Auf rastloser Dienstreise zur Arbeit am eigenen Werk


Auch 2019 tourt Bob Dylan ausgiebig durch die deutschen Lande/ Der Sänger und seine Lieder verändern sich stetig

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christuskind sondern mittlerweile auch Bob Dylan nach Deutschland. War er 2017 zu fünf Konzerten in Deutschland – darunter Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und Hannover – 2018 zu sechs Konzerten (u.a. Krefeld, Nürnberg, Baden-Baden), so kommt er im Frühjahr und Sommer 2018 erneut zu neun (!) Aufritten über den Teich. Diesmal führt ihn sein Weg nach Düsseldorf, Würzburg, Berlin, Magdeburg, Augsburg, Hamburg, Braunschweig, Mainz, Erfurt und Stuttgart.

Seit 2012 kein Album mit neuen Songs mehr veröffentlicht
Das ausgiebige Touren steht mittlerweile in Diskrepanz zu seinem musikalischen künstlerischen Output. Seit 2012 hat er keine Platte mit neuen Songs mehr veröffentlicht. Sollte er auch 2019 keine veröffentlichen, dann hat er seinen eigenen „Rekord“ eingestellt. Von 1990 bis 1997 dauerte seine letzte dermaßen lange Enthaltsamkeit in Sachen Neuveröffentlichungen. Stattdessen pflegt er heutzutage den Nachlass. Jedes Jahr erscheint eine neue Ausgabe seiner Bootleg Series und legt den Fokus auf vergangene Schaffensperioden. Und er arbeitet sich in seinen Konzerten an seinen älteren Songs ab, strickt ihnen immer wieder neue musikalische Gewänder, revidiert sie mitunter textlich oder erschließt ihnen mittels der Vortragsart neue Bedeutungsebenen.

Seine Produktivität in den 2010er Jahren ist nicht vergleichbar mit den 2000ern. Damals erschienen die Alben „Love And Theft“, „Modern Times“, „Together Through Life“ und „Christmas In The Heart“. Zudem der Film „Masked & Anonymous“, das Buch „Chronicles“ und die vielen Folgen seiner Radio Show. Nun scheint er seine Produktivität auf anderen Gebieten auszuleben. Immer wieder stellt er neue Teile seines malerischen und zeichnerischen Werkes aus. Daneben schweißt er künstlerisch wertvolle Gartentore und gibt eine eigene Whiskey-Linie heraus. Das er inmitten dieser „Schweigeperiode“ 2016 den Literatur-Nobelpreis bekommt, passt so richtig zur unendlich widersprüchlichen Dylan-Geschichte.

Warum er so oft nach Deutschland kommt, darüber kann man nur mutmaßen. Zuletzt gelang es ihm, regelmäßig auch die größeren Hallen zu füllen. Ob das auch dieses Jahr so sein wird, ist eigentlich egal. Denn wo Dylan die Muse küsst weiß man ohnehin nie. Oftmals blieben in früheren Jahren die großen Momente in manch wunderschöner Location aus, während der Künstler sich in halbleeren Stadthallen wie beispielsweise in Aschaffenburg in ungeahnte Höhen schwang.

Dylan verfremdet immer wieder das Bekannte
Dylans musikalischer Beitrag besteht also heute mehr denn je im Hervorrufen von Verwunderung, Entzückung oder Enttäuschung und gar Verärgerung über die Neu-Interpretation mancher Klassiker. Kaum ein anderer Künstler macht sich Abend für Abend so angreifbar, weil er das doch scheinbar bekannte immer wieder verfremdet. Das ist große Kunst. Andere sind da Kunsthandwerker.
Und dennoch oder gerade deswegen: Weil Dylan Jahr für Jahr hierzulande verlässlich seine Kreise zieht, sind dann auch ebenso verlässlich die immer gleichen Ressentiments zu lesen. Er kann nicht singen, er sagt auf der Bühne kein Wort, noch nicht mal „Danke“, er spielt noch nicht mal ganze zwei Stunden.

Gleichzeitig singt man ihm hohe Lieder des Unangepassten, der immer wieder Erwartungen unterlaufen und sich neu erfunden hat. Hätte Dylan in seiner Karriere stets das gemacht, was man von ihm erwartet und erhofft hat, er wäre heute ein Fall für Konzerte im evangelischen Gemeindesaal oder für Oldie-Festivals. Dylan wollte sich nie vor einen Karren spannen lassen, sei die Sache auch noch so richtig. Was für Journalisten zum Arbeitsethos gehört – und trotzdem oft genug verletzt wird – macht sich auch für Bob Dylan als Chronisten und Beobachter der Zeitläufte bestens. Immer dabei sein, nie dazugehören, viel in sich aufsaugen, über vieles singen, aber sich nie instrumentalisieren lassen. So hat er sich seine Unabhängigkeit und seine Bedeutung bewahrt.

