch die massenhafte Reproduktion von Tonträgern und Abspielgeräten sowie der Verbreitung der Songs im immer stärker aufkommenden Radio Ende der 1920er/Anfang der 1930er zu den ersten Popstars der Countrymusik werden.

50 Jahre später waren sie aber immer noch ursprünglich genug, Vorbilder für die jungen Folkies der frühen 1960er Jahre werden, die für die kommerzielle Nashville-Countrymusik dieser Jahre wenig übrig hatten. Auch der junge Bob Dylan hatte die frühen Countryhelden für sich entdeckt und Songs wie „Bury Me Beneath The Willow“ der Carter Family gespielt, das er über Woody Guthries Version kennengelernt haben sollte. Er nutzte die Melodie ihres „The Wayworn Traveler“ für seinen Song „Paths of Victory“ und hatte im Laufe seiner Karriere immer Songs der Carter Family wie „Little Moses“ oder „Girl From The Greenbriar-Show“ im Programm. Auch bei den Basement Tapes-Sessions waren die Songs der Carter Family, wie „Wildwood Flower“, stets präsent.

Vorbilder für die jungen Folkies
Jimmie Rodgers war für Dylan aufgrund seiner Hobo-Songs besonders interessant. Seine Songs kamen denen der „Anthology of American Folk Music“, die Harry Smith zusammengestellt hatte, recht nahe. Diese Zusammenstellung, die zwar keinen Rodgers-Song, dafür aber vier Nummern der Carter Family enthält, war auch für Dylan das reine Eldorado.

Sicher hat auch die Freundschaft zu Johnny Cash, der ja Mitte der 1960er quasi in die Carter Family eingeheiratet hatte, als er den Ehebund mit June Carter schloss, ihren Anteil an der Inspiration durch die Säulenheiligen der Countrymusik. Bei den erst im letzten Jahr offiziell veröffentlichten Dylan/Cash-Sessions von 1969 haben die beiden u.a. auch ein Jimmie Rodgers Medley eingespielt. Und bei den Sessions mit Earl Scruggs 1970 wurde mit dem „East Virginia Blues“ auch ein Song von A.P.Carter gespielt.

Bildrechte: Sony Music

Als Dylan sich Anfang der 1990er in einer Schaffenskrise befand, da half ihm explizit die Rückbesinnung auf die alten Folksongs. „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ sind die Dokumente. Mit zu dieser Rückbesinnung gehörten auch 1992 die Aufnahme-Sessions mit David Bromberg, bei denen der alte Jimmie Rodgers-Titel „Miss The Mississippi And You“ eingespielt wurde, das erst 2008 auf „Tell Tale Signs. The Bootleg Series Vol. 8“ veröffentlicht wurde.

Bob Dylan zollt Tribut
1997 erscheint auf Bob Dylans eigenem Label Egyptian Records das Tribute-Album „The Songs Of Jimmie Rodgers. A Tribute“ für das Dylan viele prominente Kolleginnen und Kollegen dazu gewinnen konnte, Songs des „Singin‘ Brakeman“ neu zu interpretieren. Darunter Van Morrison, Willie Nelson, Steve Earle, Mary Chapin Carpenter, Alison Krauss und Iris Dement. Dylan selber steuert „My Blue Eyed Jane“ bei. In den Liner Notes schreibt er: „Jimmie Rodgers ist natürlich eines der Leitsterne des 20. Jahrhunderts, dessen Umgang mit Liedern immer eine Inspiration für diejenigen von uns war, die dem Weg gefolgt sind. Ein lodernder Stern, dessen Klang die rohe Essenz der Individualität in einem Meer der Konformität war und bleibt, par excellence ohne Vergleich.“

2003 dann ein besonderes Kabinettstückchen. Er nimmt mit Mavis Staples für das Album „Gotta Serve Somebody – The Gospel Songs of Bob Dylan“ ein Duett von „Gonna Change My Way Of Thinking“ auf, das in eine kleine Rahmenhandlung eingebettet ist, die der berühmten Aufnahme „Jimmie Rodgers visits The Carter Familie“ nachempfunden ist.

