Archive for März 2022

Dylan, Lennon und die Beatles

25. März 2022

Zwei neue Bücher geben Auskunft über die Beziehungen zwischen den Ikonen der Pop- und Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre

Copyright: C.H. BECK

Von den Beatles die Musik, von Dylan die Texte. Auf diese einfache Formel scheint man immer noch die größten Einflüsse der westlichen Popmusik der 1960er und 1970er Jahre bringen. Und doch ist das Zusammenspiel und die Wirkung der Fab Four vom Mersey River und dem Songwriter-Papst aus Hibbing, Minnesota, gleichwohl verschränkter und komplexer.

Wer dem nachgehen will, dem sind zwei kürzlich erschienene Bücher empfohlen. „One, Two, Three, Four. Die fabelhaften der Jahre der Beatles“ von Craig Brown erzählt die eigentlich schon auserzählte Geschichte der Pilzköpfe auf’s Neue. Und das in so gekonnter Weise, das man dann doch staunt, was man über die „Fab Four“ so alles nicht wusste.

Browns Kaleidoskop entdeckt die Beatles neu

Denn Brown erzählt nicht chronologisch die Geschichte nach, sondern geht schlaglichtartig vor, in dem er Anekdoten, Geschichten und Reflexionen verbindet, aus Tagebucheinträgen, Fanbriefen und Partylisten zitiert und so ein buntes Kaleidoskop des Beatles-Kosmos vorlegt, der stets unterhaltsam und oftmals auch witzig ist. Die verschiedenen Collageteile ergeben dann am Ende doch eine Geschichte. Die menschliche, manchmal rührend, manchmal wundersame Geschichte einer Band aus vier Jungs aus Liverpool, die die (musikalische) Welt verändert haben.

Bob Dylan kommt hier nicht so oft vor, aber wenn, dann stets beziehungsreich. Dass Dylan die Beatles an Marihuana herangeführt hat, ist natürlich nix neues. Aber wie der Autor hier die erste Begegnung der Pop-Großmeister schildert – natürlich mit „I get high“ statt „I can’t hide – ist schon sehr fein notiert. Ganz klar sehen die Beatles in Dylan ihren Meister und Lennon ahmt ihn Aufnahmen dieser Zeit sogar unbewusst nach. Kein Wunder, dass Lennon da später von Dylan enttäuscht sein musste.

An einer anderen Stelle erwähnt dann Brown, dass Dylan bis in die jüngste Vergangenheit Lennon nicht losgelassen hat. Am Rand eines Konzerts besuchte er Mendips, Lennons Childhood Home. Und natürlich wird auch nicht Lennons spätere Kritik an Dylans Songwriting – „man sagt nicht was man meint, sondern erzeugt den Eindruck von etwas“ – unterschlagen.

Ein in vielerlei Hinsicht gelungenes Buch, das die Beatles-Geschichte in einer etwas anderen Form wieder spannend und entdeckenswert macht.

Ganz dem komplexen Verhältnis von Dylan und Lennon widmet sich Jon Stewart in seinem Buch „Dylan, Lennon, Marx And God“. Er erforscht die Beziehung der beiden, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede anhand der Perspektive dreier Schlüsselthemen: Protest, Geschichte und Spiritualität.

Copyright: Cambridge University Press

Zu Protest, Geschichte und Spiritualität bei Dylan und Lennon

So arbeitet Stewart heraus, dass im Grunde Lennons Songs viel kompatibler für politische Bewegungen sind als die von Dylan. Lennon verkündet vermeintliche Wahrheiten und klare Meinungen wo Dylan Fragen stellt und den Hörenden überlässt, Schlüsse zu ziehen. Ironie der Geschichte: Der große Dylan-Kritikaster Lennon, der dies Dylan immer vorgeworden hatte, distanziert sich sogar in seiner „Hausmann-Phase“ von seiner Agit Prop-Attitüde.

