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„Super 8“: Sich auf das Fremde einlassen

6. Juli 2018

Wie ein sieben Jahre alter Science-Fiction-Film unverhofft ein anderes Amerika aufleben lässt/ Eine Kurzkritik

Kürzlich mal wieder aus Langeweile am Abend den Fernseher angeschaltet. Einziger Ankerpunkt in einem Meer aus seichtem und schrillem, abseitigem und alarmistischem: „Super 8“, ein kleiner Film, eine Art Nebenwerk der großen Blockbuster-Regisseure und Produzenten J.J. Abrahams und Steven Spielberg. Ein Film, der mich unverhofft nicht mehr losgelassen hat.

Was auf den ersten Blick als schönes Popcorn-Unterhaltungsmovie aus dem Amerika der Vor-Trump-Ära daherkommt, ist vielschichtiger. Gleich vier Bedeutungsebenen hat dieser Film. Da ist die Familiengeschichte um Sohn/Vater/verstorbene Mutter. Da ist die Geschichte mit dem geflohenen Alien und der Air Force, die ihn wieder festsetzen will. Da ist der „Film im Film“ von den jugendlichen Filmemachern. Und da sind noch die Zeitumstände. Lillian, Ohio, ein Ort mit Stahlwerk im Jahr 1979. Also bevor das große Industriesterben im Rust Belt einsetzte, bevor Reagans neoliberale Agenda die Gewerkschaftsrechte beschnitt, in dessen Folgen deren Niedergang begann.

Was aber meine ich mit dem „anderen Amerika“ in diesem Film? Nun, die örtliche Gemeinschaft scheint keine Spaltung zu kennen. Noch ist die Gesellschaft nicht atomisiert. Klar, hier sind fast alle weiß, aber hier ist ein Mittelstand zu Hause, der noch nicht niedergegangen ist. Denn hier gibt es eine funktionierende Industrie und starke Gewerkschaften.

Ganz wichtig: Die Rolle der Armee. Die Air Force ist hier eine Bedrohung für die zivile Gesellschaft. Kein Objekt patriotischen Stolzes. Würde der Film in der Gegenwart spielen, wäre das nicht möglich. Er musste vor dem 11. September 2001 spielen.
Und schließlich: Den ganzen Film über ist das Wesen bedrohlich. Dem Fremden hat es auf die Erde verschlagen und man hat ihm übel mitgespielt. Also agiert er zerstörerisch, um fliehen zu können. Doch als Joe ihm klar macht, dass man keine böse Absicht hat, da wird aus dem dunklen gesichtslosen Fremden, ein Lebewesen mit Gesicht, Mimik und Charakter. Da versteht man einander.

In den Kritiken wurde immer darauf abgehoben, dass der Junge dieses Auftreten dem Fremden gegenüber nur geschafft habe, wie er endlich mit sich und seinem Vater im Reinen war. Ich würde dies nicht nur individualpsychologisch, sondern auch sozialpsychologisch deuten: Die hier lebenden können den Fremden auch akzeptieren, weil ihre eigene Lebenssituation noch gefestigt und mit Perspektiven behaftet ist. Und noch nicht von Armut und Niedergang gekennzeichnet ist.

Heutzutage würde der Junge dieses Vergeben nicht aufbringen. Der Alien müsste für seine Zerstörung bestraft werden. Einfach aus Genugtuung und Verbitterung. „Uns geht es ohne Schuld nicht gut, da soll es anderen, die nicht schuldlos sind, auch nicht gut gehen. Die lassen wir nicht davon kommen“. Und die Jungs wären wahrscheinlich die eifrigsten darin, die Gewaltspirale anzuheizen. Statt Super 8-Filme drehen würden sie mit dem Smartphone die zerstörerische Gewalt als Videofilmchen über die sozialen Medien weltweit teilen. Verbunden mit wüsten fremdenfeindlichen Beschimpfungen.

So ist dieser Film, der guten Unterhaltung bietet, nur sieben Jahre alt, und wirkt dennoch mit seinen Kernbotschaften des Zusammenkommens, des Verständnis für den Fremden, und dem Misstrauen gegenüber dem Militär, so weit weg vom heutigen Amerika, weiter geht’s nicht.

Die Wiederentdeckung der Hinterwäldler

16. September 2017

Seit ich diesen Blog betreibe habe ich immer mal wieder betont, dass die Küstenstreifen der USA nicht typisch sind für das Land, sondern das weite Land dazwischen. Dass der Mittlere Westen (Heartland) und der Süden sowohl spannend und faszinierend aber auch erschreckend zugleich sein können. Der Süden steht für die Kulturschätze Blues, Jazz, Country, Gospel und Rock’n’Roll, aber auch für Rassismus und Gewalt. Und dort wie auch im ländlichen Raum des Mittleren Westens ist man besonders konservativ, patriotisch, anti-intellektuell und religiös.

Während über lange Jahre die liberalen Küstenautoren wie Ford, Auster oder DeLillo die Helden des amerikanischen Feuilletons waren, sind erst in den letzten Jahren Schriftsteller wie Daniel Woodrell oder Donald Ray Pollock in den Fokus gerückt, die Geschichten aus dem Leben der Hillbillys erzählen. Im Kriminalroman waren und sind es James Lee Burke, Joe R. Lansdale und James Sallis, die ihre Stories in den Bayous, den verödenden Orten und den weiten Landschaften des sogenannten „Fly Over Country“ ansiedeln.

Wer diese Bücher aufmerksam gelesen hat, der las über Gewalt, religiöse Eiferer, Elend in den Trailerparks und die Perspektivlosigkeit ganzer Landstriche. Diese latent vorhandene unheilvolle Melange hat Trump erst möglich gemacht. Nur – die liberalen Eliten der Küstenstreifen haben zu lange die Augen davor verschlossen, haben sich im Gegenteil sogar ein bisschen erhoben über die Hinterwäldler.

Nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, erscheinen gleich mehrere Bücher, die sich mit den Zuständen dieses Hinterlandes beschäftigen. Auf zwei wollen wir hier kurz Blicken:

Fremd in ihrem Land
Die Soziologin Arlie Russel Hochschild hat den Süden bereist und festgestellt – Achtung: das sind ja ganz nette Menschen! Sorry, scheinbar sind die Bayous von Lousiana weiter entfernt von Berkeley als von Bickenbach. Die Gastfreundschaft, die Höflichkeit und der Humor der Menschen des Südens sind legendär. Und nicht jeder weiße Südstaatler ist ein Rassist. Einmal mit den Menschen reden und man stellt fest, dass sie schon vieles verstanden haben, aber eben die objektiv falschen Schlüsse daraus ziehen. „Fremd in ihrem Land“ ist gerade wegen der Neugier und der Überraschung der Autorin so lesenswert. „Wer ihr Buch liest, versteht die Wähler Trumps, weil sie auf Augenhöhe mit ihnen und nicht über sie spricht“, heißt es in der Rezension der FAZ. Sie arbeitet dadurch heraus, dass diese einfachen, konservativen Menschen ihre Freiheit über ihre Arbeit definieren. Nur wenn sie Arbeit haben, können sie frei und unabhängig vom Establishment in Washington und der mittelmäßigen Bürokratie ihrer Nachbarschaft leben: Heiraten, Kinder kriegen, jagen, fischen, feiern. Dass sie mit der Arbeit bei den Chemo- und Petro-Konzernen, die die größten Arbeitgeber Louisianas sind, und ihrem Votum für Trump mithelfen, ihr Leben, ihre Landschaft und ihre Kultur zu zerstören, bildet eine Zwickmühle, die unentrinnbar scheint und zu einer Ausweglosigkeit führt, die die Menschen im Süden zunehmend depressiv und Teile davon auch aggressiv macht.

Die alte amerikanische Linke hatte Woody Guthrie, der bei den Menschen lebte und für sie Lieder sang. Heute scheinen viele Linke abgekoppelt von der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Menschen. Da ist das Buch von Arlie Russel Hochschild eine wichtige Erinnerung: Die Linke muss zu den Menschen gehen!

Hillbilly Elegie
J.D. Vance dagegen ist ein Kind des Rust Belt. Der Rust Belt („Rostgürtel“), früher Manufacturing Belt, ist die älteste und größte Industrieregion der USA und erstreckt sich im Nordosten über mehrere Staaten: Illinois, Indiana, Michigan, Ohio, Pennsylvania, New York und New Jersey, auch West Virginia wird wegen des Bergbaus dazugezählt. Vance erzählt in „Hillbilly Elegie“ die Geschichte seiner Familie und seiner Heimatregion. Hier wurde in den Wohlstandsjahren nach dem Krieg die Arbeiterklasse zur Mittelschicht. Als dann der Niedergang der US-Industrie einsetzte, standen die Leute plötzlich massenweise vor dem Nichts. Armut führt zur Perspektivlosigkeit, führt zu Drogen, zu Apathie, zu Gewalt. Plötzlich ist der amerikanische Traum ausgeträumt. Vom stolzen Arbeiter zum Arbeitslosen, der froh ist sich mit Handlanger-Jobs über Wasser zu halten. Doch da die Demokraten seit Clinton des Spiel des Neoliberalismus mitmachen, sind diese Leute allein gelassen, völlig desparat und eben anfällig für Demagogen wie Trump.

Vance hat seinen individuellen Aus- und Aufstieg aus den prekären Verhältnissen seiner Heimat geschafft. Dass er sie uns in Erinnerung ruft ist löblich. Dass er selber an der Elite-Uni Yale studiert und heute in San Francisco als Investor genau zu dem gesellschaftlichen Establishment gehört, das die Strukturen befördert, die eine Problemlösung für diese Menschen verhindern, ist eigentlich die böse Pointe dieses lesenswerten Buchs.

Es bleibt zu hoffen, dass die amerikanischen Demokraten, die gerade von den Erinnerungen der Wahlverliererin Hillary Clinton gequält werden, sich mehrheitlich zu einer Politik á la Bernie Sanders entschließen. Trump absägen ist das eine, die Ursachen seines Aufstiegs und des irrwitzigen gesellschaftlichen Risses, der quer durch Amerika geht, zu bekämpfen ist das andere, noch Schwierigere. Aber das eine braucht das andere, will man am Traum eines demokratischen und vielfältigen Amerika noch festhalten können.