Archive for August 2021

Wenn Weggefährten und Zeitgenossen gehen

27. August 2021

In diesen Tagen sind neben Charlie Watts auch einige Folk- und Country-Größen von uns gegangen. Allesamt waren sie in irgendeiner Weise mit Bob Dylan verbunden. Eine Generation kommt an ihr Ende

Vor wenigen Tagen mussten wir den Tod von Charlie Watts beklagen. Vor ihm starben vor kurzem auch Tom T. Hall und Don Everly. Und vor knapp zwei Wochen verstarb Nanci Griffith. Wir haben die texanische Folk- und Countrymusikerin und ihr Verhältnis zu Bob Dylan Ende der vergangenen Woche an dieser Stelle gewürdigt.

Die Everly Brothers spielten auch Dylan-Songs

Phil und Don Everly, Copyright Wikimedia Commons

Mit Don Everly ist im Alter von 84 Jahren nun auch der zweite – nach seinem Bruder Phil im Jahr 2014 – der „Everly Brothers“ gestorben. Die mit Hits wie „Bye, bye love“ bekannt gewordenen Grenzgänger zwischen Country, Rock’n’Roll und Pop, deren Charakteristikum der wohlklingende Harmoniegesang war, würde auf den ersten Blick kaum jemand als wichtigen Einfluss für die Folk-Rock-Legende Bob Dylan bezeichnen. Und auch wenn in seinem Werk selbst nicht viel dafür zu sprechen scheint: Die Everlys faszinierten ihn und er die Everlys.

Ein Blick zurück auf 1969. Don erzählte aus diesem Jahr laut „Rolling Stone“ folgendes: „Es war alles sehr seltsam. Ich nahm LSD – das beste, Owsleys orangen Sonnenschein –, trug aber gleichzeitig Smokings. An einem Abend spielten wir eine Country-Show, dann am nächsten den Fillmore West, mit den Sons of Champlin oder so. Habe endlich auch das Bitter End gespielt. Habe dort Bob Dylan eines Abends getroffen. Wir waren auf der Suche nach Liedern und er schrieb damals „Lay Lady Lay“. Er hat Teile davon gesungen, und wir waren uns nicht ganz sicher, ob er es uns anbot oder nicht. Es war einer dieser ehrfürchtigen Momente. Wir haben den Song ungefähr fünfzehn Jahre später geschnitten.“

1984 nahmen sie also endlich „Lay, Lady, Lay“ auf und 1985, also diesmal nur zehn Jahre nach seinem Entstehen, spielten sie ihre Version von „Abandoned Love“ ein, der aus den „Desire Sessions“ stammt. Man kann sich vorstellen, wie stolz Dylan gewesen sein muss, als die Everlys seine Songs aufnahmen. Er selber hatte mit George Harrison von den „Beatles“ – auch begeisterte Fans der „Everly Brothers“ – 1970 im Studio den Everly-Hit „All I Have To Dream“ eingespielt, der aber erst im vergangenen Jahr auf dem Sampler „Bob Dylan 1970″ mit den Dylan/Harrison“- Sessions veröffentlicht wurde. Für ihn wie für seine Weggefährten wie eben den Beatler, Paul Simon oder Neil Young waren die Everlys prägend für das Verständnis des inneren Zusammenhangs von Folk, Country und Rock. Und so hat Dylan dann auch einmal über die Everly Brothers voller Wertschätzung gesagt: “We owe these guys everything – they started it all”.

Dylans harsche Tom T. Hall-Schelte

Tom T. Hall, Copyright Wikimedia Commons

„Wertschätzung“ ist jetzt nicht gerade die Vokabel, die einem bei Dylans Passagen über den kürzlich im Alter von 85 Jahren gestorbenen Tom T. Hall bei seiner MusiCares-Rede von 2015 einfällt. Im Gegenteil: Bob hält voll dagegen und kritisiert die Songwriter-Legende folgendermaßen:

„Manche mögen jetzt sagen, Tom sei ein großartiger Songwriter, und daran werde ich nicht zweifeln. Damals, während seines Interviews, hörte ich tatsächlich ein Lied von ihm im Radio im Tonstudio. Es hieß „I Love“. Und es sprach über all die Dinge, die er liebt. Ein Jedermanns-Song. Der Versuch, mit Menschen in Kontakt zu treten. Er versucht, dich glauben zu lassen, er sei genauso wie du und du bist genau wie er. Wir alle lieben die gleichen Dinge. Wir sind alle im selben Boot. Tom liebt kleine Babyenten. Langsam fahrende Züge und Regen. Er liebt große Pickup-Trucks und kleine Flüsse auf dem Land. Schlafen ohne Träume. Bourbon im Glas. Kaffee in einer Tasse. Tomaten an einer Rebe und Zwiebeln. Hören Sie, ich werde nicht einen anderen Songwriter herabsetzen. Ich werde das nicht tun. Ich sage nicht, dass das ein schlechtes Lied ist, ich sage nur, dass es vielleicht ein wenig überkocht ist.“

