„High Water Everywhere!“

Black History Month III: Charley Patton, Memphis Minnie, Bob Dylan und das große Mississippi-Hochwasser von 1927. Die afroamerikanische Bevölkerung litt in besonderer Weise unter der Jahrhundertflut. Dieses kollektive Trauma schlägt sich in verschiedenen musikalischen Bearbeitungen nieder.

Mississippi-Hochwasser 1927. Copyright http://www.commons.wikimedia.org

Die Mississippi-Hochwasser gehören für die Menschen, die in der Nähe des „Big River“ leben, zum Leben dazu. Man hat gelernt, sich damit zu arrangieren. Man flieht vor den Wassermassen, kehrt irgendwann zurück und baut wieder auf. Johnny Cash hat dem in seinem Song „Five Feet High And Risin'“ ein Denkmal gesetzt. Für den kleinen Johnny Cash war so ein Hochwasser fast schon etwas Spannendes.

Anders sieht es bei Jahrhundertfluten aus. Die werden tatsächlich als Katastrophen wahrgenommen, die so mächtig sind, dass sie sich für lange ins kollektive Gedächtnis brennen. Die meisten von uns erinnern sich daher noch ziemlich gut an die Folgen des Hurricanes „Katrina“, der 2005 den Lake Pontchartrain über die Ufer treten und New Orleans verwüstete. Nicht so verheerend, aber trotzdem nicht folgenlos war auch die Überschwemmung durch den Cumberland River in Nashville 2010. Beide Fluten sind natürlich auch in den Fokus gerückt, weil sie bei uns bekannte und beliebte Musikmetropolen getroffen haben.

Sturmfluten haben immense Folgen für die afroamerikanische Bevölkerung

Es ist eine Binsenweisheit, dass immer die Ärmsten am meisten unter solchen Katastrophen leiden. Weil sie dadurch, das Wenige, was sie haben, auch noch verlieren. Bei Katrina wurde es doppelt schlimm, weil interessierte Kreise die Katastrophe tatsächlich zu einer sozialen und ethnischen Bereinigung von New Orleans genutzt haben. Rund 100.000 Einwohner . meist finanziell schwächer gestellte Schwarze, kamen nicht mehr zurück in ihre Stadt. Ihre Wohngebiete konnten somit ganz ohne Widerstand durch die Stadtregierung und die Immobilienbranche gentrifiziert werden.

Auch die Flut von 1927 hat Afroamerikaner überproportional und folgenschwer getroffen. Es wird geschätzt, dass von denen, die ihre Häuser verloren haben, mehr als eine halbe Million schwarz waren. Hunderttausende Afroamerikaner wurden aus ihren Gemeinden und Arbeitsplätzen vertrieben. Aus den Flüchtlingslagern wurde berichtetet, dass schwarze Insassen sich beschwerten, Weiße kämen und gingen nach Belieben ohne Ausweise, während farbigen Menschen keine ähnlichen Privilegien gewährt wurden. Es gab auch Beschwerden über grobe Behandlung farbiger Menschen und Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Verteilung von Lebensmitteln. Die ohnehin schon schwierige Situation der Schwarzen am Mississippi nach der Flut, wurde durch den institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus in den Südstaaten noch auswegloser. So wurde die Flut von 1927 zu einem der entscheidenden Faktoren für die „Great Migration“, der Wanderungsbewegung vieler Afroamerikaner vom rückständigen Süden in die industrialisierten Zentren des Nordens. Neben Arbeit und Einkommen erhoffte man sich dadurch auch ein Mehr an Freiheit und Sicherheit.

1927: Afroamerikaniche Arbeiter beim Dammbau. Copyright: http://www.commons.wikimedia.org

Afroamerikanische Sturmflut-Songs: Memphis Minnie und Charley Patton

Solche Katastrophen finden immer Eingang in die Folkmusik. Seien es Eisenbahn-Katastrophen („The Wreck Of Old 97“), Schiffskatastrophen („Titanic“) oder eine Massenpanik wie das 1913er Massaker in Calumet, Michigan, das von Woody Guthrie besungen wurde. So auch die große Flut von 1927. Eine Vorahnung schien schon im März diesen Jahres Bessie Smith mit ihrem Song „Back Water Blues“ zu haben, denn die Katastrophe nahm im Grunde bereits im Winter 1926/27 ihren Lauf, als heftige Niederschläge die Flüsse anstiegen ließen:

„When it thunders and lightnin’

And the wind begins to blow

There’s thousands of people

Ain’t got no place to go“

Am 15. April 1927, Karfreitag, setzten schließlich über dem gesamten Mississippi-Tal und den angrenzenden Bundesstaaten heftige und anhaltende Regenschauer ein. Weite Teile von Arkansas, Illinois, Kentucky, Louisiana, Missouri, Mississippi und Tennessee wurden überschwemmt. Bis Mai hatte der Mississippi ab Memphis, Tennessee flussabwärts eine Breite von bis zu 97 Kilometern erreicht. (Vgl. Wikipedia). Mit den oben genannten Folgen.

Eine der ersten Songs über die Flut von 1927 stammt von Vernon Dalhart, der noch im selben Jahr die Country-Ballade „The Mississippi Flood einspielte. Doch die bekanntesten Songs über die große Flut stammen von afroamerikanischen Musikern, was mit der oben beschriebenen doppelten Traumatisierung zu tun haben könnte.

1929 war es Memphis Minnie, die mit „When the Levee Breaks“ die die Folgen der Sturmflut für die afroamerikanische Bevölkerung in das archaisch-einfache Bluesschema packt:

Das Wasser steigt und verschlingt das Heim:

Well all last night I sat on the levee and moan

Well all last night I sat on the levee and moan

Thinkin’ ’bout my baby and my happy home

Obwohl gerade die Schwarzen zur Absicherung der Dämme herangezogen werden, ist das Wasser nicht aufzuhalten:

„I works on the levee, mama both night and day

I works on the levee, mama both night and day

I works so hard, to keep the water away

Am Ende heißt es Abschied nehmen vom Süden:


I’s a mean old levee, cause me to weep and moan

I’s a mean old levee, cause me to weep and moan

Gonna leave my baby, and my happy home“

Bob Dylans 2006er-Song „The Levee’s Gonna Break“ wirkt im Grunde wie ein Echo von Memphis Minnies Song. Dylan nimmt den Sprachduktus der frühen Blues-Queen und zeigt trotz scheinbarer Ausweglosigkeit auf, dass die einfachen Menschen trotzdem die Hoffnung nicht aufgeben, durch harte Arbeit voranzukommen:

„If it keep on rainin’ the levee gonna break

If it keep on rainin’ the levee gonna break

Some of these people don’t know which road to take“

und

„Put on your cat clothes, Mama, put on your evening dress

Put on your cat clothes, Mama, put on your evening dress

A few more years of hard work then there’ll be a thousand years of happiness“

Ebenfalls 1929 veröffentlicht Charley Patton seinen Song „High Water Everywhere“, der plastisch das Hochwasser und die Überflutung des Ortes Marion City in Mississippi schildert:

Charley Patton. Copyright: http://www.commons.wikimedia.org

„Oh, I can hear, Lord Lord, water upon my door

You know what I mean, look-a here

I hear the ice, Lord Lord, was sinkin‘ down

I couldn’t get no boats there, Marion City gone down

So high the water was risin‘ our men sinkin‘ down

Man, the water was risin‘ at places all around

Boy, they’s all around

It was fifty men and children come to sink and drown“

Bob Dylans Flutsongs als Übernahme afroamerikanischer Perspektiven

Bob Dylans Song heißt zwar „High Water (For Charley Patton)“, ist aber im Gegensatz zu der offensichtlichen Verknüpfung von „The Levee’s Gonna Break“ mit Memphis Minnies Song weit weg von Pattons Song „High Water Everywhere“. Dylan verknüpft hier wieder in typischer Weise historische Ereignisse mit wirklichen Personen der Zeitgeschichte und Romanfiguren mit philosophischen Betrachtungen in absurden Situationen:

„High water risin‘, risin‘ night and day

All the gold and silver are being stolen away

Big Joe Turner lookin‘ East and West

From the dark room of his mind

He made it to Kansas City

Twelfth Street and Vine

Nothing standing there

High water everywhere“

und

„Well, George Lewis told the Englishman, the Italian and the Jew

You can’t open your mind, boys

To every conceivable point of view“

They got Charles Darwin trapped out there on Highway Five

Judge says to the High Sheriff

„I want him dead or alive

Either one, I don’t care“

High Water everywhere“

Dabei lässt er aber mit den oben genannten Big Joe Turner und George Lewis in seinem Song wichtige Persönlichkeiten der afroamerikanischen Kultur auftreten. Gleichberechtigt neben dem Naturforscher Charles Darwin und der Figur Bertha Mason aus Charlotte Brontës Roman Jane Eyre.

Die beiden oben genannten Dylan-Flutsongs aus den 2000er Jahren haben bereits 1967 einen Vorläufer, als Bob Dylan den Song Crash On The Levee (Down In The Flood) aufnimmt. Auch hier schon zeigt sich, dass Dylan ganz bewusst das afroamerikanische Musikidiom auswählt, um an die Mississippi-Fluten als existentielle Bedrohung darzustellen:

„Now, don’t you try an‘ move me

You’re just gonna lose

There’s a crash on the levee

And, mama, you’ve been refused

Well, it’s sugar for sugar

And salt for salt

If you go down in the flood

It’s gonna be your own fault

Oh mama, ain’t you gonna miss your best friend now?

You’re gonna have to find yourself

Another best friend, somehow“

und

„Well, that high tide’s risin‘

Mama, don’t you let me down

Pack up your suitcase

Mama, don’t you make a sound

Now, it’s king for king

Queen for queen

It’s gonna be the meanest flood

That anybody’s seen

Oh mama, ain’t you gonna miss your best friend now?

Yes, you’re gonna have to find yourself

Another best friend, somehow!

Dylans Flood-Songs als Zeichen der Verbundenheit mit der afroamerikanischen Community

Auch hier wieder zeigt sich die tiefe Verbundenheit Dylans mit der Sichtweise und kollektiven Erinnerungen der afroamerikanischen Community. Der Angst des afroamerikanischen Menschen um das nackte Überleben kommen Dylans archaische, düstere Flood-Songs weitaus näher, als das hochgelobte, textlich journalistische, musikalisch sehr sophisticated, teils mit klassischer Musik, gestaltete „Lousiana 1927“ von Randy Newman, das scheinbar keine Farben kennt. Wo Newman Kunst versucht, gelingt sie Dylan viel tiefer und mit viel dramatischeren, existentielleren Bildern, in dem er an die einfachen und archaischen afroamerikanischen Muster anknüpft. Bei Dylans Flood-Songs ist man immer mittendrin. So wie bei Memphis Minnie, Charlie Patton und John Lee Hooker, an die Randy Newman mit seinem Flood-Song gerade nicht anknüpft.

Bei Newman bleibt man Beobachter, bei Dylan bekommt man Angst vor der Flut.