Yes, Left Wing Dylanogy!

Noch was zur Selbstverständigung

Für den Left Wing-Dylanologen ist Woody Guthrie natürlich ebenfalls eine wichtige Konstante

Da legt ein nunmehr 80 Jahre alter Künstler, der wie kein anderer im Laufe seiner Karriere Haken geschlagen hat, Masken auf- und wieder abgesetzt hat und chamäleongleich uns immer wieder vor Rätsel gestellt hat, ein weiteres Alterswerk vor und plötzlich beginnen einige der Dylan-Deuter damit, aus den in den Texten dargestellten Befindlichkeiten und Beschreibungen Schlüsse ziehen zu wollen, die als universelle Wahrheiten über eine lebenslange gesellschaftspolitische Verortung Dylans taugen sollen. Die lauten dann in etwa so: „Dylan war nie ein Linker“, „Dylan war nie politisch“, „Dylan war immer schon tief religiös“, „Dylan war immer schon fatalistisch“, „Dylan hat nie Protestsongs geschrieben“. Hoppla, da müssen wir jetzt aber mal kräftig auf die Bremse treten!

Vereinnahmungsversuche
Wir kannten das ja schon einige Jahre durch Blogs wie „Right Wing Bob“. Und natürlich versuchen auch immer wieder Evangelikale oder Libertäre, Dylan für sich zu vereinnahmen. Klar, denn Dylan war ja mal ein paar Jahre Mitglied einer evangelikalen Sekte. Und man kann – wenn man will – in seinem Riesen-Opus auch hier und da Gedanken finden, die sich als „libertär“ auslegen lassen. Eine Frage stellt sich dabei allerdings: Warum soll der Rechten im Jahr 2020 eine Vereinnahmung gelingen, die der Linken 1964 nicht gelang?

Nun, es gibt Zeitgenossen auf der Linken, die Dylan heute immer noch und wieder und wieder abstrafen, weil er keine aktuellen Protestsongs mehr schreibt. Schon vor geraumer Zeit habe ich an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Dylan im Grunde bereits die universellen Wahrheiten über die Mechanismen der US-Gesellschaft in Songs wie „Only A Pawn In Their Game“, „With God On Our Side“; „The Ballad Of Hollis Brown“, „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“, „Masters Of War“ oder „Hurricane“ dargelegt hat. „Sie gelten alle weiterhin. Sie müssen nur andere Namen einsetzen“, sagte Dylan vor wenigen Jahren dazu. Warum soll er über Donald Trump schreiben, „because somestimes even the president oft he United States must to have stand naked“? Weil er es schon geschrieben hat. Oder warum über Fake News? Nun: „Propaganda, all is phony.“

Aus der Mitte der Dylanologie: Der Versuch, Dylan die Widersprüche austreiben
Der derzeitige Versuch aus der Mitte der Dylanologie, den Protestsongs den Protest, also ihren kritischen Impetus abzusprechen (vgl. Untold Dylan, 28. August 2020, „With God on our Side versus Mother of Muses: the puzzling politics of Bob Dylan“) ist interessengeleitet. Man will mit dem alten, über den konkreten Dingen stehenden Dylan, eine Kirche des unpolitischen, fatalistischen Dylan gründen. Aber dafür taugt Dylan nicht. Dylan selber war und ist ein Freigeist, der für keine Kirche, Sekte oder Partei taugt. Weder als Mitglied noch als Stifterfigur.

Als Dylan seine Protestsongs geschrieben hat, war er mitten drin im linken Boheme von Greenwicch Village, war erst mit Suze Rotolo zusammen, dann mit Joan Baez, beide politisch bewusste linke Frauen. Als er George Jackson geschrieben hat, als er Hurricane geschrieben hat, hat er sich e n g a g i e r t! Nur um gleich wieder auf Landleben oder Frömmelei zu machen. Aber das sind die Widersprüche eines Freigeistes. Bob Dylan ist kein Politiker, er ist Humanist, Existenzialist und er glaubt an Gott. Er swingt zwischen Christentum und Judentum und führt auf seiner neuen Platte in Grunde alle Weltreligionen auf. Er ist spirituell und er ist realistisch. Er hat Träume und er ist Mahner. Er hat Dystopien und hofft dennoch, dass sie nicht wahr werden. Er mokiert sich über Marx („Change My Way Of Thinking“ 1979) und schreibt an anderer Stelle „The buyin power of the proletariat is goin‘ down („Workingman’s Blues“ 2006). Er ist zeitlebens der lebende Widerspruch. In sich selbst und gegen das was ist. Genau darum eignet er sich für keine Kirche.

Dylan taugt nicht als rechte Leitfigur
Wer Dylans Schriften liest, „Chronicles“, vor allem aber auch die Liner Notes zu „World Gone Wrong“, der entdeckt den Rhythmus der Beat-Poeten, die gegen die dumpfe Eisenhower-Ära angeschrieben haben. Wer seine Nobelpreisvorlesung studiert, erfährt viel über Homers „Odyssee“, Melvilles „Moby Dick“ und Remarques „Im Westen nichts Neues“. Das ist alles, aber kein Kanon evangelikaler Literatur. Alles dreht sich hier um das Individuum in der Welt, das sein Schicksal nicht in der Hand hat, aber immer wieder auf’s Neue darum kämpft. Und ließ Dylan nicht in „Tempest“ die Erfolgreichen, die Reichen und Schönen mit der Titanic untergehen. Eigentlich müsste doch ein evangelikaler Sänger sich die Holzklasse vornehmen, die zu weit weg von Gott ist und daher die ganz große Überfahrt ins Verderben antritt. Und suchte er nicht in „All Along The Watchtower“ den Ausweg aus dem Spätkapitalismus, der verwalteten Welt (Adorno)? “There must be some way out of here,” said the joker to the thief/ There’s too much confusion, I can’t get no relief/ Businessmen, they drink my wine, plowmen dig my earth/ None of them along the line know what any of it is worth”. Apropos Adorno: Für mich als Left Wing-Dylanologen und kritischen Gesellschaftstheoretiker verhält sich der frühe zum alten Dylan wie Marcuse zu Adorno. Wo der eine für Rebellion und Aufbegehren gegen die Widersprüche steht, steht der andere eher für die Ausweglosigkeit, dafür, die Widersprüche aushalten zu müssen. Von „The Times They Are A-Changin'“ zu „I used to care, but things have changed“.

Lieblingsmusikerund lebenslanges Forschungsobjekt – kein Messias!
Bob Dylan war schon immer eine große Projektionsfläche für vieles gewesen. Das ist ein Grund, warum er von so vielen unterschiedlichen Menschen geschätzt wird. Er ist vielseitig interpretierbar. Man kann ihn unterschiedlich auslegen. Ich lege ihn aus linker, fortschrittlicher und freier Perspektive aus.

Man sollte sich aber davor hüten, ihn als Komplizen, Parteigänger, Kronzeugen von irgendetwas benutzen zu wollen. Wie schon vormals gesagt: Er ist weder mein Freund, noch mein großer Bruder oder mein Messias. Er ist und bleibt für mich ein verdammt interessanter, weil widersprüchlicher Künstler, der mich ihn loben und an ihm verzweifeln lässt. Aber er lässt mich vor allem nie kalt. Und bleibt ein lebenslanges, lohnendes Forschungsobjekt. Und vor dem allem einfach mein Lieblingsmusiker!

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