Wichtig sind die Songs – aber Dylan ist auch ein großer Sänger
Wichtig sind die Songs. Was sie sagen und welche Haltung aus ihnen spricht. Daran erkennt man die Haltung des Künstlers und was er uns zu sagen hat und womit wir uns beschäftigen müssen. Das ist das entscheidende. Nicht, wieviel Aufrufe er unterschrieben hat, und auf wie vielen politischen Konzerten er gespielt hat. Wenn er das macht, auch gut, aber er muss es nicht, um Denkanstöße zu liefern und eine politische Wirkung zu entfalten.

Und ich sage hier ganz entschieden, mag ich auch von vielen dafür belächelt werden: Dylan ist ein großer Sänger. Denn nicht die Schönheit der Stimme ist entscheidend, sondern dass man ihr glaubt, dass sie berührt, dass man aus ihr die Wahrheit hört. Und genau das hört man bei Bob Dylan. Im Zusammenspiel mit seiner Musik ergibt sich durch Dylans Gesang ein Vortrag, der oftmals erfreut, unterhält, aber eben stets auch tiefer geht. In Dir selbst etwas auslöst, das vorher nicht da war oder Gedanken befördert, die irgendwie vielleicht da waren, aber nun erst eine Richtung bekommen haben. Und dann sind diese Augenblicke letztendlich so viel wichtiger, als dass der Sänger nach drei Stunden verschwitzt zur Bühnenrampe kommt und so tut als wäre er einer für uns. Was in kleinen Clubs, von „normalen“ Musikern gelebt, noch authentisch sein mag, ist in großen Hallen, von Superstars durchgeführt, einfach nur Showgeschäft. Das erspart uns Dylan. Und das ist gut so. Denn ich will nicht, dass der Sänger im richtigen Leben mein Freund ist, sondern dass seine Kunst mir neue Welten erschließt, die mir helfen die Realität zu begreifen, oder wenigstens auszuhalten, und/oder die mir die Hoffnung geben, sie verbessern zu können.

Und diese Augenblicke können sich auch nur ergeben, wenn man Songs nicht als etwas Fertiges versteht, das man immer gleich reproduziert. Wenn das so ist, dann bleibt auch das eingeengt, was der Song in einem auslöst. Dann ist „I Can’t Get No Satisfaction“ im immer selben Gewand eben nur noch eine Attitüde der Erinnerung an frühere wildere Zeiten. Ohne Beziehung dazu, wo der Sänger und sein Publikum heute stehen. Mick Jagger ist eingefroren in den Mittsechzigern, gleichsam mumifiziert. Dylan führt uns dagegen vor, wie ein Sänger altert und wie er heute mit seinen Liedern umgeht. Manche spielt er nicht mehr, andere verändern sich mit ihm. Das ist ein großartiger Kosmos für Entdeckungen durch aufmerksame Zuhörer.

Und daher ist jeder neue Tour-Abschnitt – und mögen sich die Setlists mittlerweile Abend für Abend gleichen – eine neue spannende Installation des eigenen Werkes. Miterleben wie Kunst entsteht und kein seliges Schunkeln in Erinnerungen – gerade auch den allzu eindimensionalen Rückblicken auf 50 Jahre Woodstock und die ganze Hippie-Seligkeit wird Dylan inmitten des Jubiläumsjahres diesmal ein Stachel sein.

Alle deutschen Konzerttermine 2019:

31. März: Düsseldorf, Germany – Mitsubishi Electric Halle
02. April: Würzburg – S.Oliver Arena
04. April: Berlin – Mercedes-Benz Arena
05. April: Magdeburg – GETEC Arena
20. April: Augsburg – Schwabenhalle
05. Juli: Hamburg – Barclaycard Arena
06. Juli: Braunschweig – Volkswagen Halle
07. Juli: Mainz – Volkspark (Open Air)
09. Juli: Erfurt – Messehalle
10. Juli: Stuttgart – Jazzopen

Schlagwörter: ,


%d Bloggern gefällt das: