Theme Time Radio Hour Revisited: Bob Dylans akustische Whiskey-Verkostung vermittelt in hörenswerter Form interessante Einblicke in die alten amerikanischen Exportschlager Populärmusik und Feuerwasser/ Schwerpunkt auf afroamerikanische Künstler gelegt

Foto: Heaven’s Door Whiskey
Das Fazit gleich vorweg: Es ist ein großartiges Hörvergnügen. So wie man es erhofft und insgeheim erwartet hatte. Und es war doch wieder ganz anders. Denn Bob Dylans „Theme Time Radio Hour“ zum Thema „Whiskey“ war mehr als die übliche, ohnehin schon großartige Melange aus interessanter Musik, witzigen Späßen und unverhofften literarischen Zitaten, Erklärungen und Vergleichen.
Afroamerikanische Musikbeiträge
Denn schaut man sich die Playlist an, so sieht man: Dylan hat uns in ganz selbstverständlicher Beiläufigkeit erklärt, welch großen Beitrag zur amerikanischen Populärmusik die African American Community geleistet hat. Es geht schon los mit dem wunderbaren langsamen und ruhigen „Quiet Whiskey“ der Bluessängerin Wynonie Harris. Später lernen wir Edmund Tagoe & Frank Essien kennen, die in ghanaischer Sprache zu in London aufgenommener amerikanisch verwurzelter String Band Musik singen. Typisch Dylan der Musikhistoriker. Er zeigt uns auf, wie die Schallplatten-Aufnahmen zu einer ersten musikalischen Globalisierung führten. Denn die beiden Musiker haben sich von Aufnahmen von Bo Carter von den Mississippi Sheiks inspirieren lassen.
Mit Timmie Rogers‘ „Good Whiskey (And a Bad Woman)“ führt er den schwarzen Komödianten ein, der einer der ersten war, die direkt ein weißes Publikum ansprechen durften. Es war ein weiter Weg von den weißen Blackface Minstrels und ihrer „Dummen August“-Figur Jim Crow bis zu dem selbstbewussten afroamerikanischen Komiker der 1960er und 1970er Jahre. Der Bluessänger Jimmie Witherspoon besingt den „Corn Whiskey“ und der Reggaemusiker Alfred covert „One Scotch, One Bourbon, One Beer“ der Blues-Legende John Lee Hooker.
Und aus der Sendung begleiten uns dann die Jazzsängerin Miss Byllye Williams mit dem „Hangover Blues“ – nach dem Saufen kommt der Kater!- und R&B-Bandleader Tuff Green. Der und sein Orchester führen mit dem Titel „Let’s Go to the Liquor Store“ aber schon wieder in Versuchung. Es hört halt nie auf.
Ohne diesen Fakt herauszustellen, legt die Sendung einen Schwerpunkt auf afroamerikanische Musik und ihre Verbindungen zur Karibik und Westafrika. Dylan at its best: Seine Art von Kommentar zu den aktuellen politischen Auseinandersetzungen um den Rassismus in den USA.
Mit alten Freunden den Whiskey genießen
Und was noch? Ebenfalls viel Hörenswertes. Dylans alter Freund Charlie Poole ist wieder mit dabei. Denn der war nicht nur ein großer Old Time Musiker, sondern auch ein großer Trinker. Seine spezielle Banjotechnik eignete er sich notgedrungen nach einem „Getränkeunfall“ an. Von einem „Getränkeunfall“ ganz anderer Dimension erzählt uns Dylan dann in der Geschichte der Melassekatastrophe von Boston, als sich nach einer Tankexplosion ungeheure Mengen der Sirupmasse über die Straßen der Ostküstenstadt ergossen. 21 Menschen verloren dabei ihr Leben. Merke: Wer Rum liebt, lebt gefährlich, man greife besser zu einem Glas Whiskey!
Natürlich kommen in der Sendung noch weitere gute Freunde von Dylan vor. Frank Sinatra, dessen Vorliebe für Jack Daniel’s legendär ist, ist ebenso mit von der Partie wie der Vertreter einer anderen großen Whiskey-Nation, Van Morrison. Der (Nord-)Ire besingt den schwarzgebrannten, den „Moonshine Whiskey“ und Dylan zählt uns dazu einige Synonyme für den „illegalen“ Whiskey auf. „White Lightning“ war uns bekannt. Aber „Tiger Sweat“ und „Panther Piss“? Da muss sogar Dylan lachen.
Und natürlich passt da auch die Geschichte der NASCAR dazu. Kurz nach der Prohibition wurde privat gebrannter Moonshine-Whisky heimlich mit aufgemotzten Autos quer durch Amerika transportiert. Mit diesen Boliden wurden später dann Rennen veranstaltet. Dies führte wiederum zur Gründung der National Association for Stock Car Auto Racing, kurz NASCAR im Jahr 1947.
Dylan näht weiter am amerikanischen Patchwork-Quilt
Komplettiert wird das musikalische Programm im Übrigen durch zwei Musiker mit Cajun-Hintergrund. Die Cajuns sind ja bekanntermaßen die Nachfahren, der aus Kanada nach Lousiana geflohenen französisch-stämmigen Siedler. Dylan legt uns Bobby Charles und Harry Coates ans Herz. Letzterer wurde als „Fiddle King of Cajun Swing“ und „Godfather of Cajun music“ gerühmt. Ersterer hat den legendären Song „See you later, alligator“ geschrieben und war der einzige weiße Musiker auf dem „schwarzen“ Chess-Label. Er ging mit schwarzen Musikerkollegen wie Chuck Berry auf Tour und war dabei im Süden denselben Repressalien ausgesetzt wie diese.
Die beiden Stunden gehen vorbei wie im Flug. Gute Musik und starke Geschichten beleuchten die enge Verbindung der beiden amerikanischen Kulturgüter Populärmusik und Whiskey. Und es gibt eben eine wichtige Botschaft zwischen den Tracks und den Zeilen: Die amerikanische Populärkultur ist ohne die Einwanderung und Vermischung von Menschen verschiedenster Herkunft nicht denkbar. Bob Dylan bleibt sich auch mit dieser Nachzügler-Folge seiner Theme Time Radio Hour treu: Er näht weiter am großen, amerikanischen Patchwork-Quilt und straft damit die „Make America Great Again“- und „Othering“-Propagandisten von Spaltung, Eingrenzung, Isolationismus und Rassimus Lügen!
Playlist:
Quiet Whiskey – Wynonie Harris
If the River Was Whiskey – Charlie Poole and the North Carolina Ramblers
Whiskey River – Willie Nelson
Whiskey Sonn Onuo Da – Edmund Tagoe & Frank Essien
He’s Got All the Whiskey – Bobby Charles
Timmie Rogers – Good Whiskey (And a Bad Woman)
Laura Cantrell – The Whiskey Makes You Sweeter
Frank Sinatra – Drinking Again
Jimmy Witherspoon – Corn Whiskey
Billie Harbert – Ain’t That Whiskey Hot
One Scotch, One Bourbon, One Beer – Alfred Brown
Rye Whiskey – Harry Choates
Comin’ Thru the Rye – Julie London
Mountain Dew – The Stanley Brothers
Moonshine Whiskey – Van Morrison
Alabama Song – Lotte Lenya
Jockey Full of Bourbon – Tom Waits
Tennessee Whiskey – George Jones
Whiskey in the Jar – Thin Lizzy
The Parting Glass – The Clancy Brothers
Hangover Blues – Miss Byllye Williams
Let’s Go to the Liquor Store – Tuff Green and His Orchestra
Die Sendung zum nachhören: