Archive for Januar 2022

Es ist alles im Fluss

21. Januar 2022

Lebensadern und Wasserstraßen: Der amerikanische Mythos „River“ hat auch in Bob Dylans Werk seinen Platz und wird von ihm vermischt mit der antiken Flusslehre

Copyright: Columbia Records

Ein weitere Folge zu den archetypischen Motiven der amerikanischen Folkmusik. Diesmal: Der „River“.

Flüsse sind Naturräume, die sich über unendliche Zeiten ihren Weg durchs Land gebahnt haben. Die Menschheit hat sie zu Kulturräumen gemacht. Wasserstraßen, die dem Transport von Menschen und Gütern dienen. Und die dann über diese profane alltägliche Nutzung hinaus wiederum in Kunst Eingang finden. Als Referenzobjekte und identitätsstiftende Merkmale bis hin zur mythischen Überhöhung. In der Volkskunst der populären amerikanischen Musik, insbesondere der Folk, Country- und Bluesmusik sind sie natürlich auch zu einem zentralen Bestandteil geworden. In Ablösung der Mythen der Native Americans, die als Naturvölker mit den Flüssen lebten.

Mythos Mississippi

Der größte amerikanische Mythos ist natürlich der Mississippi, der sich vom nördlichen Minnesota bis zum Golf von Mexiko erstreckt. Immer wieder besungen. Eines der bekanntesten Werke dürfte hier von Johnny Cash stammen. Dessen „Big River“ ist die Kulisse für eine Geschichte, in der Protagonist seiner großen Liebe entlang des Flusslaufs des Mississippi folgt. Die sehnsuchtsvolle und am Ende unglückliche Reise beginnt in St. Paul, Minnesota und führt über die Stationen Davenport (Iowa), St. Louis (Misssouri), Memphis (Tennessee), Baton Rouge (Louisana) schließlich nach New Orleans.

Wir nähern uns Dylans Flussgeschichten über die Verbindung zu Big River an. „Tangled Up In Blue“ ist auch eine unglückliche Verfolgungsjagd nach der großen Liebe (Siehe meinen letzten Betrag: https://cowboyband.blog/2022/01/07/bob-dylan-still-on-the-road-heading-on-a-train-riding-on-a-car/). Auch hier zieht der Sänger von Nord nach Süd, ist am Ende in Louisiana erst in Delacroix, dann in New Orleans angekommen. Der River spielt hier aber nur mittelbar eine Rolle. Aber wie er auch hier die amerikanische Landschaft und die traditionellen Folkmythen mit seiner ihm eigenen vertrackten Songmalerei – auch hier wird von Schauplatz zu Schauplatz gesprungen und die Erzählebenen und -perspektiven gewechselt – zusammenbringt ist faszinierend.

Der mächtige, unheilvolle Fluss

Zwei zentrale River-Motive spielen in seinen Songs eine Rolle. Da ist zum einen das immer wiederkehrende Bild des unheilbringenden unzähmbaren mächtigen Flusses. Vom 1967er „Crash On The Levee (Down In The Flood)“ über „High Water(For Charley Patton)“ von 2001 bis zu „The Levee’s Gonna Break“ von 2006 erzählt er von dieser Gefahr und orientiert sich dabei an den afroamerikanischen Songs dazu, die besonders voller Unheil waren, weil die Schwarzen ungleich mehr unter den Folgen solcher Flutkatastrophen leiden mussten. Siehe auch meinen Cowboy Band Blog-Eintrag „High Water Everywhere“: https://cowboyband.blog/2021/02/12/highwater-everywhere/

Der stoische Fluss

Und dann steht der Fluss bei ihm als Metapher für das stoische. Dylan interessiert nicht der Fluss als Wasserstraße, als Mittel, um unterwegs zu sein. Der Fluss ist da und er sitzt da und schaut ihm beim Fließen zu. Das ist das stärkste Bild dafür, nicht aktiv zu sein. Der Fluss ist aktiv. Aber ohne sich Gedanken zu machen – er fließt halt. Das ist seine Natur. Dylan selber ist reflexiv, ohne daraus unmittelbar Aktivität abzuleiten. Das scheint seine Natur.

Der Fluss steht in „Watching The River Flow“ aber auch für die Zeitläufte. 1971, als der Song geschrieben und aufgenommen wird, sind die Zeiten in Amerika hoch politisch. Alle wollen sie, dass Dylan wieder zum Anführer wird – was er ja nie sein wollte. Also verweigert er sich ein weiteres Mal. Er bleibt passiv und schaut den Dingen zu. Und erntet natürlich wieder Entrüstung.

Es ist so eine Art weiteres Manifest von Dylan, das dafür steht, sich vor keinen Karren spannen zu lassen. Ihn zu etwas zu zwingen, bringt nix. Er entscheidet wann und wofür er sich engagiert. Umso mehr erst die Überraschung über seinen Song „George Jackson“ 1971 und dann die Enttäuschung, dass wieder jahrelang kein politisches Engagement Dylans folgt. Erst 1975 sollte er sich für den schwarzen Boxer Rubin „Hurricane“ Carter einsetzen.

Der Song vom „Big River“ durfte hier natürlich nicht fehlen. Copyright: Columbia Records

Panta Rhei

„Watching The River Flow“ ist über die Jahre immer wieder Teil des Live-Programms. In den jüngsten Konzerten – seit seinem großartigen „Shadow Kingdom“ spielt es auf der Bühne eine zentrale Rolle. Nicht mehr „Things Have Changed“ ist der programmatische Opener, sondern „Watching The River Flow“. Der alte Dylan sitzt wieder am Fluss. Er hat alles schon gesehen, Er macht sich nicht auf den Weg zu den Dingen, sondern wartet bis sie an ihm vorbeiziehen. Stoisch wie ein alter Häuptling der Native Americans. Dylan beobachtet, schwelgt in Erinnerungen an und den in Selbstverständigungen über seine „Rough And Rowdy Ways“, die das aktuelle Bühnenprogramm bestimmen.

Dylan weiß, dass alles im Fluss ist: „Panta Rhei“. Der alte Dylan mischt den Mythos River mit der Flusslehre Heraklits, Platons und Ovids. Dylan kennt seinen Ovid, der die Gedanken Heraklits als Fundament in seinen Metamorphosen darlegt. Er hat ihn in den letzten Jahren immer wieder in seinen Texten bemüht. Alles verändert sich, alles ist endlich. Auch Dylan selbst. Und das weiß er. Und kündigt uns gleich mal eine World Tour 2021 – 2024 an. Typisch Dylan!

Bob Dylan – Still On The Road, Heading On A Train, Riding On A Car

7. Januar 2022

Typisch amerikanisch ist auch Bob Dylan in seinem Werk immer unterwegs und würdigt Züge, Straßen und Autos

Copyright: Columbia Records

Es gibt eine Reihe von archetypischen Motiven im amerikanischen Folksong. Gott und Bibel, Mutter und Vater, die Range und die Ranch, die Liebe und die Eifersucht, Prediger und Mörder, Outlaws und Helden, Berge & Flüsse & Täler. In loser Folge gehe ich künftig den Spuren dieser Motive im Dylan’schen Werk nach. Heute geht es um das Grundmotiv des Unterwegs-seins.

Die Amerikaner sind immer unterwegs

In seinem wunderbaren Buch „Meine Reise mit Charly“ spießt John Steinbeck u.a. das „Nomadentum“ der Amerikaner auf, das „unterwegs-sein-wollen“: „In ihren Augen sah ich etwas, das ich wieder und wieder in allen Teilen Amerikas sehen sollte – ein brennendes Verlangen los­zu­ziehen, sich aufzumachen, egal wohin, nur weg. Sie sprachen leise darüber, wie gern sie eines Tages fort­gehen würden, los­ziehen, frei und ungebunden, nicht zu etwas hin, sondern einfach weg. Ich sah diesen Blick und spürte dieses Verlangen überall, egal wo ich hinkam, in jedem Staat. Fast jeder Amerikaner hungert danach, loszuziehen.“

Steinbecks Eindrücke sind nicht von der Hand zu weisen. Denn das Herumziehen, die Herumtreiber, aber auch die Verkehrswege und Transportmittel spielen seit jeher auch  eine große Rolle in der amerikanischen Folkmusik. Trails & Trecks, Cowboys & Hobos, Trains & Railroads, Cars & Trucks. Route 66 und Highway 61: Die Amerikaner sind seit der Pionierzeit immer unterwegs gewesen. Sie haben das Land erobert und die Vereinigten Staaten nicht nur mit Kriegen gegen die Ureinwohner, sondern auch mit Trecks, Rindertrails und Eisenbahnen immer weiter ausgedehnt. Die Sklaven sind mit der „Underground Railroad“ aus dem Sklavenhalter-Süden geflohen. Die durch die Sandstürme Entwurzelten der Dust Bowl Area der Great Plains zogen in den 1930er Jahren nach Kalifornien. Die Great Depression ließ viele Amerikaner auf die Suche nach Arbeit gehen. Der Highway 61 war für entlaufene schwarze Sklaven von Süd nach Nord der Weg in die Freiheit, mit dem Zug ging es später in der „Great Migration“ in den Norden zu einem besseren Leben.

Unterwegs auch weil sie müssen

Nach Jahrzehnten einer gewissen Domestizierung in der nivellierten Mittelstandgesellschaft der 1950er bis 1980er Jahre, haben die neoliberalen Exzesse in Politik und Wirtschaft in den letzten 40 Jahren zu einer Armut und Perspektivlosigkeit breiter Teile der Bevölkerung geführt. Aufgrund des Widerspruchs zwischen dem Streben nach dem eigenen Häuschen und der durch Hire und Fire-Kultur erzwungenen Mobilität sind „Mobile Homes“, Trailer und Wohnmobile zum fahrenden Domizil vieler Amerikaner geworden. Hobos und Wanderarbeiter sind wieder wie zu Zeiten der Great Depression eine nicht zu übersehende Realität in den USA geworden. Der Film „Nomadland“ zeigt dieses unstete Leben, immer auf der Suche nach dem nächsten Job. Die amerikanische DNA des Unterwegs-seins hat also klare ökonomische und gesellschaftliche Ursachen. Der American Folk Song modelliert daraus einen Mythos mit vielfältigen Ausprägungen.

Dylan ist auch immer unterwegs: Tangled Up in Blue

All dies findet sich auch im Werk Dylans wieder, der wie kein anderer die alten Folkversatzstücke mit Beatpoesie und -rhythmus vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er und 1970er Jahre neu zusammensetzte. Von „Down The Highway“ bis „Tangled Up In Blue“ – auch Dylan ist immer unterwegs. Hat sich erst sein eigenes Nomadenleben ausgedacht, dann das Thema in sein Werk integriert und ist schließlich auf seiner Never Ending Tour zu einem Show- Business-Jet-Set-Hobo geworden.

Dylan wichtigstes Werk zum Thema „Unterwegs-sein“ ist natürlich besagtes „Tangled Up In Blue“. Die Road Movie-Geschichte von zwei Menschen, die sich stets anziehen, aber doch nie zusammenbleiben können und daher für immer gezwungen sind, auf Wanderschaft zu gehen. Und sich dabei in allerlei Jobs verdingen müssen. Der Sänger arbeitet erst im Norden bei den Holzfällern als Koch, dann heuert er im Süden auf einem Fischkutter an, er trifft sie wieder, als sie in einer „Oben-ohne-Bar“ arbeitet. Die Romanze ohne Happy End ist hier der Antriebsgrund, nicht ohne Eigenheiten der amerikanischen Geschichte und Gesellschaft aufzuspießen wie Sklaverei im Süden, Fischerei in Lousiana, Holzwirtschaft im Norden, Stimmungen in New Orleans. Und er geht auf seine Generation ein, die sich Mitte der 1970er doch von der Protestgeneration, die etwas Neues schaffen wollte zum gut verdienenden sesshaften Mittelstand gewandelt hat:

„All the people we used to know
They’re an illusion to me now
Some are mathematicians
Some are carpenter’s wives
Don’t know how it all got started
I don’t what they do with their lives“

Aber der Sänger tut dies nicht, er ist weiter „On The Road“:

„But me, I’m still on the road
Heading for another joint“

Copyright: Columbia Records

Dieser Zug hat’s in sich: Slow Train Coming

Doch auch die Züge und die Straßen hat Dylan besungen. In „It Takes Lot To Laugh, It Takes A Train To Cry“ fährt der Sänger im Postzug und singt sein Lied zur Angebeteten. Und so wie der Zug im amerikanischen Folksong immer auch ein Synonym für politische Entwicklungen und Bewegungen war – vom abolitionistischen „Get Off The Track“ der Hutchinson Family bis zu Woody Guthries „Farmer Labor Train“ – so ist auch Dylans „Slow Train Coming“ eine amerikanische Zustandsbeschreibung. „Da kommt was Böses auf uns zu“. Eine recht dunkle Gesellschaftssicht, die suggeriert, es stehe nicht gut um Amerika. Für mich ist der Song in Anbetracht seiner damaligen evangelikalen Konversion und dem sich ankündigenden gesellschaftlichen Roll-back Reagans recht ambivalent. Er hat durchaus starke Bilder, greift durchaus reale Probleme auf, schlägt aber auch recht derbe nationalistische Töne an. Die Zeilen

„Sheiks walkin‘ around like kings, wearing fancy jewels and nose rings
Deciding America’s future from Amsterdam and to Paris“

sind nationalistisch, nicht patriotisch, da sie sich über andere Nationalitäten erheben und recht ruppig den angeblichen Verlust der Souveränität Amerikas beklagen. Auch ein Bob Dylan liegt mal daneben und der Song ist auch über die Jahre für mich keinesfalls besser geworden.

Vom Highway 61 auf die Desolation Row

Und natürlich besingt er auch immer wieder mal die Straßen. Ob puristisch-klassisch in „Down The Highway“ oder ausladend bildstark in „Highway 61“. Hier hat er den Blues-Highway, eine der „Schicksalsstraßen Amerikas“ zum Schauplatz der absurden Moderne auserkoren. Auch ein schönes Spiegelbild der Zeiten. Auch „Desolation Row“ ist eine Straße, die für Dylan zum Kristallisationspunkt der zivilisatorischen Widersprüche des 20. Jahrhundert wird, wenn er sowohl von Einstein und Robin Hood als auch von rassistischen Lynchmorden erzählt.

Der späte Dylan: Unterwegs in Cadillac und Chrysler

Dylan reichert also die alten amerikanischen Themen an, in dem er ihnen neue Wendungen gibt, die zu seinen Zwecken nutzt. Der späte Dylan schafft dies gemäß seiner Arbeit am idealtypischen Amerika vor allem durch Historisierung. Seine Theme Time Radio Hour von 2006 bis 2009 hat natürlich Episoden, in denen es um „Cars“, „Trains“ und „More Trains“ geht. Sogar dem Cadillac hat er eine eigene Sendung gewidmet, spielt das Gefährt, in dem Hank Williams starb, doch eine nahezu mystische Rolle in der Popkultur. Und er hat sogar Werbung für die Automarke gemacht. Ebenso wie für Chrysler.

Copyright: Sony Music Promo

Der alte Dylan: Watching The River Flow und „Like A Rolling Stone“

Der alte Dylan macht dagegen nur noch die allernotwendigsten Wege. Der sitzt eher wieder am Ufer: „Watching The River Flow“. Der Song war feste Säule seiner Herbstkonzerte 2021. Er macht sich nicht auf den Weg zu den Dingen, sondern wartet bis sie an ihm vorbeiziehen. Er erinnert sich dann an „Jimmie Reed“ und die Great Migration, an den Weg Caesars über den Rubicon und sinniert ansonsten über die letzten Wege des Menschen.

Dass er aber als Performer weiterhin vorhat, unterwegs zu sein, hat ja die Ankündigung der Herbsttournee gezeigt: „World Wide Tour / 2021-2024“ heißt es da. Seine Freude am Live-Auftritt scheint ja gemäß dem, was man von den jüngsten Konzerten hört, größer denn je.

Auch im hohen Alter bleibt Dylan immer noch „Like A Rolling Stone“.