Archive for Juli 2018

Paul Robeson

20. Juli 2018

Zum 120. Geburtstag des Sängers/ Mehr als „Ol‘ Man River“

Sein Name bleibt wohl untrennbar mit „Ol‘ Man River“ verbunden. Dem bekanntesten Song aus dem Mississippi-Musical „Show Boat“. Er verkörperte am Broadway und in der Verfilmung von 1936 den Joe und sang dort eben diesen Song. Seine Interpretation des Liedes mit markanter Bassstimme wurde zum Welterfolg und Gassenhauer und machte Robeson unsterblich. Im Jahr seines 120. Geburtstages ( geboren am 9. April 1898) lohnt es sich jedoch, daran zu erinnern, dass der gefeierte Sänger auch ein politischer Aktivist war und im McCarthy-Amerika verfolgt wurde.

Von 1927 bis 1939 lebt Robeson in Großbritannien. Dort kam er mit dem Schriftsteller George Bernard Shaw sowie Politikern von Labour und den Kommunisten in Kontakt und wurde zum überzeugten Linken, ohne jemals in eine Partei einzutreten. Er hegte durchaus Sympathien für die Sowjetunion und bereiste sie, war jedoch vor allem ganz praktisch politisch tätig, indem er die Arbeitskämpfe der walisischen Bergarbeiter unterstützte und für die spanischen Internationalen Brigaden sang. 1939 kam er zurück in die USA, unterstützte die Anti-Hitler Allianz im 2. Weltkrieg und engagierte sich später für den Civil Rights Congress und gegen Rassismus und Rassentrennung. Zudem wurde er der Förderer des jungen Harry Belafonte.

Nach Ende des 2. Weltkriegs und der Veränderung des politischen Klima durch die antikommunistische Hexenjagd des Senators McCarthy geriet auch Robeson ins Visier. Seine Platten verschwanden aus den Läden, er stand auf der schwarzen Liste für Funk und Fernsehen und bekam sogar seine Pässe entzogen. erst 1958 führten ihn wieder Auslandsreisen in die Sowjetunion und nach England. Hier er einen weiteren Karrierehöhepunkt, als den Othello an der Royal Shakespeare Company spielte. Überhaupt wurde der Othello und nicht der Joe im „Show Boat“ die Rolle seines Lebens. Bereits 1930 hatte er den Othello am Broadway gespielt, dann wieder ab 1943 erst in sagenhaften 296 Vorstellungen in New York und dann auf einer Nordamerika-Tour.

Eigentlich hatte er in den frühen 1960ern nach der erneuten Rückkehr in die Staaten vor, sich stärker für das Civil Rights Movement zu engagieren, doch psychische und physische Gesundheitsprobleme schränkten seine Möglichkeiten sehr ein, dann starb seine Frau Essie 1965 und sein Alter forderte zunehmend Tribut. Nun zurückgezogen lebend, erhielt er im erneut veränderten Klima der USA Anfang der 1970er Jahre nun auch in Amerika die Ehren, die ihm vorher verweigert wurden.

1976 verstarb Paul Robeson. Er hinterließ ein beeindruckendes künstlerisches und politisches Werk. Sein Leben war nicht mehr und nicht weniger als die prototypische Odysee eines schwarzen linken Amerikaners in den USA des 20. Jahrhunderts.

Heaven’s Gate

18. Juli 2018

oder: Amerika war schon immer so. Aber auch anders.

Warum wundern wir uns eigentlich über ein Amerika mit einem vor Machtlust überschäumenden Präsidenten? Warum wundern wir uns eigentlich über ein Amerika, in dem Rassismus nach innen und Abschottung nach außen einen fröhlichen Urstand feiert? Warum wundern wir uns über ein Amerika, dem der gute Deal, der wirtschaftlich erfolgreiche Händel jedes Mittel heiligt.

Amerika war schon immer so. Die Geschichte des Schmelztiegels ist keine fröhliche Erfolgsstory, sondern eine oftmals widersprüchliche, brenzlige, brutale, verstörende und traurige Erzählung. Der amerikanische Traum des individuellen Glücksversprechens zerschellt an den Mächtigen, die sich im Wohlstandsevangelium eingerichtet haben. Nach dem ist Erfolg und Macht in der Wirtschaft ein Beweis für die Gunst Gottes. Sprich: wer nicht erfolgreich ist, der ist selbst schuld, weil er Gott entzürnt hat. Dieses Christentum, das in den USA weit verbreitet ist, kennt keine Soziallehre. Und wenn sich dann der Mythos der Amerikaner als Gottes ausgewähltes Volk mit diesem biblischen Kapitalismus paart, dann wird der arme Einwanderer als ungläubiger Eindringling gebrandmarkt und bekämpft. So ist das heute und so war es schon in den späten 19. Jahrhundert.

Davon erzählt gleichsam allegorisch Michael Ciminos Western Epos „Heaven’s Gate“, den ich kürzlich als DVD erstanden habe. Die reichen Rancher bekämpfen die armen osteuropäischen Einwanderer. Mit Billigung der Regierung. Es gehörte zum Westen des „Guilded Age“, des „vergoldeten Zeitalters“, dass Viehbarone, Ölprinzen und Eisenbahnmogule Amerika in dieser Zeit rücksichtslos nach Westen erweitert und brutal geformt haben, und die Regierungen nur willfährige Gehilfen waren.

Doch Ciminos Film zeigt auch das andere Amerika auf, das es schon immer gab. Das Amerika der Sozialreformen und der Arbeitnehmerrechte, für die Präsidenten wie die beiden Roosevelts Theodore und Franklin Delano oder Woodrow Wilson standen, oder die weitaus radikaleren „Wobblies“ (Spitzname für Industrial Workers of the World), die Arbeitskämpfe der Minenarbeiter im Harlan County, die gewerkschaftlichen Kampagnen des Sängers Woody Guthrie bis hin zur Bürgerechts- und Anti-Vietnam-Bewegung in den 1960ern und „Black Lives Matter“ und dem „March for our Lives“ heutzutage.

Das Bild, das der Präsident und seine Administration von Amerika derzeit vermitteln, ist Wasser auf die Mühlen des Antiamerikanismus. Dabei ist es nicht wirklich politisch reflektiert, ein ganzes Land für seine politisch-wirtschaftlichen Eliten in Gesinnungs-Geiselhaft zu nehmen. Die Klassenauseinandersetzungen in Amerika sind für die Ausgangsbedingungen für progressive Politik und Gesellschaftsveränderung von enormer Bedeutung. Daher gilt es, diese Auseinandersetzungen zu studieren und die herrschende Politik nach dem ebenso alten, wie einfachen wie wahren Grundsatz „Cui Bono“ zu hinterfragen. Zwar ist der jetzige autokratische Kapitalismus eine direkte Folge des Neoliberalismus – insbesondere seine „inneren Landnahme“ in punkto Wertesystem, Menschenbild und politische Sphäre – und in gewisser Weise auch eine Spielart desselben. Doch wer jetzt nicht den dramatischen Unterschied zwischen dem liberalen, rechtsstaatlichen Neoliberalismus und dem autoritären Neoliberalismus erkennt, der wird Schwierigkeiten haben, ihn wirklich grundlegend kritisieren zu können und geeignete Strategien zur Überwindung beider entwickeln.

In „Heaven’s Gate“ kommt der gleichermaßen intellektuelle wie bodenständige Kümmerer Kris Kristofferson und organisiert die Armen und Benachteiligten zur letzten Schlacht. Am Ende greifen die staatlichen Ordnungskräfte ein, doch gelöst wird das Problem nicht, da stets nie das System in Frage gestellt wird, sondern Grenzüberschreitungen nicht als Wesensbestandteil, sondern als einzelne Entgleisungen gesehen werden. Und so hat hier der intellektuelle Kümmerer eine Niederlage erlitten, am Ende sich in seine gutbetuchte Welt zurückgezogen und weiß doch, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt.

Und auch genau deswegen ist Ciminos Film ein Plädoyer für ein anderes Amerika und für den steten Kampf gegen die Willkürherrschaft der wirtschaftlich und daher auch politisch Mächtigen. Und daher sollten wir uns auch nicht von Amerika in Gänze abwenden. Der Wahlsieg von Alexandria Ocasio-Cortez hat zuletzt wieder ein Hoffnungspotential aufgezeigt. Und Amerika ist auch ein reiches Land, was solche Personen und Charaktere angeht. Denken wir nur an Michael Moore oder Bernie Sanders. Ihnen muss unsere Unterstützung gelten, Sie und an die Politik und Kultur des anderen Amerika muss immer und immer wieder erinnert werden.

