Posts Tagged ‘Bob Dylan’

Er kann’s nicht lassen

16. Oktober 2020


Bob Dylan mischt wieder im Filmgeschäft mit

Bob Dylan und der Film ist eigentlich die Geschichte einer unglücklichen Liebe. Kaum einer ist so verliebt in dieses Medium, und ambitioniert, und scheitert stets auf hohem Niveau wie Mr. Bob Dylan. Wenn renommierte stilbildende Regisseure die filmischen Ausdrucksformen finden, die zu Dylans musikalischen passen wie D.A. Pennebaker (Don’t Look Back“), Todd Haynes („I’m Not There“) oder Martin Scorsese („No Direction Home“, „Rolling Thunder Revue) dann entsteht denkwürdiges.

Plakat zum Film, Copyright: Wikimedia Commons

Bob Dylan und der Film: Eine unglückliche Liebe

Doch wenn Dylan selbst versucht, sich filmisch auszudrücken, dann haut es nicht so recht hin. Sein erster Versuch „Eat The Document“ schlummert irgendwo im Panzerschrank. „Renaldo & Clara“ ist zwar schwer zugänglich, hatte aber ein künstlerisches Konzept und wurde zu Unrecht verrissen. „Masked & Anonymous“ ist für Dylan-Eingeweihte“ natürlich herrlich, aber darüber hinaus schwer zu genießen. An dieser Stelle habe ich vor ein paar Monaten dazu geschrieben:

„Wenn also die literarische Vorlage gar nicht zur umgesetzten Gattung passt, wenn der Film in seiner Plausibilität durch Drehbuchkürzungen leidet, wenn genauso naturalistisch wie psychologisierend geschauspielert wird, und nicht episch und maskenhaft typisierend wie es dem Stück angemessen wäre – man sieht dies doch schon an den sprechenden Namen: Jack Fate, Tom Friend! – wenn die Schauspieler sich wie beim Method Acting-Kurs benehmen und nicht geführt werden und sowohl Kamera als auch Kulisse auf dürftigem Niveau sind, dann kann das nur krachend schief gehen.“

Als Schauspieler hatte sein Auftreten bei „Pat Garett & Billy The Kid“ noch Witz und Charme, beim missglückten B-Movie „Hearts Of Fire“ fiel seine schauspielerische Nichtleistung bei diesem hanebüchenen Projekt schon gar nicht mehr ins Gewicht. Kurzum: Der Mann, der mit Songs wie „Lily, Rosemarie And The Jack Of Hearts“, „Hurricane“, „Black Diamond Bay“ oder „Clean Cut Kid“ Songs wie Drehbuchvorlagen liefert, scheitert in der Umsetzung regelmäßig.

Als hätte er es selbst eingesehen, hat er sich in den letzten Jahren in Sachen Film rar gemacht. Lieferte 2009 den Soundtrack zum – leider auch nicht erfolgreichen – Renée Zellweger-Film „My Own Love Song“, der ihn immerhin zum Album „Together Through Life“ animierte und trat als Zeuge seiner eigenen Vergangenheit in der Joan Baez-Dokumentation „How Sweet The Sound Is“, in Scorseses-Rolling Thunder Film sowie in der Jimmy Carter Hommage „Rock’n’Roll President“ auf.

Neue Rolle als Filmproduzent

Nun aber scheint er zwischen neuer Musik, Radio-Show, Nachlassverwaltung und Arbeit am eigenen Vermächtnis eine neue Rolle im Filmgeschäft gefunden zu haben: Als Ideengeber, Berater und Produzent. Dass er mittlerweile auf die Überlieferung so mancher Phase seiner Karriere Einfluss nehmen will ist legitim. Auch wenn die Bearbeitung seiner Gospel-Phase unserer Meinung nach jetzt nicht das Vordringlichste gewesen wäre, und uns nebenbei zeigt, dass Clinton Heylin scheinbar vom Kolportage-Journalisten in die Rolle des eilfertigen Hofberichterstatters gewechselt ist, ist Dylans Bestreben nachvollziehbar.

Spannender wird es bei der Darstellung seiner ersten Karriere-Scheidelinie. Als er 1965 einstöpselt und die Folkies vor den Kopf stößt. Der Film dazu ist schon in der Mache, Hauptdarsteller ist Timothée Chalamet, Regisseur ist James Mangold, der auch schon das Leben von Johnny Cash verfilmt hat. Sowohl Dylans Manager Jeff Rosen als auch Dylan selbst sind als Produzenten am Film beteiligt. Dass der Film plausibel ist und historisch sowohl die Verhältnisse als auch die damaligen Protagonisten richtig einordnet – wer spielt eigentlich Pete Seeger? – darauf kann man hoffen, weil der Film „Going Electric“ wohl in Teilen auf Elija Walds großartigem Buch „Dylan goes electric fußt“. Bleibt uns noch zu wünschen, dass die Geschichte, als Dylan sich gegen alle Widerstände zum Rock hinwendet, nicht allzu dick und pathetisch als xter Aufguss eines amerikanischen Traums daherkommt.

Musik und Baseball

Baseball-Spiel, Copyright: Wikimedia Commons

Doch scheinbar reicht es Dylan wirklich nicht mehr, sich alleine mit der Musik zu beschäftigen. Jetzt auch im Film nicht mehr. Denn als Mitproduzent an der Seite von George Clooney bringt er nun mit „Calico Joe“ ein Baseball-Epos an den Start. Dass Dylan ein großer Baseball-Fan ist, wissen wir ja spätestens seitdem er eine Baseball-Ausgabe seiner Radio-Show machte und dort A-Cappella „Take Me Out To The Ball Game“ sang. Aber bereits während der Desire-Sessions 1975 nahm er den Song „Catfish“ auf. Der Song über den legendären Baseballspieler Jim „Catfish“ Hunter wurde dann aber erst 1991 in der Bootleg Series Vol. 1-3 veröffentlicht.

Die Geschichte von „Calico Joe“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von John Grisham – auch ein großer Baseball-Narr – und handelt von einem Baseballspieler, der so unglücklich vom Ball an den Kopf getroffen wird, dass er ins jahrzehntelange Koma fällt. Inspiriert ist Grishams Werk vom Schicksal Ray Chapmans (1891 – 1920), dem einzigen US-Profi-Baseballspieler der bislang nach einem Ballwurf durch den Pitcher starb. Hollywood hat tolle Sportfilme hervorgebracht, hoffen wir, dass dieser Film auch so einer wird. Und vielleicht steuert Dylan ja auch was zum Soundtrack bei. Und wenn es A-Capella ist…

Lockdown mit Dylan

2. Oktober 2020

Mal reduziert, mal majestätisch: Chrissie Hynde und James Walbourne bearbeiteten 9 Dylan-Stücke ganz lässig kongenial im Lockdown

Foto: Chrissie Hynde & James Walbourne

Bestimmt war das so: Chrissie, die ja schon seit Mitte der 1980er gut mit Bobby kann, hat direkten Zugang – mailen die oder what’sappen die? – und schreibt „I’ve recorded some stuff frim you: I want to publish it.“ Und Bob schreibt Jeff Rosen: „Hey Jeff, give Chrissie what she want“.

Britische Rockgeschichte
Uns fiel Chrissie Hynde bei Dylans Londoner Konzert 1984 erstmals auf und dann kam natürlich der so frech-lässige und ein bisschen laszive Auftritt beim 30-jährigen Plattenjubiläum mit „I Shall Be Released“. Die Frau ist britische Rockgeschichte. 1951 in den USA in Ohio geboren, zog sie 1973 nach London und gründete dort auch später „The Pretenders“, Sie war mit den britischen Rocklegenden Ray Davis (Kinks) und Jim Kerr (Simple Minds) zusammen und lebte den Rock’n’Roll. Mal engagierte sie sich für Nelson Mandela, dann wieder gegen McDonalds.

Dylan-Erlebnis im Lockdown
Die Pretenders hatten Hits, zogen sich zurück, kamen wieder hervor und sind mittlerweile eigentlich weniger eine organische Band, als das Markenformat von Hynde. In der neuesten Inkarnation rund um das neue Album „Hate für Sale“ speist sich die Gruppe aus der produktiven Zusammenarbeit von Hynde und James Walbourn. Walbourn gehört zu den Pretenders seit 2008. Eigentlich wollten sie im Frühjahr auf Tour für ihr neues Album „Hate For Sale“. Doch im Lockdown hatten sie plötzlich viel Zeit und als Dylan dann „Murder Most Foul“ und „I Contain Mutitudes veröffentlichte, war es um Chrissie geschehen. Dylan berührte sie so sehr, dass sie sich entschloss, mit Walbourne ein paar Dylan-Songs zu covern.

Und wie sie das tun ist wirklich kongenial. Sie haben sich neun sehr schöne Songs ausgesucht, deren Gemeinsamkeit und Vorteil ist, dass sie nicht schon tausenmal gecovert worden sind. Manchmal wundert man sich wirklich, denn da hat man den Eindruck so mancher Apologet kennt nur die 1960er. Doch hier kommen wir in den Genuss von Songs, die selten nachgespielt werden und daher um so stärker wirken können in der Neubearbeitung von Chrissie und James.

Berührende Interpretationen
Die Songs haben sie strikt chronologisch nach dem Entstehen veröffentlicht, so dass man auch wirklich eine Entwicklung feststellen kann. Bei „In The Summertime“ scheinen sie sich noch etwas ranzutasten, aber es gelingt ihnen eine leicht verträumte Laid Back-Version des Songs einzuspielen, die man wirklich gern hört.

Bei „You’re A Big Girl Now“ gelingt es ihnen genau, dieses Gefühl des schmerzvollen Loslassens zu treffen, das schon bei Dylan so weh getan hat.

Und es wird noch besser. „Standing In The Doorway“ gelingt Ihnen überirdisch-schwebend und Chrissies Gesang ist ein überzeugender, weil sich voran tastender Gesang. Gänsehaut!

Korrespondierende Videos mit eigenem Gehalt
Und auch die Videos dazu sind passend, haben einen eigenen, mit dem Song korrespondierenden Gehalt. Der zu „Love Minus Zero“ beispielsweise erzählt eine romantische junge Liebesgeschichte in Zeiten von Corona und „Social Distancing“.

Bei „Don’t Fall Apart On Me Tonight“ wird der Song um die Angst vor der Verlorenheit in einer kalten und brutalen Welt mit kontrastierenden Bildern von Sehnsucht, Liebe und Engagement gegen Rassismus und Gewalt illustriert.

Und ganz majestätisch endet die Lockdown Series dann schließlich mit dem wunderschönen „Every Grain Of Sand“. Das Lied über die Schönheit der Schöpfung und dem Versprechen der Erlösung ist Dylans schönstes, weil persönlichstes und unmissionarischstes Lied seiner religiösen Phase. Hier predigt kein Rachejünger, hier findet einer Gott und die Liebe im kleinsten Sandkorn. Chrissie singt den Song ebenfalls voller schönem Timbre und setzt einen würdigen Schlusspunkt unter die Lockdown Series.

Bislang keine CD oder DVD
Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre es ein Doppelpack CD+DVD mit allen Songs und Videos. Für mich die überzeugendste Dylan-Cover seit langem und auf einer Höhe mit den Dylan-Alben von Willie nile und Joan Osborne.

Ob das so kommt, wissen wir nicht, bisweilen müssen wir uns mit youtube und dem neuen Album „Hate For Sale“ begnügen. Aber auch mit letzterem unterstreicht Chrissie Hynde erneut ihre Ausnahmestellung im Musikbusines.

Chrissie Hynde – Meine Wiederentdeckung des Jahres!

Alle Videos:

Cheerio, Mr. Bob!

25. September 2020

Theme Time Radio Hour Revisited: Bob Dylans akustische Whiskey-Verkostung vermittelt in hörenswerter Form interessante Einblicke in die alten amerikanischen Exportschlager Populärmusik und Feuerwasser/ Schwerpunkt auf afroamerikanische Künstler gelegt

Foto: Heaven’s Door Whiskey

Das Fazit gleich vorweg: Es ist ein großartiges Hörvergnügen. So wie man es erhofft und insgeheim erwartet hatte. Und es war doch wieder ganz anders. Denn Bob Dylans „Theme Time Radio Hour“ zum Thema „Whiskey“ war mehr als die übliche, ohnehin schon großartige Melange aus interessanter Musik, witzigen Späßen und unverhofften literarischen Zitaten, Erklärungen und Vergleichen.

Afroamerikanische Musikbeiträge
Denn schaut man sich die Playlist an, so sieht man: Dylan hat uns in ganz selbstverständlicher Beiläufigkeit erklärt, welch großen Beitrag zur amerikanischen Populärmusik die African American Community geleistet hat. Es geht schon los mit dem wunderbaren langsamen und ruhigen „Quiet Whiskey“ der Bluessängerin Wynonie Harris. Später lernen wir Edmund Tagoe & Frank Essien kennen, die in ghanaischer Sprache zu in London aufgenommener amerikanisch verwurzelter String Band Musik singen. Typisch Dylan der Musikhistoriker. Er zeigt uns auf, wie die Schallplatten-Aufnahmen zu einer ersten musikalischen Globalisierung führten. Denn die beiden Musiker haben sich von Aufnahmen von Bo Carter von den Mississippi Sheiks inspirieren lassen.

Mit Timmie Rogers‘ „Good Whiskey (And a Bad Woman)“ führt er den schwarzen Komödianten ein, der einer der ersten war, die direkt ein weißes Publikum ansprechen durften. Es war ein weiter Weg von den weißen Blackface Minstrels und ihrer „Dummen August“-Figur Jim Crow bis zu dem selbstbewussten afroamerikanischen Komiker der 1960er und 1970er Jahre. Der Bluessänger Jimmie Witherspoon besingt den „Corn Whiskey“ und der Reggaemusiker Alfred covert „One Scotch, One Bourbon, One Beer“ der Blues-Legende John Lee Hooker.

Und aus der Sendung begleiten uns dann die Jazzsängerin Miss Byllye Williams mit dem „Hangover Blues“ – nach dem Saufen kommt der Kater!- und R&B-Bandleader Tuff Green. Der und sein Orchester führen mit dem Titel „Let’s Go to the Liquor Store“ aber schon wieder in Versuchung. Es hört halt nie auf.

Ohne diesen Fakt herauszustellen, legt die Sendung einen Schwerpunkt auf afroamerikanische Musik und ihre Verbindungen zur Karibik und Westafrika. Dylan at its best: Seine Art von Kommentar zu den aktuellen politischen Auseinandersetzungen um den Rassismus in den USA.

Mit alten Freunden den Whiskey genießen
Und was noch? Ebenfalls viel Hörenswertes. Dylans alter Freund Charlie Poole ist wieder mit dabei. Denn der war nicht nur ein großer Old Time Musiker, sondern auch ein großer Trinker. Seine spezielle Banjotechnik eignete er sich notgedrungen nach einem „Getränkeunfall“ an. Von einem „Getränkeunfall“ ganz anderer Dimension erzählt uns Dylan dann in der Geschichte der Melassekatastrophe von Boston, als sich nach einer Tankexplosion ungeheure Mengen der Sirupmasse über die Straßen der Ostküstenstadt ergossen. 21 Menschen verloren dabei ihr Leben. Merke: Wer Rum liebt, lebt gefährlich, man greife besser zu einem Glas Whiskey!

Natürlich kommen in der Sendung noch weitere gute Freunde von Dylan vor. Frank Sinatra, dessen Vorliebe für Jack Daniel’s legendär ist, ist ebenso mit von der Partie wie der Vertreter einer anderen großen Whiskey-Nation, Van Morrison. Der (Nord-)Ire besingt den schwarzgebrannten, den „Moonshine Whiskey“ und Dylan zählt uns dazu einige Synonyme für den „illegalen“ Whiskey auf. „White Lightning“ war uns bekannt. Aber „Tiger Sweat“ und „Panther Piss“? Da muss sogar Dylan lachen.

Und natürlich passt da auch die Geschichte der NASCAR dazu. Kurz nach der Prohibition wurde privat gebrannter Moonshine-Whisky heimlich mit aufgemotzten Autos quer durch Amerika transportiert. Mit diesen Boliden wurden später dann Rennen veranstaltet. Dies führte wiederum zur Gründung der National Association for Stock Car Auto Racing, kurz NASCAR im Jahr 1947.

Dylan näht weiter am amerikanischen Patchwork-Quilt
Komplettiert wird das musikalische Programm im Übrigen durch zwei Musiker mit Cajun-Hintergrund. Die Cajuns sind ja bekanntermaßen die Nachfahren, der aus Kanada nach Lousiana geflohenen französisch-stämmigen Siedler. Dylan legt uns Bobby Charles und Harry Coates ans Herz. Letzterer wurde als „Fiddle King of Cajun Swing“ und „Godfather of Cajun music“ gerühmt. Ersterer hat den legendären Song „See you later, alligator“ geschrieben und war der einzige weiße Musiker auf dem „schwarzen“ Chess-Label. Er ging mit schwarzen Musikerkollegen wie Chuck Berry auf Tour und war dabei im Süden denselben Repressalien ausgesetzt wie diese.

Die beiden Stunden gehen vorbei wie im Flug. Gute Musik und starke Geschichten beleuchten die enge Verbindung der beiden amerikanischen Kulturgüter Populärmusik und Whiskey. Und es gibt eben eine wichtige Botschaft zwischen den Tracks und den Zeilen: Die amerikanische Populärkultur ist ohne die Einwanderung und Vermischung von Menschen verschiedenster Herkunft nicht denkbar. Bob Dylan bleibt sich auch mit dieser Nachzügler-Folge seiner Theme Time Radio Hour treu: Er näht weiter am großen, amerikanischen Patchwork-Quilt und straft damit die „Make America Great Again“- und „Othering“-Propagandisten von Spaltung, Eingrenzung, Isolationismus und Rassimus Lügen!

Playlist:
Quiet Whiskey – Wynonie Harris
If the River Was Whiskey – Charlie Poole and the North Carolina Ramblers
Whiskey River – Willie Nelson
Whiskey Sonn Onuo Da – Edmund Tagoe & Frank Essien
He’s Got All the Whiskey – Bobby Charles
Timmie Rogers – Good Whiskey (And a Bad Woman)
Laura Cantrell – The Whiskey Makes You Sweeter
Frank Sinatra – Drinking Again
Jimmy Witherspoon – Corn Whiskey
Billie Harbert – Ain’t That Whiskey Hot
One Scotch, One Bourbon, One Beer – Alfred Brown
Rye Whiskey – Harry Choates
Comin’ Thru the Rye – Julie London
Mountain Dew – The Stanley Brothers
Moonshine Whiskey – Van Morrison
Alabama Song – Lotte Lenya
Jockey Full of Bourbon – Tom Waits
Tennessee Whiskey – George Jones
Whiskey in the Jar – Thin Lizzy
The Parting Glass – The Clancy Brothers
Hangover Blues – Miss Byllye Williams
Let’s Go to the Liquor Store – Tuff Green and His Orchestra

Die Sendung zum nachhören:

Whiskey!

18. September 2020

Copyright: Heaven’s Door Whiskey

Und wieder meldet er sich zurück: Bob Dylans hochprozentige Neuauflage seiner Radio Show

Die Meldung von Radio Eins, deutschlandweit am 24. September exklusiv ein neues Special von Bob Dylans Theme Time Radio Hour zum Thema „Whiskey“ zu übertragen, entfachte einen großen Hype. Dylans Radio Show ist wieder da! Und wie! Sie ist Teil einer größeren Kampagne. Zu hören ist sie nämlich auch am 21. September beim Satelliten- und Streaming-Radiosender Sirius XM und ab dem 25. September u.a. auf Dylans Website http://www.bobdylan.com und auf verschiedenen Streamingportalen.

Trinken aus Philantropie
Bob Dylan macht wirklich nur noch das, was er will. Hat er vor ein paar Jahren sich sehr auf die Ausstellung seiner Zeichnungen und Malereien konzentriert, so liegt ihm nun seine Whiskey-Marke sehr am Herzen. Und was liegt da näher als verkaufsstrategisch eine Neuauflage seiner Radio Show mit dem Thema „Whiskey“ in den „Bourbon Heritage Month“ zu legen, der alljährlich im September stattfindet. Und Heaven’s Door führt just zu dieser Zeit wieder eine karitative Aktion im Rahmen seines „#ServeSomebody philanthropic program“ durch. Teile der Einnahmen des Whiskeyverkaufs von September und Oktober gehen in die Speisung von Bedürftigen. Trinken für einen guten Zweck und unser Bobby kurbelt das alles an. Großartig!

Beworben wird die Radiosendung ausführlich über die Medien der Marke „Heaven’s Door“. Für Dylan gibt die Sendung die Möglichkeit, über die unzähligen Verbindungen zwischen Whiskey und Gesellschaft, Kultur und Politik zu erzählen und viele, viele Titel zu spielen, die in Beziehung zu dem Kult-Getränk stehen und/oder dieses im Namen führen.

Wobei wir davon ausgehen können, dass er eigene Songs, in denen der Whiskey vorkommt, aussparen wird. Also werden auch nicht diese Zeilen erklingen:

„Might like to wear cotton, might like to wear silk
Might like to drink whiskey, might like to drink milk
You might like to eat caviar, you might like to eat bread
You may be sleeping on the floor, sleeping in a king-sized bed
But you’re gonna have to serve somebody, yes
Indeed you’re gonna have to serve somebody.“

Und wahrscheinlich auch nicht diese:

„I’ve been a moonshiner
For seventeen long years
I’ve spent all my money
On whiskey and beer.“

Copyright: Heaven’s Door Whiskey

Wer aber jetzt naheliegende Songs wie „One Bourbon, One Scotch, One Beer“ von John Lee Hooker oder „Whiskey In The Jar“ von „Thin Lizzy“ erwartet, der könnte enttäuscht werden. Vielleicht bekommt man eher „White Lightning“ von George Jones zu hören oder – ganz anspielungsreich – „With Whiskey on My Breath“ von der Gruppe „Love and Theft“.

Mit der Leiter zur Himmelstür
Wie auch immer, ich werde mir die Sendung mit einem schönen Glas „Heaven’s Door“ anhören. Die erste Begegnung mit Dylans Whiskeys am Gaumen und in der Kehle war auf unserer letztjährigen USA-Reise ausgerechnet im Bourbon-Mekka Bardstown. Dreimal schickten unser amerikanischer Freund und ich den Barkeeper auf die Leiter, denn der Bourbon, der Rye und der Double Barrel waren ganz oben auf dem Barschrank platziert. Also ganz stilecht mit der Leiter zur Himmelstür.

Der Bourbon war mein Favorit, leider war aber davon kein Mitbringsel möglich, so dass der ganz ordentliche Rye (in St. Louis hatte ich vorher den bis heute besten Rye meines Lebens, den dort heimischen Rally Point getrunken) meine Hausbar ziert. Geöffnet wurde die Flasche Heaven’s Door Rye – wie es sich gehört – erst zur Feier des neuen Albums in diesem Jahr.

Und was auch ganz klar ist: Sollte es irgendwann wieder möglich sein, in die USA zu reisen, dann steht natürlich der Besuch der dann hoffentlich endlich eröffneten „Heaven’s Door Distillery“ in Nashville auf dem Programm.

Whiskey und Musik
Der amerikanische Whiskey begleitet die amerikanische Populärmusik seit es beide gibt. Da kann Dylan einiges erzählen. In der Tat: Von Moonshine-Whiskey und Folksongs in den Wäldern Tennessees über Prohibition und Jazz in Chicago bis hin zu Frank Sinatras Vorliebe für zwei Finger breit Jack Daniels Whiskey, mit vier Eiswürfeln und einem Schuss Wasser. Die Verbundenheit von Sinatra zu diesem Bourbon ist so legendär, dass es mittlerweile schon eine Sinatra Selection des berühmten Tennessee-Whiskeys gibt.

Vielleicht erzählt uns Bob aber auch die Geschichte von Uncle Nearest, dem afroamerikanischen Brennmeister, der der eigentliche Erfinder des Jack Daniels Whiskey ist. Lange wurde er in der Firmengeschichte verschwiegen, heute wird er in den Führungen erwähnt. Es ist aber einer engagierten und schwarzen Schriftstellerin zu verdanken, dass es mittlerweile eine eigene Brennerei gibt, die den Uncle Nearest Whiskey auf dem Markt eingeführt hat und damit den afroamerikanischen Beitrag auch zu diesem amerikanischen Kulturgut würdigt.

Die Vorfreude wächst und innerlich der Gedanke: Es wird ja doch wieder ganz anders werden, als man denkt.

Ein paar Whiskey-Songs:

„Hard Rain“ Forever!

12. September 2020

Bob Dylans Live-Album von 1976 bleibt für mich immer etwas besonderes und ist definitiv eines seiner aufwühlendsten Werke

In Großbritannien war der Musikjournalismus schon immer ein bisschen anders. Schräger, lauter und oftmals recht nahe an dem Boulevard für den „The Sun“ steht, deren Niveau zu Recht berüchtigt ist. Jetzt durch die Online-Welt kann ja jeder sich seine Homepage basteln und seinen Unsinn in die Welt hinausblasen (So auch der Schreiber dieser Zeilen). Sollen sie doch. Oft liest man auch interessante und fundierte Darstellungen.

Problematisch wird es aber, wenn wie jetzt bei „Far Out“ geschehen, schon mal Geschriebenes, eine stramme Zahl von Klischees und eine gesunde Halbbildung ordentlich faschiert, pürriert und dann nochmals aufbereitet werden. Das Stück über „Hard Rain“ im „Far Out Magazine“ ist wie ich finde so ein problematischer Beitrag. Das ist kein Journalismus, sondern Ergebnis eines seelenlosen, hingehuddelten Content Managements. Man halte der Musik-Ikone einfach mal zwei, drei Nullnummern aus dem Back-Katalog vor, schreibe hier und da ab und fertig ist die Laube. „Self Portrait“ hat man sich als die eine Nullnummer – wie originell, gähn! – herausgepickt.

Aber vor allem hat man sich „Hard Rain“ ausgesucht. Und tatsächlich: Die Tournee von der die Live-Aufnahme stammt – die zweite Rolling Thunder Revue von 1976 (RTR II) – war in der Abwärtsbewegung, irgendwo gestrandet im mittleren Westen. Die künstlerische Kraft hatte sie verloren, das magische Band zwischen den Musikern war dünn geworden. Auch die Verfilmung des Konzerts war vergleichsweise dünn und uninspiriert.

Ohne Maske
Ganz anders aber ist der Eindruck, den das dazugehörige Live-Album hinterlässt. Wenn ich mir jetzt wieder das Album anhöre, so ergreift mich das Ding immer noch so stark wie damals. Dylans Schwarz-Weiß-Bild auf dem Cover ist eines der stärksten und berührendsten von ihm, dass ich kenne. Der Maskenmann scheint uns hier tatsächlich ungeschützt anzusehen. Na, ja, vielleicht ein bisschen viel Mascara unter den Augen, aber das verstärkt den traurigen und nachdenklichen Ausdruck. Und tatsächlich: Dylan weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wo es hingehen soll. Beschwingt vom Rolling Thunder-Erlebnis schaute er auf dem „Desire-Cover“ noch optimistisch nach vorne. Jetzt scheint er ratlos zu sein. Die Tour, die so triumphal begonnen hat, ist versandet. Seine Ehe und die „Menage Aux Trois“ mit Sara und Joanie im Film auf der Tour zu Ende. Was nun? Also stürzt er sich in sein Filmprojekt und wirft wohlüberlegt und absichtsvoll produziert diese Platte noch auf den Markt.

Dylan ist darauf verletzt und wütender denn je. „Hard Rain“ knüpft daher fast unmittelbar an „Blood on The Tracks“ an. Drei Songs alleine von dem Album, insgesamt sieben Songs von neun, die man in Relation zu seinen Beziehungsproblemen stellen könnte. Doch war „Blood On The Tracks“ noch die Auseinandersetzung mit künstlerisch geschliffener Feder, so haut uns Dylan jetzt die Worte scheinbar mit dickem, fettem Textmarker um die Ohren. Und jault und greint und faucht und schreit und wütet: „Like a cork ccrew in my heaaart!“ oder „You’re an idiot, babe, It’s a wonder that you still know how to breathe“ – Hahaha!

Agressiv, Wütend, Verstört
Dazu die Musik: Roh und ungeschliffen und laut und mitreißend, mancher sagt Dylan hätte hier Punkmusik gemacht. Und tatsächlich – Dylans Musik, die auf „Desire“ und „Rolling Thunder“ noch von Folk-Rock und Melodik geprägt war – ist hier ein ziemlicher „hau drauf“. Dylans Haltung ist aggressiv, empört, verstört – voller zorniger Trauer und selbstgerechter Anklage. So spielt er auch „Maggies Farm“ und „Stuck Inside Of Mobile“, die zwei, die in keiner Beziehung zum Liebesleid zu stehen scheinen. Aber auch die sind Ausdruck von der Unzufriedenheit mit der Welt.

„Hard Rain“ ist Dylan’scher Existenzialismus in Höchstform. Ist auch ein bisschen nihilistisch, erzählt aber vor allem von einem Verlorenen in einer bedrohlichen Welt. Und Dylan weiß momentan keinen Ausweg. Wo er in jungen Jahren altersweise schien, oder einfach hoffnungsvoll, voller Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten war, scheint er jetzt tatsächlich angeschlagen. Private und künstlerische Misserfolge – RTR II – zehren an ihm. Er reagiert wie ein angeschlagener Boxer.

Heute wissen wir natürlich wie Dylan das auflöste. Erst mit einem großartigen Mummenschanz und der Schubidu-Welttournee 1978, dann voller Hoffnung im freien Fall unter die Gottesanbeterinnen und fundamentalen evangelikalen Prediger. Es folgen die Selbstbefreiung, ein Jahrzehnt in künstlerischer Krise und dann das Comeback wie Phoenix aus der Asche.

Damals aber, im September 1976, legte er eines seiner eindringlichsten, aufwühlendsten und stärksten Alben vor: „Hard Rain“. Ich höre mir es mir gleich nochmal an. Und nicht vergessen: „Play It Fucking Loud!“

Hard Rain – Trackliste:
„Maggie’s Farm“
„One Too Many Mornings“
„Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“
„Oh, Sister“ (Dylan, Jacques Levy)
„Lay Lady Lay“
„Shelter from the Storm“
„You’re a Big Girl Now“
„I Threw It All Away“
„Idiot Wind“

Yes, Left Wing Dylanogy!

4. September 2020

Noch was zur Selbstverständigung

Für den Left Wing-Dylanologen ist Woody Guthrie natürlich ebenfalls eine wichtige Konstante

Da legt ein nunmehr 80 Jahre alter Künstler, der wie kein anderer im Laufe seiner Karriere Haken geschlagen hat, Masken auf- und wieder abgesetzt hat und chamäleongleich uns immer wieder vor Rätsel gestellt hat, ein weiteres Alterswerk vor und plötzlich beginnen einige der Dylan-Deuter damit, aus den in den Texten dargestellten Befindlichkeiten und Beschreibungen Schlüsse ziehen zu wollen, die als universelle Wahrheiten über eine lebenslange gesellschaftspolitische Verortung Dylans taugen sollen. Die lauten dann in etwa so: „Dylan war nie ein Linker“, „Dylan war nie politisch“, „Dylan war immer schon tief religiös“, „Dylan war immer schon fatalistisch“, „Dylan hat nie Protestsongs geschrieben“. Hoppla, da müssen wir jetzt aber mal kräftig auf die Bremse treten!

Vereinnahmungsversuche
Wir kannten das ja schon einige Jahre durch Blogs wie „Right Wing Bob“. Und natürlich versuchen auch immer wieder Evangelikale oder Libertäre, Dylan für sich zu vereinnahmen. Klar, denn Dylan war ja mal ein paar Jahre Mitglied einer evangelikalen Sekte. Und man kann – wenn man will – in seinem Riesen-Opus auch hier und da Gedanken finden, die sich als „libertär“ auslegen lassen. Eine Frage stellt sich dabei allerdings: Warum soll der Rechten im Jahr 2020 eine Vereinnahmung gelingen, die der Linken 1964 nicht gelang?

Nun, es gibt Zeitgenossen auf der Linken, die Dylan heute immer noch und wieder und wieder abstrafen, weil er keine aktuellen Protestsongs mehr schreibt. Schon vor geraumer Zeit habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Dylan im Grunde bereits die universellen Wahrheiten über die Mechanismen der US-Gesellschaft in Songs wie „Only A Pawn In Their Game“, „With God On Our Side“; „The Ballad Of Hollis Brown“, „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“, „Masters Of War“ oder „Hurricane“ dargelegt hat. „Sie gelten alle weiterhin. Sie müssen nur andere Namen einsetzen“, sagte Dylan vor wenigen Jahren dazu. Warum soll er über Donald Trump schreiben, „because somestimes even the president oft he United States must to have stand naked“? Weil er es schon geschrieben hat. Oder warum über Fake News? Nun: „Propaganda, all is phony.“

Aus der Mitte der Dylanologie: Der Versuch, Dylan die Widersprüche austreiben
Der derzeitige Versuch aus der Mitte der Dylanologie, den Protestsongs den Protest, also ihren kritischen Impetus abzusprechen (vgl. Untold Dylan, 28. August 2020, „With God on our Side versus Mother of Muses: the puzzling politics of Bob Dylan“) ist interessengeleitet. Man will mit dem alten, über den konkreten Dingen stehenden Dylan, eine Kirche des unpolitischen, fatalistischen Dylan gründen. Aber dafür taugt Dylan nicht. Dylan selber war und ist ein Freigeist, der für keine Kirche, Sekte oder Partei taugt. Weder als Mitglied noch als Stifterfigur.

Als Dylan seine Protestsongs geschrieben hat, war er mitten drin im linken Boheme von Greenwicch Village, war erst mit Suze Rotolo zusammen, dann mit Joan Baez, beide politisch bewusste linke Frauen. Als er George Jackson geschrieben hat, als er Hurricane geschrieben hat, hat er sich e n g a g i e r t! Nur um gleich wieder auf Landleben oder Frömmelei zu machen. Aber das sind die Widersprüche eines Freigeistes. Bob Dylan ist kein Politiker, er ist Humanist, Existenzialist und er glaubt an Gott. Er swingt zwischen Christentum und Judentum und führt auf seiner neuen Platte in Grunde alle Weltreligionen auf. Er ist spirituell und er ist realistisch. Er hat Träume und er ist Mahner. Er hat Dystopien und hofft dennoch, dass sie nicht wahr werden. Er mokiert sich über Marx („Change My Way Of Thinking“ 1979) und schreibt an anderer Stelle „The buyin power of the proletariat is goin‘ down („Workingman’s Blues“ 2006). Er ist zeitlebens der lebende Widerspruch. In sich selbst und gegen das was ist. Genau darum eignet er sich für keine Kirche.

Dylan taugt nicht als rechte Leitfigur
Wer Dylans Schriften liest, „Chronicles“, vor allem aber auch die Liner Notes zu „World Gone Wrong“, der entdeckt den Rhythmus der Beat-Poeten, die gegen die dumpfe Eisenhower-Ära angeschrieben haben. Wer seine Nobelpreisvorlesung studiert, erfährt viel über Homers „Odyssee“, Melvilles „Moby Dick“ und Remarques „Im Westen nichts Neues“. Das ist alles, aber kein Kanon evangelikaler Literatur. Alles dreht sich hier um das Individuum in der Welt, das sein Schicksal nicht in der Hand hat, aber immer wieder auf’s Neue darum kämpft. Und ließ Dylan nicht in „Tempest“ die Erfolgreichen, die Reichen und Schönen mit der Titanic untergehen. Eigentlich müsste doch ein evangelikaler Sänger sich die Holzklasse vornehmen, die zu weit weg von Gott ist und daher die ganz große Überfahrt ins Verderben antritt. Und suchte er nicht in „All Along The Watchtower“ den Ausweg aus dem Spätkapitalismus, der verwalteten Welt (Adorno)? “There must be some way out of here,” said the joker to the thief/ There’s too much confusion, I can’t get no relief/ Businessmen, they drink my wine, plowmen dig my earth/ None of them along the line know what any of it is worth”. Apropos Adorno: Für mich als Left Wing-Dylanologen und kritischen Gesellschaftstheoretiker verhält sich der frühe zum alten Dylan wie Marcuse zu Adorno. Wo der eine für Rebellion und Aufbegehren gegen die Widersprüche steht, steht der andere eher für die Ausweglosigkeit, dafür, die Widersprüche aushalten zu müssen. Von „The Times They Are A-Changin'“ zu „I used to care, but things have changed“.

Lieblingsmusikerund lebenslanges Forschungsobjekt – kein Messias!
Bob Dylan war schon immer eine große Projektionsfläche für vieles gewesen. Das ist ein Grund, warum er von so vielen unterschiedlichen Menschen geschätzt wird. Er ist vielseitig interpretierbar. Man kann ihn unterschiedlich auslegen. Ich lege ihn aus linker, fortschrittlicher und freier Perspektive aus.

Man sollte sich aber davor hüten, ihn als Komplizen, Parteigänger, Kronzeugen von irgendetwas benutzen zu wollen. Wie schon vormals gesagt: Er ist weder mein Freund, noch mein großer Bruder oder mein Messias. Er ist und bleibt für mich ein verdammt interessanter, weil widersprüchlicher Künstler, der mich ihn loben und an ihm verzweifeln lässt. Aber er lässt mich vor allem nie kalt. Und bleibt ein lebenslanges, lohnendes Forschungsobjekt. Und vor dem allem einfach mein Lieblingsmusiker!

Ja, ich bin Dylanologe!

21. August 2020

Mal wieder eine Art Selbstverständigung

Im Anbetracht mancher aktueller Buchveröffentlichung, mancher Diskussion unter Dylan-Freunden, Dylans neuestem Werk Rough And Rowdy Ways und meines eigenen Dylan-bezogenen Outputs, kam ich wieder mal ins Grübeln. Während ich früher durchaus schon einmal das dicke Etikett „Dylanologe“ von mir wies, während ich Dylan-Kenner immer anmaßend fand – Wer kennt schon Dylan? – und Dylan-Fan im Grunde ein umgangssprachlicher kleiner gemeinsamer Nenner mit so Vielen darstellte, bekenne ich mich jetzt endlich dazu: Ja, ich bin Dylanologe!

Denn so wie ich den Terminus verstehe, hat der Dylanologe eine ausreichende Distanz zum Forschungsgegenstand. D.h. ich beschäftige mich mit Dylan ausführlich in kritischer Sympathie, weil ich ihn für einen der bedeutendsten lebenden Künstler der Welt und für den größten amerikanischen Künstler der Gegenwart überhaupt halte. Sein Werk hat mich zu einem bestimmten Zeitpunkt eine wichtige persönliche und gesellschaftliche Erfahrung machen lassen. Seine öffentliche Persönlichkeit und sein Werk haben mich danach nie wieder losgelassen.

Und das heißt nicht, dass ich bis heute alle seine Schaffensphasen mit Inbrunst billige. Nein, ich finde seine Born Again-Phase bis heute grässlich. Starke Performance und starker Spirit des Musikers können letztendlich die fundamentalistische, reaktionäre Weltsicht des Texters und Bühnenpredigers nicht wettmachen. Denn Dylan ist als Freigeist und Verwirrkopf faszinierend und am besten, nicht als Parteisoldat eines hermetisch abgeriegelten fundamentalistischen Denkgebäudes.

Ich verstehe Dylanologie tatsächlich als Wissenschaft – sympathisch finde ich in diesem Zusammenhang das Bonmot, das Dylanologie eine „ironische Wissenschaft“ sein müsse. Ja, das muss sie. Und humorvoll und respektlos gleichermaßen. Denn es geht hier nicht um Heldenverklärung. Und Dylan ist auch nicht mein großer Freund. Für mich ist er noch nicht einmal „the brother that you never had“. Und schon gar nicht finde ich es erstrebenswert, wenn Leute Dylan romantisieren, oder ihr Verhältnis zu ihm messianisch aufgeladen ist. Für die würde eher das Wort „Dylanianer“ oder „Dylan-Jünger“ passen. Den auf Dylan bezogenen Begriff „Meister“ verstehe ich daher ironisch. Andere doch wohl auch?

Nein, als Dylanologe verzweifele ich auch mal an Dylan. Sei es, wenn er uns mit 5 Sinatra-Silberlingen nervt, zum x-ten Mal wagt, uns einen neuen Song mit einem schon tausendmal gehörten Blues-Schema anzubieten oder uns bestimmte Pretiosen – Livematerial der letzten Jahre! – weiterhin in großem Stil vorenthält. Oder wenn er sich vorzugsweise mit Boxern oder Models ablichten lässt, und eine feiste Piloten-Sonnenbrille dabei trägt.

Jede Wissenschaft hat verschiedene Denkschulen und Richtungen. Da im Moment gerne die religiös-motivierte Dylan-Deutung auf dem Vormarsch ist und die Right Wing-Bob-Bewegung in den USA recht offensiv auftritt, sage ich, der von Greil Marcus, Günter Amendt, Klaus Theweleit und der kritischen Theorie geprägt wurde: Ich bin ein Left Wing-Dylanologe! Dylan ist meiner Meinung nach nur zu verstehen, wenn man stets die Verschränkung von gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Hintergründen und Wirkungen seiner Musik miteinbezieht.

Meine Meinung: Reine Text-Exegese – bringt nix! Nur Bibel und sämtliche Weltreligionen durchforsten – bringt nix! Nur im biographischen Erklärungen finden wollen – bringt nix. Aus Setlists, Tracklists, Outtakes und Statistiken sein Denken und Handeln verstehen zu wollen – fleißig! Und Transfigurationsphantasien durchspielen – viel Spaß damit!

Das kulturell-gesellschaftliche Phänomen Bob Dylan ist für mich persönlich nur auf der Basis einer kritischen Theorie der Gesellschaft möglich. Und vor allem: Immer schön über den Tellerrand blicken. Dylan hat so viele musikalische Einflüsse und Wurzeln. Auch ohne die kann man gar nicht sinnvoll über Dylan nachdenken.

Ich bin weder religiös, noch spirituell. Und trotzdem faszinieren mich der Künstler und sein Werk seit mehr als 40 Jahren. Es lädt sein, sich kritisch mit dem Hier und Jetzt und wie es dazu gekommen ist, auseinanderzusetzen. Und immer wieder den Schein nicht für bare Münze zu nehmen. Dylan ist selber ein cleverer Trickser. Das macht ihn zum idealen Forschungsgegenstand für eine ebenso kritisch-historische wie spekulative Dylan-Forschung.

Und mich zu einem begeisterten Dylanologen.

Drei wichtige Songs zum Thema:

Endlich wieder ein Buch über Bob Dylan!

14. August 2020

Stefan Kutzenberger kluges und lustiges Buch „Jokerman“ ist eine Statement zur Lage zwischen Verschwörungstheorien und der US-Präsidentschaftswahl

Wenn ich ehrlich bin, bin ich ein bisschen müde geworden über all die vielen Dylan-Bücher. Immer wieder erscheinen Biographien, die das altbekannte in ewig alten Phrasen wiederkäuen. Dann gibt es die fleißigen Vielschreiber, die zu jedem Dylan-Song ein Buch herausbringen und solche, denen vor Begeisterung ganz klar die Distanz zum Forschungsgegenstand fehlt. Das sind dann Dylanianer, keine Dylanologen.

Lesen über Dylan
Im Moment sind eigentlich die einzigen, die ich wirklich mit Erkenntnisgewinn zu Bob Dylan lese, die Herren Greil Marcus und Elijah Wald. Und am überdrüssigsten bin ich eigentlich Clinton Heylin, der uns Zeile für Zeile wichtig zuzuraunen scheint; „schaut mal her, was ich über Dylan weiß, das weiß nur ich“ und mit dieser Methode ganze Schaffensperioden so zuschneiden will, dass sie stromlinienförmig und widerspruchslos sich ins Werk des großen Künstlers einfügen. Als würde das zum „Unstimmigsten aller Menschen“ (der kluge Günter Amendt) passen, geschweige denn ihm angemessen sein.

Und dann gibt es in den letzten Jahren den Hang, Dylan-Romane herauszubringen. Zum Buch „Catfish“ Rolling Stone-Autor Maik Brüggemeyer schrieb ich seinerzeit, nachdem ich ihn gelobt hatte für seinen Respekt vor Dylan und seinen Kenntnisreichtum: „Seitenlang gießt er Songtexte, Interviewpassagen und sonstige Dylan-Zitate in Dialogform. Was am Anfang noch interessant, vielversprechend und frisch wirkt, wird mit der Zeit überstrapaziert. Dylan-Fans kennen diese Zitate, andere nicht. Die wundern sich nur. Und die Dialoge sind nur selten lebendig, am Ende wirken sie durchaus auch mitunter gezwungen und ermüdend, hat der Autor den Bogen überspannt.“ Oder ich denke an Liaty Pisanis bizarres Werk „Der Spion und der Rockstar“.

Positiver stimmte mich dagegen Markus Berges‘ „Die Köchin von Bob Dylan“. Ich urteilte:“…Berges führt Dylan als netten, sonderlichen alten Herrn in den Roman ein, ohne ihn der Lächerlichkeit preis zu geben. Der Respekt des Songwriters Berges vor einem Säulenheiligen seiner Zunft und viel echte Empathie für die unermüdlich tourende bald 75-jährige Musiklegende lässt Berges Schilderungen von Dylan und seinem Leben auf der Tour zu kleinen, wunderbaren Miniaturen werden, die einen guten Kontrast zum tragischen Leben von Jasmin Nickenigs Großvater Florentinius Malsam abgeben…Berges gelingt hier das Kunststück, in einer Sprache, die in ihrer Menschlichkeit und Wärme für die Figuren an den großen Joseph Roth erinnert, das tragische Leben des deutschstämmigen Ukrainers Florentinius zwischen Stalinismus, Nazismus und Krieg so zu erzählen, dass es realistisch und berührend ist, dass es Grausamkeiten nicht ausspart, aber auch sich nicht daran weidet.“

„Jokerman“…
Nun also eine neue fiktive Erzählung rund um Bob Dylan. „Jokerman“ von Stefan KutzenbergerUnd sie funktioniert gut. Weil sie eben das Dylan-Universum nur zum Ausgangspunkt einer klugen und lustigen Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien und dem orangefarbenen Bewohner des Weißen Hauses nimmt. Und spielerisch und ohne falschen Respekt mit den großen Dylan-Mythen jongliert. Mit seiner Dichtkunst und der Textauslegung mit ihren oftmals bildungsbeflissenen Querverweisen, mit seinen Fans und mit deren-„Geheimgesellschaften“. Kutzenberger tut dies so erfrischend, so gescheit und lustig, dass dieser Roman ein einziges großes Lesevergnügen ist.

Zum Inhalt lesen wir auf der Seite des Piper-Verlages: „Sein Name ist Kutzenberger, Stefan Kutzenberger. Der melancholische Österreicher hat den Auftrag, die Welt zu retten, denn er ist der Jokerman. Schuld daran ist kein Geringerer als Bob Dylan, auch wenn der gar nichts davon weiß. All die Menschen, die das Werk des Musikers und Literaturnobelpreisträgers seit Jahrzehnten wie eine heilige Schrift deuten, haben den Jokerman auserkoren, die Wiederwahl eines der bizarrsten Tyrannen unserer Tage ins Weiße Haus zu verhindern. Mit Verve und Witz zeigt dieser Roman, wie Verschwörungsszenarien entstehen und sich so gut wie alles erklären lässt mit einer „wahren“ Lehre. Ein entlarvender Spiegel der Gegenwart, eine literarische Entdeckung und ein Riesenspaß – weit über die schicksalhaften US-Wahlen am 3. November hinaus.“

…sticht Trump?
Und mit einem bizarren Showdown, denn am Ende steht Kutzenberger Trump mit einer Giftspritze in der Hand gegenüber.“ Dies verriet bereits Ende letzten Jahres die Wiener Zeitung. Denn da war der Roman wohl schon in weiten Teilen fertig gestellt. Ob Dylan davon wusste, als er das Bild vom Skelett mit Spritze und Trump-Schatten zu seiner Album-Auskopplung „False Prophet“ veröffentlichte? Die Bob Dylan-Geheimgesellschaft wird es wissen…

Mehr wird hier aber nicht verraten, denn dieser Roman verdient viele Leser. Man geht aus diesem Buch fröhlicher und (lebens-)klüger hinaus, als man hineingegangen ist. Was man eben heutzutage nicht von vielen Bob Dylan-Büchern sagen kann…

Piper-Verlag, 22 Euro, ISBN-13: 978-3827014245

„The Man in Me“ und „The Big Lebowski“

7. August 2020

Notizen zu Song und Film

Gestern Abend bin ich mal wieder beim Zappen reingerutscht. „The Big Lebowski“. Der geniale Film der Coen-Brüder. Diese einzigartige, funkensprühende Mischung aus Buddy-Kino, Schwarzer Reihe und absurdem Trash-Movie ist Outstanding. Und dabei gefallen mir die Filme der Coen-Brüder gar nicht immer. Mir gefallen „O Brother Where Art Thou“, „Fargo“, „True Grit“ und „Inside Llewyn Davis“. Sehr oft fehlt diesen postmodernen Filmemachern aber die wirkliche Empathie für die Figuren. Sie verraten und verkaufen sie. So wie bei „Burn After Reading“ oder „No Country For Old Men“. Dann wird mitunter ein Wettrennen in skurriler Brutalität entfacht und die Firme werden zum „posen“ missbraucht. Schicksal der Figuren, Sinnhaftigkeit der Handlung? „Nö, interessiert uns nicht, wir machen lieber knall, bumm, beng!Und warum? Weil wir es können!“

„The Big Lebowski“ ist aber von Anfang an ein empathischer Film. Der „Dude“ ist ein sympathisch-harmloser Looser, genial von Jeff Bridges gespielt. Er hält sich über Wasser und ihn und seine Freunde meint man wirklich zu kennen. Die Leute, die versuchen noch den letzten Zipfel des amerikanischen Traums zu erwischen. Kohle machen, auch wenn man nicht so schlau ist und Skrupel unterdrückt. Dass sie es letztendlich doch nicht schaffen und zu Flipperkugeln zwischen verschiedenen kriminellen Gruppen werden, macht sie um so sympathischer.

Und die Coens schaffen das, indem sie aus vertrauten Versatzstücken amerikanischer Populärkultur etwas ganz neues schaffen. Bowlingbahn und Porno-Business, Los Angeles und Cowboy-Kultur sowie die multi-ethnische Zusammensetzung der amerikanischen Gesellschaft rollen den Teppich ausm auf dem die Handlung ihren Lauf nehmen kann.

Ein 50 Jahre alter programmatischer Song
Dass dann „The Man in Me“, dieses nun 50 Jahre alte Stück von Bob Dylans Album „New Morning“ der quasi-Titeltrack des Films ist, ist ebenso passend wie große Ironie. Denn wie singt Bobby so schön: „The man in me will do nearly any task/ And as for compensation, there’s little he would ask/ Take a woman like you/ To get through to the man in me.“

Und genau so einer ist der „Dude“ eigentlich nicht. Vielleicht war er es mal. Aber jetzt will er keine Verantwortung mehr übernehmen und keine Arbeiten erledigen. Er ist so desillusioniert, nur das „Bowlen“ gibt ihm einen Halt. Eine ruhige Kugel schieben, seine Freunde treffen und einen „White Russian“ trinken – das strukturiert ihm den Tag. Man könnte darüber lamentieren, man könnte zornig die Ungerechtigkeit anprangern – aber ganz postmodern enthalten sich die Coen-Brüder der Bewertung und zeigen stattdessen, das was ist. Die von mir aufgeführten schlechten Filmbeispiele aber zeigen, was aus postmodernem „Anything Goes“, das ja auch das kulturelle Gegenstück zur neoliberalen Politik- und Wirtschaftssphäre ist, werden kann.

Wärme und Menschlichkeit als universelle Werte
Hier aber liegt der Fall anders. Denn der „Dude“ zeigt in dieser aufregenden Episode seines ansonsten doch ziemlich ereignisarmen Lebens, dass er doch noch so einige menschlich Reflexe beherrscht. Verpeilt, aber letztendlich dann doch empathisch und auf seine Art verantwortungsvoll.

Wie singt doch Bobby: „The man in me will hide sometimes to keep from bein’ seen/ But that’s just because he doesn’t want to turn into some machine/ Took a woman like you/ To get through to the man in me.“ Ja, auch der Dude möchte nicht auffallen, kein großes Aufheben machen, gar nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen. John Waynes konservativ-knorriges „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“ werden hier von Dylan und dem Dude zweifach gebrochen, um viel selbstverständlicher, gleichberechtigter und wärmer neu zusammengesetzt zu werden.

Für Bob Dylan war es 1970 in der Hochphase seines Rückzugs ins Familienleben ein programmatisches Lied. Er will keine Maschine werden, der auf Knopfdruck seriell funktioniert. Der Lieder am Fließband schreibt, Konzerte gibt und auf Künstlerparties abhängt. Er will nur sein Leben führen, ohne allzu große Aufregung und Öffentlichkeit. Das will der „Dude“ auch.
Die verschränkte Ironie des Gebrauchs dieses Bob Dylan-Songs für diesen Film ist aber nun die: Für Dylan war die Ruhe in familiärem Rückzug nur eine kleine Insel in einem Meer von „stardom“. Für den „Dude“ war die aufregende Kriminalgeschichte nur eine Insel in einem Meer von Langeweile und Bedeutungslosigkeit.

Dass der Song aber so wunderbar funktioniert zeigt wieder einmal mehr die Qualität von Dylans zeitlosem Songwriting. „The Man In Me“ – ein Klassiker voller Wärme und Menschlichkeit. Und auch wenn es nicht typisch für die Coen Brüder sein mag: Auch beim „Dude“ sind – aller Antriebslosigkeit, Verpeiltheit und Erfolglosigkeit zum Trotz – diese positiven universellen Werte zu spüren.

Drei Versionen von „The Man In Me“

„Could be the Fuhrer, could be the local priest“

1. August 2020

Die ungebrochen Aktualität des Werkes von Bob Dylan und was es uns zum heutigen Amerika zu sagen hat

Es gibt eine ganze Reihe von Dylan-Afficionados, die meinen, Dylan wäre auf einem höherwertigen moralischen und intellektuellen Level als zu früheren Zeiten, da er sich heutzutage nicht in seinen Songs oder mit anderen Aussagen tagespolitisch zu Wort meldet. Ich sehe das profaner: Es ist halt so und er darf das. Kein Künstler ist verpflichtet, politischer Aktivist zu sein. Sein kritisches Denken, seine Subversivität wirkt zu allererst durch seine Kunst.

Aber das heißt andersherum auch, dass Kunst und Künstler nicht per se besser sind, wenn sie sich tagespolitisch enthalten. Und auch nicht, dass die Kunst von Künstlern, die politische Aktivisten sind, per se schlechter ist. Es gibt gute und schlechte Kunst – ob sie nun direkt politisch ist oder nicht.
Was Dylan allerdings vielen anderen Künstlern Voraus hat, und was ihn so einzigartig macht, ist sein Niveau der Beschäftigung mit den universellen Fragen, die seine Songs zu zeitlosen Klassikern werden lassen, da sie Gültigkeit haben, solange unsere Welt so ist wie sie ist.

In Dylans Werk Amerika studieren
Und daher funktionieren auch seine Protestsong-Klassiker auch heute unvermindert gut. Denn die USA waren in den 1960er Jahren ähnlich gespalten wie heute. Und die Brutalität der White Supremacy, denen sowohl ein Medgar Evers, als auch die vier Mädchen in Birmingham Four schließlich auch Martin Luther King zum Opfer fielen, war noch offener und spektakulärer. Den Unterschied macht heute ein protofaschistischer Präsident aus, der einen positiven Resonanzboden von höchster Stelle aus für menschenverachtendes Denken, Rassismus und gefährlichen Irrsinn bietet.

Dylan äußert sich nicht dezidiert tagespolitisch zur aktuellen Lage. Aber wer sein Werk aufmerksam studiert – gerne auch einmal rückwärts von „Rough And Rowdy Ways“ bis zu seinen Anfängen – der kann sehr viel darüber herauslesen, warum Amerika heute so ist wie es ist. Ob er in „Who Killed Davey Moore“ oder „Union Sundown“ oder „Workingmans Blues #2“ die kapitalistische Leistungs- und Gewinnmaximierung sichtbar macht, in „With God On Our Side“, „Masters Of War“ oder „Murder Most Foul“ die politische Klasse und den Einfluss des militärisch-industriellen Komplex auf die Geschicke des Landes anspricht, in „Only A Pawn In Their Game“ oder „Hurricane“ die Mechanismen einer rassistischen Klassengesellschaft offenlegt oder in „Jokerman“, „Man Of Peace“, „Man In The Long Black Coat“ oder „TV Talking Song“ die Führerhörigkeit und die Verführbarkeit der Massen durch Autokraten und Medien zum Thema macht. Diese gesellschaftlich-politisch-wirtschaftlichen Strukturen haben in den USA bis heute ihre Gültigkeit und sind ursächlich für das aktuelle Chaos und den Niedergang.

The Times They Are A-Changin‘
Und daher muss Dylan dem auch nichts grundlegend Neues hinzufügen. Und deswegen sind seine Klassiker auch heute noch immer wieder der Soundtrack jeder Bewegung und jeden Amerikaners gegen den nicht enden wollenden amerikanischen Alptraum. Von den Jugendlichen, die sich seinerseits nach dem ixten Schulmassaker mit „The Times They Are A-Changin‘ gegen den Waffenwahn gewandt haben bis zu Neil Young, der soeben neben seinem eigenen nun neu getexteten „Looking For A Leader“ (gegen Trump und für Biden) ebenfalls nun dieses unverwüstliche „Times'“ anstimmt.

Denn auch die Bewegung, die unter dem Banner von „Black Lives Matter“ auf die Straße geht ist jung wie damals die Kids in den 1960ern. Aber sie ist auch bunter, diverser und weiblicher. Und gibt uns die Hoffnung, dass das Diktat der alten weißen Männer, der Trumps und ihrer menschenfeindlichen Gesinnung, die im Schoß des Hire und Fire-Kapitalismus gewachsen ist, endlich gebrochen wird.

Dass man dafür jetzt erstmal wieder den alten weißen Mann Biden braucht, ist eine Notwendigkeit die sich nicht ändern lässt. Hinter ihm aber kann eine neue hoffnungsvolle Generation kommen. Es ist das Entscheidungsspiel für Amerika. Mit Biden die Hoffnung und vor allem die Ausgangsbedingungen für eine progressive Umgestaltung Amerikas erhalten und erweitern oder mit Trump in die die brutale Diktatur des Chaos abrutschen.

Bob Dylan – Only A Pawn In Their Game:

D.C. choir sings with Jennifer Hudson, ‚The Times They Are A Changin‘ at March For Our Lives Rally:

Neil Young – The Times They Are A Changin‘ 2020: