„Hard Rain“ Forever!

Bob Dylans Live-Album von 1976 bleibt für mich immer etwas besonderes und ist definitiv eines seiner aufwühlendsten Werke

In Großbritannien war der Musikjournalismus schon immer ein bisschen anders. Schräger, lauter und oftmals recht nahe an dem Boulevard für den „The Sun“ steht, deren Niveau zu Recht berüchtigt ist. Jetzt durch die Online-Welt kann ja jeder sich seine Homepage basteln und seinen Unsinn in die Welt hinausblasen (So auch der Schreiber dieser Zeilen). Sollen sie doch. Oft liest man auch interessante und fundierte Darstellungen.

Problematisch wird es aber, wenn wie jetzt bei „Far Out“ geschehen, schon mal Geschriebenes, eine stramme Zahl von Klischees und eine gesunde Halbbildung ordentlich faschiert, pürriert und dann nochmals aufbereitet werden. Das Stück über „Hard Rain“ im „Far Out Magazine“ ist wie ich finde so ein problematischer Beitrag. Das ist kein Journalismus, sondern Ergebnis eines seelenlosen, hingehuddelten Content Managements. Man halte der Musik-Ikone einfach mal zwei, drei Nullnummern aus dem Back-Katalog vor, schreibe hier und da ab und fertig ist die Laube. „Self Portrait“ hat man sich als die eine Nullnummer – wie originell, gähn! – herausgepickt.

Aber vor allem hat man sich „Hard Rain“ ausgesucht. Und tatsächlich: Die Tournee von der die Live-Aufnahme stammt – die zweite Rolling Thunder Revue von 1976 (RTR II) – war in der Abwärtsbewegung, irgendwo gestrandet im mittleren Westen. Die künstlerische Kraft hatte sie verloren, das magische Band zwischen den Musikern war dünn geworden. Auch die Verfilmung des Konzerts war vergleichsweise dünn und uninspiriert.

Ohne Maske
Ganz anders aber ist der Eindruck, den das dazugehörige Live-Album hinterlässt. Wenn ich mir jetzt wieder das Album anhöre, so ergreift mich das Ding immer noch so stark wie damals. Dylans Schwarz-Weiß-Bild auf dem Cover ist eines der stärksten und berührendsten von ihm, dass ich kenne. Der Maskenmann scheint uns hier tatsächlich ungeschützt anzusehen. Na, ja, vielleicht ein bisschen viel Mascara unter den Augen, aber das verstärkt den traurigen und nachdenklichen Ausdruck. Und tatsächlich: Dylan weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wo es hingehen soll. Beschwingt vom Rolling Thunder-Erlebnis schaute er auf dem „Desire-Cover“ noch optimistisch nach vorne. Jetzt scheint er ratlos zu sein. Die Tour, die so triumphal begonnen hat, ist versandet. Seine Ehe und die „Menage Aux Trois“ mit Sara und Joanie im Film auf der Tour zu Ende. Was nun? Also stürzt er sich in sein Filmprojekt und wirft wohlüberlegt und absichtsvoll produziert diese Platte noch auf den Markt.

Dylan ist darauf verletzt und wütender denn je. „Hard Rain“ knüpft daher fast unmittelbar an „Blood on The Tracks“ an. Drei Songs alleine von dem Album, insgesamt sieben Songs von neun, die man in Relation zu seinen Beziehungsproblemen stellen könnte. Doch war „Blood On The Tracks“ noch die Auseinandersetzung mit künstlerisch geschliffener Feder, so haut uns Dylan jetzt die Worte scheinbar mit dickem, fettem Textmarker um die Ohren. Und jault und greint und faucht und schreit und wütet: „Like a cork ccrew in my heaaart!“ oder „You’re an idiot, babe, It’s a wonder that you still know how to breathe“ – Hahaha!

Agressiv, Wütend, Verstört
Dazu die Musik: Roh und ungeschliffen und laut und mitreißend, mancher sagt Dylan hätte hier Punkmusik gemacht. Und tatsächlich – Dylans Musik, die auf „Desire“ und „Rolling Thunder“ noch von Folk-Rock und Melodik geprägt war – ist hier ein ziemlicher „hau drauf“. Dylans Haltung ist aggressiv, empört, verstört – voller zorniger Trauer und selbstgerechter Anklage. So spielt er auch „Maggies Farm“ und „Stuck Inside Of Mobile“, die zwei, die in keiner Beziehung zum Liebesleid zu stehen scheinen. Aber auch die sind Ausdruck von der Unzufriedenheit mit der Welt.

„Hard Rain“ ist Dylan’scher Existenzialismus in Höchstform. Ist auch ein bisschen nihilistisch, erzählt aber vor allem von einem Verlorenen in einer bedrohlichen Welt. Und Dylan weiß momentan keinen Ausweg. Wo er in jungen Jahren altersweise schien, oder einfach hoffnungsvoll, voller Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten war, scheint er jetzt tatsächlich angeschlagen. Private und künstlerische Misserfolge – RTR II – zehren an ihm. Er reagiert wie ein angeschlagener Boxer.

Heute wissen wir natürlich wie Dylan das auflöste. Erst mit einem großartigen Mummenschanz und der Schubidu-Welttournee 1978, dann voller Hoffnung im freien Fall unter die Gottesanbeterinnen und fundamentalen evangelikalen Prediger. Es folgen die Selbstbefreiung, ein Jahrzehnt in künstlerischer Krise und dann das Comeback wie Phoenix aus der Asche.

Damals aber, im September 1976, legte er eines seiner eindringlichsten, aufwühlendsten und stärksten Alben vor: „Hard Rain“. Ich höre mir es mir gleich nochmal an. Und nicht vergessen: „Play It Fucking Loud!“

Hard Rain – Trackliste:
„Maggie’s Farm“
„One Too Many Mornings“
„Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“
„Oh, Sister“ (Dylan, Jacques Levy)
„Lay Lady Lay“
„Shelter from the Storm“
„You’re a Big Girl Now“
„I Threw It All Away“
„Idiot Wind“

Schlagwörter: , ,