Und 2012 schließlich bedient er sich für seinen Song „Tempest“ beim Motiv und bei der Melodie der Carter Family-Ballade „The Titanic“. Wieder einmal „Love And Theft“. Doch während der Song der Carter Family voller Empathie gerade für die ärmeren Schiffsreisenden der unteren Stände war, rechnet Dylan gnadenlos mit den vermögenden und hochgestellten Teilnehmern der Dampferfahrt ab, deren Geld, Macht und Waffen sie nicht vor dem Untergang des Schiffes retten kann.

Nun also rund um das neue Album zwei neue Fundstellen des besonderen Verhältnisses zu den musikalischen Urahnen. Wir dürfen gespannt sein, ob da noch mehr kommt.

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (29)

21. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

The old, weird America

Howdee Everone,

reden wir über das alte und das neue, gefährliche Amerika!

Mit dem Terminus „the old, weird America versuchte Popkritik-Papst Greil Marcus die Verbindung zu ziehen zwischen den Songs von Bob Dylan & The Band, die später die Basement Tapes genannt wurden, und der Anthologie Of American Folk Music von Harry Smith von 1952.

Die Anthology, das sind uralte Folksongs von obskuren alten Sängern über eine obskure alte Welt. Ein Amerika der düsteren Folk-Songs, der Shanties, der Hillbillies, der Minstrel-Shows, der Gunfighter, der Bürgerkriegssoldaten, der fliehenden Sklaven, das Amerika von Rassismus und Gewalt, Liebe, Mord und Totschlag. Die Aufnahmen stammen von 1926 bis 1933. Die Songs selber sind viel älter und in mehrfacher Hinsicht zeitlos.

Ja, die Anthology wurde zum Kult bei der jungen Folk-Bewegung Anfang der 1960er. Doch während diese Folk-Bewegung oftmals nur an der Oberfläche kratzte, weil ihre Protagonisten entweder einen zu cleanen weißen Mittelstandshintergrund hatten bzw. man das Folk-Idiom hauptsächlich – zu einer natürlich gerechtfertigten – politischen Protestmusik nutzte, gingen Dylan & The Band im 1967 im Keller von Big Pink viel weiter.

Während draußen die weiße Mittelstandsjugend den „Summer of Love“ verlebte, der nur kurze Zeit wirklich einen Gegenentwurf zum durchkapitalisierten Amerika darstellte, ehe sich in die emanzipatorische Bewegung mit Scott McKenzie und Woodstock eine kräftige Prise Kommerz mischte, gingen Dylan und die Jungs dahin, wo’s weh tut.

Die dunkle Seele Amerikas
Eben nicht zu den wohlfeilen Wahrheiten, sondern in die dunklen und grauen Bereiche der amerikanischen Seele. Dylan war vom Motorrad gefallen und nutzte das, um dem von seinem Manager Albert Grossman veranstalteten Rattenrennen zu entfliehen. Er war nun erneut ein anderer als vorher. Er war nun ein Familienvater. Aber die Bilder von der Familienidylle mit der hübschen Sara und den süßen Kindern waren nur die eine Seite des Dylan’schen Wirken dieser Zeit.

Die andere Seite gehörte der Suche nach dem „alten, gefährlichen Amerika“ mit The Band im Keller von Big Pink. Seine enormen Kenntnisse des Folk fanden zusammen mit der „Street Credibility“ der Band, die zu diesem Zeitpunkt schon 10 Jahre auf den Bühnen, in den Kaschemmen, den Clubs und Spelunken gespielt hatten. Sie kannten die dunkle Seite des amerikanischen Traums aus eigener Erfahrung wo es Dylan nur mit Instinkt, Verständnis und Empathie versuchen konnte. Aber dass er dies konnte, zeigt auch hier nochmal seine Ausnahmestellung.

Sie spielten alte Country, Folk, Blues- und Gospelstandards und ganz viel wirklich obskures und fragewürdiges Zug. Und Dylan schrie Songs und am Ende wusste keiner mehr, sind dies alte oder neue Songs. Dylans Songs dieser Zeit stammten nicht nur aus dem Keller. Nein, er holte sie noch viel tiefer hervor. Die Grundlage für Americana war gelegt, die losen Enden Jahre wurden Jahre zu Wurzeln aus denen auch das dunkle Alternative Country spross.

Dylan hat diese dunklen, grauen Stimmungen dieser amerikanischen Musik seitdem immer wieder in seiner Musik zum Ausdruck gebracht. Wir denken an den „Man In The Long Black Coat“ auf „Oh Mercy“ von 1989 oder die Alben und Songs seines Spätwerks. Ob Long And Wasted Years oder Scarlett Town – sie sind könnten, nein sie sind uralte Songs, weil durch den Sänger Bob Dylan die uralten Folk-, Blues- und Minstrelsänger singen.

Dallas: Aus diesem Haus heraus wurden die tödlichen Schüsse auf John F. Kennedy abgegeben.

Dylan sagt uns, was Amerika im 21. Jahrhundert verloren hat
Mit seinen beiden neu veröffentlichten Songs „Murder Most Foul“ und „I Contain Multitudes“ setzt Dylan nun im Jahr 2020 die Schnittstelle an, die zwischen dem alten, gefährlichen Amerika und dem neuen gefährlichen Amerika liegt. Er vertraut seiner Collage- und Zitate-Technik und schildert Kultur und Politik des amerikanischen 20. Jahrhunderts, die auch ein Gesamtkunstwerk wie Dylan selbst schufen. Gerade weil dieses Amerika der Welt so zugewandt war – was auch negative Folgen für die Welt mit sich brachte, weil sich die Außenpolitik überwiegend weniger demokratischen Werten, denn geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen verpflichtet fühlte – schienen die dunklen Dämonen der Nation im Inneren – Rassismus, Profitgier, Gewalt – gezähmt werden zu können. Von Roosevelts New Deal über die Bürgerrechtsbewegung und die Great Society schien sich in Amerika etwas zum positiven verändern zu können.“

Doch erst der Mord an John F. Kennedy – „Murder Most Foul“! – und die Morde an Bobby Kennedy und Martin Luther King nahmen der positiven progressiven Entwicklung die Spitze. Es folgte Stagnation bis der militärisch-industrielle Komplex und die Wirtschaftsschule der „Chicago Boys“ den Roll Back und schließlich den Siegeszug des Neoliberalismus einleiteten.

Fortan war dieser angebliche uramerikanische Egoismus – es gibt ja auch die andere Seite des nachbarschaftlichen Kümmerns und der Solidarität – wieder voll da. Die Evangelikalen Schaumschläger und Menschenfeinde individualisierten wieder die sozialen Unterschiede. „Wer wirtschaftlichen Erfolg hat, der liebt Gott besonders und der auch ihn. Wer arm ist, der ist selber schuld. Und wer arm und schwarz ist, der liegt uns guten, weißen und erfolgreichen Christen nur auf der Tasche. Und wir wollen keine Almosen für schwarze Faulenzer bezahlen. Wir brauchen keine staatliche Sozialsysteme und keine Gesundheitsversicherung für alle, weil wir freie, fleißige amerikanische Christenmenschen sind, die von ihrer Arbeit leben wollen und können!“ Das war das rassistisch-kapitalistische Evangelium des Ronald Reagan.

Und so wuchsen die Armut und die Gewalt. Und weil private Firmen in den USA an Gefängnissen verdienen können und struktureller Rassismus die Gesellschaft und die Justiz beherrscht, ist der Anteil der Schwarzen an den Gefängnisinsassen so überproportional groß.

Das neue, gefährliche Amerika
Trotz Clinton und Obama-Care: An der Herrschaft des Neoliberalismus rüttelten die Demokraten nicht. Und als die Bankenkrise im Sinne der Wall Street und nicht der Menschen gelöst wurde, da vermischten sich die soziale Verzweiflung der ärmeren und abstiegsbedrohten Weißen mit der Anti-Haltung gegen das Establishment der Küstenstreifen, gegen die Bundesregierung und gegen den schwarzen Präsidenten. Mit der „Tea Party“ war die Keimzelle für den späteren Erfolg von Trump und seinem weltabgewandten „America First“ auf die politische Bühne getreten.

2020 ist Amerika bedroht. Von der Corona-Krise, ab er vor allem auch von seinem Präsidenten, der sich auf gewaltbereite Anhänger stützt, deren Grenzen zu den White Supremacy-Leuten fließend sind.

Das ist das neue, gefährliche Amerika. Bob Dylan singt darüber, was Amerika verloren hat im 21. Jahrhundert. Das was kommen wird müssen wir zwischen den Zeilen lesen.

Die dunklen Folksongs genauso wie die politischen Protestsongs über einen wahnwitzigen Präsidenten aber und die bevorstehende Gewaltausbrüche müssen andere singen. Singt sie laut!

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (25)

17. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

today: Anne Frank meets Indiana Jones!

Dylans neuer Song ist ein Selbstporträt des Dichters als Summe vieler Stimmen und Persönlichkeiten – vielfältig und wiedersprüchlich.

Wow! Wieder fährt man morgens den Computer hoch, scannt mit einem Auge als erstes im Netz die Dylan-Seite expectingrain.com und was passiert? Schon wieder hat der alte Kerl über Nacht einen neuen Song veröffentlicht! „I Contain Multitudes“ heißt das neue Werk.

Das Ding ist mit diesmal knapp viereinhalb Minuten deutlich kürzer als „Murder Most Foul“, aber kein bisschen weniger textlich anspruchsvoll. Dylans Song ist eine Art Selbstporträt. Der Dichter als lebender Widerspruch. Das ist er ganz persönlich, aber auch als Projektionsfläche der Hoffnung mehr als einer US-Generation. Denn wie viele Stimmen, wie viele Persönlichkeiten, wie viele künstlerische Ansätze hat er verfolgt, nur um sie gleich wieder einzureißen und neue zu beginnen. Und das nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig.

Dabei hat sich Dylan des Titels diesmal beim großen amerikanischen Dichterfürsten Walt Whitman bedient. Bei dessen Poem „Songs of Myself, 51“:

Do I contradict myself?
Very well then I contradict myself,
(I am large, I contain multitudes.)

Vielfalt
Dieser Whitman empfand sich von sich, er bestünde aus vielen Teilen, er sei vielfältig. Und damit meinte Whitman auch wie später auch Woody Guthrie oder die Beatniks – die allesamt Dylan prägten – sagen, dass sein Amerika ein vielfältiges Amerika sei. This Land Is Your Land This Land Is My Land“, sang Woody. Vielfältig landschaftlich wie ethnisch, religiös wie politisch. Vielfältig, aber auch so widersprüchlich. Der Süden hat Sklaverei und Rassismus ebenso hervorgebracht wie Blues, Country und Jazz. Zu den USA gehören demokratischer Pluralismus und Gewaltenteilung ebenso wie menschenfeindlicher Radikal-Kapitalismus. Zusammenhalt in den Communities ebenso wie Einzelkämpfertum und Egoismus.

Gegensatzpaare
Nicht diese, aber andere Gegensatzpaare, spielen eine große Rolle in dem Song. Anne Frank und Indiana Jones in einen Vers zu bringen, ist genial. Im Netz suchen sie nach verbindendem zwischen den beiden. Aber ist denn der Gegensatz nicht der, der zählt? Dass man konträre Eigenschaften hat und trotzdem Teil eines Ganzen ist? Anne Frank, das jüdische Mädchen, das sich vor den Nazis in Amsterdam verstecken musste, und ihnen zum Opfer fiel und Indiana Jones, der Abenteurer, der sich immer wieder Kämpfe mit den Nazis lieferte, aber stets die Oberhand behielt. Dylan bietet uns noch weitere Gegensatzpaare an, nennt uns aber auch weitere Vorbilder, die quasi prägend sind: William Blake oder Edgar Allan Poe.

Kollektivwesen
In seiner Radio Show webte Dylan über mehrere Jahre an einem idealtypischen musikalischen Gewand für Amerika. Die USA sind so vielfältig, das Gewand konnte nur ein Patchwork-Quilt werden. Dylan greift hier bei „I Contain Multidudes“ das Motiv der vielen Persönlichkeiten, der vielen Stimme nochmals auf und reklamiert dieses Prinzip für seine Person. Er als amerikanischer Poet kann gar nicht anders als vielstimmig sein. Aus seinem Kopf, aus seinem Mund spricht quasi das amerikanische Kollektivwesen. Heinrich Detering hat einmal diesen Vergleich zu Goethe gezogen, der sein Werk als Werk eines Kollektivwesens verstand, das nur zufällig Goethe hieß.

