Archive for Januar 2019

Zurück nach Amerika

18. Januar 2019

Rundreise von Chicago über St. Louis, Tulsa, Memphis, Nashville und Bardstown zurück nach Chicago geplant/ Bob Dylan-Konferenz, Underground Railroad und die „Windy City“

Es musste einfach wieder sein. Derzeit sind wir in den Detailplanungen für eine Amerika-Rundreise, die uns diesmal erstmals nach Chicago, St. Louis und Tulsa und wieder einmal nach Memphis und Nashville führen soll. Diese Reise wird auch eine Möglichkeit sein, die Stimmung im Land vor dem Hintergrund der dortigen politischen Auseinandersetzungen zu erkunden. Wir sind das erste Mal in den USA seit der Wahl Trumps. Es wird also wieder ein tiefes Eintauchen in Alltagsleben, Geschichte und Kultur der Staaten.

St. Louis
St. Louis war im 19. Jahrhundert eine der wichtigsten Städte für die Besiedlung des Westens und wegen ihrer Lage am Mississippi auch ein bedeutender Handelsplatz für den Warenaustausch mit den Südstaaten. Hiervon zeugt das große bogenförmige Monument, der Gateway Arch. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich viele deutsche Einwanderer dort an und begründeten u.a. den Ruf St. Louis‘ als Bierbrauerstadt, wie noch heute die hier ansässige Großbrauerei Anheuser-Busch mit ihrer bekanntesten Marke „Bud“ beweist. Aber auch eine Reihe von kleinen Brauereien laden zur Besichtigung ein. Ebenso wie das National Blues Museum.

Tulsa
Tulsa, Oklahoma, ist mittlerweile fast so etwas wie die Americana-Hauptstadt der USA. Hier befindet sich das Woody Guthrie-Archiv, das Bob Dylan-Archiv und das Phil Ochs-Archiv. Es wird auch darüber nachgedacht, das Johnny Cash-Archiv dorthin zu holen. Zudem bildete Tulsa u.a. mit Cain’s Ballroom als Location und der wirtschaftlich-sozialstrukturellen Situation der Stadt in den 1930er-1950er Jahren einen wichtigen Nährboden für die Entwicklung des Western Swings und hat später mit dem Tulsa-Sound einen Musikstil hervorgebracht, der eine Mischung aus Rockabilly, Country, Rock ‘n’ Roll und Blues war. Bekannte Vertreter des Tulsa Sound waren die leider mittlerweile allesamt verstorbenen JJ Cale, Leon Russell und Steve Ripley. Tulsa hat also eine wichtige musikhistorische Bedeutung für die USA. Und wenn das alles nicht Grund genug für eine Reise dorthin wäre, so ist die große Bob Dylan-Konferenz, die während unseres Aufenthaltes dort stattfindet, gleichsam das Sahnehäubchen obendrauf.

Memphis
In Memphis werden wir Stätten besuchen, die es bei unserem letzten Aufenthalt noch nicht gab oder die wir damals nicht auf dem Schirm hatten: „Slave Haven“, das Museum für die „Underground Railroad“, der Geheimorganisation, die den Sklaven bei der Flucht in den Norden half. Und das Stax Museum, das sich dem berühmten Soul Label widmet, das gleichsam Antipode des braven Motown-Soul aus Detroit war.

Nashville
In Nashville werden wir die alternative Szene in East Nashville erkunden. Nashville bleibt für uns eine ungemein spannende Stadt. Bible Belt-Stadt, Kongresszentrum, Sitz des Mainstream-Country-Business und NRA-Land und hat dennoch eine große alternatives Viertel. Und in der Music Hall Of Fame und Museum gibt es wieder neue interessante Ausstellungen zu den Country-Outlaws und Emmylou Harris.

