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Happy Birthday, Steve Earle!

17. Januar 2016

Steve_Earle_070Steve Earle hier vorstellen zu wollen, hieße wirklich Eulen nach Athen zu tragen. Vor gar nicht allzu langer Zeit war er wieder auf Deutschland-Tour und da er ein unheimlich produktiver Querdenker ist, gibt es auch immer wieder etwas zu vermelden. Wie jüngst auch seinen Song, der offensiv den Staat Mississippi auffordert, die konföderierte Kriegsflagge als Bestandteil der Landesfahne zu entfernen.

Dieser Tage (17. Januar) wurde der Rebell der Countrymusik, der nicht nur wegen seines persönlichen Freiheitsdranges sich gegen den Mainstream stellt, sondern auch, weil er klare politische und gesellschaftliche Ansichten hat, 61 Jahre alt. Und wer ihn in diesen Tagen im Konzert erleben durfte, der hat einen Mann gesehen, der vor Energie und Kreativität nur so strotzt, und der noch dazu auch als Person selten so aufgeräumt wirkte wie heute.

Steve Earles Stern ging Mitte der 1980er Jahre auf. Er war einer der – neben Dwight Yoakam oder Lyle Lovett – die Country mit Rock-Attitüde verbanden, und als große Hoffnungen gefeiert wurden. Sein Debüt-Album „Guitar Town“ von 1986 war ein beachtlicher Einstand und „Copperhead Road“ von 1988 wurde ein großer Erfolg. Doch Earle war wohl vom Lebensstil derjenige, der wirklich am meisten Rock’n’Roll war. Denn der Absturz folgte jäh.

Alkohol- und Heroinsucht brachten ihn in Todesnähe. Doch Earle ging nicht den tragischen Weg anderer großer Musiker wie Hank Williams, Brian Jones oder Janis Joplin. Earle besitzt ein Überlebensgen. ob er seine Dämonen besiegt hat, wissen wir nicht. Er hat sie zumindest im Griff.

Im Gegensatz zu seinem guten Freund Townes van Zandt, der viel zu früh wegen ihnen verstorben ist. Nach ihm hat er seinen Sohn Justin Townes genannt und für ihn wollte er einmal in seinen Cowboystiefeln auf Bob Dylans Kaffeetisch steigen und ihn als „den größten Songwriter der ganzen Welt“ anpreisen. Wobei dieser Großmaul-Attitüde zum Trotz, er auch Bob Dylan seine ganze Karriere immer wieder gewürdigt hat und Dylans Songs ganz selbstverständlich zu seinem Live-Repertoire gehören.

Seit Ende der 1990er Jahre bringt Steve Earle regelmäßig großartige Platten heraus und hat sich in dieser Zeit deutlich politisiert, er definiert sich als Sozialisten und kritisiert die negativen Entwicklungen der US-Gesellschaft scharf. Seine Musik findet Anklang bei Kritik und Publikum gleichermaßen, und er erhielt bereits zweimal einen Grammy für das „Best Contemporary Folk Album“.

Auch auf seiner Deutschland-Tour hat er sich offensiv zum linken demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders bekannt. Die Clintons sind für ihn schon zu sehr ein Teil des amerikanischen Problems und nicht dessen Lösung. Dass Steve aber meilenweit von einem wohlfeilen, aber folgenlosen „radical chic“ entfernt ist, sondern mit wirklicher Empathie und Mitgefühl für die Beladenen ausgestattet ist, beweist auch sein Benefizkonzert Ende letzten Jahres, als er zusammen mit Jackson Browne, Justin Townes Earle und „The Mastersons“ zugunsten der McCarton School auftrat, die eine Spezialeinrichtung für autistische Kinder und Jugendliche ist. Steve Earles 5-jähriger Sohn John Henry ist Autist und besucht diese Schule.

So bleibt dieser Steve Earle auch weiterhin ein amerikanisches Phänomen: Musikalisch verortet in der Countrymusik, politisch bei der Linken beheimatet, meint es das Schicksal trotz überstandener Drogenprobleme auch weiterhin nicht immer gut mit ihm. Doch auch die Krankheit seines Sohnes zeigt noch einmal auf: Steve Earle ist ein großer Kämpfer und ein großer amerikanischer Humanist. Happy Birthday, Steve Earle!

