Stefan Kutzenberger kluges und lustiges Buch „Jokerman“ ist eine Statement zur Lage zwischen Verschwörungstheorien und der US-Präsidentschaftswahl
Wenn ich ehrlich bin, bin ich ein bisschen müde geworden über all die vielen Dylan-Bücher. Immer wieder erscheinen Biographien, die das altbekannte in ewig alten Phrasen wiederkäuen. Dann gibt es die fleißigen Vielschreiber, die zu jedem Dylan-Song ein Buch herausbringen und solche, denen vor Begeisterung ganz klar die Distanz zum Forschungsgegenstand fehlt. Das sind dann Dylanianer, keine Dylanologen.
Lesen über Dylan
Im Moment sind eigentlich die einzigen, die ich wirklich mit Erkenntnisgewinn zu Bob Dylan lese, die Herren Greil Marcus und Elijah Wald. Und am überdrüssigsten bin ich eigentlich Clinton Heylin, der uns Zeile für Zeile wichtig zuzuraunen scheint; „schaut mal her, was ich über Dylan weiß, das weiß nur ich“ und mit dieser Methode ganze Schaffensperioden so zuschneiden will, dass sie stromlinienförmig und widerspruchslos sich ins Werk des großen Künstlers einfügen. Als würde das zum „Unstimmigsten aller Menschen“ (der kluge Günter Amendt) passen, geschweige denn ihm angemessen sein.
Und dann gibt es in den letzten Jahren den Hang, Dylan-Romane herauszubringen. Zum Buch „Catfish“ Rolling Stone-Autor Maik Brüggemeyer schrieb ich seinerzeit, nachdem ich ihn gelobt hatte für seinen Respekt vor Dylan und seinen Kenntnisreichtum: „Seitenlang gießt er Songtexte, Interviewpassagen und sonstige Dylan-Zitate in Dialogform. Was am Anfang noch interessant, vielversprechend und frisch wirkt, wird mit der Zeit überstrapaziert. Dylan-Fans kennen diese Zitate, andere nicht. Die wundern sich nur. Und die Dialoge sind nur selten lebendig, am Ende wirken sie durchaus auch mitunter gezwungen und ermüdend, hat der Autor den Bogen überspannt.“ Oder ich denke an Liaty Pisanis bizarres Werk „Der Spion und der Rockstar“.
Positiver stimmte mich dagegen Markus Berges‘ „Die Köchin von Bob Dylan“. Ich urteilte:“…Berges führt Dylan als netten, sonderlichen alten Herrn in den Roman ein, ohne ihn der Lächerlichkeit preis zu geben. Der Respekt des Songwriters Berges vor einem Säulenheiligen seiner Zunft und viel echte Empathie für die unermüdlich tourende bald 75-jährige Musiklegende lässt Berges Schilderungen von Dylan und seinem Leben auf der Tour zu kleinen, wunderbaren Miniaturen werden, die einen guten Kontrast zum tragischen Leben von Jasmin Nickenigs Großvater Florentinius Malsam abgeben…Berges gelingt hier das Kunststück, in einer Sprache, die in ihrer Menschlichkeit und Wärme für die Figuren an den großen Joseph Roth erinnert, das tragische Leben des deutschstämmigen Ukrainers Florentinius zwischen Stalinismus, Nazismus und Krieg so zu erzählen, dass es realistisch und berührend ist, dass es Grausamkeiten nicht ausspart, aber auch sich nicht daran weidet.“
„Jokerman“…
Nun also eine neue fiktive Erzählung rund um Bob Dylan. „Jokerman“ von Stefan KutzenbergerUnd sie funktioniert gut. Weil sie eben das Dylan-Universum nur zum Ausgangspunkt einer klugen und lustigen Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien und dem orangefarbenen Bewohner des Weißen Hauses nimmt. Und spielerisch und ohne falschen Respekt mit den großen Dylan-Mythen jongliert. Mit seiner Dichtkunst und der Textauslegung mit ihren oftmals bildungsbeflissenen Querverweisen, mit seinen Fans und mit deren-„Geheimgesellschaften“. Kutzenberger tut dies so erfrischend, so gescheit und lustig, dass dieser Roman ein einziges großes Lesevergnügen ist.
Zum Inhalt lesen wir auf der Seite des Piper-Verlages: „Sein Name ist Kutzenberger, Stefan Kutzenberger. Der melancholische Österreicher hat den Auftrag, die Welt zu retten, denn er ist der Jokerman. Schuld daran ist kein Geringerer als Bob Dylan, auch wenn der gar nichts davon weiß. All die Menschen, die das Werk des Musikers und Literaturnobelpreisträgers seit Jahrzehnten wie eine heilige Schrift deuten, haben den Jokerman auserkoren, die Wiederwahl eines der bizarrsten Tyrannen unserer Tage ins Weiße Haus zu verhindern. Mit Verve und Witz zeigt dieser Roman, wie Verschwörungsszenarien entstehen und sich so gut wie alles erklären lässt mit einer „wahren“ Lehre. Ein entlarvender Spiegel der Gegenwart, eine literarische Entdeckung und ein Riesenspaß – weit über die schicksalhaften US-Wahlen am 3. November hinaus.“
…sticht Trump?
Und mit einem bizarren Showdown, denn am Ende steht Kutzenberger Trump mit einer Giftspritze in der Hand gegenüber.“ Dies verriet bereits Ende letzten Jahres die Wiener Zeitung. Denn da war der Roman wohl schon in weiten Teilen fertig gestellt. Ob Dylan davon wusste, als er das Bild vom Skelett mit Spritze und Trump-Schatten zu seiner Album-Auskopplung „False Prophet“ veröffentlichte? Die Bob Dylan-Geheimgesellschaft wird es wissen…
Mehr wird hier aber nicht verraten, denn dieser Roman verdient viele Leser. Man geht aus diesem Buch fröhlicher und (lebens-)klüger hinaus, als man hineingegangen ist. Was man eben heutzutage nicht von vielen Bob Dylan-Büchern sagen kann…
Die ungebrochen Aktualität des Werkes von Bob Dylan und was es uns zum heutigen Amerika zu sagen hat
Es gibt eine ganze Reihe von Dylan-Afficionados, die meinen, Dylan wäre auf einem höherwertigen moralischen und intellektuellen Level als zu früheren Zeiten, da er sich heutzutage nicht in seinen Songs oder mit anderen Aussagen tagespolitisch zu Wort meldet. Ich sehe das profaner: Es ist halt so und er darf das. Kein Künstler ist verpflichtet, politischer Aktivist zu sein. Sein kritisches Denken, seine Subversivität wirkt zu allererst durch seine Kunst.
Aber das heißt andersherum auch, dass Kunst und Künstler nicht per se besser sind, wenn sie sich tagespolitisch enthalten. Und auch nicht, dass die Kunst von Künstlern, die politische Aktivisten sind, per se schlechter ist. Es gibt gute und schlechte Kunst – ob sie nun direkt politisch ist oder nicht.
Was Dylan allerdings vielen anderen Künstlern Voraus hat, und was ihn so einzigartig macht, ist sein Niveau der Beschäftigung mit den universellen Fragen, die seine Songs zu zeitlosen Klassikern werden lassen, da sie Gültigkeit haben, solange unsere Welt so ist wie sie ist.
In Dylans Werk Amerika studieren
Und daher funktionieren auch seine Protestsong-Klassiker auch heute unvermindert gut. Denn die USA waren in den 1960er Jahren ähnlich gespalten wie heute. Und die Brutalität der White Supremacy, denen sowohl ein Medgar Evers, als auch die vier Mädchen in Birmingham Four schließlich auch Martin Luther King zum Opfer fielen, war noch offener und spektakulärer. Den Unterschied macht heute ein protofaschistischer Präsident aus, der einen positiven Resonanzboden von höchster Stelle aus für menschenverachtendes Denken, Rassismus und gefährlichen Irrsinn bietet.
Dylan äußert sich nicht dezidiert tagespolitisch zur aktuellen Lage. Aber wer sein Werk aufmerksam studiert – gerne auch einmal rückwärts von „Rough And Rowdy Ways“ bis zu seinen Anfängen – der kann sehr viel darüber herauslesen, warum Amerika heute so ist wie es ist. Ob er in „Who Killed Davey Moore“ oder „Union Sundown“ oder „Workingmans Blues #2“ die kapitalistische Leistungs- und Gewinnmaximierung sichtbar macht, in „With God On Our Side“, „Masters Of War“ oder „Murder Most Foul“ die politische Klasse und den Einfluss des militärisch-industriellen Komplex auf die Geschicke des Landes anspricht, in „Only A Pawn In Their Game“ oder „Hurricane“ die Mechanismen einer rassistischen Klassengesellschaft offenlegt oder in „Jokerman“, „Man Of Peace“, „Man In The Long Black Coat“ oder „TV Talking Song“ die Führerhörigkeit und die Verführbarkeit der Massen durch Autokraten und Medien zum Thema macht. Diese gesellschaftlich-politisch-wirtschaftlichen Strukturen haben in den USA bis heute ihre Gültigkeit und sind ursächlich für das aktuelle Chaos und den Niedergang.
