Archive for Juni 2021

Sheryl & Bob

17. Juni 2021

Wenn Sheryl Crow nun mit Live-Video-Stream und Ryman-Mitschnitt auf ihre fast 30-jährige Karriere zurückblickt, dann erinnert man sich auch daran, dass Bob Dylan immer wieder mal darin vorkommt.

Sheryl Crow und Bob Dylan. Copyright: Wikimedia Commons

Also eins vorweg. Für mich ist Sheryl Crow eine der wichtigsten amerikanischen weiblichen Stimmen. Sie hat es geschafft, als selbstständige Frau und Künstlerin ihren Weg zu gehen. Sie wäre dabei am Anfang ihrer Karriere möglicherweise zu weit gegangen und hätte keine Freunde mehr gekann und eine gewisse Härte gezeigt, heißt es immer mal wieder. Stichwort „Tuesday Music Club“ 1993 und der spätere Selbstmord ihres Ex-Freundes.

Allerdings gehört es wohl leider zur folkloristischen Legendenbildung der Musikwelt, dass die Erfolgreichen immer die wirklich Talentierten über den Tisch ziehen würden. Dies ist auch hier wieder heraus zu lesen. Und eine frauenfeindliche Komponente hat diese Art der Sheryl Crow-Erzählung dann leider auch. Als wäre der Erfolg dieser Frau nur von Männern gemacht. Dazu die kritische Beziehung mit Dopingsünder Lance Armstrong. Aber die hat sie ja rechtzeitig beendet, was absolut für sie spricht. Also halten wir uns nicht mit Gossip auf und reden wir lieber über ihre Musik und ihre Berührungspunkte zu Bob Dylan.

Von der Background-Sängerin zum Popstar

Der Weg von Sheryl ins Musikbusiness ist einfach eine schöne Geschichte. Das „All American Girl“, die ihre Brötchen als Musiklehrerin mit behinderten Kindern verdient und abends in Amateurbands spielt und singt. Dann von einem Werbemenschen entdeckt wird, die sie in Werbespots singen lässt. Sie zieht nach Los Angeles, um sich ganz dem Showgeschäft zu widmen und wird 1987 Backgroundsängerin bei Michael Jacksons Welttournee,  später singt sie u.a. für Don Henley (Eagles). 1992 dann der erste Bob-Moment. Sie wirkt als Background-Sängerin der House Band bei der großen Tribute-Show zum 30-jährigen Plattenjubiläum Dylans mit. Es folgt der Durchbruch 1993 mit den oben genannten Begleitumständen. Schnell findet sie nicht nur musikalisch Kontakt zu Stars wie Eric Clapton, den Stones, Eric Clapton und Bob Dylan. 1996 spielt sie im Vorprogramm von Bob Dylan in New Orleans, als sie dort das Album „Sheryl Crow“ aufnimmt. In einem Interview von 2019 sagt sie, es wäre eine schwere Zeit für sie damals gewesen und Bob wäre für sie ein wichtiger Freund und Mentor.

Freund und Mentor Bob Dylan

1997 sieht man sie zusammen auf der Bühne. Bei einem Konzert in Los Angeles begleitet sie Dylan bei „Knockin‘ On Heaven’s Door“ mit Akkordeon und Gesang. Schließlich „schenkt“ er ihr seinen Song „Mississippi“, der bei den „Time Out Of Mind Sessions nicht so richtig funktioniert. Sie macht daraus einen schönen erfolgreichen Popsong für ihr Album „The Globe Sessions“, ehe Dylan dann 2001 endlich die richtige Form für ihn findet und er auf „Love And Theft“ veröffentlicht wird. Sie sagt dazu: „Ich persönlich denke, dass der Song meinem Album einfach mehr Klasse verliehen hat. Ich war mitten in einer großen Debatte mit mir selbst darüber, was für ein Album ich gemacht hatte und fühlte mich irgendwie unsicher und dann rief er an und sagte, er hätte diesen Song und ich ging hinein und nahm ihn auf und plötzlich hatte ich Klarheit über das ganze Projekt. Es hat dem Ganzen sozusagen einen großartigen Mittelpunkt gegeben.“ Anfang 1998 kann man sie auch zusammen bei der Grammy-Verleihung sehen, als „Time Out Of Mind“ als Album des Jahres ausgezeichnet wird und sie dies präsentiert.