Amerikanisches Gesamtkunstwerk
Bob Dylan ist längst ein amerikanisches idealtypisches Gesamtkunstwerk. Er vereinigt in sich Folk, Blues, Country, Gospel, Soul. Woody Guthrie und Sinatra. Johnny Cash und Sam Cooke.

Schlaumeier könnten jetzt sagen, das klingt jetzt aber doch ganz schön nach Finale und Vermächtnis. Der erste Song über das amerikanische Trauma im amerikanischen Jahrhundert, der zweite ein Selbstporträt orientiert an einem amerikanischen Dichterfürsten. Doch Dylan – der uns schon seit vielen Jahren auf der Bühne vorspielt, er sei ein alter gebrechlicher Mann und sich auch bewusst eine verbrauchte Stimme gab und der im Kurpark gut zu Fuß unterwegs war und heutzutage so gut singt, wie seit 35 Jahren nicht mehr und der mit dem Rücken zum Publikum mit der Band scherzt, aber den Zuschauern gegenüber keine Miene verzieht – der kann uns jetzt auch ganz einfach nochmal seine Stilmittel und sein Selbstverständnis erklären, um dann wieder ganz anders weiter zu machen.

Bob Dylan nutzt die Zeit, die durch Corona still steht, um unseren Blick auf Amerika – sein Amerika ist ein anderes, als das von Trump – und auf sich selbst zu schärfen. Was weiter passiert, hängt auch davon ab, wie es auf der Welt weitergeht.

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (23)

15. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Sláinte everyone,

heute geht’s nach Irland!

Ja, die amerikanische Folkmusik ist geprägt auch von der Musik der irischen Einwanderer. Auch Bob Dylan wurde natürlich von irischen Quellen und Wurzeln gespeist und beeinflusst.

Also bei Dylan und irischer Folkmusik fallen einem natürlich sofort die Clancy Brothers ein, frühe Freunde und Weggefährten Dylans Anfang der 1960 in Greenwich Village im New York. Dylan war begeistert von ihrer Musik und Liam Clancy und Dylan waren gut befreundet. Dylan soll ihn als „the best ballad singer I’d ever heard in my life“ genannt haben.

Die Clancy Brothers erfanden die irische Folkmusik quasi neu, indem sie die oftmals langsamen und schwermütigen Balladen ein hohes Tempo, starke Rhythmik und kraftvollen Gesang und Pub-Atmosphäre gaben. Sie weckten in den USA wieder das Interesse an irischer Folkmusik und befeuerten auch in Irland selbst eine Folk-Renaissance. Ohne Clancy Brothers keine Dubliners und keine Chieftains.

Dylan hat wahrscheinlich von ihnen in den frühen Jahren in Greenwich Village den Song Eileen Aroon erlernt. In seinen frühen Jahren hatte er immer wieder mal irische Songs aufgenommen, doch nie welche in öffentlichen Konzerten gespielt. Eileen Aroon aber spielte er dann fast 30 Jahre später elfmal 1988 und 1989 in Konzerten. Darunter auch in Dublin. Bei dem Konzert war auch Liam Clancy anwesend. Laut Sean Wilentz beklagte sich Dylan später bei Clancy, das noch nicht einmal in Irland jemand diese Songs noch kenne.

Bei dem engen Verhältnis ist es kein Wunder, dass die Clancy Brothers 1992 bei Dylans 30-jährigem Plattenjubiläum im Madison Square Garden auftraten und eine rauschende Irish Folkversion von „When The Ship Comes In“ anstimmten.