Und als er über über Kris Kristoffersons Song “Sunday Morning Coming Down” spricht, holt er erneut zum Schlag aus: „Dieser eine Song hat die Welt von Tom T. Hall in die Luft gesprengt. Es könnte ihn ins Irrenhaus geschickt haben. Gott bewahre, dass er jemals eines meiner Lieder gehört hat. Wenn ‚Sunday Morning Coming Down‘ Toms Käfig durcheinander gebracht und ihn in den Mülleimer geworfen hätte, hätte er sich bei meinen Liedern sicherlich das Gehirn aus dem Leib gepustet.“

Dylans Kritik im Kern richtig

Warum ist der gute Bob so auf Tom T. Hall losgegangen? Sein Vorgehen ist keinesfalls persönlich gemeint oder entspricht Bösartigkeit und Arroganz. Was er richtigerweise sagen will ist, dass Kristofferson und er in der Country Music eine ganz andere Sicht der Dinge im Songwriting etablierten. Hall konnte gut Geschichten erzählen und ist dafür zu Recht geehrt worden. Aber er durchbrach nie den Common Sense über den hart arbeitenden, im Grunde gottesgläubigen Südstaatlers, der aber auch trinkfest, handfest und bauernschlau ist. Und er, Tom T. Hall, war natürlich einer von ihnen. Die doppelbödige Lyrik, die kritische und distanzierte Sichtweise auf die Gesellschaft und die Verlorenheit des Individuums in der verwalteten Welt brachte Dylan erst in die Nashville-Welt ein. Er ebnete damit den Weg für die gebrochenen Schicksale, die verstörenden Geschichten und die Gewalt, die Kristofferson und die Outlaws zu Themen ihrer Songs machten. Tom T. Hall war gut, aber zu gefällig, während Dylan, The Band und die Outlaws wieder an die Songtradition des alten unheimlichen Amerikas anknüpften. Schade, dass Dylan sich hier ein bißchen zu sehr an der eigenen, guten Pointe berauschte und sich im persönlichen vergallopiert hat. Damit nahm er dem inhaltlichen Argument die Schärfe.

Charlie Watts, Copyright Wikimedia Commons

Freund der Rolling Stones

Charlie Watts war – das ist sehr oft gesagt worden – das Rückgrat und die Seele der Rolling Stones und vor allem der notwendige Ausgleich zwischen Jagger und Richards. Auch wenn Keith Richards und Ron Wood Dylan sicher näher standen (Live Aid 1985!) so verband ihn auch eine respektvolle Zuneigung zu Charlie. Dylan konnte mit ihm und dessen cooler Unaufgeregtheit sicher besser als mit dem immer zappeligen und extrovertierten Jagger. So gibt es sehr sympathische Bilder von Bob und Charlie hinter den Kulissen des Desert Trip-Konzerts von 2016.

Wie auch immer – rund um Bob Dylan sterben Weggefährten und Zeitgenossen. Da kommt eine Generation an ihr Ende. Und anhand des Todes dieser Künstler wird auch noch einmal deutlich, welche Kunst sie hervorgebracht haben. Wie prägend sie für die Musikgeschichte der letzten 50-60 Jahre waren. Dass Dylan noch am Leben ist und kreativ ist, beruhigt uns schon. Hoffen wir, dass diese Stimme noch sehr lange nicht verstummt. 

Nanci Griffith (1953 – 2021)

20. August 2021

Sie war eine der schönsten Stimmen der Country- und Folkmusik und sang eine der wunderschönsten Versionen von „Boots Of Spanish Leather“. Mit 68 Jahren ist sie nun viel zu früh verstorben.

Nanci Griffith (1953 – 2021), Copyright Wikimedia Commons

Vielleicht symptomatisch für eine ganze Karriere. Als 1992 das große Jubiläumskonzert für Bob Dylan zum 30-jährigen bei Columbia gegeben und weltweitübertragen wurde, da war ihr Auftritt mit Carolyn Hester bereits beendet. Ihr „Boots Of Spanish Leather“ wurde gesehen, gehört und bejubelt von den 20.000 Menschen im Madison Square Garden, doch die Millionen Menschen an den Fernsehern kamen nicht in den Genuss. Die beiden Sängerinnen waren sozusagen das Vorprogramm. Heute ist ihr Auftritt wenigstens auf der DVD des Ereignisses zu sehen. Nanci Griffith, war immer die, die den ganz großen Erfolg nicht fand, nie wirklich im großen Rampenlicht stand, obwohl sie alles mitbrachte.