Justin Townes Earle

5. Februar 2011

Neben Ryan Bingham ist für mich Justin Townes Earle die Nachwuchshoffnung des Americana. Auf Ryan Bingham, der so virtus dylaneske Lyrik mit staubigem Wüsten-Country-Rock und Schmirgelstimme kombiniert, habe ich auf country.de schon mehrere Hymnen gesungen. Justin Townes Earle, Sohn von Alternative-Country-Schrat Steve Earle, hat dagegen erst Ende letzten Jahres meine Aufmerksamkeit gewonnen. Und dabei hat der junge Singer-Songwriter mit „Harlem River Blues“ bereits sein drittes Album herausgebracht. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass seine beiden Namengeber nicht gerade meine absoluten Heroes sind und mir deshalb vielleicht der Zugang erschwert wurde.

Bei all ihrer Bedeutung für das Genre, die natürlich meinen großen Respekt genießt: Townes van Zandt war mir bei aller Dichtkunst immer etwas zu eindimensional traurig – ganz große Künstler wie Bob Dylan oder Hank Williams sind in der Lage die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle in Text und Musik zu gießen – und Steve Earle hat mich einfach nie emotional gepackt. Und das hängt sicher mehr davon ab, dass sein Vortrag für mich keine Unverwechselbarkeit besitzt, als dass er diesen dämlichen „Townes ist der größere Songschreiber als Dylan“-Vergleich abgelassen hat, der van Zandt übrigens hochnotpeinlich war.

Justin Townes Earle hat mit „Harlem River Blues“ sein bisher bestes Album, vielleicht sogar ein frühes Meisterwerk abgeliefert. Wie er es versteht, seine Situation als Tennessee-Boy in New York City unter verschiedenen Blickwinkeln und unter Mithilfe der verschiedenen „Abteilungen“ des Americana – Gospel, Blues, Folk, Soul, Rock’n’Roll – auszubreiten und auszuloten ist wahrhaft meisterlich. Mit „Harlem River Blues“ hat das Album einen hammer-mäßigen Auftakt und auch eine musikalische Klammer. Das ist bestes Americana: Über die fröhliche hoffnungsvolle Gospel-Melodie ist ein Text gelegt, der von nichts anderem als von einer Selbsttötung erzählt. Da ist es wieder – das alte, dunkle, gefährliche Amerika.

Zweiter „Hit“ der Platte ist ein von der Form her nostalgischer Railroad-Workingsong, der sich aber auf die Arbeitsbedingungen der modernen Bahnarbeiter der MTA (New Yorker Verkehrsbetriebe) bezieht und ein echter Ohrwurm ist. Dazu kommen mit One More Night In Brooklyn“ (ein langsam gezupftes Folkstück) mit „The Wandering“ (ein schnelles Folkstück) oder mit „Move Over Mama“ (ein klassischer Retro-Rocker) weitere ebenso eingängige wie tiefgängige Songs. Earle gelingt es mit diesem Album, sich auf allen Ebenen und Stilformen von Country und Blues bis Rock und Gospel traumwandlerisch stilsicher zu bewegen. Und er vermag es, trotz der bekannten Formensprache, jedem Song seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Earle verschmilzt genial die Formen der amerikanischen Rootsmusik und so entsteht ein eigener Justin Townes Earle-Sound, der faszinierend ist.

Dazu kommt, dass er im Gegensatz zu seinem brav arbeitenden Vater Steve ein wirklich charismatischer Typ ist, der beim Live-Auftritt schon ein wenig an Hank Williams erinnert. Von dem wie von seinen „beiden Vätern“ hat er die Dämonen geerbt, die ihn immer wieder in den Würgegriff nehmen. Hoffen wir, dass sie ihn nicht gefangen nehmen können. Wir wären wirklich wieder um eine amerikanische Hoffung ärmer.

Justin Townes Earle live in der Letterman-Show: