Die Songwriter-Legende hat neben Protestsongs, surrealen Tagträumen, Gesellschafts- und Geschichtspanoramen oder dunkle Lieder über Vergänglichkeit auch einige der schönsten Liebeslieder geschrieben. Eine Annäherung.
Auf dem Backcover von „Shot Of Love“ aus dem Jahr 1981 ist – wie ich meine – eines der schönsten Bilder von Dylan überhaupt zu finden. Dylan – wohl verliebt und erwartungsvoll – begutachtet eine Rose. Vielleicht übergibt er sie im nächsten Moment seiner Liebsten? Geschossen hat das Bild Dylans langjähriger Freund und Partner in Filmprojekten, Howard Alk. Es sticht aus den vielen Bildern Dylans heraus, weil er hier mal nicht cool oder gelangweilt aussieht, sondern als ein Mann der Emotion und wohl auch klaren Absicht dargestellt wird. Kein Wunder, heißt das Album doch „Shot Of Love“ und im Titelsong bekräftigt Dylan ja auch, wie sehr er einen „Schuss der Liebe“ jetzt bräuchte.
Das Album enthält neben den letzten Ausläufern seiner missionarischen Tätigkeit („Property Of Jesus“) und Songs für die Ewigkeit (Every Grain Of Sand) auch einen seiner schönsten Lovesongs: Das funkige „Watered Down Love“ bricht eine Lanze für die wirkliche, wahrhafte Liebe und lehnt die „verwässerte“ ab.
In der Tat, der vor mir sehr geschätzte Musiker Bernd Hoffmann wird nicht müde es zu betonen: Dylan hat auch die schönsten Lovesongs geschrieben. Mit denen will ich mich ein bisschen beschäftigen, denen versuche ich mich anzunähern.
Fünf Spielarten von Lovesongs habe ich im Dylan’schen Werk identifiziert. Da sind die Songs, die wahre Liebe beschwören, dann gibt es die „I don’t love you“-Songs. Das Genre hat Dylan im Grunde erfunden. Dann gibt es noch die traurigen oder nachdenklichen Songs über verlorene oder unklare Liebe. Dann gibt es die Liebeslieder, von denen man nicht genau weiß, an wen sie sich richten. An eine Frau, an einen Gott? Und zuletzt kamen noch die Songs zu, die vieldeutig und dunkel sowohl als Lovesong oder als Mörderballade deutbar sind.
Die Songs von wahrer Liebe
Einer meiner Favoriten ist hier „Love Minus Zero/ No Limit“, das Dylan wohl für Sara geschrieben hat. Er singt zärtlich über die Geliebte, voller Beschützerdrang. Und es wird hier deutlich, wie sehr ihre Anwesenheit ihn beruhigt. Sie gehört nicht zu den Sprücheklopfern, ewigen Diskutierern mit starken Worten. Ihre Klugheit ist die Ruhe und Selbstverständlichkeit mit der sie ihn liebt.
„I Want You“ ist auch so ein Stück aus dieser Zeit. Um Dylan herum ist Remmidemmi, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, ihm ist das alles zu viel, er will eigentlich nur an seine Geliebte denken.
Auch als eine Art Lovesong kann das wunderschöne „Emotionally Yours“ (1985) gelesen werden. Er hat, so sagt die Dylan-Forschung, für Elisabeth Burton geschrieben, die beiden standen sich damals wohl recht nahe.
Aus jüngerer Zeit ist natürlich „Make You Feel My Love“ zu nennen, eine einzige bombastische Liebeserklärung mit für Dylan ungewohnt simplen Bildern, die es in der Pop-Lyrik schon immer gegeben hat. Aber wie er es singt, und wie er die Bilder zu einem Song zusammenführt, ist große Klasse und der Song ist einer der meistgecoverten des Meisters.
Ich lieb‘ Dich nicht
„Don’t Think Twice, It’s Allright“ und It Ain’t Me Babe“ sind Songs, die es bis dahin nicht gegeben hat. Da singt nicht einer über die Freude, geliebt zu werden. Nein hier ist jemand genervt, von einer Person, die vorgibt ihn zu lieben. Und Dylan sagt es klipp und klar: „Denk nicht drüber nach, ist schon okay“ und „Ich bin es nicht“.
