Reaktionäre Protestsongs: Oliver Anthonys Erfolg mit „Rich Men North Of Richmond“ ist von der US-Rechten zielgerichtet orchestriert worden
Als Oliver Anthonys Country-Folk-Song „Rich Men North Of Richmond“ zum großen Internet-Hit wurde, war in den ersten Stellungnahmen zu lesen, das wäre ein Song, der die Nöte der Arbeiterklasse zum Inhalt hätte. Nun, nach eingehender Beschäftigung mit dem Song, seinem Text und seinem Erfolg, kann man nur sagen: Vordergründig werden die Nöte der Arbeiterklasse angesprochen. Doch dahinter geht es um eine weitere Schlacht im sorgsam von der extremen Rechten orchestrierten Kulturkampf in den USA. Und Oliver Anthony ist, um es mit den Worten des jungen Bob Dylan zu sagen: „Only A Pawn In Their Game“.
Denn der Aufstieg des Songs zum viralen Internet-Hit wurde von Anfang an begünstigt durch konservative Medienpersönlichkeiten wie Countrysänger John Rich und den Kommentatoren Dan Bongino und Matt Walsh. Ihrer Gefolgschaft aus weißem Mittelstand und konservativen Arbeitern empfahlen sie Anthonys Song auf all ihren Kanälen. Und natürlich war auch Jason Aldean wieder nicht weit, der ja „Held“ der letzten kulturellen Auseinandersetzung um „Try That In A Small Towm“, die man mit Fug und Recht als Hymne für die „Make America Great Again“-Bewegung nehmen kann, die bekanntermaßen rassistisch und rückwärtsgewandt ist.
Kein wirklicher Song gegen die Macht der Reichen
Wäre Anthonys Song wirklich ein Protestsong gegen die Macht der Reichen im Sinne von Woody Guthrie oder Bob Dylan, wäre er nicht von diesen Leuten empfohlen worden. Billy Bragg hat ja Anthony auch gleich in „Rich Men Earning North Of A Million“ einen musikalischen Vorschlag gemacht: „Tritt in die Gewerkschaft ein!“ Denn diese „Right Wing Influencer“ befördern nur den rechtsextremen ideologischen Hintergrund, der zum Sturm auf das Kapitol geführt hat. Was also macht diesen Song so anschlussfähig für die extreme Rechte?
Er kommt erstmal daher wie eine wirkliche Kritik im Sinne der Arbeitenden:
„Nun, ich habe meine Seele verkauft
Den ganzen Tag arbeiten
Überstunden
Für eine beschissene Bezahlung“
Aber dann folgt nicht eine Anklage gegen ausbeutende Arbeitgeber, sondern gegen die „reichen Männer, nördlich von Richmond“:
„Diese reichen Männer nördlich von Richmond
Herr, der kennt sie alle
Die möchten einfach die totale Kontrolle haben
Möchten wissen, was Du denkst“
Und weiter:
„Ich wünsche Politiker
Würden nach Bergleuten Ausschau halten
Und nicht nur nach Minderjährigen
irgendwo auf einer Insel“
Und dann kommt das Wüten gegen Sozialleistungen:
„Es gibt nichts zu essen
Und das Wohlergehen der Fettleibigen
Aber Gott, wenn du 1,70 Meter groß bist
Und du wiegst dreihundert Pfund
Steuern sollten nicht gezahlt werden
für Ihre Tüten voller Karamellbonbons“
Und dann wird wieder an die reale Verzweiflung und Perspektivlosigkeit der Jugend im Fly Over-Country angespielt:
„Junge Männer
rammen sich sechs Fuß in den Boden
Weil alles, was dieses verdammten Land tut,
ist sie weiterhin nieder zu treten“
Doch es sind nicht die Konzerne, die Arbeitsplätze vernichten. Es sind nicht die Pharmafirmen, die Medikamentenepidemien begünstigen. Nein, Schuld haben „diese reichen Männer nördlich von Richmond“. Die auch noch alle „bis zum Äußersten besteuern“.
Rechte Agenda im Kostüm der Sozialkritik
„Rich Men“ ist im Grunde einer der gefährlichsten Songs der letzten Jahre. Er kommt daher im Kostüm der Sozialkritik. Aber dann:
- Er kritisiert nicht die Reichen und deren Herrschaftsstrukturen per se. Es sind die „progressiven Eliten“ in Washington, die Ziel seiner Attaken sind. Das verstehen die schon, die es verstehen sollen.
- Er arbeitet mit alten und neueren Mustern der rechten Ideologien: Gegen Steuern, gegen Sozialleistungen. Die „faulen, dicken Sozialschmarotzer“ hat ja schon Ronald Reagan als vor allem schwarze „Welfare Queens“ den weißen Amerikanern zum Fraß vorgeworfen.