Copyright: Universal Music

Und über die Jahre hat sie immer wieder Dylans Songs im Gepäck. „Das Spielen von Dylans Songs stärkt dich. Es stärkt dich, zu sagen, was dein Geist zu sagen hat. Obwohl Dylan vollständig vergöttert wurde, hat er alle spirituellen Reisen unternommen, die wir Plebejer durchmachen. In seiner Suche kann man die Muster der Menschheit erkennen.“, äußert sie sich bewundernd über Dylan und sein Werk.

Rückblicke auf eine fast 30 Jahre andauernde Karriere

Nun also blickt sie selber auf eine drei Jahrzehnte dauernde Karriere zurück. Sie hat Charterfolge gesammelt. Sie war auf dem Pop-Olymp. Sie war als selbstbewusste Frau, die dies auch in ihren Texten stets ausgedrückt hat, „Role Model“für viele junge Frauen. Sie hatte künstlerische, kommerzielle und private Rückschläge zu verkraften. Sie hatte Brustkrebs, ihr wurde ein gutartiger Hirntumor diagnostiziert. Und doch kämpft sie sich immer wieder zurück.

Sie erfindet sich 2013 als Countrysängerin neu und lebt nun in Nashville. Dort spielt sie dieser Tage in ihrer privaten kleinen Kirche ein Konzert, das live gestreamt wird und bei dem sie Stories zu den Songs erzählt, die sie spielt: „Sheryl Crow: The Songs & The Stories“ heißt es. Es wird ausgestrahlt am Freitag, 18. Juni, um 21 Uhr, deutscher Zeit. Karten gibt es hier http://driift.link/SherylCrow. Übrigens wird auch Bob Dylan ein spezielles globales Stream-Konzert veröffentlichen. Infos und Zugang zum Ticketkauf für dieses Ereignis, das einen Monat später, am 18. Juli, ausgestrahlt wird, findet man über die Website www.bobdylan.com .

Und am 13. August veröffentlicht Sheryl Crow das Live-Album „Live from the Ryman and More“, das 2019 u.a. in der „Mother Church of Country Music“ und beim Newport Folk Festival aufgenommen wurde. Mit ihren größten Hits und einigem mehr, unterstützt von vielen Gaststars, u.a. von Jason Isbell bei Dylans „Everything Is Broken“.

Auf alle Fälle sollte man ihre neuen Aktivitäten hinreichend würdigen. Sheryl Crows Rolle im US-Musikbusiness als Frau und Künstlerin kann gar nicht hoch genug bewertet werden.

Nashville Cat und Texas Supergroup

11. Juni 2021

Dylans Spuren im aktuellen Country und Americana: Sierra Ferrell und The Flatlanders

Copyright: Concord Records

Vor einigen Jahren wurde in Nashville die Ausstellung „Dylan, Cash & The Nashville Cats“ gezeigt, bis heute eine der erfolgreichsten Ausstellungen in der Country Hall Of Fame & Museum überhaupt. Die Schau zeigte eindrucksvoll auf, wie sehr Dylan Nashville und die Countrymusik verändert hat. Und wenn auch so manches über die Jahre wieder zurückgedreht worden ist, seine Spuren finden sich unverändert immer wieder in der Countrymusik. Zwei aktuelle Beispiele.

Sierra Ferrell

„Well, there’s thirteen hundred and fifty two Guitar pickers in Nashville“ heißt es im Song Nashville Cats der Loovin Spoonful, der u.a. kongenial auch von der Del MCoury Band als Bluegrass-Stück interpretiert wurde. Soll heißen: in der Music City gibt es Musiker wie Sand am Meer. Und tatsächlich kann man an einem normalen Werktag am Broadway in den Honky Tonks vom Vormittag bis in die frühen Morgenstunden hinein Livemusik erleben. Viele der Musiker hoffen auf den Durchbruch, manche schaffen es und viele schaffen es nicht. Die werden ewig um diese kleinen Auftritte oder Straßenmusik kreisen, sich mit noch ein paar Jobs über Wasser halten. Die einen verzweifelt, die anderen fatalistisch.

