Archive for November 2019

Vielstimmige Suche nach dem Maskenmann

30. November 2019

Fast drei Stunden Kurzweil: Bob Dylan-Abend von „Americana im Pädagog“ begeistert in ausverkauftem TIP

Zehn Musikerinnen und Musiker und ein Moderator entführten am Donnerstagabend (28.11.) das Publikum im bis auf den letzten Platz vollbesetzten Darmstädter Theater im Pädagog in den Bob Dylan-Kosmos. Es wurde eine vielstimmige, erlebnisreiche und kurzweilige Suche nach dem großen Trickser, Chamäleon und Sinnsucher der Rockgeschichte. Auch nach fast drei Stunden Programm ging keiner vorzeitig. Das Programm traf genau den Nerv der Dylan-Interessierten.

„Americana im Pädagog“ hatte eingeladen und viele Dylans kamen. Der „Darmstädter Dylan“ Dan Dietrich hatte natürlich Heimspiel, den weitesten Weg hatte Stiff La Wolf aus Mecklenburg-Vorpommern. Aus Frankfurt kamen die DoubleDylans, die Singer.Songwriterin Jen Plater und Martin Grieben, der in Darmstadt aus seiner Zeit bei der Band „Jay“ bestens bekannt ist. Aus Weinheim stießen Zimmerman‘s Friends zur bunten Truppe.

Ihnen allen hatte Thomas Waldherr, Kurator der Americana-Reihe, Songs vorschlagen, die zu den von ihm gesetzten inhaltlichen Schwerpunkten des Abend passten. Ziel war es, die weniger bekannten Seiten des Songwriter-Papstes auszuloten. Und wie die Künstler die Songs aufbereitet hatten, rief immer wieder Beifallstürme des Publikums hervor. So glänzte Martin Grieben mit fantastischen Versionen von „When He Returns“ (Dylans religiöse Phase) und „Po‘ Boy (Dylans Alterswerk). Mitreißend und genau traf er die Beseeltheit Dylans in Ausdruck und Stimme bei „Returns“, musikalisch genial war die Idee, den Po‘ Boy auf der kleinen Ukulele zum Besten zu geben.

Die Double-Dylans fesselten das Publikum mit ihrer ungewöhnlichen Rap-Version von „The Lonesome Death Of Hattie

Matze Schmidt, Stiff La Wolf, Thomas Waldherr, Foto: AIP

Caroll“ (Bob Dylan und Black America) und zusammen mit Jen Plater und deren Maskierung als Mann arbeiteten sie fein heraus, dass die „Political World“ eine Männerwelt ist (Bob Dylans politische Welt). Im Duett hatten Jen Plater und Lokalmatador Dan Dietrich schon lange vorher die Erinnerung Dylans an das „Girl From The North Country“ (Bob Dylans Jugend) mit viel Gefühl intoniert.

Zimmerman’s Friends führten dann die Country-Abteilung an. Mit „Make You Feel My Love“ – u.a. auch von Country-Superstar Garth Brooks gecovered – wurde Dylans Liebeslied von den Weinheimer Dylans in genialer Art, ganz wunderbar zart und sinnlich vorgetragen. Überhaupt schreibe Dylan die schönsten und gefühlvollsten Liebelieder meinte Bandleader Bernd Hoffmann dazu. Anschließend gingen sie beim schmissigen „You Aint‘ Goin‘ Nowhere“ in packender Manier voran und rissen das gesamte Ensemble und das Publikum mit, ehe es in die Pause ging.

Stiff La Wolf wiederum brachte das Publikum durch Vortrag, Bühnenpräsenz und Charisma dazu, ihm bei den langen, textlich besonders anspruchsvollen Stücken „Not Dark Yet“ und „Every GrainOf Sand“ aufmerksam zu folgen. Da schien für einen Moment im Pädagogkeller die Zeit still zu stehen. Aber auch Kurator und Moderator Thomas Waldherr ergriff an diesem Abend seine Chance und sang zusammen mit Stiff La Wolf, begleitet von DoubleDylan Matze Schmidt, die Bob Dylan und Willie Nelson Koproduktion „Heartland“. Das ließ sich hören.

Auch nach fast drei Stunden ließ das frenetisch applaudierende Darmstädter Publikum die Dylan-Truppe einfach nicht von der Bühne und so wurde als allerletzter Song „All Along The Watchtower“ improvisiert. Als dann das Saallicht wieder anging schaute man ringsherum nur in strahlende Gesichter. „Vielen Dank, Ihr habt uns mit diesem Abend ein großes Geschenk gemacht“, drückte eine Besucherin ihre Freude aus. Und beschenkte damit wiederum Ensemble und Moderator. Ein Abend, der für alle, die dabei waren – ob auf, vor oder hinter der Bühne – unvergessen bleiben wird.

Am 13. Dezember unterstützt „Americana im Pädagog“ das Konzert der Country-Rockband „Music Road Pilots in der Darmstädter Michaelsgemeinde und geht dann in die Weihnachts- und Winterferien. Die Americana-Saison 2020 startet dann im TIP am Donnerstag, 30. Januar, mit Martin Griebens Programm „Elvis Pur. Songs und Geschichten vom King of Rock’n’Roll“.

„Like A Complete Unknown“

20. November 2019

„Americana im Pädagog“ lädt zum Abschluss des Herbstprogramms zu einem besonderen Bob Dylan-Abend ein

„Bob Dylan und die Countrymusik“, „Bob Dylan und „Black America“, „Bob Dylan und die Religion“, das sind nur drei der Themen, die im Mittelpunkt eines besonderen Dylan-Abends von „Americana im Pädagog“ stehen. „Bob Dylan wird in der öffentlichen Wahrnehmung sehr oft immer noch auf seine Protestsänger-Phase oder seine Rockmusik der Mittsechziger-Jahre reduziert. Dem wollen wir einmal einen Ausflug zu den weniger bekannteren Seiten der Musiklegende entgegensetzen“, beschreibt Thomas, Dylan-Kenner und Kurator von „Americana im Pädagog“, die Absicht hinter der Veranstaltung „Like A Complete Unknown“, die am Donnerstag, 28. November (Beginn 20 Uhr/ Eintritt 16 Euro) das Herbstprogramm der Konzertreihe beschließt.

„Es ist ein weiterer Versuch dem alten Maskenmann, Trickser und Vagabunden auf die Schliche zu kommen“, so Waldherrs verschmitzte Ansage für diesen Abend. Für diesen Versuch gewonnen hat Waldherr eine illustre Reihe von musikalischen Mitstreitern, die sich allesamt der Musik des Songwriter-Papstes verschrieben haben. Der Abend ist gleichzeitig auch eine Reminiszenz an die vielen Musiker, für die Dylans Songs prägend waren und die sich ihnen daher auf unterschiedliche Weise annehmen. „Wir freuen uns, wichtige Dylan-Interpreten aus der Region hier versammeln zu können.“ So ist der „Darmstädter Dylan“ Dan Dietrich ebenso mit von der Partie wie die Frankfurter DoubleDylans und die Weinheimer Zimmerman’s Friends. Komplettiert wird das Line-Up durch die Frankfurter Singer-Songwriterin Jen Plater, der in Darmstadt bestens aus seiner Zeit mit der Band JAY bekannte Martin Grieben und Stiff La Wolf aus Meckenburg-Vorpommern.

„Wir werden wieder viel gute Musik hören und daneben stellen erläuternde Texte den Bezug zu den angesprochenen Schaffensperioden von Dylan her“. Das Format folgt damit dem Rahmen früherer Veranstaltungen der Reihe zu Woody Guthrie und Pete Seeger oder zu den „Love Songs For The Other America“. „Diese Abende sind mittlerweile zu einem Markenzeichen von ‚Americana im Pädagog‘ geworden. Die Vorbereitung läuft auf Hochtouren, wir freuen uns alle sehr, das Programm endlich unserem Publikum präsentieren zu können“, blickt Waldherr gespannt nach vorn.

Karten für die Veranstaltung können im Vorverkauf im Darmstadt-Shop im Luisencenter sowie online unter http://www.paedagogtheater.de erworben werden. Vorbestellungen sind unter 06151 – 66 01 306 telefonisch und unter theaterimpaedagog@gmx.de per E-Mail möglich.

Vor 25 Jahren: Bob Dylan findet zurück zu starker Form

6. November 2019

Europa-Tour, Great Music Experience, Woodstock-Jubiläum und MTV Unplugged

2019 purzeln lustig die Jubiläen, da wollen wir daran erinnern, wie vorentscheidend das Jahr 1994 für Bob Dylans Rückkehr zu künstlerischer Stärke und allgemeiner öffentlicher Wahrnehmung und Akzeptanz war. It was 25 years ago…

Bob Dylan war Anfang der 1990er für viele vor allem eines: Ein „has been“. Dylan war mal groß gewesen, aber seine letzten Aktivitäten – das Album „Under The Red Sky“ und die 1991er Tour hatten vor allem ein zwiespältiges Echo hervorgerufen. Die Platte war seltsam unfokussiert und seltsam uninspiriert: Die Tour war eine Tour der Leiden. Im ersten Konzertdrittel versemmelte Dylan so ziemlich alles, erst die zweite Hälfte wurde hörbar, im letzten Drittel schwang er sich dann des öfteren zu Höchstleistungen auf. Seltsam blieb das alles aber schon.