- Neu: Jetzt kommen die Verschwörungstheorien dazu. Es ist das perfide, dass der wahre Fall Epstein hier von Anhängern von Verschwörungstheorien als Code oder auch als Platzhalter für die irre Idee „Pizzagate“ verstanden werden kann. Man fragt sich, warum Anthony ausgerechnet dieses Bild benutzt. Zum Hintergrund: Im US-Wahlkampf 2016 verbreitete sich ja die Behauptung, dass Hillary Clinton im Mittelpunkt eines international agierenden Pädophilenrings stehen würde. Zentrum dieses Netzwerks, das angeblich Kinder aus aller Welt verschleppt, missbraucht und verkauft, sollte laut Theorie im Keller einer Pizzeria in Washington, D.C. liegen. Solche Sachen werden in der extremen amerikanischen Rechten immer noch geglaubt.
- Die Herrschenden in Washington wollen Deine Gedanken überwachen.
Wichtig ist, unterscheiden zu können. Schon immer gab es starke Statements zur Lage der Arbeitenden in der Countrymusik. Doch während Tennessee Ernie Ford in „Sixteen Tons“ lyrisch wunderbar und analytisch richtig sang
„Ich lade 16 Tonnen, was bekommst Du?
Einen weiteren Tag älter und tiefer verschuldet
St. Peter, ruf mich nicht an, weil ich nicht gehen kann
Ich schulde dem Firmenladen meine Seele“,
da abstrahiert der so lebensnahe Anthony plötzlich. Es geht also nicht um reale Verhältnisse. Es geht um Ideologie, um Hirngespinste.
Ideologien und Hirngespinste
Merle Haggards „Workingmen“ aus Muskogee, Oklahoma, hatten noch Arbeit, sie verspottteten die Hippies und Wehrdienstverweigerer aus einer Position der Stärke. Der Neoliberalismus seit Ronald Reagan hat zum Abbau von Jobs und und von Sozialleistungen geführt, die Demokraten Clinton und Obama sind dies nicht wirklich grundsätzlich angegangen. Die Arbeiter haben schon lange diese Stärke nicht mehr. Bob Dylan hat es in seinem „Workingman’s Blues #2 bereits 2006 thematisiert. Doch die neokonservativen und die extremen Rechten leiten seit Jahrzehnten schon die notwendige Kritik am neoliberalen Kapitalimus um in einen desparaten, irren Hass der Verlierer auf alles Progressive. Und dieser Song befördert dies.
Oliver Anthony scheint selber ein sehr verzweifelter Mensch zu sein. Ehemaliger Malocher, jetzt arbeitslos, lebt einsam mit Hunden auf seiner Farm. Eine Hillbilly-Erscheinung. Und er erzählt von seinen psychischen Problemen. Für die extreme Rechte ist er ein Held. Sein „Free Concert“ wurde medial von Fox News gekapert, die Menge skandierte wie bei Trump „USA. USA, USA“. Aber Oliver Anthony scheint auch ein Mensch mit einem doch recht widersprüchlichen Weltbild zu sein. Auf der einen Seite folgt er in seinem Song den rechten Narrativen. Dies zeigt, wie sehr diese sich schon in den Hirnen der einfachen Amerikaner eingefressen haben. Doch gleichzeitig erzählte Anthony sehr zum Missfallen seiner rechten Fans und Influencer, die USA seien doch ein Schmelztiegel, auf diese Vielfältigkeit solle man stolz sein. Na was jetzt?
Oliver Anthony: Schachfigur im rechten Spiel
Dieser Oliver Anthony ist noch nicht mal ein Zauberlehrling. Er ist nämlich gar nicht selber der Verursacher. Er war mit seinem kruden Song zur rechten Zeit für die Rechten da. Und wenn er sich tatsächlich nicht kaufen lässt, dann werden sie ihn auch wieder fallen lassen. Seine Schuldigkeit hat er dann ohnehin schon getan. Denn er ist halt wirklich „Only A Pawn In Their Game“. Eine Schachfigur im rechten Spiel der „Right Wing Rich Men“ überall in den USA.
Im gnadenlosen Kulturkampf haben sie nun die Countrymusik ins Visier genommen. Wollte noch 2017 keiner bei Donald Trumps Inauguration auftreten, so ist mittlerweile Jason Aldean Trumpist. John Rich, Travis Tritt, Kid Rock und Trace Adkins ebenfalls. Es steht zu befürchten, dass bis zu den Präsidentschaftswahlen 2024 breite Teile der Countryszene ihre politische Zurückhaltung aufgeben und der rechte Kulturkampf in das Mainstream-Country schwappt.
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