Dylan arbeitete sich Anfang der 1990er zurück zu künstlerischem Selbstverständnis und musikalischer Bedeutung. Sein Wiesbadener Konzert am 20. Februar 1993 war ein Schritt auf diesem Weg.
Dylan-Fan war ich seit 1976. Ich blieb ihm treu auch während der für einen links sozialisierten Jugendlichen schweren Jesus-Jahren. Doch das wirklich schlechte 1987er Konzert und die eigene persönliche Situation mit Studienabschluss und ersten beruflichen Schritten in den Jahren 1989-91 ließen Dylan bei mir in den Hintergrund rücken.
1991 dann die Neuentdeckung mittels der Bootleg Series, des faszinierenden Offenbacher Konzertes – erstes Drittel grausam, zweites Drittel gut, drittes Drittel großartig – seiner ersten akustische Platte „Good As I Been To You“ und dem bis heute unerreichten Jubiläumskonzert von 1992. Das Thema Dylan war wieder voll da bei mir.
Dylan begibt sich an die Arbeit
Also machten wir uns auf den Weg nach Wiesbaden, wo Bob Dylan am 20. Februar 1993 in der Rhein-Main-Halle spielte. Im Vorprogramm trat die „Hands On The Wheel“ auf, eine Band aus der Region, die für meine Ohren damals ein bisschen wie nach Neil Young & Crazy Horse klang. Noch heute sehe ich den Bandleader Tom Ripphahn vor mir mit Gitarre auf den Knien über die Bühne rutschen. Machte auf jeden Fall viel Stimmung und das Dylan-Publikum ging mit den Jungs doch insgesamt pfleglicher um als mit manch anderer Vorband in diesen Jahren.
Und dann kam Dylan. Wurde er 1991 in Offenbach von zwei Roadies geradezu aus dem Dunkeln auf die spärlich beleuchtete Bühne geschubst, um die ersten Augenblicke deutlich schwankend unterwegs zu sein, war es diesmal ganz anders. Eine gut ausgeleuchtete Bühne und ein Dylan, der deutlich sichtbar in gemessenem Schritt sich zur Arbeit begibt.
Dies waren die Jahre als Dylans Band aus Bucky Baxter (pedal steel guitar & electric slide guitar), John Jackson (guitar), Tony Garnier (bass) und Winston Watson (drums & percussion) bestand. Sie spielten gut zwei Stunden und die Stücke wurden von langen Instrumental-Intros und -Soli geprägt. Dylan experimentierte, probierte sich aus, spielte Soli an der Akustikgitarre. Dazu war die Setlist im Gegensatz zu heute immer wieder anders, bis zu einem Drittel der Songs wurden von Konzert zu Konzert ausgetauscht.
Dylan ist experimentierfreudig

In Wiesbaden begann er mit einem Song, den viele im Augenblick gar nicht erkannten: „Folsom Prison Blues“. Den Johnny Cash-Klassiker hatte Dylan 1967 bei den Basement Tapes Sessions mit The Band gespielt und 1969 bei den Nashville-Sessions mit Cash himself. Und nun vom 17. bis 21. Februar 1993 als Auftaktsong seiner Konzerte in Eindhoven, Hannover, Wiesbaden und Petange (Luxemburg). Über das warum kann man nur mutmaßen, vielleicht hing das mit dem am 26. Februar bevorstehenden Geburtstag von Cash zusammen, wer weiß?
Es waren auch die Jahre als Dylan elektrisch verstärkt anfing, dann ein akustisches Set (vier Songs!) einstreute und dann wieder elektrisch weitermachte. Und so enthielt das Programm in Wiesbaden als Hau drauf-Rocknummern angelegte Stücke wie „Memphis Blues Again“ oder „Highway 61 Revisited“ ebenso wie zärtlich-rauhe Versionen von „Tomorrow Night“ oder „Jim Jones“. Das Programm wa rgut gemischt, da standen Klassiker wie „Mr. Tambourine Man“ oder „Don’t Think Twice“ neben weniger bekannten Stücken wie „I’ll Remember You“ oder „Cat’s In The Well“. Dylan Stimme war nicht schön, nicht wirklich sauber, aber nach einer gewissen Anlaufzeit kräftig und ausdrucksvoll. Und nix mit Autopilot: So manches Stück wurde von Dylan geradezu expressiv ausgelebt.
Dylan stimmte hoffnungsfroh
Das Wiesbadener Konzert war wie alle Dylan-Konzerte in diesen Jahren eine „Tour De Force“, bei dem Dylan ehrliche Arbeit ablieferte und durchaus auch bemüht war, neben der Installierung eines Experimentalkorridors auch den Leuten das zu geben, was sie wollten. Bezeichnend mit welch großer Begeisterung das Publikum in der Rhein-Main-Halle den „Mr. Tambourine Man“ goutierte. Aber es waren auch die Jahre der 3000er und 4000er-Hallen, in denen die Eingeweihten die Mehrheit stellte. Dylan war nicht chic wie der Nobelpreisträger nach 2016, als es wieder hieß, Dylan muss man wenigstens einmal gesehen haben.
Für mich war es ebenso wie für die 4000 in Wiesbaden ein begeisterndes Konzert, das nicht die dramatischen Höhen und Tiefen des Offenbacher Konzertes von 1991 hatte, aber dafür viel mehr wohltuende Hoffnung darauf machte, das da noch einiges von Dylan zu erwarten ist. Im Sommer 1993 dann wurde ich Abonnent von John Bauldies „Telegraph“, es folgten „World Gone Wrong“ und „MTV Unplugged“ und die 1990er wurden zu einer spannenden Dylan-Zeit und die Grundlage für meine bis heute anhaltende Freude an der Auseinandersetzung mit Dylans Werk und Wirken.
Setlist Wiesbaden, 20. Februar 1993, Rhein-Main-Halle
1. Folsom Prison Blues (Johnny Cash)
2. The Man In Me
3. All Along The Watchtower
4. Tangled Up In Blue
5. Shooting Star
6. Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again
7. She Belongs To Me
8. Tomorrow Night (Sam Coslow/Will Grosz)
9. Jim Jones (trad. arr. by Bob Dylan)
10. Mr Tambourine Man
11. Don’t Think Twice, It’s All Right
12. Cat’s In The Well
13. I And I
14. The Times They Are A-Changin’
15. Highway 61 Revisited
16. I’ll Remember You
17. Everything Is Broken
18. It Ain’t Me, Babe
Einige Bob Dylan-Tour-Highlights von 1993: