Archive for Juli 2021

Frühling in New York

23. Juli 2021

Die nächste Ausgabe von Bob Dylans Bootleg-Series beleuchtet die erste Hälfte der 1980er Jahre. Es gibt einiges Gutes zu entdecken.

Copyright: Columbia/Legacy/Sony Music

Die 1980er waren das Jahrzehnt von Ronald Reagan und Michael Jackson. Neoliberalismus traf sich mit Hedonismus. Bob Dylan hatte es von den äußeren Umständen schon schwer in dieser Zeit, gehört zu werden. Doch zu allem Überfluss verlor er seinen künstlerischen Kompass, trudelte mehr und mehr ziellos dahin.

Das dies nicht von Anfang an so war, und dass Bob Dylan gerade auch in der ersten Hälfte der 1980er auch richtig gute Musik machte, dies dokumentiert die Bootleg Series Vol 16, „Bob Dylan – Springtime in New York“, die am 17. September als 2-CD und 5-CD-Box erscheint. Die Abkehr vom einengenden evangelikalen Glauben führte zu freieren Geisteshaltungen und Dylan war wieder offen für andere Themen. Mit Spannung werden daher auch die Liner Notes zum Album erwartet, die der Musikjournalist Damien Love beigesteuert hat.

Viele interessante Outtakes

Schon bei den Proben zur Herbsttournee 1980 gliedert Dylan wieder seine älteren Songs aus der Vor-Born Again-Zeit wieder ein. Auf dieser Zusammenstellung sind davon u.a. „Senor“ und „To Ramona“ vertreten. „Shot Of Love“ ist dann das Album, das christliche mit weltlichen Inhalten mischt. Jesus-Hymnen wie „Property Of Jesus“ neben einem Song über Lenny Bruce, einem bösen, subversiven, anzüglichen Comedian, das schafft auch nur Dylan. Aber das Album hat mit „In The Summertime“ und „Every Grain Of Sand“ zwei der schönsten Dylan-Songs ever vorzuweisen. Und auch die Outtakes haben Format: „Angelina“ ist wieder vertreten, aber auch „Let It Be Me“ und „Was It Worth It?“.

„Infidels“ steht für Selbstbespiegelung und Liebesschmerz – „I And I“, Don’t Fall Apart On Me Tonight“, Sweetheart Like You“ – vor allem aber auch mit der Beschäftigung mit dem Reagan-Amerika. In Dylan-Art wohlgemerkt. „Jokerman“, „Union Sundown“ und „License To Kill“ sind Songs über Lüge, Täuschung und Blendung (Reagan als Jokerman, der große Kommunikator und Verkäufer), der USA in der globalen Wirtschaft, und den immerwährenden amerikanischen Kriegen. Dass dann aber „Jokerman“ auch Züge von Papa Legba und Dylan selbst, also zwei weiteren Trickstern trägt, zeigt in welchem Kontext Dylan gesellschaftliche Fragestellungen verhandelt. Das kann man als unkonkret verwerfen, öffnet aber weitaus mehr den Geist und ist daher eindeutig subversiver, als nur politische Argumentationszusammenhänge zu vertonen. Und mit „Neighborhood Bully“ war auch eine entscheidene Parteinahme für den Staat Israel auf dem Album.

Man darf auf die Outtakes wirklich gespannt sein, insbesondere freuen sich viele auf eine technisch gute Aufnahme von Julius And Ethel. Der Song ist eine Rehabilitierung des kommunistischen jüdischen Ehepaares Rosenberg, das 1953 wegen angeblicher Rüstungsspionage für die Sowjetunion trotz massiver internationaler Proteste hingerichtet wurde. Aber auch hier bleibt Dylan textlich im Vagen, Kryptischen. Schade, hier hätte man sich einen Song á la Hurricane vorstellen können, aber der Dylan dieser Zeit konnte sich nicht dazu aufraffen. Also bescheinigen wir ihm guten Willen für den Song und finden es richtig, dass dieser Song nicht auf das Album kam. Die große Fehlentscheidung war ja stattdessen Blind Willie McTell. Das großartige Panorama des amerikanischen Südens sollte noch ein paar Jahre im Archiv verharren müssen, bis es 1991 bei der Premiere der Bootleg Series dann veröffentlicht wurde. Nun ist es, zum Jubiläum „30 Jahre Bootleg Series wieder mit dabei.

Another Side of Empire Burlesque?

Von der großartigen Europatournee 1984 hat es leider nur ein Song in die Zusammenstellung geschafft, „Enough Is Enough“. Und vom denkwürdigen Auftritt mit The Plugz bei Letterman leider nur „License To Kill“. Empire Burlesque war dann schon die erste Platte an der sich die Geister schieden. Das Ding war von Arthur Baker völlig überproduziert worden. Auch hier Vorfreude auf die Alternate Takes, die hoffentlich vermitteln, was möglich gewesen wäre. Denn „Tight Connection To My Heart“, „Clean „Cut Kid“ oder „I’ll Remember You“ sind gute Songs. Und nicht umsonst entfaltet der am einfachsten produzierte Song, „Dark Eyes“, die stärkste Wirkung auf diesem Album.

Am 10. Juni 1985 erschien Empire Burlesque, das von Januar bis März aufgenommen wurde und damit endet der musikalische Rückblick. Nicht enthalten in dieser Bootleg Series-Ausgabe sind die Ereignisse im zweiten Halbjahr mit dem Live-Aid-Desaster vom 13. Juli und dem Phoenix-gleichen Auftritt mit Tom Petty & The Heartbreakers bei Farm Aid am 22. September. Die wirkliche Schaffenskrise der 1980er fand ja dann nach Dylans triumphaler 1986er-Tour mit Tom Petty statt. Platten wie „Knocked Out Loaded“, „Down In The Groove“ und „Dylan & The Dead“ waren fade Angelegenheiten, die Europatour 1987 eine harte Prüfung für jeden Fan.

In diesem Sinne zeigt uns diese neue Sammlung, dass man über Dylans 1980er nicht pauschal urteilen sollte. Es gibt doch einige Perlen zu entdecken.

Wo viel Rauch ist, ist auch viel Schatten

20. Juli 2021

Bob Dylan faszinierender und vielschichtiger Konzertfilm „Shadow Kingdom“. Regie führte Alma Har’el, die vor ein paar Jahren mit dem Dokumentarfilm Bombay Beach für Aufsehen sorgte. Erste Eindrücke.

Copyright: Veeps

Es ist dunkel, es ist verraucht, es ist Schwarz-Weiß. Bob Dylans neuer Konzertfilm „Shadow Kingdom“ unter der Regie von Alma Har’el ist ein Kontrapunkt zu all den glatten, bunten, hochglanz-special-effect Digitalprodukten des heutigen Showbusiness. Es ist das künstlerische Konzept der beiden, die expressionistische Ästhetik des Film Noir mit der eines Konzertfilms zu vereinen. Es könnte ein Club, ein Juke Joint in den 1940ern sein. Ist es aber nicht. Dazu ist das gecastete Publikum zu divers. Afroamerikaner, Weiße, Native Americans geben als Zuschauer Feedback durch Wippen, Wiegen und Tanzen. Und es tanzen „interracial couples“ wohlgemerkt. Auch wieder so ein subtiler Kommentar Dylans zur Lage im Land.

Wieder einmal Kontroversen

Es gibt zwei verschiedene filmische Grundeinstellungen. Einen Teil der Songs bestreitet Dylan mit Publikum und Gitarre im Juke Joint Setting. Und er ist als Crooner nur mit der Band auf einem Schachbrettmuster-Bühnenboden zu sehen. Also kein in einem Rutsch abgefilmtes Konzert, auch kein Film, der diesen Anschein erweckt, sondern ganz klar zwei verschiedene Settings. Es ist somit kein Live-Konzert, auch kein Konzertfilm, eher ein sehr langes Musikvideo von 50 Minuten.

Ob der Länge bzw. Kürze des Films und seine Machart wird wieder richtig schön diskutiert und gestritten in der Dylan-Welt. Oh je, die Musiker haben gar nicht wirklich gespielt, das ist alles nur gestellt, die Musik ist im Tonstudio entstanden, Dylan singt mal live dazu, mal nicht. Und überhaupt, wie sich der Dylan da wieder bereichert! 25 Euro für ein Video. Ja, wenn die Obsession und die wahren Gefühle des Fans enttäuscht werden, dann wird zum Gegenschlag ausgeholt. In Foren, sogar in Zeitungsmedien wird dann lamentiert, als hätte der Preis hier irgendeine Beziehung zu den Produktionskosten. Die Nachfrage ist da und der Preis wird bezahlt. 

Man meint, manche Dylan-Fans machen immer den selben Fehler. Sie wollen irgendetwas auf Dylan projizieren, um ihn dann wegen ihrer enttäuschten Erwartungen zu beschimpfen. Das war 1966 in England so, 1978 in Deutschland usw. Das wird sich nicht mehr ändern.

Genauso wenig, dass bei Dylan immer Geld ein Thema von Medien und einem bestimmten Teil der Öffentlichkeit ist. Bei anderen wie Clapton, McCartney oder Elton John ist das nicht so. Ich habe an anderer Stelle schon einmal den Verdacht geäußert, hier könnten – vielleicht auch unbewusst – antisemitische Stereotypen greifen.

Überagieren und Konzertsituation überzeichnen

Wer sich von Dylan eine eins zu eins-Konzertdarbietung wie auf der Tourbühne erwartet hat, dessen Erwartungen hat Dylan wieder einmal unterlaufen. Daran hat Dylan gar kein Interesse. Musikalisch will er seine Songs im neuen Gewand vortragen. Filmisch wollen er und Har’el die Konzertsituation und die Club-Atmosphäre durch Überagieren aller Teilnehmenden überzeichnen und damit ihren Kern herausarbeiten. Die Musiker übertreiben ihre Bewegungen beim Spielen, sie „posen“ ein bisschen zu viel, das Publikum raucht und trinkt zu viel, der Club ist ein bisschen zu düster, die Frauen ein bisschen zu lasziv. Bewusst und gekonnt wird hier zwischen Expressionismus und Klischeeüberzeichnung changiert.

In diese Szenerie fügt er die Songs ein, die er durch besonders expressiven Gesang und redizierten Vortrag ihrer Oberfläche beraubt und zum Kern vordringt. Dylan aber ist der einzige, der hier nicht überagiert, sondern hier gekonnt seinen gewohnt performativen Minimalismus überwindet, indem er die Songs durch sachte Gestik unterstreicht.

Der alte Dylan singt den jungen Dylan

Copyright: Veeps

„The Early Songs Of Bob Dylan“ heißt der Untertitel. Und reichen nach Dylan’scher Zeitrechnung bis in die späten 1980er. Denn „What Was It You Wanted“ stammt vom 1989er Album „Oh Mercy“. Trotz der Schattenspiele ist Dylan immer gut zu erkennen, er singt expressiv ans Publikum gerichtet. Mit feinster Stimme, die in den letzten Jahren immer besser geworden ist, so dass er mittlerweile besser singt als vor 30 Jahren. So versteht man auch jede Silbe, jeden Vers. Und das ist auch wichtig, denn einige der Songs hat er neue Lyrics verpasst. Insbesonders bei „Masterpiece“ und „To Be Alone With You“. Ganz wichtig: Sämtliche 13 Songs haben ein neues Arrangement verpasst bekommen. Meist langsam, ohnehin nur sparsam akustisch instrumentiert: Gitarren, Bass, Akkordeon, Tasteninstrumente, Dylans Mundharmonika. Die jungen Musiker, die hier anstatt Dylans sturmerprobter Tourband zu sehen, sind heißen Alex Burke, Janie Cowan, Joshua Crumbly, Shahzad Ismaily, und Buck Meek.

Die Arrangements sind akustisch, sparsam, oftmals zurückgenommen, es gibt kein Schlagzeug. Der Untertitel „The Early Songs Of Bob Dylan“ sorgt genau für richtige die Spannung. Wie singt denn der alte Dylan diese Songs heute? Auch wenn einige  wie „What Was It You Wanted“ von 1989 und Forever Young aus dem Jahre 1973 gewiss keine ausgesprochen frühen Songs sind. Aber bei 60 Jahren Karriere immerhin noch aus der ersten Hälfte.

Die Zeit steht still

Einige Songs wie eben „What Was It You Wanted“ oder „It’s All Over Now Baby Blue“ sind dann mittlerweile fast schon bilanzierend zu verstehen. Bei „Tombstone Blues“ „deklamiert“ Dylan den Text so langsam, als würde er sich wundern was sein jüngeres Ich da einstmals geschrieben hat. Wenn Dylan, für den es immer nur das „Vorwärts“ und das „Don’t Look Back“ gab, nun alt wird, und er weiß, dass seine Zeit endlich ist, dann ist er gezwungen zurückzuschauen. Die Bewegung und die Gegenbewegung neutralisieren sich, die Songs kommen schleppend, werden fast angehalten, weil die Zeit still steht. Und endgültig bekommt man Gänsehaut, wenn Dylan „Forever Young“ so sorgfältig und expressiv und mit fingerpointing singt wie nie zuvor in seiner Karriere. Abschiedsstatement? Testament? Hoffentlich nicht.

Jeder Song ist nicht nur musikalisch arrangiert, auch filmisch. Eine der schönsten Szenen enststeht so bei „I’ll Be Your Baby Tonight“. Dylan singt es zwischen zwei Frauen stehend, einer Afroamerikanerin und einer Weißen. Während die Afroamerikanerin einen stoischen Blick hat, und sie Dylan einmal fürsorglich den Staub von der Schulter klopft, spielt, kokettiert und umgarnt die weiße Frau die Kamera mit Blicken. Ironischer Kommentar Dylans zum eigenen Liebesleben? Eine gesellschaftliche Botschaft? Dylan-typische Ambivalenz, die uns trefflich unterhält und die in ihrer augenzwinkernden Vitalität dem sentimentalen „Forever Young“ den Wind aus den Segeln nimmt.

Und so zeigt uns Dylan auch mit diesem unter der Regie von Alma Har’el – Regisseurin des großartigen Films Bombay Beach von 2012 und langjährige Kooperationspartnerin von Bobs Sohn Jesse – entstandenen Musikfilm wieder mehrere Gesichter.

Man kennt diese Gesichter nur zu gut. Darum sieht man sie auch im Halbdunkel. 

Setlist

1. „When I Paint My Masterpiece“
2. „Most Likely You Go Your Way and I’ll Go Mine“
3. „Queen Jane Approximately“
4. „I’ll Be Your Baby Tonight“
5. „Just Like Tom Thumb’s Blues“
6. „Tombstone Blues“
7. „To Be Alone With You“
8. „What Was It You Wanted“
9. „Forever Young“
10. „Pledging My Time“
11. „The Wicked Messenger“
12. „Watching the River Flow“
13. „It’s All Over Now, Baby Blue“

Chrissie und Bob

16. Juli 2021

Über viele Jahre begleitet Chrissie Hynde Bob Dylans Karriere und greift immer wieder sein Werk auf. Nun erscheinen ihre im letzten Jahr entstandenen Dylan-Cover am 20. August endlich auf CD und Vinyl.

Copyright: Bmg Rights Management

Wenn ein Zitat über das spezielle Verhältnis von Chrissie Hynde zu Bob Dylan etwas aussagt, dann das über den zum Entstehungsprozess ihres neuen Bob Dylan-Cover-Albums „Standing In The Doorway“. Zum Online-Musikmagazin „Clash“ sagte sie: „Ein paar Wochen nach dem ersten Lockdown im letzten Jahr schickte mir James den neuen Dylan-Song ‚Murder Must Foul‘ zu. Als ich ihn hörte, änderte sich alles für mich. Ich wurde sofort aus dieser mürrischen Stimmung, in der ich mich befand, herausgerissen. Ich weiß noch, wo ich an dem Tag saß, als Kennedy erschossen wurde und verstehe jede Anspielung in dem Song. Was auch immer Bob macht, er schafft es jedes Mal, Dich zum Lachen zu bringen, denn er ist vor allen Dingen ein Komiker. Er ist immer lustig und hat immer etwas zu sagen. Also rief ich James an und sagte: ‚Lass uns ein paar Dylan-Cover machen‘, und damit fing alles an.” Besagter James ist ihr Bandgitarrist James Walbourn mit dem sie die Songs zusammen aufgearbeitet und aufgenommen hat.

Von Ohio nach London

Chrissie Hynde ist Jahrgang 1951, in Ohio geboren und natürlich mit Dylans Musik aufgewachsen. So wie sie sich noch genau an Kennedys Ermordung erinnern kann, so ist auch das berühmt-berüchtigte Kent State Massaker vom 4. Mai 1970, als protestierende Studenten von der Polizei erschossen wurden, ihr für immer gegenwärtig. Sie erlebte es mit, der Freund einer ihrer Freundinnen war unter den vier Opfern. Vielleicht ein Grund für ihre lebenslange politisch-aktivistische Ader. So engagiert sie sich schon seit vielen Jahrzehnten für Umwelt und Tierschutz.

Da sie von der Musik der britischen Rockbands begeistert ist, lässt sie sich in London nieder, taucht dort wegen der sich bietenden vielfältigen Möglichkeiten in die Punkszene ein und gründet schließlich ihre eigene Band „The Pretenders“. 1980 heiratet sie den Kinks-Sänger Ray Davies, trennt sich nach ein paar Jahren von ihm, 1984 heiratet sie den Simple Minds-Sänger Jim Kerr und trennt sich auch von ihm wieder. Von beiden Partnern hat sie je eine Tochter. Auch ein drittes Mal heiratet sie, doch auch die Ehe mit dem Künstler Lucho Brieva scheitert.

Dylan als lebenslange Inspiration

Bob Dylan (Copyright Wikimedia Commons) und Chrissie Hynde (Copyright Matt Holyoak)

Als Rockmusikerin mit amerikanischen Wurzeln und kritischem Geist war Dylan für sie über all die Jahre stets eine wichtige musikalische Inspiration. 1984 in London und 1992 in New York stand sie dann auch bei denkwürdigen Konzerten zusammen mit Dylan auf der Bühne. Und obwohl sie um die Krux weiß – „Jeder Singer-Songwriter der Welt covert die Lieder des Meisters, und es gibt unendlich viele davon“, so ihre Aussage- hält sie das nicht davon ab, diesem Riesen-Oeuvre mit James Walbourn neue wunderbare Coverversionen hinzuzufügen. Und besonders gut: Sie hat nicht die ganz bekannten Dylan-Songs genommen. Auch das zeigt: Chrissie kennt ihren Dylan und hat hier u.a. Versionen von „You’re A Big Girl Now“, „Sweetheart Like You“ oder eben dem Titeltrack „Standing In The Doorway“ eingespielt. Musikalisch originell, die Songs bestens adaptiert und letztlich auch etwas Eigenes daraus gemacht – einfach stark!

Möglicherweise brauchte Chrissie Hynde all die Jahre ihres bewegten Lebens zwischen Rockbusiness um Polit-Aktivismus, um nun endlich mit fast Siebzig (am September hat sie Geburtstag) diese Songs zu adaptieren, aufzunehmen und zu veröffentlichen. Ein weiterer Meilenstein in der Karriere einer der wichtigsten und interessantesten Rockkünstlerinnen unserer Zeit.

Standing in the Doorway: Chrissie Hynde sings Bob Dylan

VÖ 20. August/ BMG Rights Management

Tracklist:

01. In the Summertime

02. You’re a Big Girl Now

03. Standing in the Doorway

04. Sweetheart like You

05. Blind Willie McTell

06. Love Minus Zero / No Limit

07. Don’t Fall Apart on Me Tonight

08. Tomorrow Is a Long Time

09. Every Grain of Sand

Von Paycheck zu Paycheck

12. Juli 2021

„Nomadland“ zeigt die ungeschminkte Working Class-Wirklichkeit der USA und lässt Frances McDormand erneut in einer Charakterrolle brillieren. Zum filmischen Erfolg trägt auch ein kluger Soundtrack bei.

Copyright: Walt Disney Company

Wir kennen sie aus Fargo, sie hat in jüngster Vergangenheit alleine den Film „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ getragen und sehenswert gemacht. Und nun „Nomadland“: Keine andere Schauspielerin gibt den Frauen der amerikanischen Working Class solch ein glaubwürdiges, ebenso stoisches und herbes, und doch empfindsames Gesicht wie Frances McDormand, längst eine der ganz großen Charakter-Darstellerinnen des US-amerikanischen Films. Jede Sekunde nimmt an ihr Fern ab, die sich als Arbeitsnomadin quer durch die USA von Paycheck zu Paycheck hangelt. Nevada, Kalifornien, South Dakota, Nebraska und Arizona heißen die Stationen ihrer USA-Reise. Erst Pakete packen bei Amazon, dann den Campingplatz beaufsichtigen, dann in die Burgerbraterei und dann wieder zu Amazon. Längst ist das, was aus der Not geboren wurde, zum Leben geworden. Ein Leben, immer auf der Straße, dem nächsten Job hinterher.

Land der unbegrenzten Würdelosigkeit

Und neben ihr – und manchmal auch mit ihr – unzählige Andere. Das ist aus dem Amerika der unbegrenzten Möglichkeiten geworden. Ein Land der unbegrenzten Würdelosigkeit. Hire und Fire und befristete Jobs für die im Maschinenraum der Gesellschaft, die auf den Sonnendecks verschiedenster Kategorien gar nicht mehr wahrgenommen werden. Wer als Banker, Anwalt oder IT-Mensch an den Küstenstreifen lebt, der ist weit weg von den Problemen der Menschen im Heartland, dem Fly-Over-Country. Das Desinteresse der liberalen Eliten an diesen Menschen und ihren Problemen – wir haben es an dieser Stelle des Öfteren benannt – war eine der Ursachen für das Entstehen des Trumpismus als Massenbewegung.

Es hat lange gedauert bis die soziale Frage als drängendes Problem der amerikanischen Gesellschaft wieder auf die politische Agenda gekommen ist. Literaten wie Joey Goebel oder Daniel Woodrell haben in ihren Büchern über das Leben der Menschen im Heartland oder dem White Trash im Süden geschrieben. Und ich erinnere mich an den Film „Bombay Beach“, der 2012 über die armen und von Niederlagen gezeichneten Menschen berichtete, die an einem Salzsee ihre Domizil gefunden hatten und eine traurig-skurrile und doch überraschend optimistische Gemeinschaft bildeten.

Trotz aller Widrigkeiten haben selbst diese Underdogs – die in Bombay Beach am See und die in Nomadland auf der Straße – den amerikanischen Traum, den Empirie und Wirklichkeit schon zigmal widerlegt haben, noch nicht aufgegeben. Der Unterschied ist jetzt: War der nun fast 10 Jahre alte Film „Bombay Beach“ in den USA von Obama ein Nischenprodukt, so kommt Nomadland quasi als cineastische Begleitung der Biden-Präsidentschaft in die Öffentlichkeit und flankiert die größte öffentliche Investitionspolitik in Amerika seit Franklin D. Roosevelt als Oscar-Gewinner. Der Trumpismus ist noch lange nicht geschlagen, aber es gibt wieder Hoffnung.

Ein kluger Soundtrack

Neben der großartigen schauspielerischen Leistung von Frances McDormand und dem aus Schauspielern und Laien gemischten Ensemble und der fast beiläufigen und daher genialen Regieleistung von Chloé Zhao, ist der Soundtrack eine vielleicht unterschätzte Größe, die zum Gelingen des Films beiträgt. Erhältlich ist eine eingeschränkte Version auf CD, die vor allem von Ludovico Einaudis als Score benutzte, von Alpenwanderungen inspirierte meditative Musik fußt. Vielleicht eine der wenigen Elemente des Films, wo lyrische Kunst, die am Realismus orientierte prosaische Kunst übertrumpft. Aber hier ging es der Regisseurin um die Kategorie der Natur, mit deren Zyklus das Arbeitsnomadenleben natürlich verwoben ist.

Copyright: Decca (Universal Music)

Doch der Film kommt ohne die Musik der amerikanischen Working Class nicht aus. Und das ist im Heartland, im Süden und Südwesten und auf der Straße noch immer die Countrymusik. Und so finden sich Klassiker wie „It Was Go Who Made Honky Tonk Angels“ von Kitty Wells genauso in den Musikeinspielungen des Films wieder wie Lynn Andersons „Rose Garden“ oder Willie Nelsons „On The Road Again“. Dazu hier und da musikalische Auftritte von lebens-gegerbten Alternative-Countryhelden im Roadhouse. Die Countrymusik als Musik der amerikanischen Working Class, samt ihres selbstbewussten weiblichen Teils, das ist ein wirkungsvolles Stilelement dieses Films.

Zeugnis des neoliberalen Irrwegs

Und so entfacht dieser Film eine Wirkung. Er stellt die Dinge einfach dar, wie sie sind. Und zeigt damit eindringlich, wie unwürdig und fragil die Lebensumstände dieser Menschen sind. Es bleibt zu hoffen, dass der Kapitalismus neoliberaler Prägung in den USA wieder überwunden werden kann. „Nomadland“ ist ein bemerkenswertes Zeugnis dieses amerikanischen Irrwegs.

Die Musik

Full Score:

https://www.imdb.com/title/tt9770150/soundtrack

Original Soundtrack:

„It is a shadowy world“

9. Juli 2021

Warum Shadow Kingdom so ein treffender Titel für Bob Dylans Streaming-Konzert ist

Herr Dylan, hier im Halbschatten, (c) Sony Music

Bob Dylan im Schatten, Bob Dylan im Halbdunkel. Erfahrene, langjährige Dylan-Konzertgänger kennen das. Irgendwie fing das 1987 an. Damals sah ich Dylan in der Frankfurter Festhalle bei einem unfassbar uninspirierten Konzert, bei dem ein ausgebrannt wirkender Künstler den Eindruck machte, diesen Auftritt nur möglichst schnell hinter sich bringen zu wollen. Er spielte schlecht ausgeleuchtet im Halbdunkel und zwischen den Songs erlosch das Licht bis auf eine kleine Leselampe auf der Bühne dann sogar ganz. Ein typischer Fall von „da will einer auf der Bühne am liebsten gar nicht gesehen werden“, dachte ich mir damals.

Vier Jahre später Offenbach, Stadthalle. Die Bühne ist dunkel, die einzigen Lichtquellen sind zwei große Scheinwerfer, die von Beleuchtern gesteuert werden. Die spenden ein spartanisches weißes Licht. Dylan schwankt irgendwann aus dem Dunklen auf die Bühne. Auch an diesem Abend wird es nie richtig hell.

Bob Dylan als Schattenmann war auf der frühen Never Ending Tour immer ein Thema, bis irgendwann das Licht wieder einsetzte. Doch im übertragenen Sinn versteckt sich Dylan immer wieder gerne im Schatten. „It’s a shadowy world“, singt er in „Jokerman“. Dylan „verkleidet“ sich in der Öffentlichkeit mit Hoodie, Basecap und Sonnenbrille. Er will nicht gesehen werden, er will nicht fotografiert werden. „Cameras make ghosts out of people“, sagt der Bob. Wenn er sich denn fotografieren lässt, dann sitzt er gerne im Halbdunkel, lässt sich das Gesicht vom Hut verschatten, oder lässt das Licht nur an eine Gesichtshälfte. Daher war es durchaus sensationell, dass er sich beim Konzert in Stuttgart 2019 sogar von den Kameras filmen und auf die großen Screens an den Bühnenseiten übertragen ließ.

Bob Dylans Mysterien- und Schattenspiele sind also legendär. Auch in seinem Werk sind sie ein immer wiederkehrendes Motiv. Siehe im oben genannten „Jokerman. Vor allem auch in seinem Spätwerk sind die Schatten stets präsent. „Shadows are fallin‘ and I’ve been here all day“ lautet die erste Zeile seines epischen „Not Dark Yet“. In „Ain’t Talkin‘ (Just Walkin‘) führt der Weg, so Heinrich Detering, in eine „verschattete Transzendenz“, in eine „traumhafte Toten- und Friedhofswelt“. „Shadows In The Night“ hieß 2015 sein erstes Album mit Sinatra-Songs. Für den alten Dylan sind Schatten und Dunkelheit Vorboten des Todes.

Und man erinnert sich nur an das Cover der Single „False Prophet“ im letzten Jahr, als man den Schatten eines erhängten Mannes sehen konnte, der von vielen als der damalige US-Präsident identifiziert wurde.

Nun also „Shadow Kingdom“ am 18. Juli. Und auch hier ist der Name wieder Programm. Ich finde es jetzt nicht so schlimm 25 Dollar oder Euro für ein vorher aufgezeichnetes und nur in einem begrenzten Zeitraum im Internet zu sehendes Konzert zu bezahlen. Wirklich schade finde ich allerdings, wenn das Konzert wirklich durchgehend so schlecht ausgeleuchtet und „verschattet“ ist, wie es der Trailer befürchten lässt. Das wäre ärgerlich und sicher eine typische Prise Dylan-Humor. Denn dann ist der Titel „Shadow Kingdom“ wirklich wörtlich zu nehmen.

Doch die Freude auf neue „alte“ Musik von Dylan, die wird auch das nicht trüben. Schauen wir also  gespannt nach vorne.

Nana & Bob

2. Juli 2021

Auch Nana Mouskouri ist eine gute alte Freundin von Bob Dylan. Er sieht die in Deutschland als Schlagersängerin abgestempelte Künsterin auf einer Höhe mit Ella Fitzgerald und Oum Kalsoum. Sie singt immer wieder seine Lieder.

Nana Mouskouri (Copyright Wikimedia Commons) und Bob Dylan (Copyright Sony Music/William Claxton)

„Gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert, ich hab‘ dich gesehen, mein Freund, gib es zu, du warst im Nana-Mouskouri-Konzert, ich war auch da und du hast geweint“, sang Funny van Dannen 1995 und hielt einer nach dem weltweiten Siegeszug des Kapitalismus coolen, erfolgsorientierten und utopielosen Generation den Spiegel vor. „Tut nicht so stark, auch Ihr habt Gefühle.“ Eine der schönsten Einträge von Nana Mouskouri im Geschichtsbuch der deutschen Populärkultur.

Auf ewig „Weiße Rosen aus Athen“

Ur-Eintrag ist natürlich das Lied „Weiße Rosen aus Athen“. 1961 veröffentlicht, brachte es ihr eine goldene Schallplatte und das Image der Sehnsuchtssängerin ein, die die Wirtschaftswunder-Deutschen nach Griechenland lockte. Sie blieb auf ewig im deutschsprachigen Raum als Schlagersängerin abgestempelt, obwohl sie eigentlich als Jazz-Sängerin begann und dann zu einer bdeutenden griechischen Chansonsängerin wurde und sowohl mit dem politischen Komponisten Mikis Theodeorakis als auch mit Harry Belafonte zusammenarbeitete.

An dieser Stelle hatten wir uns vor ein paar Wochen mit Bill Ramsey beschäftigt. Beide stehen – wie auch Caterina Valente – für eine Generation von ausländischen Sängern, die eine große Spannbreite künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten besaßen, aber in Deutschland nur als exotische Schlagersänger erfolgreich sein konnten. Soll heißen: Wer Nana Mouskouri auf ewig mit der Weißen Rosen-Diseuse verbindet, sie wahlweise als Ikone der Travestiekunst oder Objekt billigen Klamauks abspeichert, der versteht weder die Tiefe ihres Könnens noch ihre Bedeutung für die Musik.

Gegenseitige Begeisterung

Natürlich weiß unser Bobby das besser. Während sie sich schon lange für seine Songwriting-Kunst begeistert und ihm ihre Version von „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ (1974) besser gefällt als seine eigene, lernen sich die beiden erst 1979 persönlich kennen. Laut der Homepage des Internationalen Nana Mouskouri-Fanclubs lief das so ab: Leonard Cohen besuchte regelmäßig Nanas Konzerte. Als sie am 10. September 1979 in Los Angeles auftritt, bringt er zum Konzert seinen Freund Bob mit. Der will Nana kennenlernen, hat aber für den Abend ein Interview ausgemacht. Also treffen sie sich vor dem Konzert backstage, spüren sofort Sympathie füreinander. Sie schenkt ihm ihr neues Album „Roses and Sunshine“ und sie machen ein Treffen nach Ende des Konzerts in einem kleinen Restaurant aus.

Doch Dylan kann sich vom Konzert nicht losreißen, sagt das Interview ab und schaut sich den kompletten Auftritt an. In der Pause ist er so angetan, dass er sich schon an Ort und Stelle mit ihr austauschen will, doch sie muss erst ihr Konzert zu Ende bringen. Also treffen sie sich später im Restaurant und er befragt sie über ihre musikalischen Einflüsse. Sie erinnert an Callas, Ella Fitzgerald, und Oum Kalsoum und landet damit echte Treffer bei Bobby.

Copyright: Mercury Records

Ein Lied für Nana

Später sagt Dylan in einem Interview mit dem „Rolling Stone“: „Meine Lieblingssänger sind Nana Mouskouri und Oum Kalsoum.“ Wieder kurze Zeit später ruft er Nana an, um ihr einen Song anzubieten, den er gerade geschrieben hat und der seiner Meinung nach genau für sie gemacht ist: „Every Grain Of Sand“. Dennoch nimmt er es zuerst 1981 auf (Album „Shot Of Love“), ihre Version folgt 1982.

Über die Jahre bleiben die beiden in Kontakt und Nana nimmt immer wieder starke Coverversionen von Dylan-Songs auf. 2008 sagt sie in einem Interview anlässlich ihrer Abschiedstournee, dass sie und Bobby E-Mails austauschen. Allerdings würde er ihr nicht so oft antworten, wie sie es gerne hätte. 2018 benennt sie ihr Album „Forever Young“ nach Dylans Song.

Nun ist sie bereits im Ruhestand, geht nicht mehr auf Tour, hat bereits 2008 mit 74 Jahren den Konzertreisen Adieu gesagt, trat aber bis vor wenigen Jahren noch hin und wieder auf. Im Oktober wird sie 87 Jahre. Dylan dagegen ist gerade 80 geworden und hat im Mai einen Konzertfilm gedreht, der am 18. Juli im Internet gestreamt wird. Ob er sich mit ihr über so etwas per E-Mail austauscht? „The answer my friend…“.