Der Song ist mittlerweile ein amerikanischer Klassiker: So wie „Will The Circle Be Unbroken“ von der Carter Family, „This Land Is Your Land“ von Woody Guthrie oder Bob Dylans „I Shall Be Realeased“. Allesamt Songs, die archetypisch amerikanische Mentalitäten und Figuren, Träume und Mythen in Musik und Text festhalten, um dann zur Hymne zu werden: Sei es der ewige Kreis der Generationen, das Bewusstsein, ein großes Land mit Platz für Alle zu sein oder der ewige Traum von Befreiung und Erlösung.
Der Song, um den es hier geht, ist „The Weight“, erstmals aufgenommen von „The Band“ für „Music from Big Pink“ 1968. Die Songrechte besitzt „Business Man“ Robbie Robertson, geschrieben wurde er von „The Band“ gemeinsam, doch für immer verbunden sein wird „The Weight“ mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Levon Helm, dem Sänger und Schlagzeuger von „The Band“. Der Song wurde zu seiner Erkennungsmelodie. Wahrscheinlich, weil Levon Helm wie kein anderer aus „The Band“ die amerikanischen Mythen und Träume verkörperte. Er wollte nur ein einfacher Musiker aus den Südstaaten sein. Liebte sein Land und den lieben Gott. War aber alles andere als bigott, wie so manch anderer aus dem Bible Belt. Er sog als Junge Blues, Gospel, Soul, Rock und Country in sich auf, kannte Juke Joints und Honky Tonks und das pralle Leben, das sich dort abspielte. War keiner für den Popzirkus und wurde zum Weisen des Americana, ehe er den Kampf gegen den Krebs verlor.
Biblische Anspielungen und surreale Bilder
Die Bedeutung und Aufmerksamkeit, die „The Weight“ zukommt, liegt in der Erzählweise des Songs genauso wie im auftretenden Personal und seiner Interpretierbarkeit. Ein Song mit biblischen Anspielungen und surrealen Bildern, gleichermaßen zwischen Bibel und Bunuel angesiedelt. Zum Inhalt: „The Weight“ erzählt im Land der „Road Movies“ natürlich von einem Reisenden, einen Umherziehenden, den es nach Nazareth verschlägt, weil ihn seine Freundin Fanny dahin geschickt hat. Er soll, und das lastet quasi als Gewicht auf ihm, unzählige Leute dort von Fanny grüßen. Die biblischen Anspielungen – der Reisende bekommt in Nazareth kein Zimmer – sind klar, zudem gibt es in „God’s Own Country“ unzählige Nazareths in -zig Bundesstaaten. Konkret soll es sich hier aber um Nazareth, Pennsylvania, handeln, der Sitz der Martin-Gitarrenfabrik. In Nazareth begegnen ihm eine Reihe Menschen. Teilweise sind sie Freunden und Bekannten von „The Band“ nachempfunden, teilweise stehen sie für archetypische Figuren und Verhaltensweisen. Der Teufel steht für das Böse und der Teufel, der Erzähler und Carmen stehen in ihrer Interaktion für Mann und Frau, für Verlangen und Begehren. Dann ist vom Crazy Chester die Rede, dem örtlichen Faktotum, von der jungen Anna Lee oder von Luke, der nur noch auf das Jüngste Gericht wartet. Eigentlich sollte der Erzähler nur ein paar Leute grüßen, steht aber immer wieder vor neuen Unwägbarkeiten, so dass er am Ende froh ist, den nächsten Zug (Cannon Ball) nehmen zu können, um endlich zu seiner Fanny zurückzufahren.
„Der Song ist pures Americana“, schreibt Peter Viney auf der Website von „The Band“. Und tatsächlich ermöglicht er auf engstem textlichem Raum allerlei amerikanische Assoziationen: Er hat biblische und religiöse Bezüge, er spielt mit Bildern des Kleinstadtlebens im Westen und dem Teufel, der quasi an jeder Ecke lauert. Er lässt Bigotterie genauso erahnen wie Liebe, Verlangen und Gewalt. Der Text ist in Panoptikum des alten, gefährlichen Amerika. Und auch seine Musik ist pures Americana. Sie eint in großartiger Weise Country, Rock, Soul und Gospel-Elemente.
Einer der wichtigsten Songs des Americana
Der Song ist unzählige Male gecovert worden. Die ersten waren Jackie DeShannon und Soul-Queen Aretha Franklin. Später waren es u.a. Joe Cocker oder Waylon Jennings, in den letzten Jahren dann Neo-Folker wie Mumford & Sons oder die Old Time-Musiker der „Old Crow Medicine Show“. Und wie gesagt, mittlerweile ist der Song ein Klassiker und dient bei vielen All-Star-Treffen als großes Finale. Besonders denkwürdig war vor wenigen Tagen die gemeinsame Live-Version im Rahmen der „Americanarama-Tour“ von Jim James („My Morning Jacket“), Jeff Tweedy („Wilco“) und Mr. Bob Dylan. Als dann ausgerechnet der die Strophe mit dem „Chester“ singt, gibt es kein Halten mehr.
„The Weight“ war nie ein Hitparaden-Stürmer, ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie ein Song über die Jahre an Reife gewinnt, ihm man endlich die Tiefe zugesteht, die er besitzt, und er – verbunden mit seinem größten Interpreten – eine Bedeutung bekommt, die seinesgleichen sucht. Einer der wichtigsten und schönsten Songs des Americana.
Hier zum Reinhören zwei Fassungen. Die vom Abschiedskonzert von „The Band“ (mit „The Staples“) und die von James/Tweedy/Dylan.