Ein weiterer (nord-)irischer Freund von Dylan ist der mindestens ebenso mysteriöse Van Morrison. Von beiden zusammen gibt es ein schönes Video, in dem die beiden Brüder im Geiste Vans „Irish Rover“ zum Besten geben. Ja die irischen Sagen und Mythen sowie die Geschichte der irischen Einwanderer nach Amerika haben beide beeinflusst und ein spätes Echo mag auch die irische Melodielinie sein, die Dylan dem sagenhaften Tempest von 2012 unterlegt hat. Auch hier waren viele irische Auswanderer in der dritten Klasse an Bord, die aber nicht das gelobte Land, sondern den Tod fanden.

Und noch eine Anekdote am Rande. Mitte der 1980er Jahre sahen wir zweimal den schottisch-irischen Folkmusiker Tony Ireland, der einen lustigen Spottsong von Eric Bogle sang, in dem der sich beklagt, dass immer wieder Bob Dylan-Songs von ihm gewünscht würden.

Soweit für heute, morgen geht’s um Bob Dylans „Masked & Anonymous“ und was uns dieser Film heute zu sagen hat.

Best
Thomas

Bob Dylan – Eileen Aroon

The Clancy Brothers feat. Tommy Makem: When The Ship Comes In

Van & Bob: One Irish Rover

Eric Bogle: Do You Sing Any Dylan

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (21)

13. April 2020

The Church Tower of Sand Rabbit Town

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everone,

läutet die Glocken!

Was Ihr hier auf dem Bild seht, ist mein Fensterblick aus dem Home Office. Deutlich zu erkennen der Kirchturm. Von dort läuten die Glocken in unserer beschaulichen Gemeinde. Die Glocken sind ja schon lange ein Symbol für die christliche Religion. Und passen damit inhaltlich bestens zum heutigen letzten Osterfeiertag. Sie sind aber auch immer wieder für die Verkündung von Nachrichten benutzt worden.

Quasi beides vereint der traurige Song „The Bells Of Rhymney“, den Pete Seeger auf der Basis des traurigen Gedichts des Walisen Idries Davis geschriieben hat. Davis dichtete den Text nach einem großen Grubenunglück und einem erfolglosen Generalstreik. Die Glocken der verschiedenen walisischen Orte verkünden traurige Wahrheiten bezüglich den Gründen schlechter Arbeits- und Lebensbedingungen.

Eine echte gnadenlose Countryschnulze ist der Song „The Three Bells“ von „The Browns“. Das Leben eines gottesfürchtigen Menschen in einem abgelegenen Tal wird anhand der Anlässe zum Glockenläuten erzählt: Geburt, Heirat, Tod. Schwere Kost, aber eine schöne Melodie. Die ist jedoch von Edith Piaf ausgeborgt. Sie hatte mit „Les Trois Cloches“ 1945 schon Erfolg. In Deutschland machte Gerhard Wendland 1949 „Wenn die Glocken hell erklingen“ daraus. Die Version der Browns stammt von 1959, die Aufnahme hier von 1965. Wir konnten 2012 Jim Ed Brown mit dem Song in der Grand Ole Opry hören.

Ein Glockenspiel-Kontrastprogramm dazu lieferte Bob Dylan 1964 mit „Chimes Of Freedom“. Seine Glocken sind metaphorisch, sie sind die Donnerschläge eines Gewitters, die für ihn die Glocken der Freiheit sind, die für die Unterdrückten geläutet werden. Die Version, die wir unten hören, hat Dylan 1998 mit Joan Osborne für den Soundtrack einer Dokumentation über die Sixties eingesungen.

Und zu guter Letzt dann doch ein Song, der offenbar religiöse Bezüge hat, aber von einigen Dylan-Deutern auch als „update“ von „The Times They Are A-Changin'“ und Chimes Of Freedom“ gesehen wird. „Nichts ist wirklich besser geworden für die Schwachen und Unterdrückten, also läutet die Glocken umso kräftiger“, könnte die Botschaft von Dylans „Ring Them Bells“ sein. Eine Botschaft, der man sich nur anschließen kann. Hier unten ist der Song zu hören in der Version von 1994 bei „The Great Music Experience“.

In diesem Sinne, schließen wir das Osterfest hier und melden uns morgen wieder aus dem weltlichen Alltag im Home Office.

