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Bob Dylans amerikanische Geschichtsschreibung

22. Juni 2020

New York Public Library, Copyright: Wikimedia Commons.

Notizen zu „Rough And Rowdy Ways“: Das neue Album nimmt auch Amerikas raue und rauflustige Wege in den Fokus.

Ich habe immer wieder betont, dass in Bob Dylans Werk auch nach Ende seiner „Protest-Phase“ keineswegs gesellschaftliche Entwicklungen ausgeblendet werden. Er hat im Laufe der Karriere immer wieder treffende Bilder und Beschreibungen für gesellschaftliche Zustände gefunden. „Von All Along The Watchtower“ über „Hurricane“ bis hin zu „Workingman’s Blues #2“. Er sieht aber seine Aufgabe als Künstler darin, gesellschaftliche Entwicklungen in Worte, Bilder und Songs aufzugreifen und nicht darin, als politischer Aktivist für eine Sache einzutreten. Musik kann nicht die Welt verändern, aber den Menschen auf die Sprünge helfen, es zu tun. Auch in diesem Sinne hat Dylan gleich mehrere Generationen beeinflusst.

Dylan schreibt amerikanische Geschichte
Seit der junge Bob Dylan in der New York Public Library gierig nach Erkenntnissen die Zeitungen aus der Epoche des amerikanischen Bürgerkrieges geradezu verschlungen hat, lässt er uns an seiner Art der amerikanischen Geschichtsschreibung teilhaben. „With God On Our Side“ hat die Kriege im Blick, die Amerika zur Weltmacht haben aufsteigen lassen. Von den Indianer-Feldzügen bis zum Kalten Krieg. In „Only A Pawn In Their Game“ klärt er über die Mechanismen des sich immer weiter vererbenden Rassismus in den Südstaaten auf. Und in „Blind Willie McTell“ malt er ein großformatiges Bild des Südens mit Plantagen und Galanterie, Rassismus und Religion. Vom Zeltgottesdienst über die Minstrel Show bis zu Bootlegin‘ Whiskey und Blind Willie McTells Blues.

Wenn nun Dylans neues Werk „Rough And Rowdy Ways“ betitelt ist, so mag das zwar vordergründig ein Selbstbild des Künstlers oder seinem „lyrischen Ich“ sein, es ist aber mindestens genauso auf den Aufstieg und den Niedergang Amerikas gemünzt. Einem Amerika, dessen Geburtsfehler, Lebenslügen, dessen Widersprüche und Aberwitzigkeiten nun angezündet von der Lunte eines diabolisch-dummen Neros im Weißen Haus, das Land ex- und implodieren lassen. Einem kindischen Nero, der das amerikanisch-raue, laute und rauflustige geradezu idealtypisch verkörpert.

Dylans musikalische Geschichtsstunden beschränken sich auf diesem Album nicht auf das offensichtliche „Murder Most Foul“, in dem Dylan den Beginn der Abwärtsspirale auf den 22. November 1963, den Tag der Ermordung John F. Kennedys, datiert. Dylan hatte sich nur wenige Monate nach dem Attentat vor Ort in Dallas umgesehen und teilt seitdem die Meinung vieler in den USA, dass dieses Attentat nie wirklich vollständig aufgeklärt wurde. Auch in anderen Songs äußert sich Dylan zum Weg Amerikas.

Dialektik von Aufklärung und Befreiung
In „Mother Of Muses“ singt Dylan: „Sing of Sherman, Montgomery and Scott/ And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought/ Who cleared the path for Presley to sing/ Who carved the path for Martin Luther King/ Who did what they did and they went on their way/ Man, I could tell their stories all day.“ Damit treibt er die Widersprüche und die Dialektik von Aufklärung und Befreiung auf die Spitze. Denn Shermans grausamer, vernichtender Feldzug durch Georgia brach die Kriegsmoral der Menschen im Süden. Eine Moral, einen Krieg weiterzuführen, in dem der Süden für sein Recht kämpfte, weiterhin Menschen zu versklaven. Und Patton, der im 2. Weltkrieg mit der US-Army Europa vom Faschismus befreite, war durchaus ein fragwürdiger Charakter. Doch beide bereiteten den Boden dafür, dass der weiße Presley die Musik der Schwarzen sang, die eine Nachkriegsjugend global adaptierte, als auch dass Martin Luther King die Bürgerrechte der Schwarzen einfordern konnte und Hoffnung auf politische Veränderung im Sinne der Menschen aufkeimte.