The Times They Are A-Changin‘
Und daher muss Dylan dem auch nichts grundlegend Neues hinzufügen. Und deswegen sind seine Klassiker auch heute noch immer wieder der Soundtrack jeder Bewegung und jeden Amerikaners gegen den nicht enden wollenden amerikanischen Alptraum. Von den Jugendlichen, die sich seinerseits nach dem ixten Schulmassaker mit „The Times They Are A-Changin‘ gegen den Waffenwahn gewandt haben bis zu Neil Young, der soeben neben seinem eigenen nun neu getexteten „Looking For A Leader“ (gegen Trump und für Biden) ebenfalls nun dieses unverwüstliche „Times'“ anstimmt.
Denn auch die Bewegung, die unter dem Banner von „Black Lives Matter“ auf die Straße geht ist jung wie damals die Kids in den 1960ern. Aber sie ist auch bunter, diverser und weiblicher. Und gibt uns die Hoffnung, dass das Diktat der alten weißen Männer, der Trumps und ihrer menschenfeindlichen Gesinnung, die im Schoß des Hire und Fire-Kapitalismus gewachsen ist, endlich gebrochen wird.
Dass man dafür jetzt erstmal wieder den alten weißen Mann Biden braucht, ist eine Notwendigkeit die sich nicht ändern lässt. Hinter ihm aber kann eine neue hoffnungsvolle Generation kommen. Es ist das Entscheidungsspiel für Amerika. Mit Biden die Hoffnung und vor allem die Ausgangsbedingungen für eine progressive Umgestaltung Amerikas erhalten und erweitern oder mit Trump in die die brutale Diktatur des Chaos abrutschen.
Bob Dylan – Only A Pawn In Their Game:
D.C. choir sings with Jennifer Hudson, ‚The Times They Are A Changin‘ at March For Our Lives Rally:
Die US-Präsidenten im Leben und Werk des Songpoeten und Literatur-Nobelpreisträgers
In einer Zeit, in der ein US-Präsident kurzerhand aus wahltaktischen Gründen die föderale Grundordnung der USA mit Füßen tritt und dabei einen ersten Vorgeschmack auf mögliche Bürgerkriegsszenarien liefert, interessiert mich, welche Rolle zu welchen Zeiten die Figur des US-Präsidenten im Werk von Bob Dylan gespielt hat. Schließlich hat der soeben mit „Murder Most Foul“ einen US-Präsidenten – John F. Kennedy – und seine Ermordung in seinem längsten Song, der gleichzeitig einer seiner besten Songs ist, thematisiert.
Bildrechte: Columbia, Sony Music
Natürlich liegt es beim Thema nahe: Ala das Dylan-Zitat in Sachen US-Präsident wird liebend gerne „Sometimes even the president of the United States must have stand naked“ aus „It’s Alright Ma“ von 1965 angesehen. Natürlich besonders in seiner Reinkarnation von 1974: Jubel beim Publikum, Nixon ist wegen Watergate am Ende. Und da im Grunde fast jeder US-Präsident auch einmal schwere Zeiten durchmachen muss oder auch im Zwielicht steht, passt das auch so gut. Ob Reagan und seine Iran-Contra-Affäre, Bill Clintons Zigarrenspiele oder George W. Bushs Lügen im Irak-Krieg: Diese Zeile, wenn Dylan sie singt, ist immer noch für Juchzen und Applaus gut.
Kennedy, der jetzt nach fast 60 Jahren wieder im Werk Dylans auftaucht, hat für ihn 1963, wie für seine ganze Generation, eine ambivalente Bedeutung. Auf der einen Seite stellte er gegenüber dem ewigen Kriegshelden Eisenhower einen Fortschritt dar. Zum anderen bleibt er trotzdem noch der Logik des Antikommunismus verhaftet. Man hofft, mit ihm wichtige Veränderungen in Amerika – Bürgerrechte! – erringen zu können. Aber substantiell ist noch wenig da. Dylan geht denn auch sehr unverkrampft mit Kennedy um, als der ihn in seinem Song „I Shall Be Free“ anruft und fragt, was denn ein Land zum Wachsen bringen könne: „Brigitte Bardot, Anita Ekberg, Sophia Loren“ antwortet der Sänger spöttisch-anzüglich.
Und im Hinterhirn möchte man flugs noch Marylin Monroe dazu addieren, das amerikanische Sexsymbol der 1950er Jahre. Nur starb die aber schon im August 1962 unter bis heute ungeklärten Umständen an einer Überdosis Barbituraten. Und Dylans Aufnahme stammt aus dem Dezember 1962. Sie konnte also nicht mehr Ziel seines Spottes sein. Aber: Marylin wird auch eine Affäre mit John F. Kennedy nachgesagt. Und auch wegen diesem Yellow Press und Jet-Set-Status des ersten amerikanischen Popstar-Präsidenten zählt hier Dylan die Riege der Sexbomben auf.
Und – Achtung Verschwörungstheorie! – ihr Tod wird auch gerne in Verbindung mit Kennedy gebracht. Und damit steht Kennedy schon im Mittelpunkt vor zwei Verschwörungstheorien. Dieser und der Theorie seiner eigenen Ermordung. Dylan hat übrigens wenige Monate nach dem Attentat Dallas bereist und den Tatort in Augenschein genommen. Auch er hält den überlieferten Tathergang für nicht stichhaltig. Doch es wird eben fast 60 Jahre dauern, bis er sich in Liedform damit beschäftigt.
Dylan und die Präsidenten im „richtigen Leben“
Zeit seines Lebens versucht Bob Dylan soweit es geht, die Nähe zur politischen Klasse zu meiden. Es gibt ansonsten unendlich viele Berührungspunkte in der Geschichte der US-Gesellschaft zwischen Unterhaltungsbusiness, Medien und Politik. Wie erinnern uns an den singenden Gouverneur Jimmie Davis („You Are My Sunshine“), an den Schauspieler Ronald Reagan und eben den Reality-Show-Star Donald Trump. Und selbst der kluge und humane Kopf Kinky Friedman, wird nicht müde zu betonen, dass er sowohl mit George W. Bush als auch mit Bill Clinton befreundet sei.
Jimmy Carter, Copyright wikimedia commons
Umso bedeutsamer ist daher bei Bob Dylan die Personalie Jimmy Carter. Kennengelernt hat er den Ex-US-Präsidenten als der Gouverneur von Georgia war und ihn 1974 nach einem Konzert in Atlanta zu sich nach Hause einlud. Jimmy Carter, so heißt es, freundete sich mit Dylan an und zitierte ihn sogar in seiner Inauguration Speech. Dylan wiederum bezeichnete sich 1978 in einem Interview selbst als Carters Freund und sagte, „der hätte das Herz am rechten Fleck.“ Doch Dylan spielte unter Carters Präsidentschaft nie im Weißen Haus und wie eng die Freundschaft dann über die Jahre letztendlich wirklich war, ist so gut wie nichts bekannt.
Neu bekräftigt wurde diese Freundschaft dann 2015 durch die Laudatio von Jimmy Carter bei der MusciCares-Preisverleihung. Näher ließ Dylan aber keinen Politiker mehr an ihn ran. Bei Bill Clinton spielte er auf der Inaugurationsfeier, was schon als politisches Statement nach fast anderthalb Jahrzehnten Republikanern im Weißen Haus zu werten ist. Aber an den Bildern sieht man schon: Bill & Family haben deutlich mehr Spaß daran als Dylan. 1997 bekommt Dylan dann von Clinton die Kennedy Medaille. Auch hier sind keine größeren Vertraulichkeiten zwischen den Künstler und Präsident überliefert.
Ambivalent scheint auch das Verhältnis zu Obama zu sein. Dylan hat sich vor der Wahl Obamas im Juni 2008 in einem Interview mit der London Times positiv über Barack Obama geäußert und auch am Wahlabend 2012 bei einem Konzert – ohne allerdings den Namen von Obama zu nennen – seine Zuversicht für dessen Wiederwahl geäußert. Auch Obama ehrte Dylan, und zwar mit der Freiheitsmedaille und Dylan folgte dessen Einladung ins Weiße Haus und spielte in einem Konzert mit Songs der Bürgerrechtsbewegung.
Auch 2009 war in einem Interview die allgemeine Zustimmung von Dylan für Obama zu spüren, er wollte aber nicht in den allgemeinen Obama-Hype miteinstimmen: „Er wird als Präsident sein Bestes geben. Viele der Jungs traten mit den besten Absichten an und gingen als gebrochene Männer. Lyndon Johnson ist ein gutes Beispiel, oder auch Nixon, Clinton oder Truman. Beinahe, als würden sie alle zu hoch fliegen und sich dann verbrennen“, so Dylan.
2012 aber ließ er sich im Rolling Stone von Mikal Gilmore zu keiner eindeutig positiven Aussage zugunsten von Obama drängen. Wobei dieses Interview von Unklarheiten und Ablenkungsmanövern wieder einmal nur so strotzte. Stichwort „Transfiguration“.
Möglicherweise sah Dylan seine Erwartungen von Obama enttäuscht, denn der hat außer der Gesundheitsreform kaum etwas im Land verändert. Sicher, das Klima war insgesamt liberaler geworden. Aber: In der Finanzkrise hatte er den Bock zum Gärtner gemacht, als er sich von der Wall Street beraten ließ. Für viele Leute ist der Name Obama mit dem Verlust des eigenen Hauses verbunden. Er hat weder substantiell am strukturellen Rassismus des Landes etwas verändert, noch hat er die Bekämpfung der neoliberalen Auswüchse in der Gesellschaft in Angriff genommen. Und er hat Drohnenkriege geführt und das US-Militär weiterhin in Auslandseinsätzen gehalten.
Natürlich hat Dylan keine Bezugspunkte zu Trump und Dylan hat auch keine Songs aufgenommen, die Trump für seine Zwecke einsetzen könnte, so wie er das bei Tom Petty, Neil Young oder Bruce Springsteen versucht hat. Dylan straft Trump durch Nichtbeachtung und doch kann man Andeutungen in Richtung Trump durchaus aus „False Prophet“ heraushören. Und damit zu Dylans Werk.
Fundstellen zur Figur des US-Präsidenten in Dylans Werk
Bildrechte: Columbia, Sony Music
Wir haben „I Shall Be Free“ erwähnt und „It’s Alright Ma“. Direkte Bezugnahmen auf konkrete Präsidenten sind bei Dylans eigenen Songs nicht übermäßig viele festzustellen. In Talkin‘ World War III (1963) zitiert und nennt er beispielsweise noch Abraham Lincoln. Interessant sind aus den 1960ern aber zwei Songs. Und beide haben was mit „The Band“ und den „Basement Tapes“ tun. Letztere hat Greil Marcus ja als Songs „von alten, gefährlichen Amerika genannt. Da ist zum einen der Song „Clothes Line Saga“. Darin wird ganz beiläufig in einem Gespräch an der Wäscheleine/übern Gartenzaun erzählt, dass der Vizepräsident durchgedreht sei. Größer kann die Distanz der Sprechenden zum Geschehen und zur politischen Instanz des Vizepräsidenten nicht sein: „Was kümmert’s uns?“ Eine alte Denkfigur aus einem weiten Amerika, in dem die politischen Instanzen des Bundes weit weg sind.
Ganz anders dagegen der Song „Dear Mrs. Roosevelt“ von Woody Guthrie, den Dylan und The Band beim Tribute Konzert für die verstorbene Folk-Legende spielten. Sie spielen den Song auch als Ehrbezeugung für Franklin D. Roosevelt, dessen Präsidentschaft und New Deal-Politik bis heute eine einzigartige Ära in den USA darstellen.
Nachdem der besagte Jimmy Carter nur ein vierjähriges Intermezzo im Weißen Haus gab, prägte sein Nachfolger Ronals Reagan wieder eine Ära. Sie war gekennzeichnet vom Durchgriff der Kapitalinteressen durch eine neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik, massiven Sozialabbau und institutionellen Rassismus, indem Reagan die Schwarzen als vermeintliche Sozialschmarotzer seinem konservativen Klientel zu Fraß vorwarf.
Man kann „Infidels“ von 1984 durchaus als Dylans Auseinandersetzung mit den Veränderungen in den USA verstehen. In „Jokerman“ kann man Textstellen als Einschätzung von Reagans Ideologie sehen: „Book of Leviticus and Deuteronomy, law of the jungle.“ steht für Regans neoliberales evangelikales Weltbild. „rifleman’s stalking the sick and the lame…Nightsticks and water cannons, tear gas, padlocks, Molotov cocktails and rocks“ sind die Mittel, um die Herrschaft des Neoliberalismus gegen die Proteste zu verteidigen. „Jokerman“ ist nach dieser Lesart der Schauspieler Ronald Reagan, der seine Politik gegen die Armen und Beladenen (oftmals Afroamerikaner) rücksichtlos und ohne Empathie durchzieht. Und in „Sweetheart Like You“ singt Dylan “They say that patriotism is the last refuge to which a scoundrel clings/ steal a little and they throw you in jail/ Steal a lot and then they make you king.”
Treffender kann man Reagans Mischung aus Patriotismus und Neoliberalismus nicht beschreiben. Die Sixties und die Seventies sind vorbei. Kein Wunder, dass Bob Dylan in Reagans Jahrzehnt sich seine künstlerische Krise nahm. Der Mainstream wanderte nach rechts und ins Unverbindliche – Elvis war Tod, Dylan in der Krise, da begann der Aufstieg des „King Of Pop“, Michael Jackson, und seinem bombastischen Eskapismus. Gepaart mit körperlichem Drill – perfekte Tanzeinlagen! – und neoliberaler Selbstoptimierung – Michael Jackson will immer weißer werden!- war Jacksons Musik der perfekte Soundtrack für das Reagan-Jahrzehnt, der zudem den Schwarzen noch vormachte, sie gehörten dazu.
Dass die Figur des Präsidenten für Dylan eine besondere Bedeutung hat, zeigt auch die Episode „Presidents Day“ aus seiner Radio Show aus dem Jahre 2008, die am 13. Februar, vier Tage vor diesem amerikanischen Gedenktag ausgestrahlt wurde. Und die Playlist lügt nicht. Seine Präferenzen bezüglich der Präsidenten Roosevelt und Kennedy und die Missachtung für Richard Nixon wird deutlich. Wer dachte damals schon, dass irgendwann ein rassistischer Mega-Schreihals und proto-faschistischer Verfassungsverächter wie Trump an die Macht kommen würde.
Nach Obama kommt Trump
Auf den ersten schwarzen Präsidenten folgte die Rache des konservativen, rassistischen Amerika in der Person von Donald Trump. Zu ihm ist keine Äußerung Dylans belegt, zumal bis zu diesem Frühjahr ja während Trumps Regentschaft kein neuer Dylan-Song erschienen war. Umso elektrisierter reagierte die Dylan-Gemeinde auf die beiden neuen Songs „Murder Most Foul“ und „False Prophet“. Ersterer zeigte ja deutlich auf, welch Qualitätsverlust in der Besetzung des Präsidentenstuhls durch Trump von statten ging. Und wie eng auch Kennedy mit dem amerikanischen Jahrhundert und dessen kulturellen Output verwoben ist. Dagegen ist Trump nur eine zwielichtige Figur ohne jede Tiefe und literarischen Wert. Ihn nennt man nicht beim Namen, ihn redet man so an:
„Hello stranger – Hello and goodbye/ You rule the land but so do I/ You lusty old mule – you got a poisoned brain/ I’m gonna marry you to a ball and chain.“
Und auf der Illustration zu „False Prophet“ ließ sich unschwer ein Schatten als Trump an Frisur und Figur erkennen. Dylan verwebt in „Rough And Rowdy Years“ die Bilanz seines eigenen künstlerischen und menschlichen Strebens mit der Geschichte Amerikas. Und daher gibt es auch noch Referenzen zu Roosevelt und Truman.
Bob Dylan ist – man kann es nicht oft genug sagen – kein tagespolitischer Künstler. Aber er hat universelle Werte und ein Verständnis von amerikanischer Geschichte, von griechischer Klassik und Shakespear’schen Tragödien. Und in diesem Kosmos siedelt er „seine Präsidenten“ an. Da bleibt für Trump nur die Rolle des namenlosen Schuftes, der einen Schatten an die Wand wirft und sonst nichts Gutes hinterlässt.
Und noch mehr Notizen zu Rough And Rowdy Ways“: Dylan singt in „Mother Of Muses“ auch über sein Land
General William T. Sherman, Foto: Wikimedia Commons
Der Song klingt erst wie eine alte Folk-Ballade aus dem US-Bürgerkrieg, dann noch älter. Als würde Homer sein Lied singen und die Laute anschlagen. Denn Dylan ruft die alten griechischen Musen an: Mnemosyne und Calliope.
Wie ein uraltes Lied
Doch die dritte Strophe führt aus der Antike mitten in das 19. und 20. Jahrhundert, als die Grundlagen des amerikanischen Jahrhunderts gelegt wurden:
Sing of Sherman, Montgomery and Scott
And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought
Who cleared the path for Presley to sing
Who carved the path for Martin Luther King
Who did what they did and they went on their way
Man, I could tell their stories all day
Sherman ist natürlich der legendäre General aus dem US-Bürgerkrieg, Montgomery ein amerikanischer General des Unabhängigkeitskrieges und Winfield Scott war ein US-General, der die US-Armee im 19. Jahrhundert bis in den Bürgerkrieg hinein prägte. Zhukov war der oberste russische Militär im 2. Weltkrieg und Patton ein legendärer amerikanischer Haudegen in diesem Krieg.
Die ersten drei stehen für die Entwicklung und Ausdehnung der USA mittels teilweise grausamer Kämpfe gegen die Briten, die Indianer, die Mexikaner und die US-Südstaaten. Die letzten beiden für den Sieg über den Faschismus und die Befreiung Europas.
Dylan sang über den Aufstieg des Landes…
Bei aller Fragwürdigkeit mancher Feld- oder Charakterzüge dieser Männer sieht Dylan diese Siege als Voraussetzung des amerikanischen Jahrhunderts an. Diese Kämpfe sind die Voraussetzung für den Sieg Amerikas und Russlands über den Faschismus, für Elvis und eine globale Rock- und Jugendkultur und für Martin Luther King und dem Glücksversprechen, Rassismus und Ungleichheit zu beenden.