Eine dieser unzähligen Nashville-Musiker*innen ist Sierra Ferrell. Geboren im ländlichen West Virginia und mit der dortigen Folk, Country- und Bluegrassmusik  aufgewachsen, verbrachte sie einige Jahre mit Straßenmusik und zog mit einer bunten Truppe von Musikern quer durch die Staaten, blieb mal eine Zeit lang in New Orleans, dann eine Zeit lang in New Orleans, bevor sie dann vor ein paar Jahren in die Musikmetropole Nashville zog.

Dort erarbeitete sie sich mit ihrem ganz besonderen Sound zwischen Folk, Country, Bluegrass und Jazz eine Reputation als Livemusikerin. Und dann passierte es doch noch: Ein Plattenvertrag und das Debütalbum mit dem beziehungsreichen Titel „Long Time Coming“.

Bestaunen kann man die sehr expressive Künstlerin bereits auf vielen youtube-Videos. Und da stellt man fest: Sie ist geerdet in Americana. Wie souverän sie mit diesem musikalischen Erbe umgeht. Eines der faszinierendsten jüngeren Dylan-Covers verdanken wir ihr. Wie sie mit ihren beiden Mitmusikanten aus Dylans Folksong „Walkin‘ Down The Line“ eine Family-Bluegrass-Nummer macht ist outstanding. Sie reiht sich damit in die Phalanx großartiger Country-Adaptionen des Songs von Linda Ronstadt und Eilen Jewell ein.

Auf ihr neues Album freuen wir uns sehr, der vorab ausgekoppelte Track „The Sea“ ist eine wunderbare Folk-Jazz-Nummer mit singender Säge. Das macht Appetit auf mehr. Im August ist es soweit.

The Flatlanders

Copyright: Rack’em Records

Butch Hancock, Joe Ely und Jimmie Dale Gilmore sind zusammen die Texas-Americana-Supergroup Flatlanders. Sie haben ein neues Album aufgenommen, ihr erstes seit über einem Dutzend Jahren. Es heißt „Treasure of Love“ und erscheint am 9. Juli. Darauf haben sie eine Reihe von Coverversionen der Songs großer Kollegen. Auch ein Dylan-Stück ist dabei.

Die Texas-Singer-Songwriter haben ja stets eine besondere Beziehung zum Songpapst. Da meinte einer  – der noch junge, wilde Steve Earle – doch glatt, Townes van Zandt wäre der größere Songschreiber als Bob Dylan und wollte sich mit seinen Cowboystiefeln auf Bobs Kaffeetisch stellen. Townes war das ein bisschen peinlich. Denn er und Bob schätzten sich sehr, trafen sich auch in Austin, aber ein gemeinsames Projekt kam nicht zustande. Bereits Anfang der 1970er spielte Dylan schon zusammen mit Doug Sahm auf und ehrte den kürzlich verstorbenen Billy Joe Shaver, dessen Songs er auch eine Zeit lang im Programm hatte, 2009 mit der Erwähnung in seinem Lied „I Fell A Change Is Coming On“. Und mit Texas  Jewboy Kinky Friedman ist Bob befreundet und war mit ihm auf Tour, ebenso wie mit Willie Nelson.

„She Belongs To Me“ haben sich die Flatlanders ausgesucht. Jimmie Dale Gilmore wird auf der Internetseite „Americana UK wie folgt zitiert: „Ich habe diesen Song geliebt, als ich ihn zum ersten Mal gehört habe, und ich wurde nie müde an ihm. Obwohl es aus der männlichen Perspektive geschrieben ist, berührt es die Notlage einer starken Frau, die in einer (noch) männlichen Welt lebt. Dylan war in seinem Verständnis so vieler Dilemmata, die inzwischen fast allgemein bekannt sind, vorausschauend. Butch, Joe und ich haben Dylans Kunstfertigkeit und seinen Witz von Anfang an geschätzt und nachdem ich das so viele Jahre lang gespielt habe, bin ich glücklich, endlich eine aufgenommene Version davon auf einer Veröffentlichung der Flatlanders zu haben.“

Dylans Song ist leicht wiedererkennen, doch die Flatlanders haben ihren eigenen, unverwechselbaren Texas-Sound darauf gelegt. Eine sehr schöne Version.

Auch im Jahr seines 80. Geburtstages ist Dylan für die Country- und Americanaszene eine unerschöpfliche Quelle musikalischer Inspiration. Ob für alte Helden oder für Newcomer.

