Wanda Jackson konzertiert souverän ihren Backkatalog
Die Frau ist jetzt 75. Sie vergisst hier und da schon etwas und scheint nicht mehr ganz so gut auf den Beinen zu sein. Doch im Scheinwerferlicht am Mikrofon macht ihr auch an diesem Abend im Granada-Theater in Dallas keiner was vor. Eine souveräne Entertainerin blickt auf ihre Karriere zurück und ihre unverwechselbare Stimme klingt immer noch richtig gut.
Dabei begann der Konzertabend alles andere als vielversprechend. Zu Beginn langweilte uns Daniel Romano mit ein dutzend Versionen des gleichen jammerigen „Lonesome Cowboy“-Songs. Seine Band war dann auch die Begleitband von Wanda. Die legte voll Stoff los, sang ihre großen Hits wie „Let’s Have A Party“ und „Fujijama Mama“ ebenso wie ihre neuen Songs aus den Alben mit Jack White – leider nicht Dylans „Thunder On The Mountain“ – und Justin Townes Earle und brillierte mit launigen Ansagen.
Am Ende stehende Ovationen und die Gewißheit wirklich die „Queen of Rock’n’Roll“ als „Hurricane with Lipstick“ (Bob Dylan) erlebt zu haben.
Neben Ryan Bingham ist für mich Justin Townes Earle die Nachwuchshoffnung des Americana. Auf Ryan Bingham, der so virtus dylaneske Lyrik mit staubigem Wüsten-Country-Rock und Schmirgelstimme kombiniert, habe ich auf country.de schon mehrere Hymnen gesungen. Justin Townes Earle, Sohn von Alternative-Country-Schrat Steve Earle, hat dagegen erst Ende letzten Jahres meine Aufmerksamkeit gewonnen. Und dabei hat der junge Singer-Songwriter mit „Harlem River Blues“ bereits sein drittes Album herausgebracht. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass seine beiden Namengeber nicht gerade meine absoluten Heroes sind und mir deshalb vielleicht der Zugang erschwert wurde.
Bei all ihrer Bedeutung für das Genre, die natürlich meinen großen Respekt genießt: Townes van Zandt war mir bei aller Dichtkunst immer etwas zu eindimensional traurig – ganz große Künstler wie Bob Dylan oder Hank Williams sind in der Lage die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühle in Text und Musik zu gießen – und Steve Earle hat mich einfach nie emotional gepackt. Und das hängt sicher mehr davon ab, dass sein Vortrag für mich keine Unverwechselbarkeit besitzt, als dass er diesen dämlichen „Townes ist der größere Songschreiber als Dylan“-Vergleich abgelassen hat, der van Zandt übrigens hochnotpeinlich war.
Justin Townes Earle hat mit „Harlem River Blues“ sein bisher bestes Album, vielleicht sogar ein frühes Meisterwerk abgeliefert. Wie er es versteht, seine Situation als Tennessee-Boy in New York City unter verschiedenen Blickwinkeln und unter Mithilfe der verschiedenen „Abteilungen“ des Americana – Gospel, Blues, Folk, Soul, Rock’n’Roll – auszubreiten und auszuloten ist wahrhaft meisterlich. Mit „Harlem River Blues“ hat das Album einen hammer-mäßigen Auftakt und auch eine musikalische Klammer. Das ist bestes Americana: Über die fröhliche hoffnungsvolle Gospel-Melodie ist ein Text gelegt, der von nichts anderem als von einer Selbsttötung erzählt. Da ist es wieder – das alte, dunkle, gefährliche Amerika.
Zweiter „Hit“ der Platte ist ein von der Form her nostalgischer Railroad-Workingsong, der sich aber auf die Arbeitsbedingungen der modernen Bahnarbeiter der MTA (New Yorker Verkehrsbetriebe) bezieht und ein echter Ohrwurm ist. Dazu kommen mit One More Night In Brooklyn“ (ein langsam gezupftes Folkstück) mit „The Wandering“ (ein schnelles Folkstück) oder mit „Move Over Mama“ (ein klassischer Retro-Rocker) weitere ebenso eingängige wie tiefgängige Songs. Earle gelingt es mit diesem Album, sich auf allen Ebenen und Stilformen von Country und Blues bis Rock und Gospel traumwandlerisch stilsicher zu bewegen. Und er vermag es, trotz der bekannten Formensprache, jedem Song seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Earle verschmilzt genial die Formen der amerikanischen Rootsmusik und so entsteht ein eigener Justin Townes Earle-Sound, der faszinierend ist.
Dazu kommt, dass er im Gegensatz zu seinem brav arbeitenden Vater Steve ein wirklich charismatischer Typ ist, der beim Live-Auftritt schon ein wenig an Hank Williams erinnert. Von dem wie von seinen „beiden Vätern“ hat er die Dämonen geerbt, die ihn immer wieder in den Würgegriff nehmen. Hoffen wir, dass sie ihn nicht gefangen nehmen können. Wir wären wirklich wieder um eine amerikanische Hoffung ärmer.