Wo viel Rauch ist, ist auch viel Schatten

Bob Dylan faszinierender und vielschichtiger Konzertfilm „Shadow Kingdom“. Regie führte Alma Har’el, die vor ein paar Jahren mit dem Dokumentarfilm Bombay Beach für Aufsehen sorgte. Erste Eindrücke.

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Es ist dunkel, es ist verraucht, es ist Schwarz-Weiß. Bob Dylans neuer Konzertfilm „Shadow Kingdom“ unter der Regie von Alma Har’el ist ein Kontrapunkt zu all den glatten, bunten, hochglanz-special-effect Digitalprodukten des heutigen Showbusiness. Es ist das künstlerische Konzept der beiden, die expressionistische Ästhetik des Film Noir mit der eines Konzertfilms zu vereinen. Es könnte ein Club, ein Juke Joint in den 1940ern sein. Ist es aber nicht. Dazu ist das gecastete Publikum zu divers. Afroamerikaner, Weiße, Native Americans geben als Zuschauer Feedback durch Wippen, Wiegen und Tanzen. Und es tanzen „interracial couples“ wohlgemerkt. Auch wieder so ein subtiler Kommentar Dylans zur Lage im Land.

Wieder einmal Kontroversen

Es gibt zwei verschiedene filmische Grundeinstellungen. Einen Teil der Songs bestreitet Dylan mit Publikum und Gitarre im Juke Joint Setting. Und er ist als Crooner nur mit der Band auf einem Schachbrettmuster-Bühnenboden zu sehen. Also kein in einem Rutsch abgefilmtes Konzert, auch kein Film, der diesen Anschein erweckt, sondern ganz klar zwei verschiedene Settings. Es ist somit kein Live-Konzert, auch kein Konzertfilm, eher ein sehr langes Musikvideo von 50 Minuten.

Ob der Länge bzw. Kürze des Films und seine Machart wird wieder richtig schön diskutiert und gestritten in der Dylan-Welt. Oh je, die Musiker haben gar nicht wirklich gespielt, das ist alles nur gestellt, die Musik ist im Tonstudio entstanden, Dylan singt mal live dazu, mal nicht. Und überhaupt, wie sich der Dylan da wieder bereichert! 25 Euro für ein Video. Ja, wenn die Obsession und die wahren Gefühle des Fans enttäuscht werden, dann wird zum Gegenschlag ausgeholt. In Foren, sogar in Zeitungsmedien wird dann lamentiert, als hätte der Preis hier irgendeine Beziehung zu den Produktionskosten. Die Nachfrage ist da und der Preis wird bezahlt. 

Man meint, manche Dylan-Fans machen immer den selben Fehler. Sie wollen irgendetwas auf Dylan projizieren, um ihn dann wegen ihrer enttäuschten Erwartungen zu beschimpfen. Das war 1966 in England so, 1978 in Deutschland usw. Das wird sich nicht mehr ändern.

Genauso wenig, dass bei Dylan immer Geld ein Thema von Medien und einem bestimmten Teil der Öffentlichkeit ist. Bei anderen wie Clapton, McCartney oder Elton John ist das nicht so. Ich habe an anderer Stelle schon einmal den Verdacht geäußert, hier könnten – vielleicht auch unbewusst – antisemitische Stereotypen greifen.

Überagieren und Konzertsituation überzeichnen

Wer sich von Dylan eine eins zu eins-Konzertdarbietung wie auf der Tourbühne erwartet hat, dessen Erwartungen hat Dylan wieder einmal unterlaufen. Daran hat Dylan gar kein Interesse. Musikalisch will er seine Songs im neuen Gewand vortragen. Filmisch wollen er und Har’el die Konzertsituation und die Club-Atmosphäre durch Überagieren aller Teilnehmenden überzeichnen und damit ihren Kern herausarbeiten. Die Musiker übertreiben ihre Bewegungen beim Spielen, sie „posen“ ein bisschen zu viel, das Publikum raucht und trinkt zu viel, der Club ist ein bisschen zu düster, die Frauen ein bisschen zu lasziv. Bewusst und gekonnt wird hier zwischen Expressionismus und Klischeeüberzeichnung changiert.

In diese Szenerie fügt er die Songs ein, die er durch besonders expressiven Gesang und redizierten Vortrag ihrer Oberfläche beraubt und zum Kern vordringt. Dylan aber ist der einzige, der hier nicht überagiert, sondern hier gekonnt seinen gewohnt performativen Minimalismus überwindet, indem er die Songs durch sachte Gestik unterstreicht.

Der alte Dylan singt den jungen Dylan

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„The Early Songs Of Bob Dylan“ heißt der Untertitel. Und reichen nach Dylan’scher Zeitrechnung bis in die späten 1980er. Denn „What Was It You Wanted“ stammt vom 1989er Album „Oh Mercy“. Trotz der Schattenspiele ist Dylan immer gut zu erkennen, er singt expressiv ans Publikum gerichtet. Mit feinster Stimme, die in den letzten Jahren immer besser geworden ist, so dass er mittlerweile besser singt als vor 30 Jahren. So versteht man auch jede Silbe, jeden Vers. Und das ist auch wichtig, denn einige der Songs hat er neue Lyrics verpasst. Insbesonders bei „Masterpiece“ und „To Be Alone With You“. Ganz wichtig: Sämtliche 13 Songs haben ein neues Arrangement verpasst bekommen. Meist langsam, ohnehin nur sparsam akustisch instrumentiert: Gitarren, Bass, Akkordeon, Tasteninstrumente, Dylans Mundharmonika. Die jungen Musiker, die hier anstatt Dylans sturmerprobter Tourband zu sehen, sind heißen Alex Burke, Janie Cowan, Joshua Crumbly, Shahzad Ismaily, und Buck Meek.

Die Arrangements sind akustisch, sparsam, oftmals zurückgenommen, es gibt kein Schlagzeug. Der Untertitel „The Early Songs Of Bob Dylan“ sorgt genau für richtige die Spannung. Wie singt denn der alte Dylan diese Songs heute? Auch wenn einige  wie „What Was It You Wanted“ von 1989 und Forever Young aus dem Jahre 1973 gewiss keine ausgesprochen frühen Songs sind. Aber bei 60 Jahren Karriere immerhin noch aus der ersten Hälfte.

Die Zeit steht still

Einige Songs wie eben „What Was It You Wanted“ oder „It’s All Over Now Baby Blue“ sind dann mittlerweile fast schon bilanzierend zu verstehen. Bei „Tombstone Blues“ „deklamiert“ Dylan den Text so langsam, als würde er sich wundern was sein jüngeres Ich da einstmals geschrieben hat. Wenn Dylan, für den es immer nur das „Vorwärts“ und das „Don’t Look Back“ gab, nun alt wird, und er weiß, dass seine Zeit endlich ist, dann ist er gezwungen zurückzuschauen. Die Bewegung und die Gegenbewegung neutralisieren sich, die Songs kommen schleppend, werden fast angehalten, weil die Zeit still steht. Und endgültig bekommt man Gänsehaut, wenn Dylan „Forever Young“ so sorgfältig und expressiv und mit fingerpointing singt wie nie zuvor in seiner Karriere. Abschiedsstatement? Testament? Hoffentlich nicht.

Jeder Song ist nicht nur musikalisch arrangiert, auch filmisch. Eine der schönsten Szenen enststeht so bei „I’ll Be Your Baby Tonight“. Dylan singt es zwischen zwei Frauen stehend, einer Afroamerikanerin und einer Weißen. Während die Afroamerikanerin einen stoischen Blick hat, und sie Dylan einmal fürsorglich den Staub von der Schulter klopft, spielt, kokettiert und umgarnt die weiße Frau die Kamera mit Blicken. Ironischer Kommentar Dylans zum eigenen Liebesleben? Eine gesellschaftliche Botschaft? Dylan-typische Ambivalenz, die uns trefflich unterhält und die in ihrer augenzwinkernden Vitalität dem sentimentalen „Forever Young“ den Wind aus den Segeln nimmt.

Und so zeigt uns Dylan auch mit diesem unter der Regie von Alma Har’el – Regisseurin des großartigen Films Bombay Beach von 2012 und langjährige Kooperationspartnerin von Bobs Sohn Jesse – entstandenen Musikfilm wieder mehrere Gesichter.

Man kennt diese Gesichter nur zu gut. Darum sieht man sie auch im Halbdunkel. 

Setlist

1. „When I Paint My Masterpiece“
2. „Most Likely You Go Your Way and I’ll Go Mine“
3. „Queen Jane Approximately“
4. „I’ll Be Your Baby Tonight“
5. „Just Like Tom Thumb’s Blues“
6. „Tombstone Blues“
7. „To Be Alone With You“
8. „What Was It You Wanted“
9. „Forever Young“
10. „Pledging My Time“
11. „The Wicked Messenger“
12. „Watching the River Flow“
13. „It’s All Over Now, Baby Blue“