Dylan weiß um die Widersprüche im Kampf für die Freiheit. Er weiß um die Widersprüche seines Landes. Er hat in frühen Jahren mit „With God On Our Side“ schon einmal den Aufstieg der Vereinigten Staaten besungen. Hat ihre Kriege aufgezählt. Er weiß, dass Amerika eine einzigartige Populärkultur hervorgebracht hat, aber auch Gewalt, Indianerkriege und Rassismus. Dies beschäftigt ihn seinem Alter in diesen Zeiten um so stärker.
Elvis Presley, Foto: Wikimedia Commons
Dylan bringt exemplarisch ja auch mit „Murder Most Foul“ die zwei Seiten Amerikas poetisch zum Klingen. Und nicht von ungefähr spricht Dylan im die Veröffentlichung des Albums begleitenden Interview über das Sand-Creek-Massaker an den Cheyenne und Arapahos im Jahr 1864 und über den Tod George Floyds dieser Tage. Dylan hat die schwarzen Märtyrer Emmett Till und George Jackson besungen und hat vor wenigen Jahren erst gesagt, man müsse nur die Namen austauschen, diese Songs hätten noch immer ihre Gültigkeit.
…nun singt er über den Niedergang
Dylan singt auf diesem Album den Schwanengesang auf Amerikas vermeintliche Größe, er singt im fortgeschrittenen Alter über den Niedergang Amerikas. Er kassiert den amerikanischen Traum ein, weil der schon immer auch den Albtraum inkludiert hatte. Dylan argumentiert dialektisch. Und wie bei Dylan üblich liefert er auch hier nur die Analyse. Denn den Reim darauf, also den Weg um diese Widersprüche zu überwinden, den müssen wir selbst finden.
New York Public Library, Copyright: Wikimedia Commons.
Notizen zu „Rough And Rowdy Ways“: Das neue Album nimmt auch Amerikas raue und rauflustige Wege in den Fokus.
Ich habe immer wieder betont, dass in Bob Dylans Werk auch nach Ende seiner „Protest-Phase“ keineswegs gesellschaftliche Entwicklungen ausgeblendet werden. Er hat im Laufe der Karriere immer wieder treffende Bilder und Beschreibungen für gesellschaftliche Zustände gefunden. „Von All Along The Watchtower“ über „Hurricane“ bis hin zu „Workingman’s Blues #2“. Er sieht aber seine Aufgabe als Künstler darin, gesellschaftliche Entwicklungen in Worte, Bilder und Songs aufzugreifen und nicht darin, als politischer Aktivist für eine Sache einzutreten. Musik kann nicht die Welt verändern, aber den Menschen auf die Sprünge helfen, es zu tun. Auch in diesem Sinne hat Dylan gleich mehrere Generationen beeinflusst.
Dylan schreibt amerikanische Geschichte
Seit der junge Bob Dylan in der New York Public Library gierig nach Erkenntnissen die Zeitungen aus der Epoche des amerikanischen Bürgerkrieges geradezu verschlungen hat, lässt er uns an seiner Art der amerikanischen Geschichtsschreibung teilhaben. „With God On Our Side“ hat die Kriege im Blick, die Amerika zur Weltmacht haben aufsteigen lassen. Von den Indianer-Feldzügen bis zum Kalten Krieg. In „Only A Pawn In Their Game“ klärt er über die Mechanismen des sich immer weiter vererbenden Rassismus in den Südstaaten auf. Und in „Blind Willie McTell“ malt er ein großformatiges Bild des Südens mit Plantagen und Galanterie, Rassismus und Religion. Vom Zeltgottesdienst über die Minstrel Show bis zu Bootlegin‘ Whiskey und Blind Willie McTells Blues.
Wenn nun Dylans neues Werk „Rough And Rowdy Ways“ betitelt ist, so mag das zwar vordergründig ein Selbstbild des Künstlers oder seinem „lyrischen Ich“ sein, es ist aber mindestens genauso auf den Aufstieg und den Niedergang Amerikas gemünzt. Einem Amerika, dessen Geburtsfehler, Lebenslügen, dessen Widersprüche und Aberwitzigkeiten nun angezündet von der Lunte eines diabolisch-dummen Neros im Weißen Haus, das Land ex- und implodieren lassen. Einem kindischen Nero, der das amerikanisch-raue, laute und rauflustige geradezu idealtypisch verkörpert.
Dylans musikalische Geschichtsstunden beschränken sich auf diesem Album nicht auf das offensichtliche „Murder Most Foul“, in dem Dylan den Beginn der Abwärtsspirale auf den 22. November 1963, den Tag der Ermordung John F. Kennedys, datiert. Dylan hatte sich nur wenige Monate nach dem Attentat vor Ort in Dallas umgesehen und teilt seitdem die Meinung vieler in den USA, dass dieses Attentat nie wirklich vollständig aufgeklärt wurde. Auch in anderen Songs äußert sich Dylan zum Weg Amerikas.
Dialektik von Aufklärung und Befreiung
In „Mother Of Muses“ singt Dylan: „Sing of Sherman, Montgomery and Scott/ And of Zhukov, and Patton, and the battles they fought/ Who cleared the path for Presley to sing/ Who carved the path for Martin Luther King/ Who did what they did and they went on their way/ Man, I could tell their stories all day.“ Damit treibt er die Widersprüche und die Dialektik von Aufklärung und Befreiung auf die Spitze. Denn Shermans grausamer, vernichtender Feldzug durch Georgia brach die Kriegsmoral der Menschen im Süden. Eine Moral, einen Krieg weiterzuführen, in dem der Süden für sein Recht kämpfte, weiterhin Menschen zu versklaven. Und Patton, der im 2. Weltkrieg mit der US-Army Europa vom Faschismus befreite, war durchaus ein fragwürdiger Charakter. Doch beide bereiteten den Boden dafür, dass der weiße Presley die Musik der Schwarzen sang, die eine Nachkriegsjugend global adaptierte, als auch dass Martin Luther King die Bürgerrechte der Schwarzen einfordern konnte und Hoffnung auf politische Veränderung im Sinne der Menschen aufkeimte.
Song aus der „Great Migration“
„Goodbye Jimmy Reed“ wiederum ist durchaus auch als eine Geschichte über eine typische afroamerikanische Biographie aus der Zeit der „Great Migration“ zu verstehen. Reed wurde 1925 in Mississippi im tiefsten Süden geboren und ging wie viele Afroamerikaner seiner Zeit 1943 nach Chicago, arbeitete erst bei der Marine, dann im Schlachthof und kam dort in Kontakt mit Leuten aus der Bluesszene und würde selbst einer ihrer Stars. Dieser Jimmy Reed wird hier besungen von einem Afroamerikaner, der es nicht geschafft hat. Der mit dem Rassismus und der Gewalt in Virginia kämpft – „They threw everything at me, everything in the book/ I had nothing to fight with but a butcher’s hook/ They had no pity, they never lent a hand/ I can’t sing a song that I don’t understand“ – und über sein Idol ins Schwelgen gerät.
Böse Prediger
Auch „False Prophet“ ist nicht nur irgendwo zwischen Selbstporträt, Weltgeist und Teufel angesiedelt. Der „False Prophet“ steht auch für die in den USA wohlbekannte Figur des gefährlichen Predigers, des zur Gewalt anstiftenden Anführers. Robert Mitchum in „Die Nacht des Jägers“, Andy Griffith in „A Face In The Crowd“ oder William Shatner in „Weißer Terror“ haben ihm Gesichter gegeben. Dylan hat ihn in Songs wie „Man Of Peace“ oder „Man In The Long Black Coat“ verewigt. Diesmal scheint der amtierende Präsident als falscher Prophet benannt zu werden: „Hello stranger, hello and goodbye/ You rule the land but so do I/ You lusty old mule, you got a poisoned brain/ I’ll marry you to a ball and chain.“ Dass der Schatten des gehängten Mannes auf dem Cover von „False Prophet“ dem Orangefarbenen ähnelt, scheint ein weiterer Beleg dafür zu sein.
Dylans Sehnsuchtsort
Copyright: Wikimedia Commons.
„Key West“ in Florida dagegen ist Dylans Sehnsuchtsort des anderen Amerika. Hier haben die Beatniks Ginsberg, Corso und Kerouac gelebt, hier verbrachten Tennessee Williams, Louis Armstrong oder Ernest Hemingway Teile ihres Lebens. Wenn er das Bild „I was born on the wrong side of the railroad track“ benutzt, dann identifiziert er sich auch hier wieder mit der afroamerikanischen Community, deren Platz stets am Rande der Orte, in den windschiefen Hütten hinter den Eisenbahnschienen war. Hier in Key West haben sie alle ihren Platz. Alle Menschen, alle Ethnien können nach ihrer Fasson im liberalen und optimistischen Klima zu sich selbst finden, nachdem sie am restlichen Amerika den Verstand verloren haben.
Dylans Erzählung vom amerikanischen Sehnsuchtsort beginnt mit der Ermordung Williams McKinleys, dem US-Präsidenten, der die Nation in den imperialistischen spanisch-amerikanischen Krieg 1898 geführt hatte und 1901 an den Folgen eines anarchistisch motivierten Attentats starb. Schon der Old Time Musiker Charlie Poole hatte McKinley im „White House Blues“ besungen. In Key West zog sich während des spanisch-amerikanischen Krieges die US-Flotte zusammen. Dylan lässt hier McKinley nochmals sterben, um Key West die Unschuld zurück zu geben, die es braucht, um zum Sehnsuchtsort des anderen Amerikas zu sein. Ein Ort, der sogar sein „Little White House“ besitzt, den Wintersitz des US-Präsidenten Harry S. Truman. Und Dylan setzt auch wieder ein Zeichen für religiöse Toleranz. Singt er in „Goodbye, Jimmie Reed“: I live on a street named after a saint/ Women in the churches wear powder and paint/ Where the Jews and the Catholics and the Muslims all pray/ I can tell a party from a mile away“ – nebenbei auch ein Wink wie nah der Juke Joint an der Kirche liegt – so heißt es hier „I play gumbo limbo spirituals/ I know all the Hindu rituals/ People tell me that I’m truly blessed.“ Auch in religiöser Hinsicht stimmt die Selbsteinschätzung „I Contain Multitudes“.
Und so sind die letzten Zeilen des letzten Songs der ersten CD denn auch die Anti-These zu so vielem, was vorher auf dieser Platte von Dylan beklagt und besungen wurde. Wenn die Welt ein besserer Ort werden möchte, dann sollte sie sich ein Beispiel an Key West nehmen: „Key West is paradise divine/Key West is fine and fair/ If you lost your mind, you’ll find it there/ Key West is on the horizon line.“
„Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ und „Denkbar e.V.“ laden ein zu Online-Vortrag von Dr. David Sirakov am 30. Juni
Dr. David Sirakov
Bereits der Wahlkampf 2016 suchte seinesgleichen und ging in die Geschichte als beispiellos polarisiert ein. Und die sich daran anschließende Präsidentschaft Donald Trumps steht diesem Eindruck in nichts nach. Was macht diese Präsidentschaft so beispiellos? Wie fällt die bisherige Bilanz des 45. Präsidenten aus? Und was ist – auch und gerade in Zeiten der Corona-Pandemie sowie der schweren Unruhen infolge des Todes von George Floyd – vom Wahlkampf 2020 zu erwarten?
Auf Einladung von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ und „Denkbar e.V.“ gibt der Amerika-Experte Dr. David Sirakov von der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz in seinem Online-Vortrag am Dienstag, 30. Juni, ab 19.30 Uhr Einblicke in das Innenleben der Trump-Administration, ihre politischen (Miss)Erfolge sowie die Herausforderungen, die der Trump’sche Populismus für die USA und die westliche Welt birgt.
Die Veranstaltung findet als Webinar über das Videokonferenzsystem Zoom statt. Interessierte können sich anmelden unter: rhein-main@gegen-vergessen.de .Am Tag der Veranstaltung erhalten sie dann die Zugangsdaten.
Notizen zu Bob Dylan & Black America: Bob Dylan versteht, dass Rap und Hip-Hop die musikalische Ausdrucksformen der Black Community sind, die sich mit ihrem Leben im weißen Amerika beschäftigen.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Bob Dylans Musik auch stark auf dem Blues begründet ist. Mit Odetta, Mavis Staples, Muddy Waters, Sam Cooke oder Blind Willie McTell, haben ihn afroamerikanische Musikerinnen und Musiker, haben ihn Gospel, Blues und Soul stetig begeistert und geprägt. Und der Blues wird ja bei vielen Musikfreunden seiner Generation als „ehrliche Musik der armen Schwarzen“ geradezu verehrt. Während Rap und Hip-Hop, eine der aktuellen musikalischen Ausdrucksformen (und auch schon fast vierzig Jahre alt!), der Black Community bei vielen, auch progressiven Musikfreunden, eher auf Ignoranz oder gar Ablehnung gestoßen sind. Der protzige, selbstverliebte Gewalt- und Sexismus verherrlichende „Gangsta Rap“ hatte – von der Musikindustrie konsequent als auch für weißes Publikum konsumierbare Popmusik aufgebaut – die ursprünglichen gesellschaftspolitischen Wurzeln als Ausdrucksform der schwarzen Verlierer von Strukturwandel und Gentrifizierung in den kapitalistischen Metropolen der 1970er und 1980er Jahre in den Hintergrund treten lassen. Es dauerte eine ganze Zeit lang, bis auch die linke, politische Musikszene verstand, dass auch Rap und Hip-Hop Protestmusik sind. Heute ist es Konsens, dass die Songs von Kendrick Lamar oder Childish Gambino zu den stärksten Protestsongs gegen die herrschenden Zustände in den USA gehören.
„Subterranean Homesick Blues“ kündigt die Rebellion an
Bob Dylan, der ja – noch so eine Binsenweisheit – mit „Subterranean Homesick Blues“ sowohl das erste Rap-Stück als auch das erste Musikvideo zur Musikgeschichte beigesteuert hat, war da schon in den 1980er Jahren viel weiter. Die 1980er waren für ihn künstlerisch eine Durstrecke. Nach seinem Album „Infidels“, das mit Jokerman einen Song enthält, der sehr wohl als Kritik an Ronald Reagan und seiner rücksichtslosen, sozialdarwinistischen und rassistischen Politik interpretiert werden kann – Reagan machte den „schwarzen Sozialschmarotzer“ zum Pappkamerad und Prügelbock des konservativen Amerikas – irrlichterte er durch die Jahre mit schlechten Alben und schlaffen Konzerten – sieht man einmal von der Europa-Tour 1984 und den 1985-86er-Auftritten mit Tom Petty ab. Dylan hatte nicht mehr die richtungsweisende Rolle im sich rasant mit MTV und Michael Jackson verändernden Popbusiness inne. Aber er hatte immer noch ein Gespür für relevante Musik und eine große Empathie für die Black Community und deren musikalische Ausdrucksformen. In seinen „Chronicles“ schreibt er, dass Ice-T, Public Enemy, NWA, Run DMC nicht nur herum stehen würden und große Reden schwingen würden. „Sie hauten auf die Drums und auf den Putz und schmissen Pferde von den Klippen. Sie waren allesamt Dichter und wussten, was Sache war.“ Und dass er mit Rapper Kurtis Blow zusammen aufgenommen hätte, der hätte ihn an diese Musik und Texte herangeführt. Der ewige Rebell und Nonkonformist schätzte die schwarzen Rebellen, die meist aus einer Lebenswelt aus Armut und Rassismus stammten und davon Lieder singen konnten, sehr und war ihrer Kunst zugewandt.
Bob Dylan und die Rapper
In einem Spiegel-Interview sagte Blow zur Zusammenarbeit mit Dylan: „Ich machte gerade Aufnahmen in einem riesigen New Yorker Studio, das 250 Dollar in der Stunde kostete. Plötzlich steckte Bob Dylan seinen Kopf durch die Tür und sagte: ‚Hey Kleiner, deine Sängerinnen hören sich gut an – kann ich sie mir kurz ausleihen?‘ Ich war 22 Jahre alt und völlig von den Socken. Bob Dylan! Ich sagte also ‚Okay. Aber wenn ich sie für dich singen lasse, schuldest du mir einen Gefallen‘. Er willigte ein. Zwei Jahre später rief ich ihn an, er lud mich in sein Haus in Malibu ein und wir nahmen „Street Rock“ zusammen auf. An Bob Dylan ist ein Rapper verloren gegangen – ich gab ihm den Text und er knallte das im ersten Take sofort raus. Unglaublich.“
Sprache von Nonkonformismus und Rebellion
In der Tat wissen ja nicht nur alle Dylan-Freunde, dass der gute Bob der Musiker ist, der am meisten Text in seinen Songs unterbringt, sondern dass seine Sprache, sein Sprachrhythmus und seine Bilder geprägt sind von den Blues- und Beatpoeten, von Folk, Talking Blues und Woody Guthrie. Man merkt dies allen seinen Texten an, selbst wenn sie Collagen sind. Ob Songlyrics, Liner Notes oder seiner Autobiographie. Es ist eine vorwärtsdrängende, bildreiche, abgeklärte Sprache, oftmals auch mit lakonischem Humor gespickt. Es ist die Sprache des Nonkonformismus, die situativ auch Sprache der Rebellion sein kann. Cool und rebellisch. Und Dylan schafft es heute noch in seinen Konzerten, den Text oftmals mehr rhythmisch zu sprechen als zu singen. Er hat diese Fähigkeit, die Blow bei ihm bewunderte.
In der Tat war ja „Subterranean Homesick Blues“ ein politisches Lied, weil es mittels Bilder und Atmosphäre die Rebellion ankündigte. Dylans Mittsechziger-Musik war der Soundtrack zu Subversion und Rebellion. Nicht umsonst entliehen sich die militanten „Weathermen“ ihren Namen aus Dylans Song. Und nicht umsonst waren die Black Panther-Gründer Bobby Seale und Huey P. Newton begeisterte Fans von Dylans Musik der 1965/66er Jahre. Das Folk-Revival und die Bürgerrechtsbewegung waren Schritte auf dem Weg zur Rebellion der 1960er Jahre. Der „Summer Of Love“, die Black Panther, der späte Martin Luther King waren die Rebellion. Doch das Establishment schaffte es gerade wieder einmal so. Martin Luther King und Bobby Kennedy wurden ermordet, es kam zu erheblichen Unruhen und am Ende wurde Richard Nixon US-Präsident.
Dylan, der ja stets einen engen und ganz selbstverständlichen Umgang mit afroamerikanischen Menschen hatte und in den 1980er Jahren auch mit Afroamerikanerinnen liiert und verheiratet war, weiß um die Lebensbedingungen der Schwarzen in Amerika. Daher weiß er auch die Sprache des Rap einzuschätzen. Und deswegen ist seine Aufnahme von „Street Rock“ auch ein Zeichen des Respekts, der Bewunderung des Rap und ein Zeichen der Sympathie für die Black Community.
Das zerrissene Amerika und Bob Dylans Werk
Bob Dylan hat George Jackson, Rubin Hurricane Carter, Hattie Caroll, Emmeth Till und Medgar Evers musikalische Denkmale gesetzt und mit „Blind Willie McTell“ ein großes Gemälde des Südens mit Sklaverei, Rassismus, Gottesglauben und Blues geschaffen. Seine Lieder sind wie der Mord an George Floyd zeigt, unverändert aktuell und gehören zum Soundtrack eines zerrissenen Landes. So wie Rap und Hip Hop eben die zeitgenössische musikalische Ausdrucksform des um seine Freiheit und im wahrsten Sinne um sein Leben kämpfenden schwarzen Teils des amerikanischen Volkes ist. Das in Rassen und Klassen zerrissene Amerika wird von Bob Dylan in seinem künstlerischen Werk vereint.
Jahrhundertelanger struktureller Rassismus, Polizeigewalt gegen Schwarze und ein hemmungslos zündelnder Präsident zerstören die USA von innen
Nicht von dem was jetzt passiert ist grundsätzlich neu. Weiße Polizeigewalt nicht. Schwarze Aufstände in den Metropolen auch nicht. Denn Rassismus ist einer der Konstanten in den USA und der Aufbau des Wohlstands der Nation durch die Ausbeutung von aus Afrika verschleppten Sklaven eine der dunklen Geburtsfehler des Landes. Auch die Sklavenbefreiung in der Folge des US-Bürgerkrieges änderte daran nichts. Denn die wirtschaftliche und politische Macht der Schwarzen blieb weiterhin beschnitten. Die Eliten des Nordens gingen nach dem Bürgerkrieg recht pfleglich mit den Eliten des Südens um. Die Rassenfrage und die Klassenfrage blieben weiterhin ungelöst – bis heute.
Es ist die politische Lage, die neu ist und den jetzigen desparaten Protesten eine neue Qualität gibt. Waren bislang Aufstände als Folge von Polizeigewalt vor allem regional verortete Probleme, so sind nun 25 große US-Städte davon betroffen. Darunter New York, Los Angeles, Chicago, Dallas, Atlanta und Nashville.
Frust und Wut der Black Community
Die Enttäuschung und die Wut der Schwarzen sitzen tief. Ihre politischen Interessensvertretungen wurden von der Staatsmacht in die Schranken gewiesen. Man hatte Martin Luther King, der jahrelang vom FBI überwacht wurde, durch weiße Gewalt sterben sehen. Die „Black Panther“ wurden durch das FBI in einem jahrelangen Kleinkrieg aufgerieben. Die Chancen zu mehr Partizipation, mehr Bildungsgerechtigkeit und sozialem Aufstieg für Afroamerikaner sind seit 1980 stetig gesunken. Die Präsidentschaft Ronald Reagans ging einher mit einer Politik des drastischen Soziabbaus, deren Unterstützung durch die armen Weißen mit der rassistischen Denkfigur der „schwarzen Sozialschmarotzer“, die auf Kosten des Staates leben, erkauft wurde. Korrespondierend dazu wurde eine Ordnungspolitik der Härte durchgesetzt, die ebenfalls auf dem Rücken der Schwarzen ausgetragen wurde. Die rücksichtslose gesellschaftliche Spaltung begann mit Ronald Reagan, der die Politik von „New Deal“ und „Great Society“ zerstörte.
Es ist der historische Fehler der Demokraten, dem Roll Back von Reagan kein erneutes Roll Back entgegengesetzt zu haben. Im Gegenteil, man versuchte sich nicht mehr an Politik, sondern an technokratischem Demoskopismus. Man folgte dem Neoliberalismus, rührte Grundwidersprüche nicht an und versuchte mit PR-Angeboten entsprechende Wahl-Mehrheiten zu finden. Noch dazu trieb Bill Clinton die Privatisierung der US-Gefängnisse voran, um Staatsausgaben zu sparen. Nun waren Gefängnisse plötzlich Geschäftsmodelle, die rentabel waren. Und wieder waren die Schwarzen die Opfer: Es sind die armen Schwarzen, die ihre Mieten, ihre Strafzettel, ihre Schulden nicht bezahlen können und in die Knäste wandern. Und diese rechnen sich ja auch nur, wenn sie ausgelastet sind. Dies sind die Delikte, weswegen Schwarze überproportional zu ihrem Bevölkerungsanteil in den Gefängnissen sitzen und nicht wegen dem ihnen von den Weißen gerne zugewiesenen besonderen Hang zu Gewalt und Diebstahl und Drogen. Und weil Auslastung sich auch nur rentiert, wenn an Personal und Versorgung gespart wird, sind die Zustände in vielen Gefängnissen mittlerweile unfassbar schlecht und menschenunwürdig. Schon vor ein paar Jahren schrieb Adam Gopnik im Magazin „New Yorker“: „Das Interesse von Privatgefängnissen liegt nicht im offensichtlichen sozialen Wohl, sondern darin, so viele Menschen wie möglich so billig wie möglich einzusperren.“ („Das Geschäft mit dem Knast“, Frankfurter Rundschau, 2. September 2016)
Keine grundlegenden Änderungen durch Barack Obama
Auch Barack Obama, der erste schwarze Präsident der US-Geschichte, änderte am grundlegenden strukturellen Rassismus in den USA nicht viel. Afroamerikanische Kritiker werfen ihm vor, zu wenig gegen den Rassismus in Polizei und Justiz unternommen zu haben. Black Lives Matter entstand während seiner Amtszeit und streute immer wieder Salz in diese Wunde. Als fatal stellte sich zudem heraus, dass der latente Rassismus in Teilen der amerikanischen Mittel- und Unterschicht damit befeuert wurde, dass in der Folge der Finanzkrise unter seiner Präsidentschaft der amerikanische Traum des eigenen Häuschens zerplatzte. Obama hatte es zum einen nicht verstanden, dass grundsätzlich am Finanz- und Wirtschaftssystem etwas nicht stimmte – er ließ sich weiterhin von Wall Street-Leuten beraten, sein Finanzminister war für die Banker einer der ihren. Zum anderen sah er die daraus hervorgehende Gefahr für ihn und für die US-Gesellschaft nicht. So konnte sich ein von der Tea Party gefüttertes Narrativ durchsetzen: „Der schwarze Kerl im Weißen Haus ist schuld, dass wir unser Häuschen verlieren, dass wir nicht mehr jagen und fischen dürfen und das es die Homo-Ehe gibt“.
Das Land war also schon tief gespalten, als Hillary Clinton gegen Donald Trump verlor. Die demokratische Establishment-Blase und ihre Unterstützer von Wall Street und Silicon Valley und Teile der Medien hatte es nicht glauben wollen. Die Trump-Koalition aus den Kapitalfraktionen Öl, Stahl, Auto und Bergbau, aus Tea Party, Evangelikalen, weißer Mittelschicht und desparater Arbeiterschaft hatte keine Mehrheit bei den Wählerstimmen, wohl aber im Wahlmännergremium.
Und Donald Trump nutzte seine neue Macht, um das Land immer weiter zu spalten. Rassismus, Sexismus, Androhung von Gewalt und stetiger Hass sind präsidiale Machtinstrumente geworden. Vor diesem Hintergrund ist der latente Rassismus im US-Polizeikorps nochmal verstärkt worden, häufen sich erneut die gewaltsamen Übergriffe mit Todesfolge.
Trump als autoritärer Staatsführer
Diese Gemengelage mit der immer offensichtlicheren Ungleichheit der Corona-Folgen zuungunsten der Black Community aufgrund der strukturellen sozialen Ungleichheit, einem omnipräsenten Twitter-Präsidenten, und einer bundesweiten Vernetzung der afroamerikanischen Community, auch unter dem Label Black Lives Matter, verstärken die Proteste zu einer noch nie dagewesenen Lage. Es sind die immer schon bekannten Muster von friedlichen Protesten, die von einem kleinen Teil auch zu Gewalt und Plünderungen genutzt werden, die aber nun bundesweit und flächendeckend eskalieren. Hinzu kommt zudem, dass im Weißen Haus einer sitzt, der Benzin ins Feuer schüttet. Der statt Zusammenzuführen und zu Versöhnen, Gewalt androht und die demokratischen Stadtoberhäuptern – anstatt ihnen Unterstützung zu geben – mit Kritik, Häme und Anschuldigungen überzieht. So erodiert ein Staatsgebilde, es wird von innen zerstört. Trump versucht sich in der Rolle des omnipotenten autoritären Staatsführers. Dass er dabei im Widerspruch zu dem historisch gewachsenen starken Föderalismus in den USA steht, könnte derzeit die einzige Hoffnung in einem ansonsten apokalyptischen Szenario sein. Das Land bricht nicht nur auseinander, es implodiert vor unser aller Augen.