Bardstown
Dann geht es wieder nach Norden. Bardstown, Kentucky ist die „The Bourbon Capital Of The World“. Hier sitzt beispielsweise die bekannte Heaven Hill Distillery. Da die jedoch derzeit gegen Bob Dylans Heaven‘ Door Whisly klagt wegen angeblicher Gefahr der Markenverwechslung lassen wir die links liegen (lach!) und werden entweder die „Barton 1792“ oder die „Willett Distillery“ besuchen. Weitere wichtige Sehenswürdigkeit ist der „My Old Kentucky Home State Park“, der rund um eine alte Plantage in die alte Südstaaten-Zeit zurückführt.

Der Park ist benannt nach dem Anti-Sklaverei-Song „My Old Kentucky Home“ von Stephen Foster (1826-1864), der sich dazu sowohl von seinen Besuchen auf dieser Plantage, als auch von Harriett Beecher Stowes Buch „Onkel Tom’s Hütte hat beeinflussen lassen. Foster war so etwas wie der erste Songwriter der US-amerikanischen Populärmusik, dessen Songs gleichsam Traditionals wurden. Wir alle kennen „Oh Susanna“, Americana-Freunden dürfte auch „Hard Times (come again no more)“ bekannt sein, ein Song, den viele Musiker schon gespielt haben, u.a. Bob Dylan, Emmylou Harris, Johnny Cash oder Mavis Staples. Foster schrieb für die Minstrel Shows, war aber wohl auch aufgrund des Einflusses von von Beecher-Stowe gegen rassistische Klischees gefeit und wurde zu einem Gegner der Sklaverei. Obwohl aus den Nordstaaten stammend, setzten sich seine Songs oftmals mit dem Leben in den Südstaaten auseinander. Seine Songs waren zwar erfolgreich, aber finanziell konnte er sich stets nur gerade so über Wasser halten, weil die Einnahmen für die Komponisten unverschämt niedrig waren. Er starb schließlich völlig verarmt in New York. Er wurde posthum zur Legende und 1970 in die Songwriters Hall Of Fame aufgenommen.

Chicago
Die „Windy City“ ist mindestens so legendär wie New York. Jedem fällt Al Capone ein, Mafia und Prohibition, Jazz und Blues, „Sieben gegen Chicago“, der schönste „Rat Pack“-Film überhaupt, Elliott Ness und die „Unbestechlichen“, aber auch Brechts „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ und Upton Sinclairs „Dschungel“. Chicago ist die drittgrößte Stadt der USA, wie gesagt windig, aber auch eine Stadt am Wasser und voller im Wasser. Sie liegt am Michigansee und wird vom Chicago River durchflossen. Wir werden uns treiben lassen und die Stadt und ihre Kultur auf uns wirken lassen. Eine Stadt, die voller Musik ist.

Eine interessante Reise steht uns bevor, wir sind gespannt.

Und hier Bob Dylans Version von Stephen Fosters „Hard Times“:

Auf rastloser Dienstreise zur Arbeit am eigenen Werk

1. Januar 2019


Auch 2019 tourt Bob Dylan ausgiebig durch die deutschen Lande/ Der Sänger und seine Lieder verändern sich stetig

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind sondern mittlerweile auch Bob Dylan nach Deutschland. War er 2017 zu fünf Konzerten in Deutschland – darunter Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und Hannover – 2018 zu sechs Konzerten (u.a. Krefeld, Nürnberg, Baden-Baden), so kommt er im Frühjahr und Sommer 2018 erneut zu neun (!) Aufritten über den Teich. Diesmal führt ihn sein Weg nach Düsseldorf, Würzburg, Berlin, Magdeburg, Augsburg, Hamburg, Braunschweig, Mainz, Erfurt und Stuttgart.

Seit 2012 kein Album mit neuen Songs mehr veröffentlicht
Das ausgiebige Touren steht mittlerweile in Diskrepanz zu seinem musikalischen künstlerischen Output. Seit 2012 hat er keine Platte mit neuen Songs mehr veröffentlicht. Sollte er auch 2019 keine veröffentlichen, dann hat er seinen eigenen „Rekord“ eingestellt. Von 1990 bis 1997 dauerte seine letzte dermaßen lange Enthaltsamkeit in Sachen Neuveröffentlichungen. Stattdessen pflegt er heutzutage den Nachlass. Jedes Jahr erscheint eine neue Ausgabe seiner Bootleg Series und legt den Fokus auf vergangene Schaffensperioden. Und er arbeitet sich in seinen Konzerten an seinen älteren Songs ab, strickt ihnen immer wieder neue musikalische Gewänder, revidiert sie mitunter textlich oder erschließt ihnen mittels der Vortragsart neue Bedeutungsebenen.

Seine Produktivität in den 2010er Jahren ist nicht vergleichbar mit den 2000ern. Damals erschienen die Alben „Love And Theft“, „Modern Times“, „Together Through Life“ und „Christmas In The Heart“. Zudem der Film „Masked & Anonymous“, das Buch „Chronicles“ und die vielen Folgen seiner Radio Show. Nun scheint er seine Produktivität auf anderen Gebieten auszuleben. Immer wieder stellt er neue Teile seines malerischen und zeichnerischen Werkes aus. Daneben schweißt er künstlerisch wertvolle Gartentore und gibt eine eigene Whiskey-Linie heraus. Das er inmitten dieser „Schweigeperiode“ 2016 den Literatur-Nobelpreis bekommt, passt so richtig zur unendlich widersprüchlichen Dylan-Geschichte.

Warum er so oft nach Deutschland kommt, darüber kann man nur mutmaßen. Zuletzt gelang es ihm, regelmäßig auch die größeren Hallen zu füllen. Ob das auch dieses Jahr so sein wird, ist eigentlich egal. Denn wo Dylan die Muse küsst weiß man ohnehin nie. Oftmals blieben in früheren Jahren die großen Momente in manch wunderschöner Location aus, während der Künstler sich in halbleeren Stadthallen wie beispielsweise in Aschaffenburg in ungeahnte Höhen schwang.

Dylan verfremdet immer wieder das Bekannte
Dylans musikalischer Beitrag besteht also heute mehr denn je im Hervorrufen von Verwunderung, Entzückung oder Enttäuschung und gar Verärgerung über die Neu-Interpretation mancher Klassiker. Kaum ein anderer Künstler macht sich Abend für Abend so angreifbar, weil er das doch scheinbar bekannte immer wieder verfremdet. Das ist große Kunst. Andere sind da Kunsthandwerker.
Und dennoch oder gerade deswegen: Weil Dylan Jahr für Jahr hierzulande verlässlich seine Kreise zieht, sind dann auch ebenso verlässlich die immer gleichen Ressentiments zu lesen. Er kann nicht singen, er sagt auf der Bühne kein Wort, noch nicht mal „Danke“, er spielt noch nicht mal ganze zwei Stunden.

Gleichzeitig singt man ihm hohe Lieder des Unangepassten, der immer wieder Erwartungen unterlaufen und sich neu erfunden hat. Hätte Dylan in seiner Karriere stets das gemacht, was man von ihm erwartet und erhofft hat, er wäre heute ein Fall für Konzerte im evangelischen Gemeindesaal oder für Oldie-Festivals. Dylan wollte sich nie vor einen Karren spannen lassen, sei die Sache auch noch so richtig. Was für Journalisten zum Arbeitsethos gehört – und trotzdem oft genug verletzt wird – macht sich auch für Bob Dylan als Chronisten und Beobachter der Zeitläufte bestens. Immer dabei sein, nie dazugehören, viel in sich aufsaugen, über vieles singen, aber sich nie instrumentalisieren lassen. So hat er sich seine Unabhängigkeit und seine Bedeutung bewahrt.

Wichtig sind die Songs – aber Dylan ist auch ein großer Sänger
Wichtig sind die Songs. Was sie sagen und welche Haltung aus ihnen spricht. Daran erkennt man die Haltung des Künstlers und was er uns zu sagen hat und womit wir uns beschäftigen müssen. Das ist das entscheidende. Nicht, wieviel Aufrufe er unterschrieben hat, und auf wie vielen politischen Konzerten er gespielt hat. Wenn er das macht, auch gut, aber er muss es nicht, um Denkanstöße zu liefern und eine politische Wirkung zu entfalten.

Und ich sage hier ganz entschieden, mag ich auch von vielen dafür belächelt werden: Dylan ist ein großer Sänger. Denn nicht die Schönheit der Stimme ist entscheidend, sondern dass man ihr glaubt, dass sie berührt, dass man aus ihr die Wahrheit hört. Und genau das hört man bei Bob Dylan. Im Zusammenspiel mit seiner Musik ergibt sich durch Dylans Gesang ein Vortrag, der oftmals erfreut, unterhält, aber eben stets auch tiefer geht. In Dir selbst etwas auslöst, das vorher nicht da war oder Gedanken befördert, die irgendwie vielleicht da waren, aber nun erst eine Richtung bekommen haben. Und dann sind diese Augenblicke letztendlich so viel wichtiger, als dass der Sänger nach drei Stunden verschwitzt zur Bühnenrampe kommt und so tut als wäre er einer für uns. Was in kleinen Clubs, von „normalen“ Musikern gelebt, noch authentisch sein mag, ist in großen Hallen, von Superstars durchgeführt, einfach nur Showgeschäft. Das erspart uns Dylan. Und das ist gut so. Denn ich will nicht, dass der Sänger im richtigen Leben mein Freund ist, sondern dass seine Kunst mir neue Welten erschließt, die mir helfen die Realität zu begreifen, oder wenigstens auszuhalten, und/oder die mir die Hoffnung geben, sie verbessern zu können.

Und diese Augenblicke können sich auch nur ergeben, wenn man Songs nicht als etwas Fertiges versteht, das man immer gleich reproduziert. Wenn das so ist, dann bleibt auch das eingeengt, was der Song in einem auslöst. Dann ist „I Can’t Get No Satisfaction“ im immer selben Gewand eben nur noch eine Attitüde der Erinnerung an frühere wildere Zeiten. Ohne Beziehung dazu, wo der Sänger und sein Publikum heute stehen. Mick Jagger ist eingefroren in den Mittsechzigern, gleichsam mumifiziert. Dylan führt uns dagegen vor, wie ein Sänger altert und wie er heute mit seinen Liedern umgeht. Manche spielt er nicht mehr, andere verändern sich mit ihm. Das ist ein großartiger Kosmos für Entdeckungen durch aufmerksame Zuhörer.

Und daher ist jeder neue Tour-Abschnitt – und mögen sich die Setlists mittlerweile Abend für Abend gleichen – eine neue spannende Installation des eigenen Werkes. Miterleben wie Kunst entsteht und kein seliges Schunkeln in Erinnerungen – gerade auch den allzu eindimensionalen Rückblicken auf 50 Jahre Woodstock und die ganze Hippie-Seligkeit wird Dylan inmitten des Jubiläumsjahres diesmal ein Stachel sein.

Alle deutschen Konzerttermine 2019:

31. März: Düsseldorf, Germany – Mitsubishi Electric Halle
02. April: Würzburg – S.Oliver Arena
04. April: Berlin – Mercedes-Benz Arena
05. April: Magdeburg – GETEC Arena
20. April: Augsburg – Schwabenhalle
05. Juli: Hamburg – Barclaycard Arena
06. Juli: Braunschweig – Volkswagen Halle
07. Juli: Mainz – Volkspark (Open Air)
09. Juli: Erfurt – Messehalle
10. Juli: Stuttgart – Jazzopen