Und nicht zuletzt deswegen spielen wir auch weiterhin „Americana“ und die Songs des anderen Amerika. Es ist das mindeste, was wir tun können.

„Super 8“: Sich auf das Fremde einlassen

6. Juli 2018

Wie ein sieben Jahre alter Science-Fiction-Film unverhofft ein anderes Amerika aufleben lässt/ Eine Kurzkritik

Kürzlich mal wieder aus Langeweile am Abend den Fernseher angeschaltet. Einziger Ankerpunkt in einem Meer aus seichtem und schrillem, abseitigem und alarmistischem: „Super 8“, ein kleiner Film, eine Art Nebenwerk der großen Blockbuster-Regisseure und Produzenten J.J. Abrahams und Steven Spielberg. Ein Film, der mich unverhofft nicht mehr losgelassen hat.

Was auf den ersten Blick als schönes Popcorn-Unterhaltungsmovie aus dem Amerika der Vor-Trump-Ära daherkommt, ist vielschichtiger. Gleich vier Bedeutungsebenen hat dieser Film. Da ist die Familiengeschichte um Sohn/Vater/verstorbene Mutter. Da ist die Geschichte mit dem geflohenen Alien und der Air Force, die ihn wieder festsetzen will. Da ist der „Film im Film“ von den jugendlichen Filmemachern. Und da sind noch die Zeitumstände. Lillian, Ohio, ein Ort mit Stahlwerk im Jahr 1979. Also bevor das große Industriesterben im Rust Belt einsetzte, bevor Reagans neoliberale Agenda die Gewerkschaftsrechte beschnitt, in dessen Folgen deren Niedergang begann.

Was aber meine ich mit dem „anderen Amerika“ in diesem Film? Nun, die örtliche Gemeinschaft scheint keine Spaltung zu kennen. Noch ist die Gesellschaft nicht atomisiert. Klar, hier sind fast alle weiß, aber hier ist ein Mittelstand zu Hause, der noch nicht niedergegangen ist. Denn hier gibt es eine funktionierende Industrie und starke Gewerkschaften.

Ganz wichtig: Die Rolle der Armee. Die Air Force ist hier eine Bedrohung für die zivile Gesellschaft. Kein Objekt patriotischen Stolzes. Würde der Film in der Gegenwart spielen, wäre das nicht möglich. Er musste vor dem 11. September 2001 spielen.
Und schließlich: Den ganzen Film über ist das Wesen bedrohlich. Dem Fremden hat es auf die Erde verschlagen und man hat ihm übel mitgespielt. Also agiert er zerstörerisch, um fliehen zu können. Doch als Joe ihm klar macht, dass man keine böse Absicht hat, da wird aus dem dunklen gesichtslosen Fremden, ein Lebewesen mit Gesicht, Mimik und Charakter. Da versteht man einander.

In den Kritiken wurde immer darauf abgehoben, dass der Junge dieses Auftreten dem Fremden gegenüber nur geschafft habe, wie er endlich mit sich und seinem Vater im Reinen war. Ich würde dies nicht nur individualpsychologisch, sondern auch sozialpsychologisch deuten: Die hier lebenden können den Fremden auch akzeptieren, weil ihre eigene Lebenssituation noch gefestigt und mit Perspektiven behaftet ist. Und noch nicht von Armut und Niedergang gekennzeichnet ist.

Heutzutage würde der Junge dieses Vergeben nicht aufbringen. Der Alien müsste für seine Zerstörung bestraft werden. Einfach aus Genugtuung und Verbitterung. „Uns geht es ohne Schuld nicht gut, da soll es anderen, die nicht schuldlos sind, auch nicht gut gehen. Die lassen wir nicht davon kommen“. Und die Jungs wären wahrscheinlich die eifrigsten darin, die Gewaltspirale anzuheizen. Statt Super 8-Filme drehen würden sie mit dem Smartphone die zerstörerische Gewalt als Videofilmchen über die sozialen Medien weltweit teilen. Verbunden mit wüsten fremdenfeindlichen Beschimpfungen.

So ist dieser Film, der guten Unterhaltung bietet, nur sieben Jahre alt, und wirkt dennoch mit seinen Kernbotschaften des Zusammenkommens, des Verständnis für den Fremden, und dem Misstrauen gegenüber dem Militär, so weit weg vom heutigen Amerika, weiter geht’s nicht.