Archive for Mai 2020

Ein Land implodiert

31. Mai 2020

Jahrhundertelanger struktureller Rassismus, Polizeigewalt gegen Schwarze und ein hemmungslos zündelnder Präsident zerstören die USA von innen

Nicht von dem was jetzt passiert ist grundsätzlich neu. Weiße Polizeigewalt nicht. Schwarze Aufstände in den Metropolen auch nicht. Denn Rassismus ist einer der Konstanten in den USA und der Aufbau des Wohlstands der Nation durch die Ausbeutung von aus Afrika verschleppten Sklaven eine der dunklen Geburtsfehler des Landes. Auch die Sklavenbefreiung in der Folge des US-Bürgerkrieges änderte daran nichts. Denn die wirtschaftliche und politische Macht der Schwarzen blieb weiterhin beschnitten. Die Eliten des Nordens gingen nach dem Bürgerkrieg recht pfleglich mit den Eliten des Südens um. Die Rassenfrage und die Klassenfrage blieben weiterhin ungelöst – bis heute.

Es ist die politische Lage, die neu ist und den jetzigen desparaten Protesten eine neue Qualität gibt. Waren bislang Aufstände als Folge von Polizeigewalt vor allem regional verortete Probleme, so sind nun 25 große US-Städte davon betroffen. Darunter New York, Los Angeles, Chicago, Dallas, Atlanta und Nashville.

Frust und Wut der Black Community
Die Enttäuschung und die Wut der Schwarzen sitzen tief. Ihre politischen Interessensvertretungen wurden von der Staatsmacht in die Schranken gewiesen. Man hatte Martin Luther King, der jahrelang vom FBI überwacht wurde, durch weiße Gewalt sterben sehen. Die „Black Panther“ wurden durch das FBI in einem jahrelangen Kleinkrieg aufgerieben. Die Chancen zu mehr Partizipation, mehr Bildungsgerechtigkeit und sozialem Aufstieg für Afroamerikaner sind seit 1980 stetig gesunken. Die Präsidentschaft Ronald Reagans ging einher mit einer Politik des drastischen Soziabbaus, deren Unterstützung durch die armen Weißen mit der rassistischen Denkfigur der „schwarzen Sozialschmarotzer“, die auf Kosten des Staates leben, erkauft wurde. Korrespondierend dazu wurde eine Ordnungspolitik der Härte durchgesetzt, die ebenfalls auf dem Rücken der Schwarzen ausgetragen wurde. Die rücksichtslose gesellschaftliche Spaltung begann mit Ronald Reagan, der die Politik von „New Deal“ und „Great Society“ zerstörte.

Es ist der historische Fehler der Demokraten, dem Roll Back von Reagan kein erneutes Roll Back entgegengesetzt zu haben. Im Gegenteil, man versuchte sich nicht mehr an Politik, sondern an technokratischem Demoskopismus. Man folgte dem Neoliberalismus, rührte Grundwidersprüche nicht an und versuchte mit PR-Angeboten entsprechende Wahl-Mehrheiten zu finden. Noch dazu trieb Bill Clinton die Privatisierung der US-Gefängnisse voran, um Staatsausgaben zu sparen. Nun waren Gefängnisse plötzlich Geschäftsmodelle, die rentabel waren. Und wieder waren die Schwarzen die Opfer: Es sind die armen Schwarzen, die ihre Mieten, ihre Strafzettel, ihre Schulden nicht bezahlen können und in die Knäste wandern. Und diese rechnen sich ja auch nur, wenn sie ausgelastet sind. Dies sind die Delikte, weswegen Schwarze überproportional zu ihrem Bevölkerungsanteil in den Gefängnissen sitzen und nicht wegen dem ihnen von den Weißen gerne zugewiesenen besonderen Hang zu Gewalt und Diebstahl und Drogen. Und weil Auslastung sich auch nur rentiert, wenn an Personal und Versorgung gespart wird, sind die Zustände in vielen Gefängnissen mittlerweile unfassbar schlecht und menschenunwürdig. Schon vor ein paar Jahren schrieb Adam Gopnik im Magazin „New Yorker“: „Das Interesse von Privatgefängnissen liegt nicht im offensichtlichen sozialen Wohl, sondern darin, so viele Menschen wie möglich so billig wie möglich einzusperren.“ („Das Geschäft mit dem Knast“, Frankfurter Rundschau, 2. September 2016)

Keine grundlegenden Änderungen durch Barack Obama
Auch Barack Obama, der erste schwarze Präsident der US-Geschichte, änderte am grundlegenden strukturellen Rassismus in den USA nicht viel. Afroamerikanische Kritiker werfen ihm vor, zu wenig gegen den Rassismus in Polizei und Justiz unternommen zu haben. Black Lives Matter entstand während seiner Amtszeit und streute immer wieder Salz in diese Wunde. Als fatal stellte sich zudem heraus, dass der latente Rassismus in Teilen der amerikanischen Mittel- und Unterschicht damit befeuert wurde, dass in der Folge der Finanzkrise unter seiner Präsidentschaft der amerikanische Traum des eigenen Häuschens zerplatzte. Obama hatte es zum einen nicht verstanden, dass grundsätzlich am Finanz- und Wirtschaftssystem etwas nicht stimmte – er ließ sich weiterhin von Wall Street-Leuten beraten, sein Finanzminister war für die Banker einer der ihren. Zum anderen sah er die daraus hervorgehende Gefahr für ihn und für die US-Gesellschaft nicht. So konnte sich ein von der Tea Party gefüttertes Narrativ durchsetzen: „Der schwarze Kerl im Weißen Haus ist schuld, dass wir unser Häuschen verlieren, dass wir nicht mehr jagen und fischen dürfen und das es die Homo-Ehe gibt“.

Das Land war also schon tief gespalten, als Hillary Clinton gegen Donald Trump verlor. Die demokratische Establishment-Blase und ihre Unterstützer von Wall Street und Silicon Valley und Teile der Medien hatte es nicht glauben wollen. Die Trump-Koalition aus den Kapitalfraktionen Öl, Stahl, Auto und Bergbau, aus Tea Party, Evangelikalen, weißer Mittelschicht und desparater Arbeiterschaft hatte keine Mehrheit bei den Wählerstimmen, wohl aber im Wahlmännergremium.
Und Donald Trump nutzte seine neue Macht, um das Land immer weiter zu spalten. Rassismus, Sexismus, Androhung von Gewalt und stetiger Hass sind präsidiale Machtinstrumente geworden. Vor diesem Hintergrund ist der latente Rassismus im US-Polizeikorps nochmal verstärkt worden, häufen sich erneut die gewaltsamen Übergriffe mit Todesfolge.

Trump als autoritärer Staatsführer
Diese Gemengelage mit der immer offensichtlicheren Ungleichheit der Corona-Folgen zuungunsten der Black Community aufgrund der strukturellen sozialen Ungleichheit, einem omnipräsenten Twitter-Präsidenten, und einer bundesweiten Vernetzung der afroamerikanischen Community, auch unter dem Label Black Lives Matter, verstärken die Proteste zu einer noch nie dagewesenen Lage. Es sind die immer schon bekannten Muster von friedlichen Protesten, die von einem kleinen Teil auch zu Gewalt und Plünderungen genutzt werden, die aber nun bundesweit und flächendeckend eskalieren. Hinzu kommt zudem, dass im Weißen Haus einer sitzt, der Benzin ins Feuer schüttet. Der statt Zusammenzuführen und zu Versöhnen, Gewalt androht und die demokratischen Stadtoberhäuptern – anstatt ihnen Unterstützung zu geben – mit Kritik, Häme und Anschuldigungen überzieht. So erodiert ein Staatsgebilde, es wird von innen zerstört. Trump versucht sich in der Rolle des omnipotenten autoritären Staatsführers. Dass er dabei im Widerspruch zu dem historisch gewachsenen starken Föderalismus in den USA steht, könnte derzeit die einzige Hoffnung in einem ansonsten apokalyptischen Szenario sein. Das Land bricht nicht nur auseinander, es implodiert vor unser aller Augen.

Als Bob Dylan zweimal im Apollo spielte

30. Mai 2020

Notizen zu Bob Dylan & Black America: Im Frühjahr 2004 kehrt Dylan zu seinen schwarzen Wurzeln zurück

Das Apollo Theatre im New Yorker Stadtteil Harlem ist quasi der Musiktempel für ausschließlich schwarze Musik – Blues, Jazz, Soul, Pop und Hip Hop – in den USA. Im Frühjahr 2004 aber trat Bob Dylan innerhalb nur weniger Wochen zweimal dort auf. Es spricht einiges dafür, dass der Künstler Bob Dylan sich wieder einmal über seine schwarzen Wurzeln vergewissern wollte. Denn immer wieder kehrt Dylan zu dem Referenzrahmen zurück, der ihn als Künstler, sein Werk und seine Wirkung erst möglich gemacht hat. Er hat das zur Jahrtausendwende mit Country- und Bluegrass-Songs in seinen Konzerten und in der Zusammenarbeit mit Ralph Stanley und Marty Stuart gemacht, und in den 2010er Jahren mit dem Great American Songbook mit drei Alben. 2004 tauchte er wieder einmal in die schwarze Musik ein.

Das Apollo: Ein Epizentrum afroamerikanischer Musik
2004 feierte das Apollo sein 70-jähriges Bestehen als Club für afroamerikanische Musik. Es bestand schon seit 1914, aber da Harlem als afroamerikanische Community seit Anfang der 1930er Jahre immer mehr Bedeutung bekam, öffnete sein Besitzer Sidney S. Cohen es für schwarzes Publikum. Und verpflichtete schwarze Künstler. Hier begannen die Karrieren von Billie Holiday und Ella Fitzgerald, hier spielten Louis Armstrong und Duke Ellington, später traten hier Soulstars wie Marvin Gay und Diana Ross auf. Und Sam Cooke, dessen Lied Dylan am 28. März 2004 im Apollo sang.

Cooke hatte sich als Soulsänger bereits mit Hits wie „Cupid“, „Twistin‘ the Night Away“ und „Wonderful World“ einen Namen gemacht, als er sich durch Dylans „Blowin In The Wind“ inspirieren ließ und „A Change Is Gonna Come“ schrieb. Er war erstaunt, dass ein Weißer ein Lied wie „Blowin‘ In The Wind“ schreiben konnte und beschämt, dass er es nicht selber geschrieben hatte. Denn er hatte in seinem Leben tiefgehende Erfahrungen mit dem Rassismus in den USA machen müssen. „A Change Is Gonna Come“ erschien zuerst auf seinem Album „Ain’t That Good News“ im Februar 1964 und dann als B-Seite der Single „Shake“ am 22. Dezember 1964. Doch da war er bereits Tod. Er starb unter Umständen, die bis heute kontrovers diskutiert werden. Die Motelmanagerin Bertha Franklin soll ihn in Notwehr erschossen haben, nachdem er sie bedroht habe, Teile der Black Community sehen das anders. Ganz geklärt werden konnte das bis heute nicht.

Dylan sings Cooke
„A Change Is Gonna Come“ wurde einer der Hymnen der Bürgerrechtsbewegung. Und so war es absolut passend, dass der Schauspieler und Bürgerrechtsaktivist Ossie Davis den Sänger Bob Dylan an jenem Abend im Apollo ansagte und das Publikum erinnerte, dass er ihn bereits mehr als vierzig Jahre vorher bei der Kundgebung des „March On Washington“ angesagt hatte. Dylans Auftritt gerät denkwürdig. Dylan stürzt sich mit heiserer rabenrauer Stimme in eine wunderschöne Version des Songs, begleitet von seiner Tourband. Dabei sieht er laut Greil Marcus aus wie ein „Kartenhai“ und das Mikro ist so tief, dass er beim Singen fast auf seinem Keyboard liegt. Aber dennoch: Ein majestätischer Auftritt, der Standing Ovations erntet. Und musikalisch vom Arrangement her ein Vorgriff auf seine spätere Great American Songbook-Phase.

Dylan meets Marsalis
Nur wenige Monate später, am 7. Juni, trat er abermals im Apollo auf. Ein Benefizkonzert für „Jazz at Lincoln Center“ und dem „House of Swing“, der weltweit ersten Konzerthalle für Jazz, die 2004 in New York eröffnet wurde. Doch war er beim Apollo-Jubiläum dahingehend noch auf gewohntem Terrain, dass er mit seiner routinierten Tourband sich einen Song von Sam Cooke aneignete, lieferte er sich nun mit seinen eigenen Songs einer fremden Band und einem kritischen Publikum aus. War er im März noch der weiße Junge, der früher die Songs für die Bürgerrechtsbewegung gesungen hatte, war er nun der „White Guy“, der sich ausgerechnet an diesem Ort in dem Genre versuchte, das allgemein aufgrund seiner starken afroamerikanischen Wurzeln als wichtigster Beitrag Black Americas zur amerikanischen Hochkultur angesehen wird. So ganz wohl schien er sich da in seiner Haut nicht zu fühlen. Dylan hat sich zwar immer schon auch für Jazz interessiert, aber nie hatte er sich bis dahin in diesem Genre versucht. Er hatte alle Genres der amerikanischen Populärmusik verinnerlicht, aber dieses hier, das stets die Schnittstelle zwischen Popkultur und Hochkultur bildete, war bislang nicht seine Ausdrucksform gewesen. Die Folktradition, die Tradition des Liedes, die war seine. Auch wenn ihm in jungen Jahren schon der Jazzer Thelonious Monk sagte: „Wir spielen alle Folkmusik“. Er fand einfach nicht hinein.

The Jazz Singer
Doch nun mit dem Wynton Marsalis Septett ging er volles Risiko. Der Einstieg mit „It Takes A Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry“ war noch einigermaßen im gewohnten Gleis, spielte das Septett doch einen langsamen Jazz-Blues. Da trafen sich der Folker und die Jazzer. Aber was dann folgte und leider nicht auf dem Albummitschnitt des Konzertes „United We Swing“ ist, war ein „Don’t Think Twice, It’s Alright“ ohne Netz und doppelten Boden. Das hatte so gut wie nichts mehr mit traditionellem Folk und Blues zu tun. Das Septett gab ihm eine urbane New York-Jazz-Melodielinie vor. Hier war Dylan, der Instinktsänger gefordert. Und wie er das – einschließlich der Mundharmonika als Echo der Septett-Musik – löste, ist große Klasse und die Beifallstürme waren gleichermaßen ehrlich und verdient. Dylan jazzte, croonte und swingte sich durch den Song. Für Dylan war der 7. Juni sicher ein einschneidendes Erlebnis. Auch das konnte er, wenn er wollte.

Die Auftritte im Apollo im Jahre 2004 waren für Dylan eine wichtige Bestätigung seiner schwarzen Wurzeln. Und die Musik mit der sich beschäftigte – Soul und Jazz – forderten Ihn als Sänger und Arrangeur heraus. Was er hier mitgenommen hat, kam ihm sicherlich bei seiner Arbeit am Great American Songbook in den 2010er Jahren zu Gute. Auch ein amerikanisches Gesamtkunstwerk ist nie zu Ende gefertigt, ist immer ein „Work in Progress“.

Hier kann man beide Songs mit dem Marsalis-Septett hören:
http://dylanesco.com/tags/wynton-marsalis/

Und hier der Auftritt zum Apollo-Jubiläum:

Songs aus der Corona-Isolation

30. Mai 2020

J.S. Ondara überrascht mit neuem Album

Für den Blogger war das nach der Albumankündigung von Bob Dylan der überraschendste und größte musikalische Moment während der Corona-Krise: J.S.Ondara hat kurzerhand auf allen digitalen Plattformen gestern aus dem Nichts heraus ein neues Album veröffentlicht. Die physische Veröffentlichung folgt Ende August, aber der historische Moment ist jetzt. „Folk n’ Roll Vol. 1: Tales Of Isolation“ ist in nur drei Tagen nach wochenlanger Isolation und Nichtstun entstanden. Es musste jetzt raus.

Ondara knüpft in Echtzeit da an, wo der Vorgänger „Tales Of America“ aufhört. Er sieht dem auseinanderbrechenden Amerika während der Corona-Krise zu und erzählt in „Pulled Out Of The Market“ von arbeitslosen Restaurantbedienungen und gefeuerten Arbeitern. Er erzählt in „Isolation Depression Syndrome (IDS)“ von seinen Ängsten, von seiner Isolation und Depression und er singt in „Ballad Of Nana Doline“ über die typisch amerikanische Lebensgeschichte einer älteren Frau bis zu ihrem Tod durch Corona.