Best
Thomas

Pete Seeger: The Bells Of Rhymney

The Browns:The Three Bells

Bob Dylan & Joan Osborne: Chimes Of Freedom

Bob Dylan: Ring Them Bells

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (20)

12. April 2020

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

heute geht es auf eine Zeitreise mit Bernies Autobahn Band!

Ich habe hier schon anderer Stelle davon erzählt, dass ich zur gleichen Zeit Mitte/Ende der 1970er als ich Bob Dylan für mich entdeckte, in der Darmstädter Fußgängerzone immer wieder mal Bernies Autobahn Band (BAB) spielen sah. Sie spielten schönen schmissigen Folkrock, der mich tatsächlich an die Desire erinnerte. Die beiden Songs, die von diesen Begegnungen mir im Ohr blieben, waren ihre Eigenkomposition „Uli mit seinem 40-Tonner“ und der Song „Is Anybody Going To San Antone“, den ich fälschlicherweise damals für einen Dylan-Titel hielt. Aber dass sie ihn spielten, hatte natürlich mit Dylan zu tun. Der hatte den Song nämlich wenige Jahre vorher mit Doug Sahm in Texas eingesungen.

Und Bernie und seine Freunde waren Dylan-affin und Bernie hat in seiner Karriere einige Dylan-Songs eingedeutscht. „Long Ago, Far Way“ heißt bei ihm „Weit weg, lange her“, „Just Like Tom Thumb’s Blues“ wurde zu „Wenn es Nacht wird in der Stadt“ und vor wenigen Jahren hat er nochmal „Simpel Twist Of Fate“ mit „Schicksal“ übersetzt. Er hat bahnbrechendes für Dylan auf Deutsch geleistet.

BAB wurde zu meiner Zeit als Jugendlicher und junger Erwachsener in den 1980er Jahren zu einer hessischen Kultband mit bundesweiter Ausstrahlung. Die Mitglieder lebten teilweise im Odenwald oder an der Bergstraße, hatten Bezug ins Rhein-Main-Gebiet, Bernie selbst lebt seit Mitte der 1980er in Franken. Ich sah sie nach ihrer Fußgängerzonen-Zeit u.a. noch beim Darmstädter Folkfest im Schlosshof und bei einem ihrer letzten Konzerte, einem Privatauftritt im Rahmen der Bundeskonferenz der SJD-Die Falken in Darmstadt.

Da es leider keine CDs mehr der Band auf dem Markt gibt, habe ich mir heute Nachmittag einfach alles angehört was es von ihnen und Bernie auf youtube gibt. Und es war großartig. Sicher, manches ist typisch Zeitgeist – gegen Atomkrieg und Atomwaffen, gegen die Umweltverschmutzung („Sind wir noch zu retten“). Und vieles kulturell auch vom damaligen typischen undogmatisch-linken Milieu geprägt. Aber vieles ist auch erschreckend aktuell angesichts globaler Krisen, Erderwärmung und Corona-Pandemie.

Aber das wichtigste ist die Menschlichkeit in der Stimme und in der Lyrik von Bernie Conrads. Da merkt man, der singt zutiefst menschlich und anhand von Alltagsbeobachtungen von den Möglichkeiten der Reichen und der Ohnmacht der kleinen Leute („Fabrikantenwalzer“, „Seit ich denken kann“, „Es ist schon wieder Montag“). Er ist voller Empathie. Und das gilt auch für die nachdenklichen Songs („HR3 wünscht Guten Morgen“) wie auch für die Liebeslieder („Die Art wie sie mich gängelt“).

Und auch wenn Bernie zwischenzeitlich für Maffay das Hitalbum „Maffay 96“ schrieb, so ist diese, seine eigene persönliche Note bei seinen Songs auch heute noch präsent. Sei es die Geschichte von der Verkäuferin an der Edeka-Wursttheke („Mauerblümchen“) oder eben seine Dylan-Adaption „Schicksal“. Es war ein ebenso wehmütiges wie freudiges Wiederhören.

Der große Radiomann Tom Schroeder hat Recht, wenn er sagt, „Bernie ist einer unserer Größten“. Am kommenden Samstag hätte Bernie mit seinem alten Bandmate Bernhard Schumacher zusammen beim Darmstädter Dylan-Tag 2020 auftreten sollen. Der ist nun aufs nächste Jahr verschoben. Spätestens dann freuen wir uns, dass sich der Kreis schließt und wir Bernie im Pädagogkeller hören können. Nur unweit von der Fußgängerzone gelegen, in der damals für mich alles anfing.

