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Ein Land implodiert

31. Mai 2020

Jahrhundertelanger struktureller Rassismus, Polizeigewalt gegen Schwarze und ein hemmungslos zündelnder Präsident zerstören die USA von innen

Nicht von dem was jetzt passiert ist grundsätzlich neu. Weiße Polizeigewalt nicht. Schwarze Aufstände in den Metropolen auch nicht. Denn Rassismus ist einer der Konstanten in den USA und der Aufbau des Wohlstands der Nation durch die Ausbeutung von aus Afrika verschleppten Sklaven eine der dunklen Geburtsfehler des Landes. Auch die Sklavenbefreiung in der Folge des US-Bürgerkrieges änderte daran nichts. Denn die wirtschaftliche und politische Macht der Schwarzen blieb weiterhin beschnitten. Die Eliten des Nordens gingen nach dem Bürgerkrieg recht pfleglich mit den Eliten des Südens um. Die Rassenfrage und die Klassenfrage blieben weiterhin ungelöst – bis heute.

Es ist die politische Lage, die neu ist und den jetzigen desparaten Protesten eine neue Qualität gibt. Waren bislang Aufstände als Folge von Polizeigewalt vor allem regional verortete Probleme, so sind nun 25 große US-Städte davon betroffen. Darunter New York, Los Angeles, Chicago, Dallas, Atlanta und Nashville.

Frust und Wut der Black Community
Die Enttäuschung und die Wut der Schwarzen sitzen tief. Ihre politischen Interessensvertretungen wurden von der Staatsmacht in die Schranken gewiesen. Man hatte Martin Luther King, der jahrelang vom FBI überwacht wurde, durch weiße Gewalt sterben sehen. Die „Black Panther“ wurden durch das FBI in einem jahrelangen Kleinkrieg aufgerieben. Die Chancen zu mehr Partizipation, mehr Bildungsgerechtigkeit und sozialem Aufstieg für Afroamerikaner sind seit 1980 stetig gesunken. Die Präsidentschaft Ronald Reagans ging einher mit einer Politik des drastischen Soziabbaus, deren Unterstützung durch die armen Weißen mit der rassistischen Denkfigur der „schwarzen Sozialschmarotzer“, die auf Kosten des Staates leben, erkauft wurde. Korrespondierend dazu wurde eine Ordnungspolitik der Härte durchgesetzt, die ebenfalls auf dem Rücken der Schwarzen ausgetragen wurde. Die rücksichtslose gesellschaftliche Spaltung begann mit Ronald Reagan, der die Politik von „New Deal“ und „Great Society“ zerstörte.

Es ist der historische Fehler der Demokraten, dem Roll Back von Reagan kein erneutes Roll Back entgegengesetzt zu haben. Im Gegenteil, man versuchte sich nicht mehr an Politik, sondern an technokratischem Demoskopismus. Man folgte dem Neoliberalismus, rührte Grundwidersprüche nicht an und versuchte mit PR-Angeboten entsprechende Wahl-Mehrheiten zu finden. Noch dazu trieb Bill Clinton die Privatisierung der US-Gefängnisse voran, um Staatsausgaben zu sparen. Nun waren Gefängnisse plötzlich Geschäftsmodelle, die rentabel waren. Und wieder waren die Schwarzen die Opfer: Es sind die armen Schwarzen, die ihre Mieten, ihre Strafzettel, ihre Schulden nicht bezahlen können und in die Knäste wandern. Und diese rechnen sich ja auch nur, wenn sie ausgelastet sind. Dies sind die Delikte, weswegen Schwarze überproportional zu ihrem Bevölkerungsanteil in den Gefängnissen sitzen und nicht wegen dem ihnen von den Weißen gerne zugewiesenen besonderen Hang zu Gewalt und Diebstahl und Drogen. Und weil Auslastung sich auch nur rentiert, wenn an Personal und Versorgung gespart wird, sind die Zustände in vielen Gefängnissen mittlerweile unfassbar schlecht und menschenunwürdig. Schon vor ein paar Jahren schrieb Adam Gopnik im Magazin „New Yorker“: „Das Interesse von Privatgefängnissen liegt nicht im offensichtlichen sozialen Wohl, sondern darin, so viele Menschen wie möglich so billig wie möglich einzusperren.“ („Das Geschäft mit dem Knast“, Frankfurter Rundschau, 2. September 2016)

Keine grundlegenden Änderungen durch Barack Obama
Auch Barack Obama, der erste schwarze Präsident der US-Geschichte, änderte am grundlegenden strukturellen Rassismus in den USA nicht viel. Afroamerikanische Kritiker werfen ihm vor, zu wenig gegen den Rassismus in Polizei und Justiz unternommen zu haben. Black Lives Matter entstand während seiner Amtszeit und streute immer wieder Salz in diese Wunde. Als fatal stellte sich zudem heraus, dass der latente Rassismus in Teilen der amerikanischen Mittel- und Unterschicht damit befeuert wurde, dass in der Folge der Finanzkrise unter seiner Präsidentschaft der amerikanische Traum des eigenen Häuschens zerplatzte. Obama hatte es zum einen nicht verstanden, dass grundsätzlich am Finanz- und Wirtschaftssystem etwas nicht stimmte – er ließ sich weiterhin von Wall Street-Leuten beraten, sein Finanzminister war für die Banker einer der ihren. Zum anderen sah er die daraus hervorgehende Gefahr für ihn und für die US-Gesellschaft nicht. So konnte sich ein von der Tea Party gefüttertes Narrativ durchsetzen: „Der schwarze Kerl im Weißen Haus ist schuld, dass wir unser Häuschen verlieren, dass wir nicht mehr jagen und fischen dürfen und das es die Homo-Ehe gibt“.

Das Land war also schon tief gespalten, als Hillary Clinton gegen Donald Trump verlor. Die demokratische Establishment-Blase und ihre Unterstützer von Wall Street und Silicon Valley und Teile der Medien hatte es nicht glauben wollen. Die Trump-Koalition aus den Kapitalfraktionen Öl, Stahl, Auto und Bergbau, aus Tea Party, Evangelikalen, weißer Mittelschicht und desparater Arbeiterschaft hatte keine Mehrheit bei den Wählerstimmen, wohl aber im Wahlmännergremium.
Und Donald Trump nutzte seine neue Macht, um das Land immer weiter zu spalten. Rassismus, Sexismus, Androhung von Gewalt und stetiger Hass sind präsidiale Machtinstrumente geworden. Vor diesem Hintergrund ist der latente Rassismus im US-Polizeikorps nochmal verstärkt worden, häufen sich erneut die gewaltsamen Übergriffe mit Todesfolge.

Trump als autoritärer Staatsführer
Diese Gemengelage mit der immer offensichtlicheren Ungleichheit der Corona-Folgen zuungunsten der Black Community aufgrund der strukturellen sozialen Ungleichheit, einem omnipräsenten Twitter-Präsidenten, und einer bundesweiten Vernetzung der afroamerikanischen Community, auch unter dem Label Black Lives Matter, verstärken die Proteste zu einer noch nie dagewesenen Lage. Es sind die immer schon bekannten Muster von friedlichen Protesten, die von einem kleinen Teil auch zu Gewalt und Plünderungen genutzt werden, die aber nun bundesweit und flächendeckend eskalieren. Hinzu kommt zudem, dass im Weißen Haus einer sitzt, der Benzin ins Feuer schüttet. Der statt Zusammenzuführen und zu Versöhnen, Gewalt androht und die demokratischen Stadtoberhäuptern – anstatt ihnen Unterstützung zu geben – mit Kritik, Häme und Anschuldigungen überzieht. So erodiert ein Staatsgebilde, es wird von innen zerstört. Trump versucht sich in der Rolle des omnipotenten autoritären Staatsführers. Dass er dabei im Widerspruch zu dem historisch gewachsenen starken Föderalismus in den USA steht, könnte derzeit die einzige Hoffnung in einem ansonsten apokalyptischen Szenario sein. Das Land bricht nicht nur auseinander, es implodiert vor unser aller Augen.