Song aus der „Great Migration“
„Goodbye Jimmy Reed“ wiederum ist durchaus auch als eine Geschichte über eine typische afroamerikanische Biographie aus der Zeit der „Great Migration“ zu verstehen. Reed wurde 1925 in Mississippi im tiefsten Süden geboren und ging wie viele Afroamerikaner seiner Zeit 1943 nach Chicago, arbeitete erst bei der Marine, dann im Schlachthof und kam dort in Kontakt mit Leuten aus der Bluesszene und würde selbst einer ihrer Stars. Dieser Jimmy Reed wird hier besungen von einem Afroamerikaner, der es nicht geschafft hat. Der mit dem Rassismus und der Gewalt in Virginia kämpft – „They threw everything at me, everything in the book/ I had nothing to fight with but a butcher’s hook/ They had no pity, they never lent a hand/ I can’t sing a song that I don’t understand“ – und über sein Idol ins Schwelgen gerät.

Böse Prediger
Auch „False Prophet“ ist nicht nur irgendwo zwischen Selbstporträt, Weltgeist und Teufel angesiedelt. Der „False Prophet“ steht auch für die in den USA wohlbekannte Figur des gefährlichen Predigers, des zur Gewalt anstiftenden Anführers. Robert Mitchum in „Die Nacht des Jägers“, Andy Griffith in „A Face In The Crowd“ oder William Shatner in „Weißer Terror“ haben ihm Gesichter gegeben. Dylan hat ihn in Songs wie „Man Of Peace“ oder „Man In The Long Black Coat“ verewigt. Diesmal scheint der amtierende Präsident als falscher Prophet benannt zu werden: „Hello stranger, hello and goodbye/ You rule the land but so do I/ You lusty old mule, you got a poisoned brain/ I’ll marry you to a ball and chain.“ Dass der Schatten des gehängten Mannes auf dem Cover von „False Prophet“ dem Orangefarbenen ähnelt, scheint ein weiterer Beleg dafür zu sein.

Dylans Sehnsuchtsort

Copyright: Wikimedia Commons.


„Key West“ in Florida dagegen ist Dylans Sehnsuchtsort des anderen Amerika. Hier haben die Beatniks Ginsberg, Corso und Kerouac gelebt, hier verbrachten Tennessee Williams, Louis Armstrong oder Ernest Hemingway Teile ihres Lebens. Wenn er das Bild „I was born on the wrong side of the railroad track“ benutzt, dann identifiziert er sich auch hier wieder mit der afroamerikanischen Community, deren Platz stets am Rande der Orte, in den windschiefen Hütten hinter den Eisenbahnschienen war. Hier in Key West haben sie alle ihren Platz. Alle Menschen, alle Ethnien können nach ihrer Fasson im liberalen und optimistischen Klima zu sich selbst finden, nachdem sie am restlichen Amerika den Verstand verloren haben.

Dylans Erzählung vom amerikanischen Sehnsuchtsort beginnt mit der Ermordung Williams McKinleys, dem US-Präsidenten, der die Nation in den imperialistischen spanisch-amerikanischen Krieg 1898 geführt hatte und 1901 an den Folgen eines anarchistisch motivierten Attentats starb. Schon der Old Time Musiker Charlie Poole hatte McKinley im „White House Blues“ besungen. In Key West zog sich während des spanisch-amerikanischen Krieges die US-Flotte zusammen. Dylan lässt hier McKinley nochmals sterben, um Key West die Unschuld zurück zu geben, die es braucht, um zum Sehnsuchtsort des anderen Amerikas zu sein. Ein Ort, der sogar sein „Little White House“ besitzt, den Wintersitz des US-Präsidenten Harry S. Truman. Und Dylan setzt auch wieder ein Zeichen für religiöse Toleranz. Singt er in „Goodbye, Jimmie Reed“: I live on a street named after a saint/ Women in the churches wear powder and paint/ Where the Jews and the Catholics and the Muslims all pray/ I can tell a party from a mile away“ – nebenbei auch ein Wink wie nah der Juke Joint an der Kirche liegt – so heißt es hier „I play gumbo limbo spirituals/ I know all the Hindu rituals/ People tell me that I’m truly blessed.“ Auch in religiöser Hinsicht stimmt die Selbsteinschätzung „I Contain Multitudes“.