Nanci war gebürtige Texanerin, wuchs in Austin auf und changierte stets zwischen Country und Folk. Sie war als Songwriterin für andere erfolgreicher als sie es als Sängerin war. Dabei ist ihre helle, immer jugendlich anmutende Stimme einer der schönsten on der Welt des Americana gewesen. Ihre Performance, so beschreiben es Augenzeugen, war stets  perfekt und voller Professionalität. Sie war voller natürlichem Charme, doch ihre Kunst war auch stets Ergebnis harter Arbeit.

So kam der späte Erfolg mit ihrem Album „Other Voices, Other Rooms“ nicht von ungefähr. Für das Album, das ein Tribut an die sie beeinflussenden Singer-Songwriter war – sie sang u.a. Bob Dylans „Boots Of Spanish Leather und der spielte Mundharmonika dazu – erhielt sie 1994 einen Grammy als bestes zeitgenössisches Folkalbum.

Doch sie hatte auch immer wieder mit Schicksalsschlägen zu kämpfen. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde zweimal hintereinander bei ihr Krebs diagnostiziert. In der zweiten Hälfte der 2010er Jahren litt sie unter einem schweren Writer’s Block. Doch immer wieder kämpfte sie sich zurück.

Sie engagierte sich auch in sozialen und politischen Fragen und positionierte sich. 2004 kritisierte sie als Texanerin ihren Landsmann Präsident Bush, und stufte ihn schlimmer ein als den ohnehin schon verhassten Nixon. Auf einem Konzert trug sie dann sowohl einen Nixon-Button, als auch einen  Lyndon B. Johnson-Button. Letzteres aus Verehrung für den ebenfalls aus Texas stammenden früheren US-Präsidenten und dessen Engagement für die Bürgerrechte.

Am 13. August ist sie in Nashville, Tennessee, gestorben. Eine große Künstlerin ist von uns gegangen. Rest In Peace, Nanci Griffith.

Bob Dylan, der Maler

5. August 2021

Bereits sein ganzes künstlerisches Leben malt und zeichnet der Singer-Songwriter auch. Vier Ausstellungen seiner Bilder sind in Deutschland noch bis Ende Oktober zu sehen.

Vor den Ausstellungsräumen im Schloß Hohenstein

Als Dylans Songtexte erstmals zwischen zwei Buchdeckel gepresst wurden, hieß das Werk „Writings And Drawings“. Und in der Tat, seine ganze Karriere über hat der Singer-Songwriter gezeichnet und gemalt. U.a. die Cover von The Band’s „Music From Big Pink“ und seinem eigenen „Self Portrait“. 1994 hatte er unter dem Titel „Drawn Blank“ einen Band mit Zeichnungen herausgegeben. Doch richtig wahrgenommen wurde seine Malerei erst seit 2007, als erstmals in Chemnitz seine Bilder veröffentlicht wurden. Ingrid Mössinger, damalige Direktorin der Kunstsammlung Chemnitz, hatte sich für Dylans Werke begeistert, und sich unerschrocken daran gemacht, Dylans Management davon zu überzeugen, eine Auswahl von Dylans Bilder ausstellen zu dürfen.

Mittlerweile sind während der Jahre einige Ausstellungen mit Dylans Werken veranstaltet worden. Dylan malt flüchtige Ansichten, malt Porträts, malt Blicke und Ausblicke auf Häuser und Landschaften. Seine Bilder und Zeichnungen sind mal abstrakter, mal gegenständlicher. Dylan changiert in seiner malerischen Ausdrucksweise, so wie er seine Musik und sogar seine Texte immer wieder verändert.

On The Road

Als der Schreiber dieser Zeilen von den vier Ausstellungen in Köln, Fulda, Coburg und Heilbronn mit dem Titel „On The Road“ erfuhr, die noch bis Ende Oktober zu sehen sind, war schnell die Entscheidung gefallen, sich Dylans Bilder einmal näher anzuschauen. Die Wahl fiel auf Coburg, hier waren wir noch nicht gewesen. Und es hat sich gelohnt: Coburg ist ein schönes Städtchen und die Ausstellung in Schloss Hohenstein ist klein, aber fein. Wir wurden sachkundig geführt, ein Film zum Einstieg zeigt die Bandbreite Dylans als bildender Künstler. Und auch wenn wir keine Experten für bildende Kunst oder gar Kunstsammler sind – auch das einer der Hintergründe dieser Ausstellungen – so hat uns die Malerei immer einmal eingefangen. Wie auch Dylans Bilder.

Wer denkt, dass diese Bilder Dylans in ihrer Verfasstheit und ihren Inhalten ähnlich komplex sind wie seiner Lieder, der irrt sich. In einem Beitrag anlässlich seiner Ausstellung „The Beaten Path“ in der Halcyon Gallery im Jahr 2016 schrieb er: „Ich wollte die Dinge möglichst einfach halten und nur das behandeln, was man auf den ersten Blick sehen kann…Es gibt keine Fantasiewelten, keinen religiösen Mystizismus oder doppeldeutige Inhalte. Der Betrachter muss sich bei keinem der Bilder fragen, ob es sich um ein reales Objekt oder ein Fantasiegebilde handelt. Wenn der Betrachter den Ort besucht, von dem das Bild stammt, würde er oder sie genau dasselbe beobachten. Diese Gemeinsamkeit verbindet uns alle.“ (Vice Magazine, 15.11.16)

Diners, Tankstellen, Motels, New Yorker Brücken

Diese Bilder bilden auch den Grundstock der Ausstellung „On The Road“. Alle diese Bilder bzw. die Skizzen, die ihnen zugrunde liegen, sind bei Dylans ewiger Konzertreise quer durch die USA entstanden. Er hat den Blick für das traditionelle Americana im Landschaftsbild oder in der Stadt und Kleinstadt. Da gibt es keine Amazon-Hauptquartiere oder modernistische Hochhäuser. Stattdessen sehen wir Diners, Tankstellen, Motels, die Manhattan Bridge und die Brooklyn Bridge. Klassiker für Dylan als Kind seiner Generation.

Under The Bridge, Copyright Bob Dylan (aus der Ausstellung „On The Road“ in Schloss Hohenstein)

So wie seine Songs eher Gemälde sind – man erinnere sich an das Südstaatenpanorama „Blind Willie McTell“ – so erzählen auch seine eine Bilder keine Geschichten. Sie sind Schnappschüsse in verschiedensten Farben, die möglicherweise mit Stimmungen zu tun haben. Diese Bilder würden, wären sie nicht von Bob Dylan, Songwriter-Legende und Nobelpreisträger, sicher nicht so gehypt, von Relevanz als Darstellung des klassischen Amerika wären sie aber allemal.

Der Geist der amerikanischen Mobilität

Sie verströmen diesen Geist der immerwährenden amerikanischen Mobilität. Dylan verbringt bzw. verbrachte einen großen Teil seines Lebens auf der Straße, auf dem Weg von Konzert zu Konzert. Abseits der Metropolen und Küstenränder hat er den Mittleren Westen, die Südstaaten und den Südwesten immer wieder bereist. Was er eingefangen hat, die oben genannten Objekte, sind immer wiederkehrende Einrichtungsgegenstände dieser amerikanischen Landschaften.

Doch diese amerikanische Mobilität, wie sie schon von John Steinbeck beschrieben wurde, hat sich schon immer nicht nur als positive Utopie, sondern mehr als purer Überlebenskampf dargestellt. Von Steinbecks „Früchte des Zorns“ bis Frances McDormands „Nomadland“ führt eine gerade Linie. Und mitten drin Bob Dylan mit „Hollis Brown“ und „Tangled Up In Blue“. Wer nicht sterben will oder einsam bleiben will, wer nach Arbeit oder nach der Liebe sucht, der muss sich bewegen. Amerika zwingt einen dazu, sich für das Glücksversprechen abzustrampeln. Denn irgendwie geht es immer darum, einen Job zu erledigen. Wer da nicht mithalten kann, hat oftmals Pech gehabt.

Dylan zeigt uns, was zu sehen ist

Dylan erledigt den Job des Malers auf elegante, unprätentiöse Weise, in dem er nicht in die Falle des „Was will uns der Künstler sagen“ tritt, sondern das zeigt, was vermeintlich zu sehen ist. Das auch dies mitunter komplex und von Mensch zu Mensch verschieden sein kann, legt er ganz bewusst zur Seite und betont die verbindende Gemeinsamkeit der Beobachtung. Gleichzeitig ist er weit entfernt von der Beschönigung, wie sie der naiven Malerei innewohnt.

Darum lohnen sich all die Bildbände und Ausstellungen. Wer sich mit Amerika ernsthaft und tief beschäftigen will, der sollte sich nicht nur seinen Songs beschäftigen. Auch seine Bilder sind ein relevanter Beitrag zur amerikanischen Selbstverständigung.

Mehr zu den vier Ausstellungen: https://bobdylan2021.de/