Ondara, hat sich ja seinen amerikanischen Bob Dylan-Traum erfüllen können und siedelte vor ein paar Jahren von Kenia über nach Minneapolis. Weil er da Verwandte hat und weil Bob Dylan aus Minnesota kommt. Die jetzigen Unruhen und die Ermordung George Floyds in seiner neuen Heimatstadt, konnten noch nicht in die neue Musik einfließen. Aber die Geschehnisse gegen die ja auch in Louisville, Denver, Dallas, Los Angeles, New York und Washington demonstriert wird, sind ja ohnehin ein trauriges Kontinuum für die afroamerikanische Community. Polizeigewalt ist für Afroamerikaner eine das ganze Leben durchziehende reale Bedrohung.

Ondara, für den ich mir sehr gewünscht habe, dass er sein starkes Debütalbum bestätigt, hat sein Soll mehr als erfüllt. Er ist der derzeit schärfste Beobachter des amerikanischen Alptraums und er tut dies in einer Bildsprache, die klar und kräftig ist, er tut dies in Songs, die spannende Geschichten erzählen, mit Gesang und Melodien, die absolut mitreißend sind. Und das alles macht er mit einer großen Empathie für die Menschen.

Eigentlich wollte er ein ganz anderes Album herausbringen, eines mit voller Band, aber jetzt er sich aus der Not heraus ganz alleine in große Höhen geschwungen. J.S. Ondara wird man wirklich fest im Auge behalten müssen. Er ist zu gut, um stehen zu bleiben. Ganz wie sein großes Vorbild.

The Death of George Floyd

28. Mai 2020

Bild: Black Lives Matter

„They’re selling postcards of the hanging“ singt Bob Dylan in seinem Jahrhundertsong „Desolation Row“ und erinnert damit an die Lynchmorde an drei schwarzen Zirkusarbeitern in Duluth, Minnesota, im Juni 1920. Fast genau hundert Jahre später ist in Minnesota wieder ein farbiger Mensch – George Floyd – getötet worden. Getötet am 25. Mai 2020 von einem weißen Cop, der sechs Minuten lang mit seinem Knie auf dem Nacken Floyds diesen auf den Boden presste, sein Flehen nach Luft überhörte, und ihn kaltblütig sterben ließ. Drei weitere Cops schauten zu. Trotz protestierender Passanten wurde George Floyd auf offener Straße von dem Polizisten Derek Chauvin umgebracht.

„The Death Of Emmett Till“, „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“, Only A Pawn In Their Game“, „George Jackson“, „Hurricane“ – Bob Dylan hat einige der stärksten und wichtigsten amerikanischen Songs über Rassismus, Mord und Gewalt geschrieben. Sie sind heute aktueller denn je. George Floys musste sterben, weil er schwarz war und am falschen Ort zur falschen Zeit war und ein Weißer ihn umbrachte. Der 14-jährige Emmett Till musste sterben, weil er schwarz war und am falschen Ort zur falschen Zeit war und zwei Weiße ihn umbrachten. Ahmaud Arbery musste vor wenigen Wochen sterben, weil er schwarz war und zur falschen Zeit am falschen Ort war und zwei Weiße ihn umbrachten.

Das Grundprinzip bleibt immer dasselbe. Dylan hat es längst besungen und sagte vor wenigen Jahren in einem Interview sinngemäß dazu, die Songs wären unvermindert aktuell, man müsse nur die Namen austauschen. Dylan weiß genau, was in den USA vor sich geht, und er hat es bereits hinreichend beschrieben. Man sollte diese Songs täglich mehrmals in Heavy Rotation in den US-Radiostationen spielen.

„Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen“ hat William Faulkner einmal gesagt. Der Rassismus in den USA war nie weg, ist nie vergangen. Doch er wird immer stärker und unverhohlener, weil ein Mann im Weißen Haus offen rassistisch agiert und Leute wie den Cop aus Minneapolis das Gefühl geben, seine rassistische Gewalt wäre damit legitimiert. Derek Chauvin ist bereits vor dem Tod von George Floyd durch brutale Polizeigewalt aufgefallen.

Trump kündigt die gerechte Sühne für diesen Mord an. Doch das ist keine Einsicht und kein Eintreten für die schwarze Sache. Er will Ruhe im Wahlkampf und er will vor allem seine Omnipotenz beweisen. Gerechtigkeit für George Floyd wird es erst geben, wenn Amerika sich seinen offenen strukturellen Rassismus eingesteht, wenn Justiz und Polizei sich ihren Rassismus eingestehen.

Der Mord an George Floyd sorgt unterdessen für schwere Ausschreitungen in Minneapolis bei denen bereits mindestens ein Mensch ums Leben gekommen ist.

„Now’s The Time For Your Tears“ singt Bob Dylan am Ende von „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“. Erzürnt über die lächerlich milde Strafe für einen rassistischen Mord. Hoffen wir, dass in Minneapolis im Jahr 2020 ein klares Exempel gegen rassistische Polizeigewalt statuiert wird.

Bucky Baxter (1955 – 2020)

26. Mai 2020

Es war eine traurige Nachricht, die ich zuerst auf expectingrain.com las: Bucky Baxter, langjähriges Mitglied von Bob Dylans Tourband in den 1990ern, ist tot.

Er hat mich zum Fan der Pedal Steel gemacht. Dylan hat ihn gehört, als er in Steve Earls Band war, und ihn dann 1992 in seine Band „berufen“. Bucky hat mit seiner Pedal Steel den Sound Dylans in den 1990er Jahren entscheidend mitgeprägt. Bei großartigen Live-Konzerten – sei es in Woodstock oder in Aschaffenburg – und auf erfolgreichen Alben – „MTV Unplugged“ und „Time Out Of Mind“ hat er mitgespielt.

Bucky umgab immer – soweit man das von der Bühne oder aus Erzählungen einschätzen konnte – die Aura eines ruhigen, sympathischen Menschen und eines im besten Sinne sehr professionellen Musikers.

Mit Dylan hat er bis 1999 rund 750 Konzerte bestritten, hat später u.a. mit Ryan Adams und der Old Crow Medicine Show zusammengearbeitet.

Am 25. Mai ist er nach einem Schlaganfall gestorben. RIP, Bucky Baxter!

Ein amerikanisches Gesamtkunstwerk

24. Mai 2020

© Sony Music

Der legendäre Songpoet und Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan wird heute 79 Jahre alt und veröffentlicht im Juni das erste Album mit Originalsongs seit acht Jahren.

Mitten in der Corona-Krise veröffentlicht die unergründliche Sphinx des Pop plötzlich den ersten neuen Originalsong seit 2012. Bob Dylan schenkt der Welt „Murder Most Foul“ und ein paar Grüße, ganz der Situation angemessen:“ Greetings to my fans and followers with gratitude for all your support and loyalty across the years. This is an unreleased song we recorded a while back that you might find interesting. Stay safe, stay observant and may God be with you. Bob Dylan“.

Wortmeldungen während der Corona-Krise
Das epische Werk von gut siebzehn Minuten hat die Ermordung John F. Kennedys zum Thema, lässt uns spüren, welch Verlust für Amerika und die Welt das war, und wird im weiteren Verlauf zu einer Reminiszenz an die popkulturellen Mythen des amerikanischen Jahrhunderts, dessen Sohn Bob Dylan als amerikanischer Singer-Songwriter mit globaler Wirkung war und ist. Ohne Zweifel: Ein Great American Song!

Gut drei Wochen später erneut eine Veröffentlichung: „I Contain Multitudes“. Der amerikanische Künstler beruft sich auf den literarischen Urahn Walt Whitman, der in seinem „Song Of Myself 51″ schreibt: Do I contradict myself? Very well then I contradict myself, (I am large, I contain multitudes.).“ Dylan bekräftigt hier, er bestehe aus Vielfalt und aus Widersprüchen. Eben ganz wie sein Land.
Noch einmal drei Wochen später erscheint erst eine weitere Single, „False Prophet“ und dann wird sogar ein ganzes Album für den 19. Juni angekündigt: Rough And Rowdy Ways“.

Und schon nehmen die Spekulationen ihren Lauf. Sowohl das Cover der Single – ein Skelett mit Spritze in der Hand vor dem Schatten eines gehängten Mannes, in dem viele Donald Trump sehen wollen, als auch Verse wie „Hello stranger – Hello and goodbye, you rule the land but so do I, you lusty old mule – you got a poisoned brain, I’m gonna’ marry you to a ball and chain.“ lassen viele auf einen Kommentar zur aktuellen Situation in den USA und der Welt schließen, angesichts einer Corona-Pandemie und einem US-Präsidenten, der nur noch ein Deal-Maker ist, der Spaltung, Streit und Ausgrenzung forciert.

Doch Dylan wäre nicht Dylan, wenn es so eindeutig wäre. Dylan ist ein Meister, des Tricksens, des Haken-Schlagens und des falsche-Fährten-Legens. Denn vom Text her ist „False Prophet“ beste Dylan-Poesie. Mehrere Perspektiven und Deutungen sind möglich. Wer ist der Erzähler? Der Tod? Der Teufel? Dylan selbst? Der Weltgeist? Sicher ein bisschen von allem. Und wieder liegt ein Hauch von Apokalypse über dem Song. Aber: Keiner findet schönere Worte, um sie zu beschreiben oder sie zumindest anzudeuten.

Diebstahl aus Liebe
Dylan zieht Bilanz auf der Grundlage dessen, was heute passiert: Über Amerika, die Welt und sein eigenes Leben. Er tut dies musikalisch auf der Grundlage von „If Lovin‘ Is Believing“, einem alten Rythm & Blues-Songs von Billy „The Kid“ Emerson“ aus dem Jahre 1954, von dem er sich scheinbar musikalisch ein bisschen was ausgeborgt hat. Da ist es wieder- eines der Grundmotive seines Alterswerks – „Love & Theft“ hieß sein Album von 2001, „Diebstahl aus Liebe“ das künstlerische Prinzip dahinter. Der bedeutende Dylan-Kenner Heinrich Detering hat dieses Prinzip des „Diebstahls aus Liebe“ ja für die Texte des Spätwerks in „Die Stimmen aus der Unterwelt: Bob Dylans Mysterienspiele“ (2016) in einzigartiger Weise herausgearbeitet.

Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass der Albumtitel „Rough And Rowdy Years“ einem alten Jimmie Rodgers-Song entlehnt ist. Rodgers ist auch im Inneren des Doppel-Albums auf einem Bild mit der Carter Family zu sehen. Auf die Antwort zur Frage, ob der „Vater der Countrymusik“ oder die „First Family Of Country Music“ eine Inspiration für die Songs des Albums waren, wird man noch warten müssen. Während diese Zeilen geschrieben werden, sind von der Tracklist nur die drei bereits veröffentlichten Songs bekannt.

Das Plattencover wiederum zeigt eine Tanzszene, die an einen schwarzen Juke-Joint erinnert, und in Realiter 1964 in einem schwarzen Tanzlokal im Ost-Londoner Stadtviertel Whitechapel aufgenommen wurde. Das wäre also das schwarze Popkultur-Gegenstück zur eher weißen Countrymusik mit ihren Protagonisten Jimmie Rodgers und der Carter Family. Diese Trennung ist aber ohnehin eine künstliche und Bob Dylan hat in seiner ganzen Karriere daran gearbeitet, sie in seiner Person aufzuheben.

Vielstimmige Projektionsfläche
Dylan lässt in seinem Alterswerk viele Stimmen für sich sprechen. Denn Dylan – „die menschlichste aller Stimmen und der unstimmigste aller Menschen“ (Günter Amendt) – ist Medium und Resonanzboden für viele Stimmen, ist eine Projektionsfläche für viele Haltungen und Hoffnungen. Wie kaum ein anderer der modernen Singer-Songwriter-Zunft versteht er es, die Erzählperspektiven mitten im Song zu wechseln. Er nimmt in den Texten wie im künstlerischen Leben verschieden Rollen ein. Trägt verschiedene Masken. Spielt mit Musikgenres, ändert seine Singstimme wie es ihm gefällt. Dylan das Chamäleon.

Er geht schon seine ganze Karriere lang den universellen Fragen nach. Auf der Suche nach Antworten, auf der Suche nach Sinn. Wird Protestsänger, Folk-Rocker, Acid-Rocker, Country-Landlord, Big Band-Leader, wiedergeborener Christ und Gospelsänger, alternder, zielloser Rockstar, Southern Gentleman, Swing-Crooner, Fragender der letzten Fragen. Er komponiert sein Werk und die Kunstfigur Bob Dylan aus Homer, Ovid, Shakespeare, Bibel und aus ganz viel amerikanischer Populärkultur. In seiner legendären Radio Show hat er daraus den Patchwork-Quilt des idealtypischen Amerika geknüpft. Wohl wissend, dass die Wirklichkeit draußen eine andere war.

Dieses idealtypische Amerika, dieser Sehnsuchtsort, konnte aber nur aufrechterhalten werden, solange die Widersprüche Amerika nicht versucht wurden, destruktiv aufzulösen. Solange es zumindest an der Oberfläche ein Amerika gab. Seit Trump ist diese Selbsttäuschung endgültig beendet.

Überzeugter Amerikaner der Vielfalt und der Widersprüche
Bob Dylan weiß um die Dämonen seines Landes. Er weiß um den Rassismus: „Dieses Land ist einfach zu abgefuckt, was die Hautfarbe angeht… Leute gehen sich gegenseitig an die Kehle, nur weil sie verschiedene Hautfarben haben. Es ist der Gipfel des Wahnsinns und wirft jede Nation – oder Nachbarschaft – zurück“ (Rolling Stone, 2012). – Genauso wie er um Gewalt und Spaltung weiß. Er hatte Hoffnung für seine Nation mit John F.Kennedy, Martin Luther King und Robert Kennedy und er hat sie alle sterben sehen. Als jüdischer Junge hat er von seinem Vater die Geschichte des Lynchmords an drei jungen Schwarzen 1920 in Duluth Minnesota erzählt bekommen. Als junger, wissbegieriger Mann hat er sich eingehend mit Ursachen, Verlauf und Folgen des amerikanischen Bürgerkriegs beschäftigt. Er sang über die Morde an Emmeth Till, Hattie Caroll und Medgar Evers, er sang über den schwarzen Aktivisten George Jackson und über das Opfer der Rassenjustiz Rubin „Hurricane“ Carter.

Ob „The Ballad Of Hollis Brown“, sein Engagement für die amerikanischen Farmer, das zu Farm Aid führte oder „Workingman’s Blues #2“- Bob Dylan hat zudem einen feinen Seismograph für soziale Ungerechtigkeit. Er ist in der Iron Range unter hart arbeitenden Menschen groß geworden und in den 1940ern in die Jahre des New Deal hineingeboren worden.

Trotz seines Glaubens, den er auch nach der Abkehr von der Rolle des wiedergeborenen Christen nicht ablegte, folgte er nie der in den USA vieler Orts verbreiteten religiösen Überzeugung, dass die geschäftlich Erfolgreichen besonders hoch in der Gunst Gottes stehen und dass Armut der Ausdruck moralischen Versagens sei. Im Gegenteil: Mit „Gotta Serve Somebody“ las er den Besitzenden die Leviten und mit „Tempest“ beförderte er die oberen Zehntausend gleich mal mit der sinkenden Titanic auf den Meeresgrund.

Dylan ist wie viele andere Amerikaner ein gläubiger Mensch. Aber er ist im „Land der 1000 Kirchen“ schon lange an keine mehr gebunden. Er ist bis heute ein kritischer, unabhängiger Freigeist geblieben.

Falsche Propheten
Bob Dylan besitzt Empathie für die Menschen und ist ein überzeugter Amerikaner der Vielfalt und der Widersprüche. 2018 hat er sogar einen Song für ein Album mit Hochzeitsliedern für gleichgeschlechtliche Ehen eingespielt. Seine Tochter Desiree Gabrielle Dennis-Dylan ist gleichgeschlechtlich verheiratet.

Bob Dylan hat also entgegen aller Annahmen einen genauen Blick auf die Verhältnisse. Kein Wunder daher, wenn er – natürlich in der ihm eigenen Art – universell und nicht konkret- die Lage der Welt und der Nation negativ beschreibt. Bob Dylan distanziert sich in „False Prophet“ von den falschen Propheten, vom Verrat, vom Streit, vom Leben ohne Sinn: „I’m the enemy of treason – the enemy of strife, I’m the enemy of the unlived meaningless life, I ain’t no false prophet – I just know what I know, I go where only the lonely can go.“ Konkreteres darf man von ihm nicht erwarten.

Aber das reicht schon, denn der Referenzrahmen ist klar: Es sind die falschen Propheten und zwielichtigen Prediger, die stets für Amerika gefährlich waren und die Entsprechungen in der amerikanischen Populärkultur fanden: „Hier spricht John Doe“, „Das Gesicht in der Menge“, „Die Nacht des Jägers“ oder „Weißer Terror“ hießen die Filme dazu, Dylan ließ sie in Songs wie „Man Of Peace“, „Man In The Long Black Coat“ oder TV Talkin‘ Song“ auftreten. Und: „Even the president of the United States sometimes must have to stand naked“. Der Bezug zum Automanen und Dauerwahlkämpfer im Weißen Haus stellt sich da schnell von ganz alleine her.

Vertonung des Auseinanderbrechens
Doch allen falschen Propheten zum Trotz: Bob Dylan aber weiß um seine eigene Bedeutung und seine Zeitlosigkeit und bekräftigt seinen frühen Schwur „It Ain’t Me Babe“ indem er uns nun in „False Prophet“ zuruft: „Hello stranger – Hello and goodbye, you rule the land but so do I, you lusty old mule – you got a poisoned brain, I’m gonna’ marry you to a ball and chain…I ain’t no false prophet – I’m nobody’s bride, Can’t remember when I was born and I forgot when I died.“

Bob Dylan, der heute 79 Jahre alt wird, ist das letzte amerikanische Gesamtkunstwerk. Doch sein Amerika gibt es nicht mehr, er kann ihm beim auseinander brechen zusehen. Und vertont dieses Auseinanderbrechen auf seine ganz eigene Weise.

Freedom Singer

22. Mai 2020

1962/63: Bob Dylan und die Bürgerrechtsbewegung

Als Bob Dylan Anfang 1961 nach New York kam, da lernte er bald Suze Rotolo kennen. Sie war jünger als er, aber politischer, sie stammte aus einer Familie italienischer Kommunisten und war aktiv in der Bürgerrechtsorganisation „Congress of Racial Equality (CORE)“. Und sie war interessiert an Literatur und Theater. Dies und die linke Boheme des Greenwich – ähnliches hatte er bereits in Dinkytown in St. Paul, Minnesota, kennengelernt – festigten Dylans kritische Weltsicht. In Greenwich-Village gab es keine Rassendiskrimierung und die Folkies verehrten die schwarzen Bluesleute. Sein erster offizieller Auftritt war denn auch im Vorprogramm des legendären John Lee Hooker.

Dylan wird zum politischen Songwriter

Joan Baez und Bob Dylan beim „March On Washington 1963, Foto: Wikimedia Commons/National Archive/Newsmakers


Dylan spielte anfangs nur alte Folkstücke, sein erster eigener Song war der über sein Folk-Idol Woody Guthrie. Als er dann mit Suze im Januar 1962 in ein gemeinsames Apartment zog, wirkte sich dies direkt auf seinen künstlerischen Output aus. Denn jetzt zeigte sicher einige seiner wichtigsten Eigenschaften: Dylan ist unermüdlich darin, sich Wissen und Können anzueignen. Er saugt die Dinge wie ein Schwamm auf. Und er ist in der Lage sie so weiterzuverwenden, dass er ihnen seinen eigenen Stempel aufdrückt. Als sein Debütalbum „Bob Dylan“ mit Folkstandards im März 1962 erscheint und floppt, ist er eigentlich schon viel weiter. Dylan ist im Village bereits als aufstrebender Songwriter bekannt und ein begehrter Live-Künstler. Er nimmt in verschiedenen Sessions „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ von April 1962 bis April 1963 auf. Als das Album am 27. Mai 1963 erscheint, ist sein „Blowin In The Wind“ schon bekannt von seinen Live-Auftritten, wird aber zum Hit durch die Version von Peter, Paul und Mary. Doch „The Freewheelin“ bringt den Durchbruch für ihn, das Album kommt einer künstlerischen Explosion gleich. Das Album enthält 13 Songs, davon ein gutes halbes Dutzend absolute bis heute gültige Klassiker seines Oeuvres.

Songs gegen Rassismus und Antikommunismus
Dylan entwickelt in den Jahren 1962-64 im Songwriting eine beispiellose Schnelligkeit, Kunstfertigkeit und Präzision. Und er schreibt einige der wichtigsten amerikanischen Songs gegen Rassismus: „The Death Of Emmett Till, „Oxford Town“, „Only A Pawn In Their Game“ und „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“.

In „Oxford Town“ schildert er die Ereignisse rund um die Durchsetzung des Rechts von James Meredith, erster schwarzer Student an der Universität von Mississippi zu sein. Es kam zu schweren gewalttätigen Auseinandersetzungen und US-Marshalls mussten Meredith schützen. „Only A A Pawn In Their Game“ greift die Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Medgar Evers am 13. Juni 1963 auf.

Im März 1963 lernt er bei gemeinsamen Fernsehaufnahmen bei Westinghouse TV Mavis Staples kennen. Er kennt die Musik der Staple Singers da schon eine ganze Zeit lang und ist begeistert von Mavis‘ rauer Stimme. Im Juni nehmen die Staple Singers „Blowin In The Wind“ auf. Eine Premiere, denen viele Dylan-Cover der Staples folgen.

In dieser Zeit freundet sich Bob auch mit den „Freedom Singers“ von der Bürgerrechtsorganisation Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) an, schreibt Robert Shelton in seiner Dylan-Biographie. Das SNCC – gesprochen „SNICK“ – waren mit „CORE“ zusammen die Veranstalter der „Freedom Rides“. Die jungen singenden Aktivisten hatten für Dylan eine besondere Relevanz, da sie über sich selbst und über ihr Leben singen würden. Mit einer von ihnen, Bernice Johnson, hatte er ein paar Jahre intensiven Kontakt.

Bob hatte in diesen Tagen durch klare politische Ansagen für reichlich Wirbel gesorgt. Er schrieb den Song „Talking John Birch Society Blues“, ein Spottlied über die gleichnamige antikommunistische Gruppe und sollte am Vorabend des geplanten Album-Release (12. Mai 1963) im CBS-Fernsehsender in der Ed Sullivan-Show auftreten. Sein Vorhaben, den John Birch-Song dort zu spielen, stieß bei den CBS-Fernsehleuten auf Widerstand. Sie fürchteten ins Kreuzfeuer der rechten, einflussreichen Extremisten zu geraten. Doch Dylan lehnte es ab, einen anderen Song zu spielen und trat nicht in der Sendung auf. Dies führte zwar zu einem positiven Echo im fortschrittlichen Teil Amerikas, brachte aber die Plattenbosse bei Columbia Records dazu, die geplante Veröffentlichung von „The Freewheelin'“ zu verschieben. Da Dylan nach seinem Debüt-Flop keine starke Ausgangsposition für eine Auseinandersetzung hatte, musste er die Kröte schlucken, nutzte es aber auch gleichzeitig dafür, selbst noch verschiedene Wechsel auf der Tracklist vorzunehmen. So wurden Songs, die nicht mehr ganz seinem aktuellen Profil entsprachen, u.a. durch „Masters of War“ und „Girl from the North Country“ ersetzt. Eine sehr gute Entscheidung, die großen Einfluss auf die Qualität und den Erfolg des Albums hatte.

Copyright: Sony Music

Greenwood, Mississippi
In diesen Tagen war Pete Seeger einer seiner großen Mentoren. Seeger war der politische Folksänger in der Nachfolge Woody Guthries und mit Theodore Bikel zusammen Begründer des Newport Folkfestivals, dass nach zweijähriger Pause Ende Juli seine Fortsetzung erfahren sollte. Einen Auftritt Dylans beim Festival hatten die beiden Folk-Impresarios schon im Blick, als sie den nun bundesweit bekannten Dylan zu einer „Vote Registration Rally“ in Mississippi einluden. Mit einem Nachtflug vom 1. auf den 2. Juli 1963 machte sich der jüdische Nordstaatler zusammen mit Pete Seeger auf den Weg in den tiefen, von Rassenkämpfen zerrissenen Süden der USA. Und folgte damit auf seine Weise dem Beispiel der jungen Leute vom SNCC, die sich als „Freedom Rider“ für die Sache der Schwarzen ebenfalls auf den Weg vom Norden in den Süden machten. Und zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls Juden waren. Denn bis in die 1960er Jahre engagierten sich viele jüdische Amerikaner für und mit den Schwarzen in der Bürgerrechtsbewegung. Es war auch ihr Kampf, denn Rassisten sind immer auch Antisemiten. Erst mit dem Aufkommen der schwarzen „Nation Of Islam“ und den Black Panthers ab Ende der 1960er kam es wegen deren Anti-Zionismus zu Rissen im gesellschaftlichen Bündnis von Jewish und Black Community.