The Wallflowers sind zurück

4. Juni 2021

Jakob Dylan überzeugt mit Songwriting und erprobtem musikalischen Konzept

Copyright: New West Records

Ganz ohne Dylan geht es hier wohl doch nicht. Diesmal im Blickpunkt: Jakob Dylan. Fast zehn Jahre gab es keine neue Musik seiner „Wallflowers“. Die Band von Jakob Dylan hatte 2012 mit „Glad All Over“ ihr letztes Album veröffentlicht. Nun erscheint am 9. Juli das neue Album „Exit Wounds“.

Doch was hier als „Wallflowers“ auftritt, hat mit der Besetzung, die noch 2012 wenigstens in Teilen der Urbesetzung entsprach, nichts mehr zu tun. Dylan sieht das nicht als ungewöhnlich an: „Die Wallflowers waren immer für mich ein Vehikel, um großartige Rock’n’Roll-Platten zu machen“, sagt er. „Und manchmal lässt das Line up die Platte in die Tourneen übergehen, und manchmal nicht. Aber meine Absicht ist immer die Wallflowers-Platte zu machen, die ich machen möchte, mit den Musikern, die ich neben mir habe.“ Klare und ehrliche Sache: Die Wallflowers sind Dylans Projekt und er setzt es mit denen um, die er will.“

Die Wallflowers sind Jakob Dylan

Und ganz klar sind das Songwriting und der musikalische Ausdruck der Wallflowers, Dylans Schöpfung. Wenn er Rockmusik spielen will, dann trommelt er Musiker als „Wallflowers“ zusammen. Wenn er sich musikalisch anders ausdrücken will, dann spielt er die Solo-Karte wie bei seinem wunderbaren „Women + Country“ aus dem Jahr 2010. Oder bei seinem 2018er Filmpojekt zur Laurel Canyon-Szene und dem dazugehörigen Soundtrack, bei dem er mit vielen Künstlern zusammengearbeitet hat, klassisch und zeitgenössisch, von Neil Young und Eric Clapton bis hin zu Beck und Fiona Apple.

Mag sein, dass dieses Vorgehen als Individuum und unabhängiger Künstler zum Thema und Titel „Exit Wounds“ beigetragen hat. Dylan drückt es so aus: „Niemand ist heute derselbe, der er vor vier Jahren war. Das ist für mich das, was Exit Wounds bedeutet. Und es ist überhaupt nicht negativ gemeint. Es bedeutet nur, dass Du überall, wo Du hinwillst, auch an einen besseren Ort, Menschen und Dinge hinter Dir lässt, und Du denkst an diese Leute und an diese Dinge und trägst sie mit dir. Jene sind deine ‚Austrittswunden‘.“

Verlorene und verstörte Seelen

Die Songs von „Exit Wounds“ werden von vernarbten Seelen bevölkert, die „gewöhnlich rumpelten, und brüllten“, von „Nobodies, die Bier trinken“ und diejenigen, die „im Stich gelassen und ausgesperrt und gezwungen wurden durch das Feuer zu gehen“. Viele Bilder, die Dylan hier benutzt drücken Alleinsein, Verlorenheit und Verstörung aus. Dylan will wie alle Songwriter seine Songs nicht erklären und leugnet ganz gemäß der Familientradition auch jegliche politische Ausrichtung seiner Songs. Doch wer die Worte hört und die Bilder deutet, der merkt, dass Dylans Texte sehr wohl eine Reaktion auf die Lage in den USA zwischen Spaltung, Pandemie und Trump sind. Eben lyrisch und individuell und nicht politisch-programmatisch.

Musikalisch ist es bestes Wallflower-Format. Entpannter laid-back-Rock, mal mehr, mal weniger Roots-orientiert. Anspieltipps: „Maybe Your Heart’s Not In It No More“, „Roots And Wings“, „I Hear The Ocean (When I Wanna Hear Trains)“ und das großartige „Darlin‘ Hold On“ im Duett mit Shelby Lynne.

Jakob Dylan bereitet sich durch die Reinkarnation der Wallflowers wieder eine Rockbühne. Wohl wissend, dass er längst mehr und größer ist als die Wallflowers. Einer der interessantesten und komplexesten amerikanischen Singer-Songwriter.