Für den Blogger war das nach der Albumankündigung von Bob Dylan der überraschendste und größte musikalische Moment während der Corona-Krise: J.S.Ondara hat kurzerhand auf allen digitalen Plattformen gestern aus dem Nichts heraus ein neues Album veröffentlicht. Die physische Veröffentlichung folgt Ende August, aber der historische Moment ist jetzt. „Folk n’ Roll Vol. 1: Tales Of Isolation“ ist in nur drei Tagen nach wochenlanger Isolation und Nichtstun entstanden. Es musste jetzt raus.
Ondara knüpft in Echtzeit da an, wo der Vorgänger „Tales Of America“ aufhört. Er sieht dem auseinanderbrechenden Amerika während der Corona-Krise zu und erzählt in „Pulled Out Of The Market“ von arbeitslosen Restaurantbedienungen und gefeuerten Arbeitern. Er erzählt in „Isolation Depression Syndrome (IDS)“ von seinen Ängsten, von seiner Isolation und Depression und er singt in „Ballad Of Nana Doline“ über die typisch amerikanische Lebensgeschichte einer älteren Frau bis zu ihrem Tod durch Corona.
Ondara, hat sich ja seinen amerikanischen Bob Dylan-Traum erfüllen können und siedelte vor ein paar Jahren von Kenia über nach Minneapolis. Weil er da Verwandte hat und weil Bob Dylan aus Minnesota kommt. Die jetzigen Unruhen und die Ermordung George Floyds in seiner neuen Heimatstadt, konnten noch nicht in die neue Musik einfließen. Aber die Geschehnisse gegen die ja auch in Louisville, Denver, Dallas, Los Angeles, New York und Washington demonstriert wird, sind ja ohnehin ein trauriges Kontinuum für die afroamerikanische Community. Polizeigewalt ist für Afroamerikaner eine das ganze Leben durchziehende reale Bedrohung.
Ondara, für den ich mir sehr gewünscht habe, dass er sein starkes Debütalbum bestätigt, hat sein Soll mehr als erfüllt. Er ist der derzeit schärfste Beobachter des amerikanischen Alptraums und er tut dies in einer Bildsprache, die klar und kräftig ist, er tut dies in Songs, die spannende Geschichten erzählen, mit Gesang und Melodien, die absolut mitreißend sind. Und das alles macht er mit einer großen Empathie für die Menschen.
Eigentlich wollte er ein ganz anderes Album herausbringen, eines mit voller Band, aber jetzt er sich aus der Not heraus ganz alleine in große Höhen geschwungen. J.S. Ondara wird man wirklich fest im Auge behalten müssen. Er ist zu gut, um stehen zu bleiben. Ganz wie sein großes Vorbild.
Als Bob Dylan Anfang 1961 nach New York kam, da lernte er bald Suze Rotolo kennen. Sie war jünger als er, aber politischer, sie stammte aus einer Familie italienischer Kommunisten und war aktiv in der Bürgerrechtsorganisation „Congress of Racial Equality (CORE)“. Und sie war interessiert an Literatur und Theater. Dies und die linke Boheme des Greenwich – ähnliches hatte er bereits in Dinkytown in St. Paul, Minnesota, kennengelernt – festigten Dylans kritische Weltsicht. In Greenwich-Village gab es keine Rassendiskrimierung und die Folkies verehrten die schwarzen Bluesleute. Sein erster offizieller Auftritt war denn auch im Vorprogramm des legendären John Lee Hooker.
Dylan wird zum politischen Songwriter
Joan Baez und Bob Dylan beim „March On Washington 1963, Foto: Wikimedia Commons/National Archive/Newsmakers
Dylan spielte anfangs nur alte Folkstücke, sein erster eigener Song war der über sein Folk-Idol Woody Guthrie. Als er dann mit Suze im Januar 1962 in ein gemeinsames Apartment zog, wirkte sich dies direkt auf seinen künstlerischen Output aus. Denn jetzt zeigte sicher einige seiner wichtigsten Eigenschaften: Dylan ist unermüdlich darin, sich Wissen und Können anzueignen. Er saugt die Dinge wie ein Schwamm auf. Und er ist in der Lage sie so weiterzuverwenden, dass er ihnen seinen eigenen Stempel aufdrückt. Als sein Debütalbum „Bob Dylan“ mit Folkstandards im März 1962 erscheint und floppt, ist er eigentlich schon viel weiter. Dylan ist im Village bereits als aufstrebender Songwriter bekannt und ein begehrter Live-Künstler. Er nimmt in verschiedenen Sessions „The Freewheelin‘ Bob Dylan“ von April 1962 bis April 1963 auf. Als das Album am 27. Mai 1963 erscheint, ist sein „Blowin In The Wind“ schon bekannt von seinen Live-Auftritten, wird aber zum Hit durch die Version von Peter, Paul und Mary. Doch „The Freewheelin“ bringt den Durchbruch für ihn, das Album kommt einer künstlerischen Explosion gleich. Das Album enthält 13 Songs, davon ein gutes halbes Dutzend absolute bis heute gültige Klassiker seines Oeuvres.
Songs gegen Rassismus und Antikommunismus
Dylan entwickelt in den Jahren 1962-64 im Songwriting eine beispiellose Schnelligkeit, Kunstfertigkeit und Präzision. Und er schreibt einige der wichtigsten amerikanischen Songs gegen Rassismus: „The Death Of Emmett Till, „Oxford Town“, „Only A Pawn In Their Game“ und „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“.
In „Oxford Town“ schildert er die Ereignisse rund um die Durchsetzung des Rechts von James Meredith, erster schwarzer Student an der Universität von Mississippi zu sein. Es kam zu schweren gewalttätigen Auseinandersetzungen und US-Marshalls mussten Meredith schützen. „Only A A Pawn In Their Game“ greift die Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Medgar Evers am 13. Juni 1963 auf.
Im März 1963 lernt er bei gemeinsamen Fernsehaufnahmen bei Westinghouse TV Mavis Staples kennen. Er kennt die Musik der Staple Singers da schon eine ganze Zeit lang und ist begeistert von Mavis‘ rauer Stimme. Im Juni nehmen die Staple Singers „Blowin In The Wind“ auf. Eine Premiere, denen viele Dylan-Cover der Staples folgen.
In dieser Zeit freundet sich Bob auch mit den „Freedom Singers“ von der Bürgerrechtsorganisation Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) an, schreibt Robert Shelton in seiner Dylan-Biographie. Das SNCC – gesprochen „SNICK“ – waren mit „CORE“ zusammen die Veranstalter der „Freedom Rides“. Die jungen singenden Aktivisten hatten für Dylan eine besondere Relevanz, da sie über sich selbst und über ihr Leben singen würden. Mit einer von ihnen, Bernice Johnson, hatte er ein paar Jahre intensiven Kontakt.
Bob hatte in diesen Tagen durch klare politische Ansagen für reichlich Wirbel gesorgt. Er schrieb den Song „Talking John Birch Society Blues“, ein Spottlied über die gleichnamige antikommunistische Gruppe und sollte am Vorabend des geplanten Album-Release (12. Mai 1963) im CBS-Fernsehsender in der Ed Sullivan-Show auftreten. Sein Vorhaben, den John Birch-Song dort zu spielen, stieß bei den CBS-Fernsehleuten auf Widerstand. Sie fürchteten ins Kreuzfeuer der rechten, einflussreichen Extremisten zu geraten. Doch Dylan lehnte es ab, einen anderen Song zu spielen und trat nicht in der Sendung auf. Dies führte zwar zu einem positiven Echo im fortschrittlichen Teil Amerikas, brachte aber die Plattenbosse bei Columbia Records dazu, die geplante Veröffentlichung von „The Freewheelin'“ zu verschieben. Da Dylan nach seinem Debüt-Flop keine starke Ausgangsposition für eine Auseinandersetzung hatte, musste er die Kröte schlucken, nutzte es aber auch gleichzeitig dafür, selbst noch verschiedene Wechsel auf der Tracklist vorzunehmen. So wurden Songs, die nicht mehr ganz seinem aktuellen Profil entsprachen, u.a. durch „Masters of War“ und „Girl from the North Country“ ersetzt. Eine sehr gute Entscheidung, die großen Einfluss auf die Qualität und den Erfolg des Albums hatte.
Copyright: Sony Music
Greenwood, Mississippi
In diesen Tagen war Pete Seeger einer seiner großen Mentoren. Seeger war der politische Folksänger in der Nachfolge Woody Guthries und mit Theodore Bikel zusammen Begründer des Newport Folkfestivals, dass nach zweijähriger Pause Ende Juli seine Fortsetzung erfahren sollte. Einen Auftritt Dylans beim Festival hatten die beiden Folk-Impresarios schon im Blick, als sie den nun bundesweit bekannten Dylan zu einer „Vote Registration Rally“ in Mississippi einluden. Mit einem Nachtflug vom 1. auf den 2. Juli 1963 machte sich der jüdische Nordstaatler zusammen mit Pete Seeger auf den Weg in den tiefen, von Rassenkämpfen zerrissenen Süden der USA. Und folgte damit auf seine Weise dem Beispiel der jungen Leute vom SNCC, die sich als „Freedom Rider“ für die Sache der Schwarzen ebenfalls auf den Weg vom Norden in den Süden machten. Und zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls Juden waren. Denn bis in die 1960er Jahre engagierten sich viele jüdische Amerikaner für und mit den Schwarzen in der Bürgerrechtsbewegung. Es war auch ihr Kampf, denn Rassisten sind immer auch Antisemiten. Erst mit dem Aufkommen der schwarzen „Nation Of Islam“ und den Black Panthers ab Ende der 1960er kam es wegen deren Anti-Zionismus zu Rissen im gesellschaftlichen Bündnis von Jewish und Black Community.
Dylan und Seeger kamen am 2. Juli 1963 in Greenwood, Mississippi an, und Bob traf dort neben Theodore Bikel, auch Bernice Johnson wieder. Ein paar Tage arbeiteten sie in Workshops zusammen: Die New Yorker Folkies, die College-Studenten aus den Nordstaaten und die armen schwarzen Farmer.
Am 6. Juli spielte Dylan dann auf Silas Magee’s Farm vor einem rund 300-köpfigem Publikum aus schwarzen und weißen Aktivisten, schwarzen Einheimischen, Journalisten und Fernsehleuten. Er trug einen neuen Song „Only A Pawn In Their Game“ vor und Bernice erzählte später Shelton: „‚Pawn‘ war das allererste Lied, das zeigte, dass die armen Weißen ebenso von Diskriminierung betroffen waren wie die armen Schwarzen. Die Greenwood-Leute wussten nicht, dass Pete, Theo und Bobby bekannt waren. Sie waren einfach froh, Unterstützung zu bekommen. Aber sie mögen Dylan dort unten im Baumwoll-Land wirklich.“
Newport Folk-Festival und „March On Washington“
Es kam wie es kommen musste. Suze Rotolo war weit weg in Italien, und Joan Baez, die „Queen Of Folk“, nahm immer mehr Platz in Bobbys Leben ein. Sie hatte ihn bereits 1961 kennengelernt, fand immer mehr Gefallen an dem „unwashed Phenomenon“, wie sie ihn später im Song „Diamonds And Rust“ nennen sollte. Bobby weckte bei vielen Frauen Beschützerinstinkte. Für ihn war Joan ein Glücksfall. Während Suze mit dem Folkstar-Leben fremdelte, war Joanie bereits seit 1959 beim Folk-Revival dabei und nun als Künstlerin an der Spitze der Bewegung. Auch sie war politische Aktivistin und war begeistert von Dylans Songs. Und es war es ihr vorbehalten, den sich bereits ankündigenden aufgehenden Stern die Bühne zu bereiten. Beim Newport Folk Festival 1963 (26. – 28. Juli) war sie die Queen und trug den aufstrebenden Singer-Songwriter ihrem Publikum an. In Workshops traten sie zusammen auf und Dylan hatte seinen Solo-Auftritt. Und plötzlich war er mit Joanie zusammen ganz vorne an der Spitze der Bewegung.
Doch nicht nur er erlebte seine Premiere in Newport, auch Mavis Staples und ihre Familie waren da. Es soll heftig geknistert haben zwischen den beiden. Bobby soll sogar um die Hand von Mavis angehalten haben, doch Mavis wollte nicht. Sie war jung und möglicherweise fürchtete sie auch die Tatsache, dass gemischtrassige Paare in den USA zu dieser Zeit noch vielen Anfeindungen ausgesetzt waren. In manchen Bundesstaaten waren gemischtrassige Beziehungen sogar gesetzlich verboten und wurden mit Gefängnis bestraft. Auch wenn Mavis ihm einen Korb gegeben hatte, haben sie ihre Freundschaft jedoch bis heute erhalten.
Bob sang in Newport seinen antirassistischen Songs „Only A Pawn In The Game“ und zusammen mit dem gesamten Line-Up die Bürgerrechts-Hymne „We Shall Overcome“. Bob Dylan und Joan Baez – das Traumpaar von Folk und Protest hatte sich öffentlich gefunden. Suze zog im August aus der gemeinsamen Wohnung aus, 1964 trennte sie sich endgültig von Bob. Joanie und Bobby aber gingen nach Newport 1963 zusammen auf eine Kurz-Tournee an der Ostküste, unterbrochen von den ersten drei Aufnahmesessions für Dylans neues Album „The Times They Are A-Changin“, das dann im Januar 1964 veröffentlicht wurde und den Höhepunkt seiner Protestsängerkarriere darstellt.
Am 28. August standen die beiden dann beim „March On Washington“ auf der Bühne, auf der Martin Luther King seine berühmte Rede „I Have A Dream“ halten sollte. Joan Baez spielte „Oh Freedom“ und sang mit der Menge zusammen „We Shall Overcome“. Dylan sang solo “When the Ship Comes In” und mit Baez zusammen “Only A Pawn In Their Game. Im Finale sangen sie dann “We Shall Overcome” mit Peter, Paul and Mary und Theodore Bikel.
Am 31. Oktober fand die letzte Aufnahmesession für das Album „The Times They Are A-Changin'“ statt. Knapp drei Wochen später, am 22. November wurde John F. Kennedy in Dalla ermordet. Dylan ging dessen Tod sehr nahe, nur widerwillig gab er am Folgetag ein Konzert. Drei Monate nach der Ermordung Kennedys reiste Dylan dann nach Dallas und hatte nach dem Besuch des Attentats-Schauplatz erhebliche Zweifel an den offiziellen Schilderungen zum Tathergang.
Für ihn war Lee Harvey Oswald nur ein Bauernopfer und bis heute – Murder Most Foul! – geht er von einem Komplott des militärisch-industriellen Komplexes aus. Dies und die immer größere Angst davor, von der jugendlichen Protestbewegung als politischer Führer angesehen zu werden, führt zu einer Entwicklung, die 1964 in sein Album „Another Side Of Bob Dylan“ mündete.
Tom Paine Award
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Dies muss mitbedacht werden, als Dylan am 13. Dezember 1963 bei der Verleihung des „Tom Paine Awards“ durch die „Emergency Civil Liberties Union’s (E.C.L.U.)“ im New Yorker Hotel Americana in angetrunkenem Zustand eine verunglückte Rede hielt. Irgendwas hatte da in ihm geschlummert, das jetzt durch den Alkohol raus kam. Er war auf Krawall gebürstet, hielt erst dem Publikum vor, dass es vorwiegend grau und weiß sei (das stimmte!), dann dass seine Freunde nicht feine Anzüge tragen müssten, um als respektable „Negroes“ angesehen zu werden (auch nicht so dumm!), brachte es aber unglücklicherweise in den Zusammenhang mit dem „March on Washington“. Schließlich leistete er sich den Fauxpas zu sagen, auch er fühle Dinge in sich, die er bei Lee Harvey Oswald (dem Kennedy-Attentäter) gesehen habe, aber er würde natürlich nicht so weit gehen und schießen. Waren die liberalen Zuhörer vorher noch unruhig, aber höflich, so erntete der gute Bobby nun heftige Buhrufe. Skandal!
Dylan versuchte danach mit einem Brief die Wogen zu glätten. Relativierte, beschwichtigte, verschlimmbesserte. Wie auch immer, der zentrale Punkt lautete:
I can not speak. I can not talk
I can only write an I can only sing
perhaps I should’ve sung a song
but that wouldn’t a been right either
for I was given an award not to sing
but rather on what I have sung
…
I thought something else was expected of me
other than just sayin “thank you”
an I did not know what it was
it is a fierce heavy feeling
thinkin something is expected of you
but you dont know what exactly it is…
it brings forth a wierd form of guilt
Dylan wollte kein Speaker für irgendetwas mehr sein. Er wollte er selbst sein, das machen, was er wollte, nicht mehr das, was andere erwarteten.
Bob Dylan hatte 1963 für sein Empfinden sein Maß an konkretem politischem Engagement übererfüllt. Seine Zeit als vermeintlicher politischer Anführer war nun bereits wieder vorbei. Bernice Johnson sagte später Robert Shelton dazu: „Ich hatte das Gefühl, dass er einige emotionale Geschichten durchmachte, und ich wollte da kein Urteil fällen. Einige Weiße haben sich unserer Bewegung angeschlossen, weil sie Schwarze irgendwie besonders mochten, und andere waren einfach voll von Schuldgefühlen. Dylan war da ganz anders. Als er sich von der Bewegung zurückzog, da waren es die Weißen bei SNICK, die ihm das übel genommen haben. Dieses Gerede von wegen „er verkauft sich“ haben wir nur von den Weißen gehört, nie von den Schwarzen.“
Das Jahr 1964 sollte eine andere Seite Dylans zeigen und ein Jahr des Übergangs sein. Während im Januar 1964 „The Times They Are A-Changin'“ veröffentlicht wird, ist Bob Dylan wieder mal schon einen Schritt weiter.