Dylan und Seeger kamen am 2. Juli 1963 in Greenwood, Mississippi an, und Bob traf dort neben Theodore Bikel, auch Bernice Johnson wieder. Ein paar Tage arbeiteten sie in Workshops zusammen: Die New Yorker Folkies, die College-Studenten aus den Nordstaaten und die armen schwarzen Farmer.
Am 6. Juli spielte Dylan dann auf Silas Magee’s Farm vor einem rund 300-köpfigem Publikum aus schwarzen und weißen Aktivisten, schwarzen Einheimischen, Journalisten und Fernsehleuten. Er trug einen neuen Song „Only A Pawn In Their Game“ vor und Bernice erzählte später Shelton: „‚Pawn‘ war das allererste Lied, das zeigte, dass die armen Weißen ebenso von Diskriminierung betroffen waren wie die armen Schwarzen. Die Greenwood-Leute wussten nicht, dass Pete, Theo und Bobby bekannt waren. Sie waren einfach froh, Unterstützung zu bekommen. Aber sie mögen Dylan dort unten im Baumwoll-Land wirklich.“

Newport Folk-Festival und „March On Washington“
Es kam wie es kommen musste. Suze Rotolo war weit weg in Italien, und Joan Baez, die „Queen Of Folk“, nahm immer mehr Platz in Bobbys Leben ein. Sie hatte ihn bereits 1961 kennengelernt, fand immer mehr Gefallen an dem „unwashed Phenomenon“, wie sie ihn später im Song „Diamonds And Rust“ nennen sollte. Bobby weckte bei vielen Frauen Beschützerinstinkte. Für ihn war Joan ein Glücksfall. Während Suze mit dem Folkstar-Leben fremdelte, war Joanie bereits seit 1959 beim Folk-Revival dabei und nun als Künstlerin an der Spitze der Bewegung. Auch sie war politische Aktivistin und war begeistert von Dylans Songs. Und es war es ihr vorbehalten, den sich bereits ankündigenden aufgehenden Stern die Bühne zu bereiten. Beim Newport Folk Festival 1963 (26. – 28. Juli) war sie die Queen und trug den aufstrebenden Singer-Songwriter ihrem Publikum an. In Workshops traten sie zusammen auf und Dylan hatte seinen Solo-Auftritt. Und plötzlich war er mit Joanie zusammen ganz vorne an der Spitze der Bewegung.

Doch nicht nur er erlebte seine Premiere in Newport, auch Mavis Staples und ihre Familie waren da. Es soll heftig geknistert haben zwischen den beiden. Bobby soll sogar um die Hand von Mavis angehalten haben, doch Mavis wollte nicht. Sie war jung und möglicherweise fürchtete sie auch die Tatsache, dass gemischtrassige Paare in den USA zu dieser Zeit noch vielen Anfeindungen ausgesetzt waren. In manchen Bundesstaaten waren gemischtrassige Beziehungen sogar gesetzlich verboten und wurden mit Gefängnis bestraft. Auch wenn Mavis ihm einen Korb gegeben hatte, haben sie ihre Freundschaft jedoch bis heute erhalten.

Bob sang in Newport seinen antirassistischen Songs „Only A Pawn In The Game“ und zusammen mit dem gesamten Line-Up die Bürgerrechts-Hymne „We Shall Overcome“. Bob Dylan und Joan Baez – das Traumpaar von Folk und Protest hatte sich öffentlich gefunden. Suze zog im August aus der gemeinsamen Wohnung aus, 1964 trennte sie sich endgültig von Bob. Joanie und Bobby aber gingen nach Newport 1963 zusammen auf eine Kurz-Tournee an der Ostküste, unterbrochen von den ersten drei Aufnahmesessions für Dylans neues Album „The Times They Are A-Changin“, das dann im Januar 1964 veröffentlicht wurde und den Höhepunkt seiner Protestsängerkarriere darstellt.

Am 28. August standen die beiden dann beim „March On Washington“ auf der Bühne, auf der Martin Luther King seine berühmte Rede „I Have A Dream“ halten sollte. Joan Baez spielte „Oh Freedom“ und sang mit der Menge zusammen „We Shall Overcome“. Dylan sang solo “When the Ship Comes In” und mit Baez zusammen “Only A Pawn In Their Game. Im Finale sangen sie dann “We Shall Overcome” mit Peter, Paul and Mary und Theodore Bikel.

Am 31. Oktober fand die letzte Aufnahmesession für das Album „The Times They Are A-Changin'“ statt. Knapp drei Wochen später, am 22. November wurde John F. Kennedy in Dalla ermordet. Dylan ging dessen Tod sehr nahe, nur widerwillig gab er am Folgetag ein Konzert. Drei Monate nach der Ermordung Kennedys reiste Dylan dann nach Dallas und hatte nach dem Besuch des Attentats-Schauplatz erhebliche Zweifel an den offiziellen Schilderungen zum Tathergang.

Für ihn war Lee Harvey Oswald nur ein Bauernopfer und bis heute – Murder Most Foul! – geht er von einem Komplott des militärisch-industriellen Komplexes aus. Dies und die immer größere Angst davor, von der jugendlichen Protestbewegung als politischer Führer angesehen zu werden, führt zu einer Entwicklung, die 1964 in sein Album „Another Side Of Bob Dylan“ mündete.

Tom Paine Award

Copyright: Sony Music

Dies muss mitbedacht werden, als Dylan am 13. Dezember 1963 bei der Verleihung des „Tom Paine Awards“ durch die „Emergency Civil Liberties Union’s (E.C.L.U.)“ im New Yorker Hotel Americana in angetrunkenem Zustand eine verunglückte Rede hielt. Irgendwas hatte da in ihm geschlummert, das jetzt durch den Alkohol raus kam. Er war auf Krawall gebürstet, hielt erst dem Publikum vor, dass es vorwiegend grau und weiß sei (das stimmte!), dann dass seine Freunde nicht feine Anzüge tragen müssten, um als respektable „Negroes“ angesehen zu werden (auch nicht so dumm!), brachte es aber unglücklicherweise in den Zusammenhang mit dem „March on Washington“. Schließlich leistete er sich den Fauxpas zu sagen, auch er fühle Dinge in sich, die er bei Lee Harvey Oswald (dem Kennedy-Attentäter) gesehen habe, aber er würde natürlich nicht so weit gehen und schießen. Waren die liberalen Zuhörer vorher noch unruhig, aber höflich, so erntete der gute Bobby nun heftige Buhrufe. Skandal!

Dylan versuchte danach mit einem Brief die Wogen zu glätten. Relativierte, beschwichtigte, verschlimmbesserte. Wie auch immer, der zentrale Punkt lautete:
I can not speak. I can not talk
I can only write an I can only sing
perhaps I should’ve sung a song
but that wouldn’t a been right either
for I was given an award not to sing
but rather on what I have sung

I thought something else was expected of me
other than just sayin “thank you”
an I did not know what it was
it is a fierce heavy feeling
thinkin something is expected of you
but you dont know what exactly it is…
it brings forth a wierd form of guilt

Dylan wollte kein Speaker für irgendetwas mehr sein. Er wollte er selbst sein, das machen, was er wollte, nicht mehr das, was andere erwarteten.

Bob Dylan hatte 1963 für sein Empfinden sein Maß an konkretem politischem Engagement übererfüllt. Seine Zeit als vermeintlicher politischer Anführer war nun bereits wieder vorbei. Bernice Johnson sagte später Robert Shelton dazu: „Ich hatte das Gefühl, dass er einige emotionale Geschichten durchmachte, und ich wollte da kein Urteil fällen. Einige Weiße haben sich unserer Bewegung angeschlossen, weil sie Schwarze irgendwie besonders mochten, und andere waren einfach voll von Schuldgefühlen. Dylan war da ganz anders. Als er sich von der Bewegung zurückzog, da waren es die Weißen bei SNICK, die ihm das übel genommen haben. Dieses Gerede von wegen „er verkauft sich“ haben wir nur von den Weißen gehört, nie von den Schwarzen.“

Das Jahr 1964 sollte eine andere Seite Dylans zeigen und ein Jahr des Übergangs sein. Während im Januar 1964 „The Times They Are A-Changin'“ veröffentlicht wird, ist Bob Dylan wieder mal schon einen Schritt weiter.