Bernie und Bernhard – wir warten und freuen uns auf Euch in 2021!

The Bickenbach, Texas Home Office Diary (14)

6. April 2020

Heute ist Hochzeitstag!

From Sand Rabbit Town into the whole wide world

Howdee Everyone,

heute ist Hochzeitstag!

Jedenfalls unserer. Ein guter Anlass, um sich hier mal mit Songs rund um Liebe, Heirat, Ehe und Partnerschaft zu beschäftigen. Natürlich mit Songs von unserem Bob.

Gerade mal zwei Jahre dauerte die Liaison von Bob mit Joan Baez, dann hatten sich die beiden auseinander entwickelt. Während Joan tagespolitisch aktiv blieb, hatte Dylan anderes vor. Seine Songs waren weniger politisch konkretes Programm als poetisch vorgetragene Klage gegen die verwaltete Welt in all ihrem Irrsinn. Und er lernte Sara Lowndes kennen, mit der er von 1965 bis 1977 verheiratet war. Für Sie hat er einige seiner schönsten Liebeslieder gesungen.

1. Love minus Zero/ No Limit
Der Song für die sich anbahnende Liebe. Dylan so lieb und zärtlich wie selten in dieser zornigen Zeit. „My Love she speaks like silence, without ideals of violence…my love she’s like some raven at my window with a broken wing.“
Um das lieb-zärtliche zu unterstreichen habe ich hier eine schöne Version vom Bangladesh Concert ausgewählt. Nur mit Gitarre und Mundharmonika…schmacht!

2. You Ain’t Goin Nowhere
Unser Hochzeitssong und das Zeugnis des Selbstverständnisses von Bob als Landlord und Familienvater: „Whoo-ee! Ride me high, tomorrow’s the day, my bride’s gonna come“. und erzählt ansonsten vom schönen Landleben. Hier in der Version von Shawn Colvin, Marx Chapin Carpenter und Rosanne Cash vom Bobfest 1992. Weil wir genau das bei unserer Hochzeit gespielt haben.

3. The Wedding Song
Ja, der Song ist schon speziell. Aufgenommen 1973 kurz vor der Comeback-Tour mit The Band und sicher war da schon zu spüren, dass die große Zeit dieser Liebe und Beziehung langsam vorüber war. So klingen seine starken Worte doch eher wie eine trotzige Beschwörung. Und im Unterbewusstsein ahnt man das Ende. „You gave me babies one, two, three, what is more, you saved my life, Eye for eye and tooth for tooth, your love cuts like a knife, My thoughts of you don’t ever rest, they’d kill me if I lie, I’d sacrifice the world for you and watch my senses die.“ Hier eine Version von eben dieser Comeback-Tour.

4. To Make Me Feel My Love
Ich gebe zu, dass für mich Anfangs der Song keine so große Offenbarung war. Hatte er hier sich nicht bei sich selbst bedient in Sachen Harmlosigkeit und trivialen Reimen? Hörte sich so bekannt an, so wie „I’ll Remember you“ von 1985, nun also „To Make Me Feel My Love“ 1997. Und dann sangen den Song auch noch wirklich alle. Billy Joel, Garth Brooks. Adele. Mannomann. Aber dann kamen die Konzerte von 2019 und ich wurde geläutert. Über die Version von Stuttgart schrieb ich damals:
„Sogar das ja eigentlich etwas zu routiniert runtergeschriebene „Make You Feel My Love“ wird durch seine konsequente und entschiedene Haltung – „glaub mir, ich lass‘ Dich wirklich meine Liebe spüren“- an diesem Abend zu einem wirklich großen Song. Denn so lautstark wie er das betont, schwingt stets auch scheinbar das Eingeständnis mit, so viele schon in seinem Leben enttäuscht zu haben. Das lässt einen nicht kalt.“

Soweit die ewige Liebeserklärung. Wir genießen jetzt den Abend.
Bis morgen!

Best
Thomas