Im Kapitel zur Historie führt Stewart das Geschichtsverständnis von Lennon zurück auf das Bewusstsein über seine migrantische Herkunft aus Irland und der Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse, während Dylan hier auf dem Amerikanischen Transzendentalismus von Thoreau und Emerson und dessen Einfluss auf Melville und Whitman fußt. Auch hier wieder die ironische Entwickung. Mit dem Erfolg des Sgt. Pepper-Album wird EMI-Records zu einer globalen Marke und die Beatles zum Imageträger von „Swingin‘ London“ während sich das „British Empire“ eigentlich in Auflösung befindet. Währenddessen spielt Dylan einfach, schlichte amerikanische Roots-Musik („John Wesley Harding“), die aufgrund ihrer Retro-Simplizität keine Blaupause für globalen Erfolg bietet und damit eher quer zur kapitalistischen Verwertbarkeit steht. Lennon wie Dylan gebührt jedoch gleichermaßen der Verdienst, die Widersprüche des Spätkapitalismus und die Verlorenheit des Individuums in dieser modernen, verwalteten Welt mittels ihrer Musik dargestellt zu haben.

Im Abschnitt zur Spiritualität der beiden weist er nach, dass sowohl Lennons Sinnsuche in Marxistischen Zusammenhängen, als auch Dylan Studien der jüdischen Orthodoxie oder des evangelikalen Fundamentalismus den Fundus der Sinnzusammenhänge westlicher Popmusik verbreitert hat. Auch hier haben sie – bei aller Umstrittenheit ihrer Konversionen – grundlegendes geleistet.

Stewart kommt dann am Ende des Buchs zum Schluss, dass Lennon und Dylan wie keine anderen Musikerpersönlichkeiten unser Zeit, die Spannungen und Brüche der Gesellschaft und der Kultur benannt und große Knust daraus geschöpft haben. Und auch wenn wir heutzutage vor ganz anderen Problemen stehen wie in letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, so sieht Stewart die Relevanz der beiden ungebrochen, wenn es darum geht sich an ihrer Kunst ein Beispiel zu nehmen.

Fazit: John Stewarts Buch ist eine Fleißarbeit, aus der man auch einigen Kenntnisgewinn zieht. Man merkt aber immer wieder, dass es eine wissenschaftliche Arbeit ist, dass ein sehr ernsthafter Antrieb dahintersteckt. Jon Stewart, Gitarrist bei der Britpop-Band „Sleepers“ und den Indie-Rockern von „Wedding Present“ ist hier manchmal etwas zu akademisch unterwegs. Beide Bücher haben aber ihre Berechtigung und ihren Wert. Das von Stewart, weil es sehr fleißig und profund wissenschaftlich gehalten ist, das von Brown, weil es gut unterhält, und eine lebensnahe Farbigkeit hat. Zwei Bücher mehr, die man als Dylan oder Beatles-Fans gelesen haben sollte.

Bob Dylan und seine Wurzeln im New Deal

18. März 2022

Die besondere gesellschaftliche Epoche in den USA prägte auch den legendären Singer-Songriter/ Darmstädter Americana-Abend zum New Deal am 28. April

Roosevelt und Dylan. Copyright: Wikimedia Commons

Bob Dylan aka Robert Zimmerman ist 1941 in eine jüdische Mittelstandsfamilie hineingeboren worden und dann in einer Bergarbeiterstadt aufgewachsen. Seine Großeltern sind aus dem russischen Reich, aus der heutigen ukrainischen Hafenstadt Odessa, vor antisemitischen Pogromen geflohen und siedelten sich in Duluth Minnesota an. Nur um dort 1920 die rassistischen Lynchmorde an drei afroamerikanischen Zirkusarbeitern miterleben zu müssen.

Jüdische Amerikaner als Teil der New Deal-Koalition

Man kann davon ausgehen, dass die Erfahrungen der Lynchmorde, als auch das Leben der Zimmermans in der Arbeiterstadt Hibbing, sie zum demokratischen politischen Lager von Präsident Roosevelt und seiner „New Deal-Koalition“ für Wirtschafts- und Sozialreformen tendieren ließ. Diese Koalition umfasste Gewerkschaften, Arbeiter, rassische und religiöse Minderheiten (wie Juden, Katholiken und Afroamerikaner), Bauern, ländliche weiße Südstaatler und städtische Intellektuelle. Die Koalition spielte bis Mitte der 1960er Jahre eine bedeutende Rolle in der amerikanischen Politik, bis sie wegen den Rassen- und Wirtschaftsfragen zerbrach und Wählerwanderungen aus dem demokratischen Spektrum zu den Republikanern begannen.

Das Leben unter den hart arbeitenden Menschen in Hibbing prägte Dylan nachhaltig. Er hat großen Respekt vor den arbeitenden Menschen und er ist auch als Künstler ein Arbeiter. Ob Gitarre, oder Gesang – die musikalischen Anteile an seiner Kunst musste er sich hart erarbeiten. Da ist ihm nichts zugeflogen. Im Gegensatz zum Verse schmieden. Das hat er schon in frühester Jugend gekonnt und später perfektioniert. Indem er erst nachahmte und dann selber drauf los dichtete. Auch als Bühnen- und Studiokünstler hat Dylan einen hohen Arbeitsethos.

Bob Dylans sozio-kulturelle New Deal-Prägung

Dylan sieht auch heute noch das einigende, das gemeinsame als typisch für Amerika an. Denn die für Obama, wie vorher für Clinton, konstitutionelle Koalition aus „Unternehmern, Vorortbewohnern, neuen sozialen Bewegungen und jungen Leuten“ war nicht seine. Er war und ist ein Mann der alten New Deal-Koalition, die die arbeitenden Menschen miteinschließt. Und ist damit heute aktueller denn je. Denn die Koalition für einen neuen Green Deal muss die neuen sozialen Bewegungen, die ökologischen, die migrantischen und die traditionelle Arbeiterbewegung zusammenführen. Muss die ökologisch verantwortungsvollen Unternehmer und Hipster offen für sozialpolitische Fragen und die Arbeiter offen für ökologische Fragen machen.

So wie Robert Zimmerman sozial und gesellschaftlich durch den New Deal geprägt ist, so ist Bob Dylan durch ihn kulturell geprägt. Denn Woody Guthrie und Pete Seegers klassische politische Folkmusik hätte ohne die New Deal-Politik nie diesen immensen Einfluss gehabt. Kulturprogramme stellten plötzlich die Musik der arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt. Gewerkschaften konnten freier agieren als noch wenige Jahre vorher und Eleanor Roosevelt war eine große Freundin und Förderin der Folk Music.

Copyright: Warner Bros.

Diese Linie führte denn auch direkt ins jugendbewegte Folk Revival der späten 1950er und frühen 1960er Jahre. Pete Seeger war Johannes der Täufer, Woody Guthrie der Heilige Geist, Joan Baez die heilige Jungfrau, und Bob Dylan der Messias des Folk Revival. Und auch wenn Dylan die Folkszene verließ, so hat er das Folk-Idiom und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen nie abgelegt. So dass es kein Wunder war, dass er 1968 beim Tribute Konzert für den verstorbenen Woody Guthrie dessen Song „Dear Mrs. Roosevelt“ singt, der nichts anderes als eine Ode an den Schöpfer einer Politik der sozialen Reformen und der politischen Innovationen im Amerika der 1930er und 1940er Jahre ist.

New Deal aktueller denn je

In Zeiten von ökologischer Krise, von enormer sozialer Ungleichheit sowie Demokratien in der Legitimationskrise und unter Beschuss (im wahrsten Sinne des Wortes!) von autoritären, kapitalistischen und nationalistischen Maskulinisten wie Putin und Trump, ist eine Politik des New Deal, die alle mitnehmen will und denen, die mehr haben, auch abverlangt, mehr zu geben und den wildgewordenen Kapitalismus bändigt, wichtiger denn je. Nur wenn gleiche Chancen, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsdemokratie erreicht werden, können gesellschaftliche Demokratie und Freiheit sich der Angriffe von Autoritären und Autokraten langfristig erwehren.

Cuppatea und Steffen Lehndorff. Copyright: Cuppeatea

„Rise Up Singin‘“ in Darmstadt

Um diese Aktualität und um die Geschichte des New Deal geht es auch am Donnerstag, 28. April, in der Reihe „Thomas Waldherr präsentiert Americana“ beim musikalischen Vortragsabend „Rise Up Singin‘“ mit dem Autor Steffen Lehndorff und dem Münsteraner Gesangsduo „Cuppatea“. Steffen Lehndorff wird über den New Deal erzählen, „Cuppatea“ Musik aus dieser Zeit spielen. Kooperationspartner ist der DGB Darmstadt, es ist ein spannender und anregender Abend im Vorfeld des 1. Mai zu erwarten.

Infos und Tickets gibt es hier:

https://www.knabenschule.de/?id=1129

Bob Dylans Philosophie des modernen Songs

11. März 2022

Was wir darüber wissen und was wir (vielleicht) zu erwarten haben

Copyright: Simon & Schuster

Das war wieder ein grandioser Aufschlag in der Dylan-Welt. Mitten in der Nacht zum Mittwoch (9. März) teilte www.bobdylan.com mit, dass der Song-Großmeister am 8. November ein neues Buch herausgibt. „The Philosophy Of Modern Song“. 60 Essays, die Dylan seit 2010 über das Songwriting und über berühmte Kolleg:innen geschrieben hat.

Natürlich sind wir alle elektrisiert. Haben wir uns doch den Vol.2 der Chronicles erhofft. Das kommt jetzt erstmal nicht, vielleicht auch nie mehr. Das wäre ja auch wieder richtig dylanesk. Aber was kommt ist, eben auch großartig. 60 Essays auf die ich mich freue. Denn wenn das an die MusiCares Speech und die Nobelpreisvorlesung anknüpft, dann können wir uns auf erhellende, bildreiche und witzige Texte freuen.

Denn dort, genauso wie in den Liner Note zu den Tribute-Alben für Jimmie Rodgers oder Hank Williams, in Würdigungen von Johnny Cash oder anderen, hat Dylan stets mit feinen Worten die Künstler gefeiert und ihren kreativen Prozess anschaulich dargestellt. Oder eben auch niedergemacht, wie damals beim MusiCare den armen Tom T. Hall. Da kannte er nix.

So sagte Dylan in der Vergangenheit beispielsweise über…

Jimmie Rogers
The most inspiring type of entertainer for me has always been somebody like Jimmie Rodgers, somebody who could do it alone and was totally original. He was combining elements of blues and hillbilly sounds before anyone else had thought of it. (Jimmie Rodgers Tribute 1997)

Leonard Cohen:
“When people talk about Leonard,” Dylan said, “they fail to mention his melodies, which to me, along with his lyrics, are his greatest genius.“ (The New Yorker, Oktober 2016)

Hank Williams:
„I became aware that in Hank’s recorded songs were the archetype rules of poetic songwriting.“ (Chronicles Vol 1)

 Nina Simone:
“Very strong woman, very outspoken and dynamite to see perform. That she was recording my songs validated everything that I was about. Nina was the kind of artist that I loved and admired.” (MusiCares Speech 2015)

Neil Young:
„Neil is very sincere, if nothing else. He’s sincere, and he’s got a God-given talent, with that voice of his, and the melodic strain that runs through absolutely everything he does. He could be at his most thrashy, but it’s still going to be elevated by some melody.“ (Rolling Stone Interview 2007)

 Johnny Cash:
„I Walk the Line” played all summer on the radio, and it was different than anything else you had ever heard. The record sounded like a voice from the middle of the earth. It was so powerful and moving. It was profound, and so was the tone of it, every line; deep and rich, awesome and mysterious all at once. “I Walk the Line” had a monumental presence and a certain type of majesty that was humbling. Even a simple line like “I find it very, very easy to be true” can take your measure. We can remember that and see how far we fall short of it.“ (Bob Dylans Statement zum Tod von Johnny Cash, 2003)

Diesmal also Texte von Little Richard bis zu Frank Sinatra, von Elvis Presley bis zu The Clash, von Nina Simone bis zu Elvis Costello. Da wird er keinen verreißen, oder doch? Man kann aber schon sehr gespannt sein, wie er die Songs und das Songwriting dieser Künstler:innen beschreiben wird.

Ebenso darf gespannt sein, wer nicht drin vorkommt. Wird Joni Mitchell erwähnt? Neil Diamond? Merle Haggard?

Deutsche Ausgabe erscheint zeitgleich

„Naheliegende Reime können leicht zu einer Falle werden, eine Silbe zu viel kann einen guten Song um seine Wirkung bringen, und Bluegrass hat mehr mit Heavy Metal gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Es ist Bob Dylan persönlich, der hier die Philosophie des modernen Songs darlegt und dafür Werke wie „Long Tall Sally“, „Strangers in the night“ oder „London calling“ unter die Lupe nimmt“, schreibt der Verlag Ch. Beck, bei dem das Buch zeitgleich auf Deutsch erscheint, auf seiner Website. (https://www.chbeck.de/buehnen/bob-dylan-die-philosophie-des-modernen-songs/)

Auch über das Titelbild wird heftig gerätselt. Anstatt bekanntermaßen geachtete Songwriter wie Leonard Cohen, Carole King oder Neil Young abzubilden, sehen wir drei Helden des frühen Rock’n’Roll und des Rockabilly. Little Richard, der der Welt das lautmalerische „Awopbopaloobop Alopbamboom!“ schenkte und dann Priester wurde, das barfüßige One Hit Wonder Alis Lesley (klingt fast wie Elvis Presley) aka „The Barefoot Rockabilly Angel“ und Eddie Cochran, der 1960 bei einem Autounfall ums Leben kam und wegen seines „Summertime Blues“ unsterblich geworden ist.

Das könnte zum einen zeigen wie weit er den Begriff Song dehnt, zum anderen aber auch beweisen, dass Dylan auch hier wieder die US-Populärmusik und ihre Vielfältigkeit im Blick hat.

Wie schön, dass uns Dylan nun bis November Zeit gibt, zu spekulieren und zu rätseln. Es gibt in diesen Zeiten so viel Ernstes mit dem man sich beschäftigen muss. Gut, dass uns der Picasso des Pop auch einfach mal was Zerstreuendes an die Hand gibt.

Bob Dylan, der Frieden, und der Krieg in der Ukraine

6. März 2022

Der Songwriter großer Friedenslieder und seine jüdischen Wurzeln in Odessa

Copyright: Barry Feinstein

Es ist schwer in diesen Tagen, nicht an diesen verdammten Krieg zu denken. Und es ist auch unsere verdammte Pflicht, uns damit zu beschäftigen. So schreibe ich nun also auf diesem Blog einen Artikel mit Bezug zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. So wie ich es im Americana-Konzert am Abend des russischen Überfalls gesagt habe, so halte ich es mit diesem Blog auch. Ich will unterhalten mit Haltung. Nicht umsonst beschäftige ich auf meine Weise mit Bob Dylan und Americana: Die gesellschaftlichen Hintergründe und politischen Entwicklungen sind für mich wichtige Bezugsgrößen für das Werk eines Künstlers. Selbst wenn er sich explizit nicht als politischen Künstler sieht, so ist sein Werk doch immer auch ein Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Und das macht es für mich gerade spannend.

Die Haltung des Blog-Autors

Der Autor dieses Blogs verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf das Schärfste. Es gibt keine Rechtfertigung dafür. Die brutal und menschenverachtend umgesetzten Großreichsfantasien eines ehemaligen KGB-Geheimdienstlers lassen sich nicht durch falsche politische Entscheidungen auf NATO oder EU-Ebene entschuldigen. Die Ukraine hat alles Recht der Welt, sich zu verteidigen und sollte darin auch unterstützt werden. Gleichwohl darf kein Automatismus des Militarismus gelten. Es muss auch weiterhin nach einer diplomatischen Lösung gesucht werden. Das Primat der Politik und zivile Konfliktlösungsstrategien sind weiterhin notwendig und unabdingbar. Dies jedoch ist nicht zu verwechseln mit Appeasement zu jedem Preis. Denn wir wissen ja, dass bei Putin sich ideologische Verblendung mit abseitigen Charakterzügen paart.

Jedes Land muss sich verteidigen können. Die Bundeswehr aber mal schnell mit 100 Milliarden auszustatten, muss kritisiert werden und hinterlässt die Frage, warum für Gesundheitswesen, Infrastruktur und Sozialpolitik keine Gelder in dieser Größenordnung da sind. Die Probleme der Bundeswehr liegen in erster Linie nicht an zu wenig Geld, sondern an dem Umgang mit den finanziellen Mitteln, an Bürokratie und Vergabepraxis.

Aber: Auch die jahrzehntelange Abwesenheit des Krieges zwischen Nationen hat Europa nicht einem Hort des Friedens gemacht. Bürgerkriege, ethnische Konflikte oder der Umgang mit Flüchtlingen an den europäischen Grenzen sind alles andere als friedfertig. Auch das gilt es zur Kenntnis zu nehmen und in unsere Anti-Kriegsproteste einzuschließen.

Dylan, der Frieden und die Sache des Friedens

Bob Dylan und Joan Baez 1984, Copyright: Wikimedia Commons

Ich habe mir für diesen Beitrag die Aufgabe gestellt, über das ebenso naheliegende wie notwendige Thema Dylan-Songs zu Krieg und Frieden, auch auf die Wurzeln seiner Familie Väterlicherseits, die aus Odessa aus der heutigen Ukraine stammen, zu sprechen zu kommen.

Bob Dylan hat unvergängliche Songs geschrieben, die zum Soundtrack jeder Anti-Kriegskundgebung gehören: Masters Of War, A Hard Rain’s A-Gonna Fall, Blowin‘ In The Wind natürlich. Die sind in der Zeit der Kuba-Krise und Vietnamkrieg entstanden, als Dylan noch Teil der linken, jungen Protestbewegung war, die sich in der Folkszene sammelte. Später wandte er sich bekanntermaßen von der politisierten Folkszene ab. Er wollte kein Anführer einer politischen Jugendbewegung sein und trat schon gar nicht bei politischen Veranstaltungen auf.

Ausgerechnet während der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die sogenannte NATO-Nachrüstung tritt Dylan dann aber 1982 beim „Peace Sunday“ in Pasadena, Kalifornien zusammen mit Joan Baez auf. Und sein Album „Infidels“ enthält mit „License To Kill“ einen Song, den Günter Amendt damals als „schönstes zeitgenössisches Friedenslied“ bezeichnete.

Umso größer dann die Entrüstung, als Dylan sich bei der 1984er Tour auf dem Höhepunkt der bundesdeutschen Friedensbewegung sich keineswegs mit den Demonstrationen beschäftigen will, und gelangweilt auf entsprechende Fragen der Journalisten bei der Pressekonferenz in Hamburg antwortet. Er hätte angeblich nur gehört von der aktuellen Friedensbewegung und hätte sicher auch nicht gerne Missiles in seinem Hinterhof. Und überhaupt, er sei vielleicht mal ein Protestsänger gewesen, aber er wäre nicht so tief im politischen Geschehen drin.

Die Person Dylan ist im Gegensatz zu den Songs einfach nicht zu gebrauchen für politische Demonstrationen. Von ihm ist auch die interessante Aussage überliefert, dass er sehr wohl sich für den Frieden einsetze, aber nicht für die „Sache des Friedens“. Auch hier wieder keine Bereitschaft, sich von irgendwelchen Organisationen oder Bündnissen für den Frieden einspannen zu lassen.

Zudem ist auch klar, dass Dylan keineswegs Pazifist ist. Eher ein Antimilitarist, der nicht noch die andere Wange hinhalten will, sondern ein Recht auf Selbstverteidigung anerkennt. So ganz klar für den Staat Israel im Song „Neighbourhood Bully“ und Dylans eigene Autobiographie „Chronicles“ zeigt, dass er auch keineswegs Schusswaffen verurteilt. Einer seiner neueren Songs, „Mother Of Muses“ zeugt auch für seine Anerkennung von Kriegen, wenn sie der Abschaffung der Sklaverei oder der Befreiung von Hitler-Deutschland dienen:

„Sing of Sherman – Montgomery and Scott
Sing of Zhukov and Patton and the battles they fought
Who cleared the path for Presley to sing
Who carved out the path for Martin Luther King
Who did what they did and then went on their way
Man, I could tell their stories all day“

Dylans klassische Protestsongs sind großartige Hymnen gegen den Wahnwitz des Krieges, der im Übrigen überall auf der Welt tobt. Sie sind aber nicht die Gedanken eines Pazifisten.

Bob Dylans Wurzeln in Odessa

Odessa, Copyright: Wikimedia Commons

Bob Dylans Familie, also Robert Allen Zimmermans Familie väterlicherseits, stammt aus Odessa im russischen Reich, später erst Teil der Volksrepublik Ukraine, dann der Sozialistischen Sowjetrepublik Ukraine und schließlich seit Dezember 1991 Teil des unabhängigen und souveränen Staats Ukraine. 1907 flohen Dylans Großeltern vor den russischen Pogromen aus der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Mit fast 40 Prozent Juden unter der Einwohnerschaft war Odessa damals ein kulturelles Zentrum der Juden in Osteuropa. Und ein politisches dazu. Teils waren die ansässigen Juden Zionisten, die ja später den Staat Israel gründeten, andere Kommunisten. Manche auch beides. Es gab eine starke jüdisch-progressive Arbeiterbewegung – der Singer-Songwriter Daniel Kahn erinnert in seinen spannenden  Projekten an dieses Erbe – und auch die zionistische Kibbuz-Bewegung hat kommunistisch-sozialistische Elemente.

Es ist anzunehmen, dass aus dieser familiären Odessa-gestützten Prägung heraus der junge Robert ins zionistische Jugendcamp geschickt wurde und Dylan bis heute sowohl den Demokraten und dem Gedanken der sozialen Gerechtigkeit als auch dem Staat Israel nahe steht.

Der amtierende Präsident des souveränen Staates Ukraine, der gerade völkerrechtswidrig vom Putin-Russland überfallen wurde, Wolodymyr Selenskyj, ist ukrainischer Jude und als Schauspieler und Regisseur sicher auch ein weiteres Glied in der Kette jüdischer Kulturschaffender in Osteuropa. Von einer Ent-Nazifizierung der Ukraine als Kriegsgrund zu sprechen, wie es Putin gerade tut, ist eine einzige monströse Lüge. Es geht ihm einzig und allein um die Wiederherstellung des Russischen Reiches.

Bob Dylans Kunst hat – auch wenn sie nach Form und Inhalt amerikanisch ist – sicher auch mit den familiären Wurzeln in der jüdischen Kulturmetropole Odessa zu tun. Dylan Poesie, sein Judentum, sein Menschenbild, seine gesellschaftliche Sichtweise ist in der westlichen Hemisphäre verortet, und doch führen die Spuren auch in die kulturelle Vielfalt des Odessas Anfang des 20. Jahrhunderts. Vor wenigen Jahren fand in Odessa sogar eine Kampagne statt, die an die Wurzeln des Literatur-Nobelpreisträgers in der Stadt erinnerte. Ehrlicherweise mit nicht übermäßig großer Aufmerksamkeit versehen. (Siehe: https://www.timesofisrael.com/poetry-and-revolution-searching-for-bob-dylan-in-ukraine/)

Die Juden waren sowohl im Zarenreich, als auch in der Sowjetunion immer Gefahren ausgesetzt. Daher sind sie immer wieder in den Westen geflohen und haben dort wichtige kulturelle Spuren hinterlassen. Auch wenn Putin die Juden gerne umarmt, um seine geostrategischen Ziele zu erreichen, sollte man sich nicht täuschen lassen. Putin träumt von einem erneuten russischen Großreich. Da steht zu befürchten, dass er jederzeit auch wieder die Karte des Antisemitismus ziehen kann.