Bob Dylan beim „March On Washington“:

Yannick Monot – Botschafter der Cajunmusik

17. Mai 2020

„Americana“ hat auch französische Wurzeln: Auf seinem neuen Album „Fais á ton idée“ führt der weitgereiste Musiker Klänge aus Louisiana und der Bretagne zusammen

Einer der größten Hits der Country-Ikone Hank Williams ist der Song „Jambalaya“. Er machte im Grunde die Cajunmusik weltbekannt. Der Song basiert auf dem französischsprachigen Cajun-Song „Gran’ Texas“ von Fiddler Chuck Guillory & The Rhythm Boys aus dem Jahr 1948. Im Jahr1952 nahm Williams seine Version mit neuem Text voller Cajun-Gerichte und französischen Worten mit seiner Band „The Drifting Cowboys“ auf. Jambalaya ist bis heute von unzähligen Künstlern gecovert worden.

Die Cajuns: Vom Nordwesten Frankreichs nach Kanada nach Louisiana
Die Cajuns sind die Nachfahren der Franko-Kanadier aus der ostkanadischen Provinz Acadie, die 1755 von den Briten nach deren Sieg im Britisch-Französischen Krieg vertrieben wurden. Diese Franko-Kanadier wiederum waren Nachkommen von Einwanderern aus dem Nordwesten Frankreichs, insbesondere aus der Bretagne.

Ebenfalls aus der Bretagne stammt Yannick Monot. Am Mississipi Delta Louisianas und in Kanada hörte er Anfang der 70er zum ersten Mal die Cajun & Zydeco Music seiner Vorfahren. Damals noch in Stockholm lebend, veröffentlichte er bei CBS seine erste Cajun-Platte mit dem legendären schwedischen Roots Music-Pionier Jack Downing aus den USA. Der französische Gesangs-Star Jo Dassin war davon so begeistert, dass er einen der Titel selbst interpretierte und damit Yannick Monot und Jack Downing in die französischen Charts katapultierte. Der erste große Erfolg für den jungen französischen Musiker. Doch bald darauf verließ Yannick Monot Schweden und gründete – in Deutschland – seine erste Cajun-Band.

„Fais á ton idée“
Seit dieser Zeit lebt Monot in Deutschland und ist über die Jahre so etwas wie ein Botschafter der Cajun & Zydeco Music hierzulande geworden. Er spielt Solo und in verschiedenen Duo- und Bandprojekten. Nun hat er mit „Fais á ton idée“ ein neues Album veröffentlicht. Es ist eine unterhaltsame, abwechslungsreiche Reise zur Cajun Musik und ihrer bretonischen und keltischen Wurzeln. Der Longplayer enthält aber auch Einsprengsel anderer Musikgenres. In seinen Liner Notes zum Album schreibt Yannick Monot: „Der Titel bezieht sich auf einen Ausdruck im typischen Louisiana-Französisch: Mach, wie es Du es für richtig hältst!“

Los geht es mit „Le Petite De Bayou Gris“, einem flotten, feinen, kleinen Liebeslied im Cajun-Style mit der franko-amerikanischen Version der alten Lebensweisheit „Warum denn in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah“. Es folgt eine hübsche verträumte Flötenweise, gespielt von Mitmusikerin Christiane Meffert mit dem Sehnsuchtstitel „Marinas Jungle Garden“. Dass Yannick Monot auch die melancholischen Töne beherrscht, zeigt dann das „Chanson Du Marianne“, das von einer jahrelangen wechselvollen Liebe handelt.

Der Dreierpack gibt dann auch die Richtung für dieses Album vor. Stimmungs- und Tempowechsel und eine vielfältige Instrumentierung der Songs macht die Stärke des Albums aus. Und Monot beweist wieder einmal was für ein großartiger Musiker und Musikant er ist. Eben noch singt er das traurige Cajun-Lied „Hier Encore“ von einem verlassenen Mann, dann spielt er schon wieder mit „GrisGris“ zum Tanz auf mit einer Musik die irgendwo an der Schnittstelle zwischen afrikanischem Soukous und kreolischem Zydeco liegt. Und schlägt danach die melancholischen Töne von „Le dernier des bigoudens“, einem Lied für seinen Vater, an. Musik verbindet die Menschen und die Welt – auch das ist eine wichtige Botschaft dieses Albums.

Ein lebenskluges Album
Dass Yannick Monot eine unumstrittene Elder Statesman-Rolle in der deutschen Musikszene hat, zeigt sich auch darin, welche tollen Mitmusikanten er für dieses Album gewinnen konnte. Der Multi-Instrumentalist Jens Kommnick ist auf zwei Stücken dabei, für andere Songs spielen Helmut Graebe an der Orgel, Edzard Model die Geige und Yannicks langjähriger Partner beim „International Cajun Trio“, Biber Herrmann, die Gitarre.

Und so ist dieses Album genau das richtige für diese Zeiten. Es ist wie das Leben – traurig, froh, ausgelassen – und es feiert das Leben und die Musik, die die Menschen verbindet. Ein lebenskluges, wunderschönes Album von Yannick Monot!

Zu beziehen ist das Album über http://www.yannick-monot.de und info@yannick-monot.de .

Dylan und die Old Time Connection

15. Mai 2020

Bildrechte: BACM

So geht die Dylanologie: Von einem Albumtitel kommt man auf zig Querverweise und dann wieder zu Dylan zurück: Dylan, Cox, Darby & Tarlton.

Ich kann mich nur wiederholen. Die Aussicht auf das neue Album elektrisiert mich und es gibt bereits jetzt so unheimlich viel zu forschen, zu deuten, zu denken und vor allem Querverweise zu finden, dass es eine wahre Freude ist. Und es lässt sich einiges finden und unter dylanologischen Gesichtspunkten gibt es da immer wieder schöne Entdeckungen.

Dixie Songbird
Zum Beispiel diese hier. Kommen wir nochmals auf den Albumtitel „Rough And Rowdy Ways“ zurück. Der fußt ja bekanntermaßen auf dem Jimmie Rodgers-Song „My Rough And Rowdy Ways“ von 1929. Als ich dann auf expectingrain.com eine Version des Songs von Doc Watson fand, machte ich mich auf die Suche nach weiteren Interpreten des Songs. Neben späteren Countrymusikern, die sich auf Jimmie Rodgers beriefen wie Lefty Frizzell oder Merle Haggard, fiel mir ein Zeitgenosse von Rodgers auf: Bill Cox. Und da fiel mir wieder ein, den kannte ich von meinen „Musik & Politik“-Seminaren. Dieser Bill Cox, der „Dixie Songbird“, hatte zusammen mit seinem Partner Cliff Hobbs 1936 eine wunderbare Old Time Hymne auf die Wiederwahl von Franklin D. Roosevelt gesungen: „Franklin Roosevelt’s Back Again“. Er war so etwas wie ein musikalischer Botschafter des New Deal und schrieb u.a. zwei weitere Topical-Songs dazu: „The Democratic Donkey {Is In His Stall Again}“ und den „NRA-Blues“. Die „National Recovery Administration“ war eine Roosevelt geschaffene Wirtschaftsbehörde.

Ich beschäftigte mich also nochmal ausgiebig mit Bill Cox und stellte fest, dass er tatsächlich am Anfang seiner Plattenkarriere Jimmie Rodgers-Songs coverte. Seine Version von „My Rough And Rowdy Ways“ hat sogar einer CD-Sammlung von obskuren alten Country-Songs und einer weiteren Bill Cox-Kompilation als Titel gedient. Und es gibt einen Dylan-Link. In der Folge 10 in der 3. Staffel seiner „Theme Time Radio Hour“ – Titel „Famous People“ spielte Dylan den Bill Cox-Song „Fate of Will Rogers & Wiley Post“, der vom tödlichen Flugzeugabsturz des Schauspielers Will Rogers und dem Flugpionier Wiley Post handelt. Von Rogers „lieh“ sich sich übrigen Roy Rogers, der „Singing Cowboy“ seinen Künstlernamen.

Mexican Rag

Bildrechte: JSP Records


Und dann ging von Jimmie Rodgers und Bill Cox über Bücher und Kompilationen, in denen sie zusammen Erwähnung finden, ein „Link“ ab zu „Darby & Tarlton“ einem seinerzeit berühmten und vor allem stilbildenden Old Time Duo – sicher war ihr Einfluss ein Grund, warum sich Bill Cox mit Cliff Hobbs 1936 zusammentat. Und dann fand ich den „Link“ von „Darby & Tarlton“ zu Dylan. Dessen „Nashville Skyline Rag“ von 1969 lehnt sich an Darby & Tarltons „Mexican Rag“ von 1928 an. Und noch mehr: In seinen Chronicles erzählt Dylan über seine Zeit in Dinkytown, als er an der University of Minneapolis eingeschrieben war: „Ich habe jedoch Tom Darby und Jimmy Tarlton im Haus eines Vaters vor irgendwem gehört, der eine alte Platte von ihnen besessen hatte. Ich dachte immer, dass „A-wop-bop-a-loo-lop a-lop-bam-boo“ alles gesagt hatte, bis ich hörte, wie Darby und Tarlton „Way Down in Florida on a Hog“ machten. Auch Darby und Tarlton waren nicht von dieser Welt.“ Der gerade verstorbene Little Richard hatte Dylan in seiner Jugend zum Rock’n’Roll gebracht, später entdeckte er den Rock’n’Roll in der Old Time Musik.

Love And Theft
Unglaublich wie tief das Wissen Bob Dylans um die amerikanische Populärmusik in all seinen Verästelungen ist. Seit über 60 Jahren befasst er sich mit ihr. Da ist es kein Wunder, wenn man nun herausbekommt, dass Dylan bei „False Prophet“ von Billy „The Kid“ Emersons Song “If Lovin‘ Is Believing“ von 1954 sich die Melodie geborgt hat. Der Mann ist immer quecksilbrig, weiß wie in der Musik Dinge verbunden sind und wo man etwas finden kann. Und immer wieder „Love And Theft“ – Liebe aus Diebstahl.

Und deshalb sollte man sich nicht wundern, was da noch alles in den nächsten Wochen rund um Wurzeln, Bezüge und Quellen der Songs des neuen Dylan-Songs zu entdecken ist. Festwochen für Dylanologen!

Bob Dylan visits Jimmie Rodgers & The Carter Family

10. Mai 2020

„Rough And Rowdy Ways“ ist auch eine Hommage an die frühen Ikonen der Countrymusik

Bob Dylan – Rough And Rowdy Ways. Bildrechte: Columbia, Sony Music

Bob Dylan neues Album heißt „Rough And Rowdy Ways“. Im Inneren der Doppel-CD befindet sich ein Bild von Jimmie Rogers mit der Carter Family. Sie waren die ersten Stars der Countrymusik. Was hat dies miteinander zu tun hat und was bedeutet das? Nun, „My Rough & Rowdy Ways“ ist der Titel eines alten Jimmie Rodgers-Song. Dies und das Bild deuten möglicherweise auf eine besondere Inspiration Dylans für dieses Album hin, die von den Musiklegenden ausgegangen sein könnte. Dylans Karriere weist ohnehin viele Bezüge zur Musik dieser Künstler aus. Gehen wir dem doch mal ein bisschen genauer auf den Grund.

Der „Big Bang“ der Country Music
Es war der „Big Bang of County Music“ wie sich Johnny Cash auszudrücken pflegte. Als 1927 während der Auditions in Bristol, Tennessee/Virginia, die Sterne von Jimmie Rodgers und der Carter Family aufgingen. Mit ihnen fing die Countrymusik an. Der eine, Jimmie Rodgers aus Meridian, Mississippi, mischte Hillbillymusik mit schwarzem Blues und Jazz, sowie urbanem Schlager zu einer ganz wilden einzigartigen Mischung, die anderen, „The Carter Family“ aus dem Poor Valley in Virginia, sangen wie sonst niemand die alten Folk-Balladen der Appalachen und machten sie zu Hits. Während Rodgers viele ikonische Bilder des alten, gefährlichen Amerika in die Countrymusik einbrachte – „T For Texas“, „Waiting For A Train“, „In The Jailhouse Now“, konservierten die Carters die Atmosphäre des ländlichen Südens – Tradition, Armut, Arbeit, Glauben, Liebe, Hoffnung – auf Tonträgern. Beide Acts konnten durch die massenhafte Reproduktion von Tonträgern und Abspielgeräten sowie der Verbreitung der Songs im immer stärker aufkommenden Radio Ende der 1920er/Anfang der 1930er zu den ersten Popstars der Countrymusik werden.

50 Jahre später waren sie aber immer noch ursprünglich genug, Vorbilder für die jungen Folkies der frühen 1960er Jahre werden, die für die kommerzielle Nashville-Countrymusik dieser Jahre wenig übrig hatten. Auch der junge Bob Dylan hatte die frühen Countryhelden für sich entdeckt und Songs wie „Bury Me Beneath The Willow“ der Carter Family gespielt, das er über Woody Guthries Version kennengelernt haben sollte. Er nutzte die Melodie ihres „The Wayworn Traveler“ für seinen Song „Paths of Victory“ und hatte im Laufe seiner Karriere immer Songs der Carter Family wie „Little Moses“ oder „Girl From The Greenbriar-Show“ im Programm. Auch bei den Basement Tapes-Sessions waren die Songs der Carter Family, wie „Wildwood Flower“, stets präsent.

Vorbilder für die jungen Folkies
Jimmie Rodgers war für Dylan aufgrund seiner Hobo-Songs besonders interessant. Seine Songs kamen denen der „Anthology of American Folk Music“, die Harry Smith zusammengestellt hatte, recht nahe. Diese Zusammenstellung, die zwar keinen Rodgers-Song, dafür aber vier Nummern der Carter Family enthält, war auch für Dylan das reine Eldorado.

Sicher hat auch die Freundschaft zu Johnny Cash, der ja Mitte der 1960er quasi in die Carter Family eingeheiratet hatte, als er den Ehebund mit June Carter schloss, ihren Anteil an der Inspiration durch die Säulenheiligen der Countrymusik. Bei den erst im letzten Jahr offiziell veröffentlichten Dylan/Cash-Sessions von 1969 haben die beiden u.a. auch ein Jimmie Rodgers Medley eingespielt. Und bei den Sessions mit Earl Scruggs 1970 wurde mit dem „East Virginia Blues“ auch ein Song von A.P.Carter gespielt.

Bildrechte: Sony Music

Als Dylan sich Anfang der 1990er in einer Schaffenskrise befand, da half ihm explizit die Rückbesinnung auf die alten Folksongs. „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ sind die Dokumente. Mit zu dieser Rückbesinnung gehörten auch 1992 die Aufnahme-Sessions mit David Bromberg, bei denen der alte Jimmie Rodgers-Titel „Miss The Mississippi And You“ eingespielt wurde, das erst 2008 auf „Tell Tale Signs. The Bootleg Series Vol. 8“ veröffentlicht wurde.

Bob Dylan zollt Tribut
1997 erscheint auf Bob Dylans eigenem Label Egyptian Records das Tribute-Album „The Songs Of Jimmie Rodgers. A Tribute“ für das Dylan viele prominente Kolleginnen und Kollegen dazu gewinnen konnte, Songs des „Singin‘ Brakeman“ neu zu interpretieren. Darunter Van Morrison, Willie Nelson, Steve Earle, Mary Chapin Carpenter, Alison Krauss und Iris Dement. Dylan selber steuert „My Blue Eyed Jane“ bei. In den Liner Notes schreibt er: „Jimmie Rodgers ist natürlich eines der Leitsterne des 20. Jahrhunderts, dessen Umgang mit Liedern immer eine Inspiration für diejenigen von uns war, die dem Weg gefolgt sind. Ein lodernder Stern, dessen Klang die rohe Essenz der Individualität in einem Meer der Konformität war und bleibt, par excellence ohne Vergleich.“

2003 dann ein besonderes Kabinettstückchen. Er nimmt mit Mavis Staples für das Album „Gotta Serve Somebody – The Gospel Songs of Bob Dylan“ ein Duett von „Gonna Change My Way Of Thinking“ auf, das in eine kleine Rahmenhandlung eingebettet ist, die der berühmten Aufnahme „Jimmie Rodgers visits The Carter Familie“ nachempfunden ist.

Und 2012 schließlich bedient er sich für seinen Song „Tempest“ beim Motiv und bei der Melodie der Carter Family-Ballade „The Titanic“. Wieder einmal „Love And Theft“. Doch während der Song der Carter Family voller Empathie gerade für die ärmeren Schiffsreisenden der unteren Stände war, rechnet Dylan gnadenlos mit den vermögenden und hochgestellten Teilnehmern der Dampferfahrt ab, deren Geld, Macht und Waffen sie nicht vor dem Untergang des Schiffes retten kann.

Nun also rund um das neue Album zwei neue Fundstellen des besonderen Verhältnisses zu den musikalischen Urahnen. Wir dürfen gespannt sein, ob da noch mehr kommt.