Martin Scorseses „Killers Of The Flower Moon“ ist ein vielschichtiges Americana-Meisterwerk, bündelt seine Lebensthemen und ist auch ein Gedenken an Robbie Robertson.
Der Film ist Western, Gangsterfilm, Familientragödie und Justizdrama in einem. Martin Scorsese hat mit „Killers Of The Flower Moon“ ein episches Meisterwerk geschaffen, das als sein vorzeitiges Vermächtnis angesehen werden kann, da es im Grunde seine lebenslangen Themen Gier, Gewalt und (un)heilige Familie bündelt. Es geht um den Alptraum des gierigen Kapitalismus in Amerika, der nur funktionieren kann, weil er dort das Recht und Gesetz nach seinen eigenen Interessen ausrichten kann.
Western, Gangsterfilm, Familientragödie und Justizdrama
In diesem Film gibt es drei Hauptakteure, die gleichsam Archetype dieses Alptraums sind. Da ist der Mann, der die Strippen zieht: Robert de Niro spielt den Rinder-Tycoon William Hale. Er ist eine durchschnittliche Erscheinung, keine Chisholm oder McLintock-Figur á la John Wayne, die stets mit größer Körperlichkeit herrscht. Hale ist eher ein scheinbar freundlicher, aber in Wirklichkeit perfider intriganter Buchhalter der Gier. Um ihn herum sieht er, wieviel mehr die Osage verdienen können, da auf ihrem Land große Ölvorkommen vorhanden sind. Also entwickelt er einen legalen wie perfiden Plan um das Vermögen in weiße Hände zu bekommen.
Der Tycoon und sein Handlanger
Leonardo di Caprio spielt Ernest Burkhart. Ein Neffe von Hale. Ein typischer Handlanger, der mit der dafür notwendigen Mischung aus Charme, Dummheit und Gier agiert. Das schlimme dabei ist die äußere Harmlosigkeit, mit der er auftritt. Er wird von seinem Onkel zwar zu dieser Verbindung gedrängt und ist doch tatsächlich in die ausgewählte Molly, eine Osage, verliebt. Gleichzeitig unternimmt er nächtliche Streifzüge und raubt Stammesgenossen von Molly aus. Denn das Geld liebt er noch mehr. Er ist die Parabelfigur dafür, dass das Böse eben trivial ist und scheinbar aus der unauffälligen Mitte der Gesellschaft kommt. Am Ende macht er sich immer mehr schuldig, da er auf Anweisung seines Onkels Mordaufträge vergibt und seine Frau langsam vergiftet. Er ist eine einzige gefährliche Lebenslüge. Er ist der, der sich selbst und sein Gewissen verleugnet und verdrängt. Ein Mitläufer und Ausführender, wie es jedes Unrechtsregime braucht.
Loyal dem Stamm und dem Mann gegenüber
Molly ist vom Stamm der Osage und hat drei Schwestern, die allesamt mit Weißen verheiratet sind. Sie heiratet Ernest, gibt seinem Werben nach. Sie liebt ihn und versteht bis fast ganz zum Schluss nicht die Erbärmlichkeit und Gefährlichkeit von Ernest, seine bösen Verstrickungen. Sie ist ihm loyal gegenüber, auch als sie schon mit der Osage-Delegation nach Washington reist. Aber Molly ist eben auch eine gläubige Katholikin, die ihrem Mann gegenüber gehorsam ist. Sorcese überzeichnet hier bewusst das nicht-verstehen-wollen Mollys, damit sich das Böse in seiner Geschichte entfalten kann.
Dieses Böse ist aber hier nicht metaphyisch, also gleichsam unbeeinflussbar gottgewollt in der Welt. Das Böse hat seine realen Entstehungsbedingungen in der kapitalistischen Waren- und Finanzwirtschaft. Das Öl ist eine Ware, die großen Gewinn verspricht, wer diese Ware schon nicht besitzen kann, der will sein Vermögen damit auf andere Art und Weise machen. Also entwirft Hale den Plan seinen Sohn und seinen Neffen mit Osage-Frauen zu verheiraten. Bei deren Tod fällt das Vermögen an seine Familie. Die Tode werden möglichst als Unfälle oder Krankheiten inszeniert. Und viele andere Weiße handeln ebenso. Am Ende soll ein gigantischer Transformationsprozess vom Reichtum der Osage zum Reichtum der Weißen stehen.
Denn die Osage-Indianer sind durch die Ölvorkommen reich geworden. Doch die weiße Mehrheitsgesellschaft neideten ihnen diesen Reichtum. Daher verabschiedete der Kongress der Vereinigten Staaten 1921 ein Gesetz, das vorsah, dass die Gerichte für jeden Osage, der mindestens zur Hälfte von ihnen abstammte, einen Vormund ernennen mussten, der ihre Tantiemen und finanziellen Angelegenheiten verwaltete, bis sie ihre „Mündigkeit“ unter Beweis stellten. Ein Einfallstor für die groß angelegte Verheiratung von Osage-Frauen mit weißen Männern.
