The Water Is Wide

Wie ein alter schottischer Folksong von Pete Seeger ins Folk Revival eingebracht wird, ehe ihn Bob Dylan mit Joan Baez singt, er sich dann in dessen Repertoire festsetzt und sich über die Jahre verändert.

Copyright: Sony Music

The Water Is Wide

„The water is wide and I can’t cross over

Neither have I wings that I could fly

Build me a boat that can carry two

And both shall row my love and I.“

Vollständiger Text hier: https://www.bobdylan.com/songs/water-wide/

Eine Wiederentdeckung

Auf dem soeben veröffentlichten 17. Teil von Bob Dylans Bootleg Series ist unter den vorher offiziell noch nicht erschienen Songs auch einer, der mich vor allem in der Fassung von der Rolling Thunder Review 1975 immer fasziniert hat: „The Water is Wide“. Nun taucht er hier plötzlich wieder auf. Grund genug, zu schauen, welche Bedeutung er im Dylan’schen Oeuvre eigentlich hat.

Bob Dylan und Joan Baez haben ihn damals achtmal auf der ersten RTR gespielt. Eine Aufnahme davon wurde auf der Bootleg Series „Live 1975“ (2002) veröffentlicht. 1976 sang Dylan ihn bei den Sessions zu Eric Claptons Album „No Reason To Cry“. Dylan hat dem Song dann wieder dreimal in seinen Konzerten in den Jahren 1989 und 1990 gespielt. Und nun eben die Veröffentlichung einer Studioeinspielung rund um die Times Out Of Mind Sessions 1997.

Ein alter schottischer Folksong

Cecil Sharp, Copyright: Wikimedia Commons

Der Song beschreibt die Herausforderungen und Veränderungen der Liebe. Von ungestümer und zärtlicher Liebe bis zu einer Liebe, die mit fortschreitender Zeit alt und kühler werden kann. Sogar die „wahre Liebe“, heißt es im Song, kann vergehen. Cecil Sharp, der unzählige Texte alter Folksongs aus England, Schottland und den Appalachen veröffentlichte, publizierte „The Water Is Wide“ 1906.

Wie bei allen Folksongs gibt es eine ganze Reihe von weiteren Songs, die mit ihm verwandt sind. „O Waly Waly“ und „Jamie Douglas“ sind direkte Varianten. Das irische „Carrickfergus“ und der amerikanische Song „Sweet Peggy Gordan“ haben Zeilen oder Versteile übernommen.

Das heutige „The Water Is Wide“ hat Pete Seeger in das Folk Revival eingebracht, dokumentiert durch einen Mitschnitt „The Complete Bowdoin College Concert“ von 1960. Die junge Generation erkannte die Lebensklugheit und ihr gefiel der lebenszugewandte, melancholisch-stoische Charakter des Songs und eignete sich ihn an.

So sangen ihn in den 1960ern sowohl Peter, Paul & Mary (als „There Is A Ship“), als auch Joan Baez. Bob Dylan aber sang ihn erstmals bei seiner 1975er Reunion mit Joanie. Über die Jahre haben sich bis heute viele Musiker an diesem Stoff versucht. Von James Taylor über Eva Cassidy bis zu Jewel.

Die 1975er Version

Dylan und Baez singen das Lied über über die sich verändernden Zustände der Liebe mit Mitte Dreißig. Es ist auch ein Lied über sie selbst. Es ist eine sehr kräftige, lebensbejahende Fassung. Man ist in den besten Jahren, hat auch eine gemeinsame Liebesgeschichte und einige andere davor, daneben und danach. Welches Stadium sie damals erreicht hatten? Who knows?

An dieser Version ist auch seine Session-Jam-Fassung in den Shangri-La Studios mit Clapton und The Band ausgerichtet. Kraftvoll und straight in der Männerrunde.

Die 1989er Version

Diese Fassung ist eine einfache, eher langsamere, ein bisschen ruppige Garagenrock-Version. Das Video von Dublin 1989 zeigt den damals auf der Bühne recht exzentrisch auftretenden Dylan. Er singt und nölt drauflos, ohne allzu viel Gedanken um den Klang, hat die Kapuze seines Hoodie auf, und darunter noch eine Baseball Cap. Alles zusammen lässt auf einen durchaus unsicheren Dylan schließen, bei dem in der Kunst und im Leben scheinbar nicht alles so richtig gut zu laufen scheint.

Die 1990er Version

Hier wagt sich Dylan mit dem Song akustisch vor das Publikum. Die Fassung von Edmonton beinhaltet ein schönes Mundharmonika-Spiel und einen viel zärtlicheren Gesang als ein Jahr vorher. Zärtlichkeit ist hier überhaupt der passende Begriff.

Die 1997er Version

Copyright: Sony Music

Die passt dann bestens ins TOOM-Umfeld. Diese Version klingt eher gebrochen und ein bisschen resignativ. Hier scheint die Liebe eher etwas von Gestern, als von Heute zu sein.

Auch mit diesem Song beweist die Bootleg Series ihre Genialität durch die Dokumentierung, wie stark Dylan an den Songs arbeitet. An Traditionals, aber auch an seinen eigenen, von denen ja viele ebenfalls bereits Traditionals sind.

Von der „Mitten-im Leben-Version“ von 1975 bis zur abgeklärt-resignativen Version von 1997 sind es gerade mal 22 Jahre. Wie würde der Song heute bei Dylan klingen? Doch da Dylan momentan eher die dunklen, abgründigen Seiten der Liebe in seinen Songs auslotet, werden wir wohl so bald keine neue Version von diesem Lied mehr hören, es spricht vieles dafür, dass Dylan dem nichts mehr hinzuzufügen hat.

Oder kommt es doch wieder ganz anders? Schafft es Dylan, auch bei diesem Song eine dunkle Seite herauszuarbeiten? Nur durch ein paar Worte und die Haltung beim Singen? Wir dürfen auch hier wieder gespannt sein.

6 Antworten to “The Water Is Wide”

  1. merandino Says:

    Lieber Thomas, ich bin jedenfalls viel neidischer, wie präzise und großartig Du Dich jeweils zu solchen Neuerscheinungen äußern kannst…

  2. merandino Says:

    Danke Thomas!
    Das ist genau die richtige Einstimmung auf Joan Baez‘ Auftritt übermorgen bei der Berlinale zur Premiere des Films über ihr Leben!
    Und Du wirst es gut nachvollziehen können, wie Conny & ich uns darauf freuen, am 24.2. den Film in der Verti Music Hall zusammen anzuschauen😊
    Wo wir Dich und viele andere gute Fans nebenan im Alex kennengelernt haben👌
    Darauf werden wir gern noch einmal das Glas erheben.
    Wir sind gespannt, was wir Weiteres über Fragments zu lesen bekommen. Roll on!

    • bobby1963 Says:

      Wow, da bin ich etwas neidisch! 😉 Ich bin gespannt was man in der hiesigen Presse über die neue Dokumentation lesen kann. Ich die vorherige – „How Sweet The Sound“ – sehr gut und Dylans Passagen dort sehr anrührend. Viel Spaß beim Film schauen!

  3. Heiko Langbehn Says:

    Du sprichst einem mal wieder aus der Seele, Thomas!
    Mit Gänsehaut und einer Träne im Knopfloch habe ich diese für uns neue Version natürlich bereits gehört und mich ähnlich auseinandergesetzt. Anscheinend wird solch ein Song mit dem Altern immer schöner. Vielen Dank für deine Ausführungen!

    • bobby1963 Says:

      Vielen Dank, Heiko! Genau wegen solcher Entdeckungen gefallen mir die Bootleg Series und die neue Folge „Fragments“ so sehr.

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