Auch 1992 und 1993 wirkte Dylan etwas aufgeschwemmt, die ganze Motorik stark verzögert, die Stimme sediert. Dylan hatte deutlich mit sich zu kämpfen. Kein Wunder, dass die Konzertaufnahmen aus dem Supper Club vom Herbst 1993 nie veröffentlicht wurden. Klar hatten die ihre starken Momente, aber Dylan wollte so nicht beliebig oft reproduzierbar zu sehen sein. Zwar hatten die Aufnahmen zu „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ wieder zu einer Selbstvergewisserung und neuem Selbstvertrauen geführt, aber noch war er nicht soweit, dass er auch mit seinen Konzerten und in seinem öffentlichen Erscheinungsbild zufrieden war.

„The Great Music Experience“
1994 sollte sich das ändern. Dylan wirkte fitter, dünner und beweglicher auf seiner US-Frühjahrstour. Zwischen diesen Terminen und den Sommerkonzerten in Europa schaltete er noch drei Auftritte beim Mammutfestival „The Great Music Experience“ im japanischen Nara, das weltweit im Fernsehen übertragen wurde. Dort spielte er neben anderen Stars wie Joni Mitchell vier bis fünf seiner Songs, begleitet von japanischen Mönchen und einem klassischen Orchester. Für Dylan eine ungewöhnliche Aktion, von der vor allem in Erinnerung bleibt, wie präzise und diszipliniert Dylan singen kann. Sicher auch für ihn eine wichtige Erfahrung.

Im Sommer in Europa fand er dann auch so langsam zu einem Bühnenoutfit, dessen Idee im Grunde bis heute trägt. „Die Nacht des Jägers“ titelte die „Zeit“ über den Auftritt von 1994 in Dresden, eine von erstmals drei Stationen in der ehemaligen DDR. Er trug einen schwarzen Anzug mit Western-Schleife, so wie Robert Mitchum in dem gleichnamigen Film.

Woodstock wird zum Erfolg für Dylan
Wir haben ihn kurz vorher in Balingen gesehen beim SWF3 Open Air auf dem Messegelände. Das ganze Ding war ein Missverständnis, denn natürlich machte Dylan nicht das, was sonst von einem US-Musiker erwartet wird. Keine lustig-radebrechenden Sprüche für die Werbejingles, kein „Meet & Greet“, keine Interviews. Die Folge: Von Anfang an sorgte SWF3 völlig unprofessionell für schlechte Stimmung rund um den Auftritt ihres Headliners. Der war dann eher unspektakulär, konzentriert, aber ohne wirklich zu glänzen.

Der Durchbruch aber in der öffentlichen Wahrnehmung gelang ihm durch die Teilnahme beim Jubiläumskonzert „25 Jahre Woodstock“. „We’ve wait 25 years to hear this: Ladies & Gentlemen, Mr. Bob Dylan!“ hieß es in der Ansage am 14. August 1994, denn 1969 war Dylan gar nicht dabei. Und er nutzte die Bühne, die ihm alleine deswegen schon bereitet wurde. Dem jüngeren Publikum gefiel Dylans Auftritt sichtlich sehr, der ebenfalls konzentriert und präzise, dabei aber auch inspiriert und kraftvoll wirkte. Genau richtig, um sich zurück zu melden.

Zurück zu alter Form
Kein Wunder dass da die Verantwortlichen von MTV auf Dylan wegen eines Auftritts in der Reihe „MTV Unplugged“ zukamen. Dylans Freund Eric Clapton hatte die Reihe zum Trendsetter gepusht, da würde doch auch Dylan passen. Hatte der nicht die akustische Musik erfunden und dann auch wieder zerstört? Wie auch immer, das an Weihnachten 1994 ausgestrahlte MTV-Special wurde sowohl im TV, als auch auf CD, Dylans größter Erfolg seit langem. Zwar hatte er sich hinsichtlich der Songauswahl nicht durchsetzen können, die MTV-Chefs verlangten „Greatest Hits“, und er hatte noch nicht wieder die Macht, dass nach seinem Gusto produziert wurde. Doch der Erfolg war ein deutliches Zeichen, für die Rückkehr zu alter künstlerischer Kraft.

Auch 1995 und 1996 steigerte sich Dylan zu starken Tourneeauftritten, doch es sollte bis zu einer überstandenen lebensbedrohlichen Herzbeutelentzündung und der Platte „Time Out Of Mind“ dauern, bis man von einem wirklichen Comeback sprechen konnte. Die Grundlagen aber wurden 1994 gelegt, als Dylan nach längerem positiv überraschte und auf sich aufmerksam machte.