Bob Dylan, Johnny Cash, “One Too Many Mornings” und “Bootleg Vol II: From Memphis To Hollywood”
Auf der aus vielerlei Gründen einzigartigen Johnny Cash-Neuveröffentlichung von Archivschätzen „Bootleg Vol. II: From Memphis To Hollywood“ befindet sich mit „One Too Many Mornings“ auch eine bis dato in den USA unveröffentlichte Cash-Version eines Dylan-Songs, nämlich „One Too Many Mornings“.
Zusammen mit Mutter Carter und den Mädels versteht es Cash, mit wenigen musikalischen Mitteln – seinem typischen BoomChackaBoom, Mother Maybelles Autoharp sowie den Background-Vocals von June und ihren Schwestern – und seinem lakonischen Gesang, sich das Lied völlig anzueignen. Cash gibt Dylans Poesie die Erdung des Country-Folk. Die Aufnahme stammt von 1965, vier Jahre später nahm er den Song noch einmal auf, diesmal mit Dylan zusammen und wieder erschien er nicht auf einer offiziellen Veröffentlichung.
Diese Songminiatur zeigt auf, wie sehr Bob und Johnny Brüder im Geiste waren, obwohl sie sind doch von sehr unterschiedlicher Herkunft sind. Hier Bobby Zimmermann, aufgewachsen als Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie in der unwirtlichen Iron Range, im kalten Nordgrenzstaat Minnesota, da John R. Cash, Sohn eines armen Baumwollpflanzers aus Arkansas im Bible Belt der US-Südstaaten. Der eine wird Groß in der Uni-Szene von Minneapolis/ St. Paul und in der linken Folkszene New Yorks, der andere wächst in ärmlichen, gottesfürchtigen Verhältnissen auf, geht zur Army, macht dort Musik, verkauft später Haushaltsgeräte und wird in den Sun-Studios von Memphis/Tennessee entdeckt.
Cash wuchs auf in den wirtschaftlich schwierigen 30er und 40er Jahren auf. Cashs Jugend in Armut und Gottesglaube auf den Baumwollfeldern in Arkansas mit dem strengen Vater und dem Tod seines geliebten Bruders Jack führt zur Entstehung innerer Dämonen, einem immer wieder aufbrechenden Rebellentum und der Empathie mit den Armen und den Verlierern. Zudem ist sich Cash stets bewusst, dass auch das bescheidene Leben seiner Jugend nur durch die New Deal-Politik Roosevelts möglich war.
Dylan dagegen ist der bürgerliche Mittelstands-Kid, der sich schon früh in der Welt, in der er lebt, nicht zu Hause fühlt. Dylan wächst als Jugendlicher auf in den ökonomisch prosperierenden, aber geistig bleiernen Jahren der Eisenhower-Zeit auf. Sein Ventil war, viel wichtiger noch als die Filme mit dem Rebellentum des James Dean, immer die Musik. Die ländliche populäre Musik der Südstaaten, von der weißen Country-Musik bis zum schwarzen Blues und dem Rock’n’Roll war sein Fluchtweg aus dem bürgerlichen Dilemma, die Eintritt in die intellektuellen Uni-Szenen die Grundlage seiner Horizonterweiterung für gesellschaftliche Missstände.
Dies ergab in den bewegten 60er Jahren eine große künstlerische Schnittmenge. Cash hatte immer ein Gespür für Folk, das über die Nashville-Hits hinausging. Dylan hatte schon früh Hank Williams, den „Hillbilly-Shakespeare“, schätzen gelernt. So freundeten sich die beiden an und Cash setzte sich für Dylan ein, als Columbia ihn nach dem mäßigen Publikumserfolg seines LP-Erstlings schon wieder loswerden wollte. Und Cash setzte sich für Dylan ein, als die Folkszene geiferte, weil er von der Tagespolitik ins seinen Songs Abstand nahm. Unter Dylans Inspiration entstanden Cashs gesellschaftskritische Songs wie „Ira Hayes“ und seine Konzeptalben. Dylan wiederum begab sich ein Stück weit in Cashs Hand, als er Ende der 60er die Countrymusik für sich adaptierte.
Über die Jahre gab es immer wieder Berührungspunkte und Dylans Hommage auf Cash nach dessen Tod ist ein großes Dokument der Verehrung. Umso schöner ist es, wenn mit der neuen „Bootleg 2“ eine weitere Cash-Version eines Dylantitels nun breiten Kreisen zugänglich und die wichtige Verbindung der Beiden wieder einmal offenbar wird.