My Heart is in the Heartland

John Mellencamp und Joey Goebel – Brüder im Geiste

Große amerikanische Autoren der Gegenwart heißen Ford, Auster oder DeLillo. Sie schreiben Psychogramme über Anwälte, Banker, Hochschullehrer oder PR-Agenten in New York, den Metropolen des Nordens oder den Universitätsstädten der Neu-Englandstaaten. Mich langweilen diese Autoren. Die Ostküstenelite betreibt Nabelschau und versteht die Welt und ihr Amerika nicht mehr. Und so sehr ich New York liebe – es ist leider nicht typisch für die USA.

Auch die beiden anderen popkulturell bedeutenden Landstriche, der Süden und die Westküste sind nicht typisch für die USA. Reden wir lieber vom „Heartland“. Diese Staaten – Nebraska, Indiana, Iowa oder Kansas gehören dazu – sind geprägt von Weizenfeldern, die bis zum Horizont reichen. Hier im ländlichen Raum ist man besonders konservativ, patriotisch, anti-intellektuell und religiös. Wer von hier stammt und einen kritischen Kopf besitzt, will eigentlich schnell weg. Der Musiker John Mellencamp und der Musiker und Schriftsteller Jerry Goebel sind aufgebrochen und doch geblieben. Sie sind kritische Köpfe und lieben die Menschen ihres Landes. Bei aller Verzweiflung über deren Hinterwäldlertum.

Mellencamp begann Ende der 70er als John Cougar und später John Cougar Mellencamp. Einer, den ich eigentlich immer hinter Springsteen oder Petty in die hintere Reihe der Mainstream-Rocker eingeordnet habe. Hatte ein paar veritable Hits, war sogar bei Dylans 30. Plattenjubiläum dabei. Dann erwischte ihn ein Herzinfarkt, der nicht nur physisch dazu führte, dass er das Arbeiter-Stadion-Rockertum sein ließ. Die Zeit, in der auf Eis lag, diente ihm dazu, über sich und die Welt nachzudenken. Eine soziale Ader und ein aufgeklärtes Amerikaner-sein war bie ihm immer schon angelegt. So gründete er 1985 – inspiriert durch Bob Dylans Aussagen bei „Live Aid“ – zusammen mit Willie Nelson „Farm Aid“ für die verarmten Farmer des Mittelwestens. Mellencamp ging musikalisch und inhaltlich zurück zu den amerikanischen Ursprüngen. Kritisierte offen Fehlentwicklungen wie George W. Bush und bekam dafür von konservativen Radiostationen Sendeverbot. Doch sein Land liebt er ungebrochen. Ebenso engagierte wie fast schon naive Hymnen wie „Small Town“ oder „Our Country“ zeugen davon. Seine neue Platte „No Better Than This“ ist eine faszinierende Zeitreise in eine bessere Welt und zu seiner Jugend.  Hin zu den musikalischen Wurzeln der amerikanischen Populärmusik in Blues, Folk und Country.

Joey Goebel ist ein junger Schriftsteller aus Henderson, Kentucky und früher Sänger einer Punkrockband. Mit seinem Roman „Heartland“ zeichnet er ein beängstigend realistisches Bild des amerikanischen Hinterlands. Fernab der weltoffenen Küstenstriche, der liberalen Großstädte wie New York, Chicago, Los Angeles oder San Francisco hat sich ein bigotter christlich-kapitalistischer Fundamentalismus entwickelt, vor dem einen Grausen lässt. Goebels entlarvende Schilderung der manipulativen Umtriebe der Unternehmerfamilie Mapother ist beste Aufklärungsliteratur. Und das völlig ohne den missionarischen Holzhammer-Zeigefinger des antikapitalistischen Trash-Popstars Michael Moore.

Goebel liebt seine Figuren, liefert sie nicht aus, findet Erklärungen für die Entwicklung des fehlgeleiteten Sohnes, der Politikerhoffnung John, ohne dessen fragwürdiges Vorgehen zu entschuldigen. Goebels Roman, indem für eine kurze Zeit die Menschen ihre Interpretation des amerikanischen Glücksstrebens in der basisdemokratischen Kommune sehen, erinnert phasenweise an Frank Capras sozialromantische Filme der 30er und 40er Jahre. Und Blue Gene Mapother könnte ein George Bailey des 21. Jahrhunderts sein. Nur ist das Thema von Goebel viel böser auf den trashigen Zustand der heutigen amerikanischen Unterschicht übertragen worden. Anders als bei Capra gewinnt am Ende nicht das Gute. Dazu haben sich die kollektiven Niederlagen der amerikanischen Utopien von McCarthy, Vietnam-Krieg und der Ermordung der Kennedys und von Martin Luther-King bis hin zu den Schrecken der Bushs, den Irak-Kriegen und dem Clinton-Clan zu sehr eingebrannt. Das Ende bleibt unbestimmt.

Doch die Hoffnung bleibt. Denn beide – Mellencamp und Goebel – bezeugen mit ihrer Kunst immer wieder: Auch wenn die Realität schrecklich ist: das Land und seine Menschen haben einen guten Kern.

Platte: John Mellencamp – “No Better Than This” (Universal).
Buch: Joey Gobel – “Heartland” (Diogenes).

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