Robert Zimmerman und Bob Dylan zwischen jüdischer Herkunft und afroamerikanischer Kultur. Notizen zu den Ausgangsbedingungen der Kunstfigur Bob Dylan.
Bob Dylans amerikanisch-bürgerlicher Name ist Robert Zimmerman, sein jüdischer Name lautet Shabtai Zisl ben Avraham. Aufgewachsen in einer jüdischen Familie, deren Vorfahren vor den antisemitischen Pogromen aus dem zaristischen Russland geflohen sind. Sozialisiert in der jüdischen Diaspora, im mehrheitlich katholischen Bergarbeiterstädtchen Hibbing in der Iron Range in Minnesota und deren kleinen jüdischen Gemeinde. Inklusive Sommerferien im zionistischen Jugendcamp.
Jüdisches Engagement in der Bürgerrechtsbewegung
Sein Vater Abe hatte 1920 als Jugendlicher mitansehen müssen, wie in der Hafenstadt Duluth drei schwarze Zirkusarbeiter gelyncht wurden. Ein Vorgang sinnbildlich für die Lebensrealität von Juden in den USA. Entflohen vor den Verfolgungen in Europa, mussten sie in der neuen Welt feststellen, dass Rassismus und Antisemitismus und seine Stereotypen, Vorurteile und Verschwörungstheorien auch hier fröhliche Urstände feierten. Denn Rassismus und Antisemitismus waren auch in den USA weit verbreitet und seine Träger waren in der Zwischenkriegszeit nicht nur der Ku-Klux-Klan, sondern auch solche amerikanische „Helden“ wie Auto-Mogul Henry Ford, Flieger-As Charles Lindbergh oder der katholische Radioprediger Charles Coughlin.
So lag es in der Natur der Sache, dass Juden sich oftmals für die Rechte der Afroamerikaner einsetzten, auch um den gegen sie gerichteten Rassismus zu bekämpfen. So wurde eine der wichtigsten Bürgerrechtsorganisationen, die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) von Juden mitbegründet und kooperierte in den 1950er Jahren mit der jüdischen Anti-Defamation League (ADL).
Diese Erfahrungen haben sicher auch ihren Einfluss auf die Erziehung Dylans und auf seinen vorurteilsfreien, emphatischen Umgang mit afroamerikanischen Menschen gehabt. Und vielleicht auch die Erfahrungen, die er im zionistischen Sommercamp, im Herzl Camp, machen konnte. Wohlgemerkt kein religiös orthodox oder reformerisch ausgerichtetes Camp, sondern ein zionistisches. In den zionistischen Camps ging vor allen darum, dass die Idee des Staates Israel und seine Gründungsphilosophie – Gemeinschaftlich, Kollektiv, sozial gerecht, der Kibbuz als vorbildliche Lebensweise – an die jungen Jüdinnen und Juden herangetragen werden sollten. Sie sollten stolz auf diesen Staat sein. Vielleicht wurde hier auch der Grundstein für Dylans Empathie für Unterdrückte und Außenseiter und sein Verständnis von sozialer Gerechtigkeit gelegt.
Als Jugendlicher im zionistischen Sommercamp
Denn der Zionismus hat sozialistische und internationalistische Wurzeln. Und diese Einflüsse mögen mittelbar auch auf Bob Dylan während seiner Camp-Aufenthalte 1953 bis 1957 gewirkt haben. Genau in der Zeit, in der sich jugendliche Identität bildet. Und während dieser Jahre wird Bob Zimmerman im Camp zum Typ mit Gitarre und Motorrad, der schon eine kleine Sonderstellung hat. So ist vom ersten öffentlichen Gitarrenkonzert auf dem Dach und ersten Songwriting-Versuchen die Rede.
Bob Dylan wurde in seiner Jugendzeit in zweifacher Hinsicht zum Außenseiter und Rebell. Er war einer der wenigen Juden im Ort und er spürte gleichzeitig – wie er später verlautbarte – „in die falsche Familie in den falschen Ort“ hineingeboren zu sein. Ganz unverstandener junger Künstler also. Kein Wunder, dass sich Dylan für die Blues- und Rock’n’Roll-Musik der Schwarzen begeisterte. Die Musik der Unterdrückten! Little Richard und Chuck Berry wurden zu seinen ersten großen Vorbildern während seiner Schulzeit.
„Identitäts-Maskerade“ als Schutz vor Antisemitismus
Und noch bevor er Woody Guthrie entdeckte, war es die schwarze Folksängerin Odetta, die ihn beeinflusste. Ihr erstes Soloalbum „Odetta Sings Ballads and Blues“ von 1957 begeisterte ihn. „Das erste, was mich zur Folkmusik brachte, war Odetta“, sagte er 1978 in einem Interview mit dem Playboy-Magazin. In diesem Album hörte er „etwas Vitales und Persönliches. Ich habe alle Songs auf dieser Platte gelernt “, darunter„ Mule Skinner “, „Jack of Diamonds “und„ Water Boy “. Während der Studienzeit in Dinkytown, dem damaligen Bohéme-Viertel von Minneapolis, vollzog zog sich dann endgültig die Metamorphose zum Folksänger.
Klaus Walter, zu Recht preisgekrönter Musikjournalist, hat es in seinen bemerkenswerten Arbeiten zu Pop und Migration im Abschnitt zu Bob Dylan herausgearbeitet: „Er beherrscht die jüdische Kulturtechnik der Identitäts-Maskerade. Und im Zweifelsfall sagt er: nein Baby, ich bin nicht der, für den du mich hältst.“ Es gehört zur kollektiven jüdischen Mentalität, gezwungen zu sein, sich zum Schutz zu tarnen, sich als Jude unkenntlich zu machen, um zu überleben. Dylan macht die Maskerade lebenslang zu seiner individuellen Überlebensstrategie. So sind denn auch seine Angeber-Geschichten über seine wilde Jugend, die er in frühen Jahren in der New Yorker Folkszene verbreitet auch dem verwischen seiner jüdischen Spuren geschuldet. Und wie die kürzlich erst veröffentlichten Briefe an seinen Freund Tony Glover verraten, war auch die Wahl seines Künstlernamens Bob Dylan ein Mittel, um die Öffentlichkeit nicht sofort auf seine jüdische Herkunft schließen zu lassen und seine Folksänger-Persönlichkeit zu stärken.
Enge Bindung an die afroamerikanische Kultur
Und so wurde aus Bobby Zimmerman der Sänger Bob Dylan, der bis heute – trotz christlicher Born Again-Phase – seinen jüdischen Wurzeln treu und der Black Community und ihrer Kultur eng verbunden geblieben ist. Und daher ist er bis heute in seiner Wortwahl gegenüber dem Rassismus klar und deutlich, wie beispielsweise in einem Interview mit dem „Rolling Stone“ vor wenigen Jahren:
„Dieses Land ist einfach zu beschissen in Bezug auf die Hautfarbe. Es ist verstörend. Menschen an den Kehlen des anderen, nur weil sie eine andere Farbe haben. Es ist der Höhepunkt des Wahnsinns und wird jede Nation unterdrücken – oder jede Nachbarschaft…Schwarze wissen, dass einige Weiße die Sklaverei nicht aufgeben wollten – wenn sie ihren Willen hätten, wären sie immer noch unter dem Joch und können nicht so tun, als wüssten sie das nicht. Wenn du einen Sklavenmeister oder Klan im Blut hast, können Schwarze das spüren. “