Das Tulsa-Massaker als zeitgleiches, rassistisches Unrecht
Scorsese inszeniert auch den Reichtum der Osage als etwas Unangemessenes. Die kapitalistische Gier nach Reichtum, Status und deren Symbole – Kleidung, Autos, Dienerschaft – wird auch nicht besser, wenn sie bei den Native Americans angesiedelt ist. Scorsese gelingt es, den Zeithintergrund der 1910er und 1920er Jahre in Oklahoma einzufangen. Die Hale-Morde sind nur die Spitze des Eisbergs eines ausgeklügelten Systems, den Osage-Indianern ihren Besitz zu nehmen und den Weißen und damit in Folge den großen Ölfirmen zuzuführen.
So wird als Referenz für die Allianz von Kapitalismus und Rassismus das zeitgleich stattfindende Tulsa-Massaker im Film eingeführt. Ein ganzes afroamerikanisches Stadtviertel, Greenwood, die sogenannte „Black Wall Street“, wird von einem rassistischen Mob 1921 in Schutt und Asche gelegt. Auch hier spielen der Neid und die Gier eine Rolle. Und auch hier sind die weißen Brandschatzer nur die Handlanger von Interessen. Eine erfolgreiche, afroamerikanische Nebenwirtschaft dulden die Reichen und Einflussreichen in Tulsa nicht und daher haben sie auch kein Interesse die Schuldigen zu finden und das Verbrechen zu sühnen. Scorsese führt vor, wir tief rassistische Vorstellungen in der amerikanischen Gesellschaft in den 1920er Jahren verankert sind. Ganz selbstverständlich marschiert der Ku-Klux-Klan – angeführt vom örtlichen Banker – bei den Paraden in Fairfax mit, werden die Hales von den ärmeren Weißen schon mal als „Juden“ bezeichnet und der Hass gegen die Schwarzen ist ebenfalls da.
Breitwand-Film und Kammerspiel
Und auch deswegen bleibt die Polizei – bestens verbandelt mit Tycoon Hale – lange Zeit untätig. Erst nachdem eine Delegation der Osage nach Washington fährt, nimmt sich der neue, ehrgeizige FBI-Chef J. Edgar Hoover der Sache an und schickt Bundesagenten nach Oklahoma und die Sache wird verfolgt. Burkhart bleibt wankelmütig und di Caprio spielt dessen Verzweiflung des Nichtverstehens seiner Schuld, seine Verdrängungsleistung, großartig. Minutenlang hält die Kamera auf sein verkniffenes, ungläubiges Mienenspiel. Da wird der Breitwand-Film zum Kammerspiel.
Scorsese hat mit dem genialen Duo de Niro und di Caprio alias Hale und Burkhart zwei Protagonisten geschaffen, die man so schnell nicht vergessen kann. Ebenso Molly, die erst zu Mann und Stamm gleichermaßen loyal ist, dann als einzige initiativ wird, um auf in Washington auf die Morde aufmerksam zu machen, um schließlich aufgrund seiner Giftspritzen dahinsiecht. Als sie das ganze Maß seiner Verstrickungen begreift, versucht sie dennoch mit ihm die Wahrheit aufzuklären. Doch als Ernest sie belügt und abstreitet, ihre langsame Vergiftung geplant zu haben, wendet sie sich von ihm ab.
Die Filmmusik
Der Film ist dem Andenken an den verstorbenen Robbie Robertson gewidmet, der hier das letzte Mal für Scorsese die Filmmusik geschaffen hat. Er hat dies seit 1980 („Wie ein wilder Stier“) gemacht. Sein Score ist unaufdringlich, aber prägend. Ein momotoner Bass-Rhythmus steht für die latente Gefahr, die hier in Fairfax im Osage Country herrscht. Eine E-Gitarre in offener Stimmung für die vermeintliche Freiheit des Westens.
Gespickt ist der Film-Soundtrack zudem mit zeitgenössischen Old Time und Bluessongs. Da Scorsese bekanntermaßen auch ein großer Musikfreund ist – er verantwortet mit „The Last Waltz“ immer noch einen der besten Konzertfilme aller Zeiten und hat die wunderbare Bob Dylan-Mockumentary „Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story“ inszeniert – spielt die Musik hier eine große Rolle. Zudem sind im Cast gleich vier bedeutende Americana-Musiker mit dabei. Jack White spielt den Host einer Radio Show Host, in der am Ende die Geschichte – samt Cameo-Auftritt von Scorsese – resümiert wird. Charlie Musselwhite spielt einen armen, alten Weißen, der mit zur Auflösung der Morde beiträgt. Sturgill Simpson spielt den Groß-Schwarzbrenner Henry Grammer und Jason Isbell ist Bill Smith, der auch mit einer Osage verheiratet ist, dem die Todesfälle suspekt sind und deswegen mit seiner Frau in die Luft gesprengt wird.
Fazit
Große Bildpanoramen, denkwürdige Charaktere, starke Typen, spannende Verwicklungen und starke Dialogszenen und ein bislang filmisch noch nicht behandeltes Thema – Scorsese hat ein Meisterwerk geschaffen, das Bestand hat und das bald zum Kanon amerikanischer Filmgeschichte gehören wird.



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