Songs über vergangene und verlorene Liebe
Dylan hat ein ganzes Album über das Ende einer Liebe gemacht. „Blood On The Tracks“, das traurige Trennungsalbum zum Scheitern seiner Ehe mit Sara. Da sind tieftraurige Songs wie „You’re A Big Girl Now“ aber auch wütende wie „Idiot Wind“. Für mich die beiden schönsten sind „Shelter From The Storm“ und „Simple Twist Of Fate“. „Shelter“ zeigt nochmal die Basis der Beziehung zu Sara auf. Sie war jemand, die ihn aus dem Rockbusiness herausholte. Aus den Hahnenkämpfen, aus der Imagearbeit, den Intrigen, den Posen, aber auch aus den Zweifeln und dem Leistungsdruck. Bei ihr fand er Schutz und Geborgenheit. Daher war sie die ideale Partnerin, um aus dem Rockzirkus auszusteigen und eine Familie zu gründen. Als das alles Dylan wieder zu eng wurde, er wieder „on the road“ wollte, war es dann vorbei mit der großen Liebe.
„Simple Twist Of Fate“ erzählt von der kurzen, leidenschaftlichen Begegnung zweier Menschen. Der Sänger fragt sich, ob daraus etwas Richtiges hätte werden können. Hängt der Frau in Gedanken nach.
Frau oder Gott?
„I Believe In You“ (1979) ist eindeutig ambivalent. Dann schildert er, wie er für seine neue Liebe angefeindet wird. Und jeder denkt da natürlich an seinen neu gewonnen christlichen Glauben. Er glaubt an Gott. Wenn Dylan aber dann singt:
„I believe in you even through the tears and the laughter,
I believe in you even though we be apart
I believe in you even on the morning after
Oh, when the dawn is nearing
Oh, when the night is disappearing
Oh, this feeling is still here in my heart“
Dann klingt das doch auch sehr nach der Liebe zu einem Menschen.
Wenn wir dann noch wissen, dass es Frauen in seinem Umfeld waren, die ihn bestärkt haben, sich Gott zuzuwenden, dann kann es doch sein, dass sich beide Themen in Dylans Leben doch recht nah waren. „Precious Angel“ und „Convenant Woman“ legen Zeugnis dafür ab. Für mich war diese Ambivalenz dann auch mitentscheidend dafür, dass ich bei Dylan während der Jesus-Jahre geblieben bin.
Jüngstes Beispiel dieser Ambivalenz ist das wunderschöne „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ (2020). Wie schön er da voller Liebe und Hingabe singt! Das Gute am alten, immer noch gläubigen Dylan ist, dass er nicht missionieren will, dass sein Gott jetzt kein strafender Gott ist, dem man gehorchen muss, sondern einer, den man lieben kann.
Dylan ist als Schreiber von Lovesongs ein hemmungsloser Romantiker und als mittlerweile 82-jähriger älterer Herr hat sich sein Frauenbild in den 1960er Jahren gefestigt. So sehr er in den Songs wie wohl auch im Leben in einer Liebesbeziehung auch den Beschützerinstinkt einbrachte und sich gleichsam Geborgenheit wünschte, so hat er dennoch hat er immer auch den Kontakt zu „starken“, selbstbewussten Frauen gesucht. Mit Suze Rotolo, Mavis Staples, Joan Baez, Malka Marom und Patti Smith seien hier nur wenige beispielhaft genannt. Sich mit schönen, aber stummen Models zu umgeben wie andere Rockstars, war nie seine Sache.
Zwischen romantischer Liebe und Femizid
In jüngster Zeit, oder sagen wir seit gut zehn Jahren, seit Tempest (2012) beschäftigt sich Dylan in einigen Songs mit dem schmalen Grat zwischen romantischer Liebe und krankhaftem Besitzanspruch. So hat Dylan-Experte Heinrich Detering den Song „Soon After Midnight“ als Bekenntnis eines Frauenmörders gelesen. Und auch die Dylan-Podcast-Macherin Laura Tenschert hat hier die „dünne Linie zwischen Liebessong und Mörderballade“ gesehen. Viele traditionelle Mörderballaden wie beispielsweise „Delia“ oder „T for Texas“ handeln ja von Femiziden aus gekränktem männlichem Stolz und Besitzanspruch.
Dylan scheint diese dünne Linie bewusst, sie scheint ihn zu interessieren. So sind die Live-Neuausrichtungen der Songs „To Be Alone With You“ und „I’ll Be Your Baby Tonight“ genau darauf ausgelegt.
Und so verändern sich über die Jahre auch Dylans Lovesongs. Von den hellen Liedern in der Frühzeit über die grauen Lieder der Trennungszeit, dem neuen Beschwören der wahren Liebe in den mittleren Jahren bis hin zu den dunklen, bösen, doppelbödigen Songs des Alterswerks. Auch das wieder eine Welt für sich im großen Werk des alten Barden, die noch genauer sich zu erkunden lohnt.




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