Und so sind die letzten Zeilen des letzten Songs der ersten CD denn auch die Anti-These zu so vielem, was vorher auf dieser Platte von Dylan beklagt und besungen wurde. Wenn die Welt ein besserer Ort werden möchte, dann sollte sie sich ein Beispiel an Key West nehmen: „Key West is paradise divine/Key West is fine and fair/ If you lost your mind, you’ll find it there/ Key West is on the horizon line.“

Black and White – unite!

23. Dezember 2011

An anderer Stelle auf diesem Blog habe ich schon einmal darauf hingewiesen, welche große Bedeutung die schwarze Musik für die Entwicklung der Countrymusik hatte. Und dass viele schwarze und weiße Musiker untereinander keine Probleme hatten. Doch das Publikum, die Musikindustrie und die Rassentrennung im Süden verhinderten eine öffentliches gemeinsames musizieren.

So wissen wir, dass der Schwarze Rufus „Tee Tot“ Payne dem Hillbilly-Shakespeare Hank Williams das Gitarre spielen beigebracht hat. Dass A.P. Carter ohne seinen schwarzen Freund Lesley Riddle nicht so viele Lieder hätte zusammen tragen und die Carters ohne Riddle nie zur „First Family of Country“ hätten werden können. Wir wissen aber auch über verborgene Zusammenarbeiten: So hatte Jimmie Rodgers 1930 mit Louis Armstrong Plattenaufnahmen gemacht.

Erst seit Ende der Rassentrennung in den USA waren gemeinsame öffentliche Auftritte kein Stein des Anstoßes mehr. Auch das einzige schwarze Mitglied der Grand Ole Opry, Charley Pride, hatte seinen Durchbruch erst Mitte/Ende der 60er Jahre. Sein einziger schwarzer Vorgänger, Deford Bailey aus der Anfangszeit der Opry, wurde wohl aus rassistischen Gründen aus der Show gemobbt. Johnny Cash holte Ende der 60er/Anfang der 70er sowohl Louis Armstrong, als auch Ray Charles, der bereits 1962 ein Album mit Countrysongs aufgenommen hatte, in seine Show. Und auch die Zusammenarbeit von Willie Nelson mit Ray Charles und Winston Marsalis ist bestens bekannt.

Weniger bekannt ist dagegen ein Auftritt, der zu seiner Zeit ungewöhnlich und für einen bestimmten Teil des Publikums doch verstörend gewirkt haben musste. Im März 1960, die Rassentrennung in den Südstaaten war noch lange nicht abgeschafft, da trat der Hillbilly-Gentleman Tennessee Ernie Ford zusammen mit der schwarzen Folksängerin und Bürgerrechtsaktivistin Odetta gemeinsam in dessen TV-Show auf. Odetta singt „Pastures of Plenty“ vom bekennenden Kommunisten Woody Guthrie, Ford einen Gospel und beide zusammen dann noch einen Gospel sowie „The Liar“ von Tommy Makem.

Ford musste gewusst haben, dass Teile seines Publikums dies sicher nicht goutieren würden. Dass er es dennoch gemacht hat ist Ausdruck einer künstlerischen Unabhängigkeit, die nicht hoch genug zu bewerten ist.

Unten sehen wir nun einen Ausschnitt des denkwürdigen Auftritts und das Video zum Cash/Armstrong-Auftritt: